Hat der Kosmos eine Absicht?

Philosophie

Hat der Kosmos eine Absicht?

Sonja Student und Michael Habecker

Hat überhaupt die Schöpfung eine Endabsicht, und wenn dieß ist, warum wird diese nicht unmittelbar erreicht, warum ist das Vollkommene nicht gleich von Anfang? Es gibt darauf keine Antwort als die schon gegebene: weil Gott ein Leben ist, nicht bloß ein Seyn … Das Seyn wird sich nur im Werden empfindlich.

Friedrich Schelling

Die Frage Hat der Kosmos eine Absicht? steht in einem engen Zusammenhang mit den Fragen Warum ist überhaupt irgendetwas, und nicht einfach nur Nichts? und Was ist der Sinn des Lebens oder der Existenz?

  • Von der Absolutheit aus gesehen hat der Kosmos keine Absicht, weil Leere oder Absolutheit immer-schon und unveränderlich gegenwärtig war, ist und sein wird. (siehe dazu den Text Immer schon, und immer jetzt im Anhang). Die Absolutheit, so wie sie von denjenigen beschrieben wird, die sie erfahren (haben), ist nicht-beschreibbar, inhaltls-leer und eigenschafts-los, einschließlich der Eigenschaften von Sinn, Zweck, Intentionalität und Absicht.
  • Relativ gesehen ist der Kosmos absichtsvoll, evolutionär und zielgerichtet (ohne determiniert zu sein), vom ersten bis zum letzten Augenblick seiner Existenz.
  • Nichtdual gesehen ist der Kosmos sowohl vollkommen („nichts geschieht hier wirklich“) als auch im absichtsvollen Werden begriffen und dieser Werdensprozess als Manifestation des Absoluten ist auf jeder Stufe der Entwicklung vollkommen und unvollständig zugleich in einem absoluten Prozess einer ständig größeren Vollkommenheit. („Werde, was du bist“). Oder, in einer anderen Formulierung,

Alles ist vollkommen so wie es ist,
und
es gibt viel zu tun.

oder, wieder anders ausgedrückt: 

Lebe Dein endliches Selbst, doch ruhe dabei in der Unendlichkeit

Wie sehen Absicht, Sinn und Zweck des Kosmos aus, welche Aspekte gibt es dabei, und wie äußern sie sich? Dazu ein paar Anregungen:

  • Sie äußern sich in der ersten Entäußerung der Absolutheit ein Spiel zu spielen, „weil es keine Spaß macht allein  zu essen“. Leela, das kosmische Spiel des sich Vergessenes, um sich zu finden. (siehe Anhang, Eine Fahrkarte nach Athen) Oder in einem Überfließen absoluter Liebe des Einen in die Vielen.
  • Dieses Spiel hat involutionäre und evolutionäre Aspekte. Involutionär werden – absichtsvoll, und in einer Bewegung vom Höheren zum Niedrigeren – „involutionäre Gegebenheiten“ festgelegt oder entstehen, welche den „Rückweg“ ermöglichen[1]. Der genaue Ablauf dieses Spiels ist nicht festgelegt, lediglich eine allgemeine Orientierung, es ist ein Spiel mit vielen Freiheiten („creativity“) und Emergenzen.
  • Aus zuerst freien Wahlmöglichkeiten zu Beginn der Evolution und den involutionären Gegebenheiten entstehen nach und nach immer mehr „evolutionäre Gewohnheiten“ und „cosmic habits“, die Strukturen bilden und weitere Rahmenbedingungen („karma“) setzen, auf denen die nachfolgende Entwicklung aufbauen kann. Der Kosmos ist so in jedem Augenblick ein Spiel zwischen „cosmic karma und creativity[2]“. Aus bereits Bestehendem baut jeder kreative Augenblick etwas Neues, das dann, wenn es sich bewährt und einen gewissen Bestand hat, zu neuem Bestehenden wird, auf dem die Kreativität desnächsten Augenblicks aufbauen kann. In einem Bild gesprochen: Während der Zug fährt, werden die Schienen gelegt.   
  • Die Absicht des Kosmos lässt sich aus vier (oder acht) unterschiedlichen Perspektiven/Quadranten betrachten, OL wird sie als individuelle Intentionalität erfahren, OR als individuelles Handeln, UL als kollektive Intentionalität und UR als systemisches Geschehen. Vier Aspekte einer kosmischen Absicht. Das Mit- und Gegeneinander aller Intentionalitäten aller Wesen (Innerlichkeit und damit auch Intentionalität geht nach Wilber bis „ganz nach unten“ in der Entwicklungsskala, also bis zu atomaren und subatomaren Teilchen) ist ein wesentlicher Teil des kosmischen Spiels, und die Ursache von Freude und Leid).
  • Absicht bildet Strukturen, und diese Strukturen lassen sich als Entwicklungslinien beschreiben, die nicht nur auf den Menschen bezogen sind. Strukturen sorgen dafür, dass es Bleibendes im Kosmos gibt, auf dem Entwicklung überhaupt erst aufbauen kann.
  • Ständig wechselnde Zustände sind Ausdruck der Kreativität und spielerischen Freiheit des Kosmos.
  • Typologien sorgen für horizontale und heterarchische Vielfalt im Ausdruck der kosmischen Kreativität.
  • Vorsicht vor einer anthropozentrischen Interpretation des Absicht des Kosmos („Der Kosmosist für den Menschen da“). Dies kann zu Faschismus, Kommunismus und anderen Totalitarismen führen („ich oder wir wissen die Absicht des Kosmos, und alle müssen sich danach richten“). Jedes individuelle Holon und jedes soziale Holon sind absichtsvoll, und der Kosmos scheint Intentionalität und Kreativität überall zu unterstützen. So unterstützt der Kosmos auch die Kreativität der Viren, die sich ständig neue Märkte erobern (z. B. vom Tier auf den Menschen), auch wenn dies nicht im Interesse des Menschen liegt. Der Mensch setzt seine Intentionalität, die göttlich ist, ein, um die Kreativität der Viren, die ebenfalls göttlich ist, zu bekämpfen. Im samsara prallen die unterschiedlichen Intentionalitäten aufeinander, daher sind Auseinandersetzungen in gewisser Weise unvermeidbar. („Wir können nicht anders, als in einer begrenzten Welt uns ständig auf die Füße zu treten.“) Wie ist das zu lösen? Einerseits will man keinen Faschismus („meine Intentionalität ist göttlich, und deine nicht“), anderseits aber auch keinen Egalitarismus („alle Intentionalitäten sind gleichwertig“, oder einen Ökofaschismus, bei dem der Mensch als „Irrläufer“ und Störfaktor der Evolution betrachtet wird.) Wilbers Vorschlag dazu ist der einer Moralischen Grundintention: Bewahre die größtmögliche Tiefe für die größtmögliche Spanne. Im Buch Integral Ecology wird eine Ethik formuliert, die alle Perspektiven berücksichtigt (Spanne), und gleichzeitig entwicklungsbedingte Unterschiede macht (Tiefe)[3].   
  • Auch innerhalb der Menschen und Menschheit gibt es unterschiedlichste Intentionalitäten: Innerpersönliche (verschiedene Stimmen, verschiedene Entwicklungsebenen, Linien und Typologien); zwischenmenschliche, jede(r) spricht von einer anderen kosmischen Adresse aus, zwischen den Völkern: Nordkorea spricht mit einer anderen Intentionalität als der Westen usw.
  • Die Kenntnis von Psychodynamik, der Wissenschaft und Kunst menschlicher Bewusstseinsinhalte, erhellt das Phänomen menschlicher Intentionalität. Wilber unterscheidet die „3 S“ dabei: die Zustände, die Strukturen und den Schatten des Bewußtseins.
  • Entscheidend bei der Diskussion zum Thema ist einmal mehr die dabei verwendete und zugrunde gelegte Landkarte, und die eigene „AQAL-Konstellation“ und „kosmische Adresse“: von welcher Perspektive aus, mit welchem Entwicklungsprofil, und mit welcher typologischen Orientierung diskutiere ich die Frage nach der Absicht des Kosmos?   

Anhang

Immer schon, und immer jetzt

(aus: Ken Wilber, Das Atman Projekt, S. 247)

Als unerkennbares, unbehindertes, unbedingtes Bewusst-sein leuchtet er in seiner Vollendung von Augenblick zu Augenblick, wie eine unendliche Folge immer wieder neuer Zustände der Vollendung, die sich in ihrem Spiel ohne Unterlaß verwandeln, ewig in ihrer Fülle. Dies scheint der Endpunkt der Evolution zu sein, doch tatsäch-lich ist es die uranfängliche Realität jeder evolutionären Stufe, von der ersten bis zur letzten, ohne Ende. Und genau deshalb ist sie stets und völlig unerreichbar, einfach weil sie stets schon erreicht ist, zeitlos und ewig. Es ist ganz einfach so, dass alle Versuche sie zu erreichen schließlich ad absurdum geführt werden; man erkennt, daß sie von Anfang an völlig gegenwärtig war, nie verloren und nie wiedergewonnen wurde, niemals vergessen und nie erinnert, sondern stets vor all dem schon existierte …
Als unendliches, alles durchdringendes und allumfassen-des Bewußtsein ist dies das Eine und Viele, das Einzige und Alles, Quelle und Soheit, Ursache und Bedingung, so daß alle Dinge nur eine Geste dieses Einen sind und alle Formen nur ein Spiel desselben. Als Unendlichkeit ver-langt es uns Staunen ab; als Gott fordert es Verehrung; als Wahrheit fordert es Weisheit, und als das eigene wahre Selbst fordert es Identität. Sein Wesen kennt keine Ein-schränkungen, und diese Spurlosigkeit währtewig. Glückseligkeit jenseits aller Glückseligkeit, kann es doch nicht gefühlt werden. Licht jenseits allen Lichts, kann es doch nicht entdeckt werden. Allzu offensichtlich, wird es nicht einmal erahnt. Reine Gegenwart, leuchtet es auch jetzt.

Ein Ticket nach Athen

(Aus: Ken Wilber, Einfach DAS, S. 259, Eintrag Sonntag 31. August, Eine Fahrkarte nach Athen. Ken Wilber im Interview mit Pathways: A Magazine of Psychological and Spiritual Transformation.)

Frage: Warum hat der GEIST überhaupt ein Interesse, sich zu manifestieren, vor allem, wenn diese Manifestation notwendigerweise schmerzhaft und nur unter der Bedingung möglich ist, dass er seine der eigene wahre Identität vergessen muss? Warum wird Gott Mensch?

KW: Ah, Sie fangen also mit den einfachen Fragen an. Nun, Ich will Ihnen einige theoretische Antworten geben, die im Laufe der Jahre vorgeschlagen wurden, und dann werde ich von meinen persönlichen Erfahrungen sprechen.

Dieselbe Frage habe ich selbst einigen spirituellen Lehrern gestellt, und einer von ihnen gab eine kurze, klassische Antwort: „Es macht eben keinen Spaß, alleine zu essen.“ Das ist vielleicht ein bisschen flapsig, aber je mehr man darüber nachdenkt, umso mehr scheint dies doch ein vernünftige Antwort zu sein. Nehmen wir doch einmal nur so zum Spaß für einen Augenblick in blasphemischer Weise an, dass Sie und ich GEIST sind, Tat Tvam Asi [Das Bist Du]? Warum würden Sie, wenn Sie der allmächtige Gott wären, eine Welt hervorbringen? Eine Welt, in der es, wie Sie sagen, notwendigerweise Tränen, Aufruhr und Schmerz gibt? Warum würden Sie als das Eine jemals die Vielen hervorbringen?

F: Vielleicht weil es keinen Spaß macht, alleine zu essen?

KW: Könnte das denn nicht irgendwie sinnvoll erscheinen? Sie sind also der Eine und Einzige, der Alleinige und der Unendliche. Was würden Sie als nächstes tun? Sie sind in alle Ewigkeit in Ihre Herrlichkeit eingetaucht, Sie baden von Äon zu Äon in Ihrer eigenen Wonne, und was dann? Früher oder später könnte es Ihnen doch einfallen, dass es doch einfach Spaß machen müsste, so zu tun, als ob man nicht man selbst sei. Ich meine, was soll man denn sonst tun? Was kann man sonst tun?

F: Eine Welt hervorbringen.

KW: Meinen Sie nicht auch? Und dann wird es interessant. Als Kind habe ich immer versucht, mit mir selbst Schach zu spielen. Haben Sie das jemals ausprobiert?

F: Ja, ich erinnere mich an so etwas.

KW: Und funktioniert das?

F: Nicht so gut, weil ich immer schon wusste, was der nächste Zug meines Gegners sein würde. Ich spielte auf beiden Seiten, also konnte ich mich nicht „überraschen“. Ich wusste immer schon, was ich auf beiden Seiten tun würde, weshalb das Spiel nicht besonders interessant war. Man braucht zum Spielen immer einen „Anderen“.

KW: Ja, genau hier liegt das Problem. Man braucht einen „Anderen“. Wenn man also das einzige Seiende im ganzen Sein ist und spielen möchte, dann muss man in die Rolle des anderen schlüpfen und vergessen, dass man auf beiden Seiten spielt. Sonst macht das Spiel keinen Spaß, wie Sie sagen. Man muss mit solcher Überzeugung so tun, als sei man der andere Spieler, dass man vollkommen vergisst, dass man beide Rollen spielt. Wenn man nicht vergisst, dann ist es kein Spiel, dann macht es keinen Spaß.

F: Aber es ist nicht immer lustig.

KW: Ja und nein. Die manifeste Welt ist eine Welt der Gegensätze: Lust und Schmerz, Oben und Unten, Gut und Böse, Subjekt und Objekt, Licht und Schatten. Wenn man aber das große kosmische Spiel spielt, dann setzt man eben dies in Bewegung. Wie sonst kann man es anders anstellen? Wenn es keine Parteien, keine Spieler, kein Leid und keine Vielen gibt, dann bleib man eben der Eine und Einzige, der Alleinige und Hohe. Aber es machteben keinen Spaß,  alleine zu essen.

F: Wenn man also das Spiel der Manifestation zu beginnt, ruft man damit die Welt des Leidens ins Dasein.

KW: Es sieht ganz so aus, nicht wahr? Die Mystiker scheinen dies zu bestätigen. Aber es gibt einen Weg aus dem Leiden, eine Möglichkeit, von Gegensätzen frei zu sein, und diese besteht in der überwältigenden und unmittelbaren Erkenntnis, dass der GEIST nicht Gut gegen Böse ist, oder Lust gegen Schmerz, oder Licht gegen Schatten, oder Leben gegen Tod, oder Ganzes gegen Teil, oder holistisch gegen analytisch. Der GEIST ist der große Spieler, der alle diese Gegensätze gleichermaßen hervorbringt – „Ich, der Herr, lasse das Licht über Gut und Böse gleichermaßen scheinen, ich, der Herr, tue all dies“ – und die Mystiker in aller Welt bestätigen dies. Der GEIST ist nicht die gute Hälfte der Gegensätze, sondern der Urgrund aller Gegensätze, und unser Heil besteht nicht darin, dass wir die gute Hälfte des Dualismus finden, sondern den Ursprung beider Hälften des Dualismus, denn dies sind wir in Wirklichkeit. Wir sind beide Seiten des großen Spiels des Lebens, weil wir – Sie und ich bis in die tiefsten Winkel unseres Selbst – diese beiden Gegensätze geschaffen haben, um ein spannendes kosmisches Schachspiel gegen uns selbst auszutragen.

Dies ist jedenfalls die theoretische Antwort, die Mystiker fast einhellig geben. „Nichtdualität“ bedeutet, wie es in den Upanishaden heißt, „von den Paaren frei zu sein“. Die große Befreiung besteht also darin, von Gegensatzpaaren, von Dualität frei zu sein und zum  nichtdualen Einen Geschmacks zu gelangen, aus dem die Zweiheit hervorgeht. Dies ist Befreiung, weil man damit den unmöglichen schmerzvollen Traum beendet, der einen das ganze Leben damit zubringen lässt, ein Oben ohne ein Unten zu finden, ein Innen ohne ein Außen, Ein Gutes ohne ein Böses, eine Lust ohne den unvermeidlichen Schmerz.

F: Sie sagten, dass Sie auch eine mehr persönliche Antwort geben wollten.

KW: Ja, soweit diese für andere von Bedeutung sein kann. Als ich zum ersten Male, wenn auch unsicher, Nirvikalpa-Samahdi erlebte, d. h. meditative Versenkung in das formlose Eine, ist, hatte ich, wie ich mich erinnere, das ganz vage Gefühl, dass ich in dieser wunderbaren Weite nicht allein sein wollte. Sehr undeutlich, aber auch sehr nachdrücklich empfand ich,  dass ich dies mit jemandem teilen wollte. Was könnte man also in diesem Zustand der Einsamkeit tun?

F: Die Welt erschaffen.

KW: Das scheint mir die Antwort zu sein. Und ich wusste auch, wie laienhaft auch immer, dass ich, wenn ich aus dieser formlosen Einheit herausgehen und die Welt der Vielen erkennen würde, leiden müsste, weil die Vielen einander immer weh tun, aber einander auch helfen. Und wissen Sie was? Ich war froh, den Frieden des Einen aufzugeben, auch wenn ich wusste, dass ich dies mit dem Schmerz der Vielen bezahlen müsste …

Dürfte ich hier eine meiner Lieblingsstellen von Aldous Huxley zitieren? 

F: Gerne.

KW: Es ist aus After Many a Summer Dies the Swan:

’Mir ist’s lieber wenn meine Worte eine Beziehung zu Tatsachen haben. Deshalb interessiere ich mich für die Ewigkeit – als seelisches Erlebnis. Denn sie ist eine Tatsache.’ ’Vielleicht für Sie’, sagte Jeremy. ’Für jeden, der willens ist, die Bedingungen zu erfüllen, unter denen die Ewigkeit erlebt werden kann.’ ‚Und warum sollte jemand willens sein, diese Bedingungen zu erfüllen?’ ‚Warum geht man nach Athen und besichtigt des Parthenon? Weil es sich lohnt. Das gleiche gilt von der Ewigkeit. Das Erleben des zeitlos Guten ist all der Mühe wert, die es kostet.’ ’Des zeitlos Guten?’, wiederholte Jeremy mit Widerwillen. ‚Ich weiß nicht, was dieses Wort bedeutet.’ ‚Wie könnten Sie das auch wissen?’, gab Mr. Propter zurück. ‚Sie haben sich nie eine Fahrkarte nach Athen gekauft.’

Wie wir wurden was wir sind

(eine sehr kurze Geschichte des Kosmos, sehr frei nach Ken Wilber)

[aus: Michael Habecker, Ken Wilber – die integrale (R)evolution

Diese Geschichte beginnt mit dem Mysterium, dass es überhaupt etwas gibt, und nicht einfach nur „Nichts“. Am Anfang vor aller Zeit nur GEIST, das Unbeschreibbare, Unsagbare, EINE und Unteilbare, das Form-, Inhalts- und Namenlose (dem nichtsdestotrotz unzählige Namen gegeben wurden). Er/Sie/Es verliert sich in einem Spiel und bleibt dabei doch immer vollständig anwesend, ein Versteckspiel das – wenn man wie wir mittendrin steckt, oft so gar nichts Spielerisches zu haben scheint – , sich selbst in der Vielzahl der Erscheinungsformen vergessend, um sich darin wieder zu finden – einfach so, vielleicht weil es „keinen Spaß macht, alleine zu essen“.

Am Beginn dieses Spiels steht eine Bewegung vom Höheren zum Niederen, eine Involution, die stufenweise Herabbewegung – GEIST zu Seele zu Geist zu biologischem Körper zu Materie -, bei der GEIST sich immer mehr vergisst, dabei gleichzeitig jedoch sicherheitshalber ein paar Spielregeln festlegt, damit der Rückweg gefunden werden kann. Diese involutionären Festlegungen[4] sind z. B.

  • Eros, das liebevolle Streben des Niederen zum Höheren, der Hunger nach dem transzendenten Gott.
  • Agape, das liebevolle Umfangen des Niederen durch das Höhere, nichts und niemanden ausschließend, die Liebe zur immanenten Göttin
  • Bestimmte prototypische Urformen (wie z. B. allgemeine Gesetzmäßigkeiten, wie sie durch die Mathematik beschrieben werden)

All dies zusammen setzt einen ersten, sehr offenen Rahmen für den Rückweg, der mit dem Urknall, dem Beginn der Evolution am Punkt der größten Entfremdung vom Ursprung, beginnt. Diese involutionären Rahmenbedingungen setzen die Regeln, nach denen der Urknall und alles Nachfolgende ablaufen, und bleiben auch darüber hinaus in Kraft. Was jetzt im Verlaufe der Evolution hinzukommt, sind die sich nun bildenden evolutionären Rahmenbedingungen bzw. Gewohnheiten. Aus der unendlichen Fülle kreativer Möglichkeiten entstehen erste Formen und Strukturen, welche wiederum ihr Wiederauftreten wahrscheinlicher machen als anderes, zuerst ebenso Mögliches. Die Auswahlmöglichkeiten verringern sich sukzessive (Sheldrakes Idee der morphogenetischen Vererbung). Aufbauend auf den ersten Strukturen entstehen immer weitere Strukturen, bis auf den heutigen Tag. Dies gilt sowohl für die individuelle und die kollektive Entwicklung, als auch für die innere und äußere Entwicklung. Im Laufe von Jahrmilliarden entstehen so „grooves“ bzw. Rillen von kosmischen (evolutionären) Gewohnheiten, die jeweils aufeinander aufbauend die Rahmenbedingungen für alle weitere Entwicklung bilden. Materielle und geistige Strukturen – vom Periodensystem der Elemente über die Blattanordnungen von Pflanzen um einen Stängel herum bis zu individuellen und kollektiven geistig/psychologischen Strukturen und Mustern, unsere Geschichte und unsere Geschichten, die – zumeist unbewusst – unser Leben formen und haltend mit-bestimmen.

Doch das ist nur die gewissermaßen gewohnheitsmäßige Seite. Gleichzeitig wird jeder Augenblick des Kosmos auch von Kreativität bestimmt, der schöpferischen Möglichkeit, aufbauend auf den ererbten Gegebenheiten etwas völlig Neues, bisher noch nie Dagewesenes zu schaffen. Gewohnheit („Karma“) und Kreativität verbinden sich jeden Augenblick zu etwas Einzigartigem im Universum, überall und zu jeder Zeit, auch jetzt in uns und um uns herum. Gott ist ebenso erzkonservativ (es gibt uralte, „quicklebendige“, Gewohnheiten wie beispielsweise die Schwerkraft oder den Wasserstoff, oder das Muster von Verdrängung und Projektion als Teil menschlicher Psychodynamik) wie auch radikal revolutionär: Vor 15 Milliarden Jahren nur Staub, und jetzt sind wir hier und unterhalten uns …

Über diese beschreibende Annäherung (einer Theorie der dritten Person) an das Mysterium des nicht-Nichtseins hinaus können wir uns diesem Geheimnis auch in der zweiten Person (dem Du) nähern, im Staunen über unsere Beziehungen und unser Miteinander-Sein und deren strukturell/kreative Entwicklung, und auch in einer ersten Person, einem Ich, in uns selbst und unserer individuellen Psychodynamik, welche ebenso ein Ausdruck dieses wunderbaren Zusammenspiels einer ununterbrochenen Entwicklung immer neuer Gegebenheiten und eines schöpferischen Neuanfangs in jedem Augenblick ist. Die gesamte Geschichte des Universums ist in diesem und jedem Augenblick in uns, und wir reichen sie an den nächsten Augenblick weiter, zusammen mit einem kreativ/neuen Impuls, welcher dann – im nächsten Augenblick – schon wieder eine strukturgebende Gewohnheit ist, auf deren Basis wiederum Neues entstehen kann.

Und hier sind wir, du und ich und alle anderen Wesen, uns wechselseitig von unterschied­lichen Entwicklungsniveaus aus perspektivisch betrachtend, in einem unendlichen Spiegelkabinett gegenseitiger Wahrnehmungen, von innen und von außen – Betrachtungen, die sich in der Leere und unermesslichen Geräumigkeit unserer EINEN eigenschaftslosen Ursprünglichkeit ereignen, welche uns lächelnd daran erinnert, dass wir es waren, die dieses Spiel begonnen haben – ein in jedem Augenblick vollendetes und damit auch beendetes Spiel. Ist das nicht erstaunlich? Ist das nicht wirklich erstaunlich?

Und es ist alles ungeschehen

(Quelle: Ken Wilber, Collected Works, Vol. 8 (Schlußpassage)

Wenn alles gesagt und getan ist, und Argumente und Theorien zur Ruhe kommen, und das separate Selbst sein müdes Haupt auf das Kopfkissen seiner eigenen Unzufriedenheit legt, was dann? Wenn ich mich in das Ich-Ich entspanne, und die unendliche Weite der Ursprünglichkeit mein Sein durchdringt; wenn ich mich in das Ich-Ich entspanne, und die ewige Leere der immer-anwesenden Bewusstheit das Selbst durchtränkt, es erfüllt mit einer unermesslichen Fülle; dann kehren all die aufgeregten Ängste zu ihrer göttlichen Quelle zurück, und das Ich-Ich allein leuchtet in die Welt, die das Ich-Ich alleine erschuf. Wer leidet? und was ist Not und Elend? Dort im Herzen, wo die Logik der Qual und die Physik des Schmerzes keinen Angriffspunkt haben, und wo keine Möglichkeit einer Störung ist, kommen alle Dinge hell und schön heraus und tanzen im prachtvollen Licht der Sonne, welches lange vergessen war durch die Zusammenziehung des lieblosen und verlorenen Selbstes, ein Gott seiner eigenen Wahrnehmung, ein Ingenieur seiner eigenen Qual.

Es ist, wahrhaftig, ein Spiel; was für Schlafwandler sind wir doch alle! Nichts geschieht hier wirklich, nichts bewegt sich in Raum und Zeit, es ist alles so schmerzvoll offensichtlich, und ich wende meine Augen von der Wahrheit, die blendet. Doch hier sind wir, Du und Ich, und es ist Du-und-Ich die Form des GEISTES in dieser und in allen Welten. Für den gesamten Kosmos gibt es nur das Eine Selbst; im gesamten Kosmos gibt es nur einen GEIST – und daher ist das Selbst, das diese Zeilen liest (oder hört), genau das Selbst, welches diese Zeilen schrieb.

Lass uns nun, Du-und-Ich, gemeinsam erkennen, wer und was wir sind. Und ich werde mit Dir sein bis zum Ende aller Tage und Welten, und Du wirst mit mir sein, weil es nur dieses eine Selbst gibt, als das Wunder der GEISTES. Darum werden wir für immer zusammen sein, Du-und-Ich, in der Welt der Vielen-die-Eines-sind, und darum waren wir niemals getrennt. So wie Bewusstsein keinen Plural kennt, und das Selbst Eines ist, und das Selbst weder kommt noch geht, so ist Du-und-Ich dieses Selbst, für immer und immer und ewig.

Ich danke Dir zutiefst, dass Du auf dieser Reise bei mir bist, und mich bei jedem Schritt führst, und mich ganz durchlichtest und erleuchtest, und mir immer wieder vergibst, und das Du-und-Ich bist.   

WERDE, die ich immer und noch nie war

Sonja Student

Dies ist eine persönliche Geschichte und Sicht darauf, wie Vollkommenheit immer schon da war und ist und sich dennoch immer weiter in einem Prozess wachsender Bewusstheit, Schönheit und Liebe (Das Wahre, Schöne und Gute) immer weiter vervollkommnet:

Vielleicht sind es die kurzen Momente zwischen Tiefschlaf, Traum und Erwachen, diese dämmerigen und dennoch klaren Einsichten, die uns eine Ahnung davon geben, wer wir wirklich sind. Aus diesem Reich der Übergänge ist die folgende Geschichte auf- oder auch abgestiegen.

Sein und Werden

„Die jüdischen Mystiker sagen, dass Gott menschliche Wesen schafft, weil Gott Geschichten liebt… Selbst Gott, sagen die Mystiker, weiß nicht, wie wir da herauskommen, warum also sollten wir größere Kontrolle wünschen oder brauchen? Vielleicht ist es besser für uns dieser Art von Gott zu nachzueifern, dessen Vergnügen in uns nicht unserem Gehorsam zu Gottes Gesetzen und Regeln entspringt, wie auch immer wir uns dazu verhalten, sondern von Gottes schierer Faszination darüber, wie wir leben werden. Für einen Gott wie diesen, sind wir selbst Objekte leidenschaftlichen Engagements, endlos losgelassen und wiedergefunden für eine Bestimmung, die Gott oder Göttin vielleicht bis jetzt noch nicht kennt.“ Mit diesen Sätzen endet Robert Kegans Untersuchung über die mentalen Anforderungen der Moderne und der Postmoderne an ihre Bewohner, die oft über unserem Horizont liegen. Das Buch (1) handelt vom mühsamen Weg des Menschen, sich aus dem Eingebundensein in eine Biografie oder Kultur herauszulösen und das, was vorher Subjekt seiner Erkenntnis war, die Brille, durch die wir unsere Welt sehen, zum Objekt unserer Erkenntnis zu machen. Es geht um den Weg der Erkenntnis dessen, wer wir sind und wie der Kosmos tickt. 

Kegan, Professor an der Harvard-Universität und Mitstreiter für die Beschreibung einer neuen postmodernen, integralen Struktur  menschlicher Erkenntnis ist mein Champion auf dem Gebiet des Wachstums und der Entwicklung von Erwachsenen. 

Wo seine Geschichte aufhört, will der Kosmos von mir zu früher Stunde eine weitere Story. Es ist wie ein Baby, das fragt: Mama, wo war ich, als ich noch nicht in deinem Bauch steckte. Ken Wilber stellt in einer Meditation die Frage: Was war vor 5 Minuten, vor 5 Stunden, vor 5 Jahren, vor 500 Jahren, vor 5000 Jahren und vor der Zeit? Wer war ich vor Abrahams oder Sarahs Geburt?

Gibt es einen Weg, das Geheimnis in meinem eigenen Inneren, in meiner eigenen geistigen Welt zu finden?

Was war vor etwa 13 bis 14 Milliarden Jahren, vor dem Urknall, den wir zurückverfolgen können, bis zu einem singulären Ereignis, das sich naturgesetzlicher Erklärung entzieht.

Und doch muss es etwas gegeben haben, das Neues hervorbringen konnte, ein noch-nicht-Form-Gewordenes, ein Potenzial für alles, was jemals entstanden ist und jemals entstehen wird.

Ist dieser Zustand des Nicht-Getrennt-Seins, der Einheit von Subjekt und Objekt, der Non-Dualität zwischen Leere und einer Form, die erst als reine Potenzialität angelegt ist, die Ursuppe, das Sein vor der Manifestation, jenseits von Zeit und Raum, welches immer schon da war und ist und sein wird. Er ist perfekt in sich und dennoch nicht-perfekt genug. Es ruht still, dreht und wälzt sich potenziell vorhanden im Nicht-Vorhandenen, eine Liebes-Kraft, die mit Macht zur Verwirklichung drängt, zum kreativen Prozess. Diese Kraft braucht eine Arena, einen leeren Raum, eine Bühne, auf dem die kosmischen Geschichten spielen können. Weil es sich sonst langweilt in seiner ewigen Perfektion, in der nichts schiefgehen kann, weil nicht passiert. Kein Wunder! Und als es diesen leeren Raum, die Bühne geschaffen hat, da freut sich das EINE, denn die erste Trennung und Differenzierung ist geschehen. Es gibt ein Subjekt, einen Zeugen, der diesen leeren Raum betrachten kann. Einmal in Gang gekommen, drängt der kreative Impuls, drängt Eros weiter.Das Potenzial wird geformt, auf der leeren Bühne kann der Zeuge träumen von Dingen und Ereignissen, die geschehen könnten. Auch das ist langweilig, wie ein Projekt, von dem wir immer wieder träumen und reden, ohne es in die Welt zu bringen.

Es in die Welt bringen. Das Bedürfnis des Zeugen, etwas Manifestes zu schaffen, der Schritt vom Traum zur TAT wird immer dringlicher und so konzentriert, dass er quasi explodiert. Der Anfang ist gemacht. Jetzt kann sich der Zeuge entspannen, kann endlich gewahr-sein, wie sich das kosmische Stück entfaltet. Aus reinem Bewusstsein kann Selbst-Bewusstsein werden, im Spiel von Subjekt und Objekt, von Individuum und Kollektiv: auf die Bühne treten Teilchen, Atome, Moleküle, Zellen, Organe, Organismen, tote Materie, lebendige Materie in Pflanzen, Tieren und Menschen und schließlich denkende Materie, die sich irgendwann ihrer selbst bewusst ist. Bewusstsein wird zu Selbst-Bewusstsein. Das EINE kann sich durch die VIELEN selbst erkennen wie in einem Spiegel oder einer Geschichte, in der Autor und Figuren nicht getrennt sind: Und weil der Autor nur den Anfang gesetzt hat und sich das Stück selber schreibt, kann er auf den Verlauf gespannt sein. Open End im Kosmos.

Ab dem Zeitpunkt, an dem wir als Autoren, als Schöpfer in den Prozess eintreten, erzählen und spielen wir die Geschichte selbst und Gott kann durch unsere Augen, durch unsere Hände, unsere Träume und ihre Verwirklichungen das kosmische Spiel vollenden, in allen Rollen, zu allen Zeiten, in allen Räumen. Er kann teilhaben, nicht nur als Zeuge außerhalb von allem sein, sondern Mitschöpfer durch jede und jeden von uns. Manchmal vergisst das EINE, dass er oder sie alles ist und genießt die Ereignisse, die Höhen und Tiefen in jeder und jedem, schüttelt den Kopf über das menschliche Drama und zugleich treibt er oder sie und weiter, zu mehr Komplexität, Tiefe und Bewusstheit. Durch uns können sich Schöpfer und Schöpfung, leeres Potenzial im Einen und die Manifestation in den Vielen selbst erkennen, sich wieder verlieren und neu erschaffen.

In jeder einzelnen Erzählung wird die EINE Geschichte neu erzählt. 

(1) Robert Kegan: In Over Our Heads. The Mental Demands of Modern Life. Harvard University Press, 1994

[1] Eine von Wilber postulierte Liste „involutionärer Gegebenheiten“ beinhaltet folgendes:

1. Eros, als der Antrieb zum GEIST, der evolutionäre Impuls,die Intention zum Erwachen.

2. Agape, als die Gegenbewegung zu Eros. Wenn alle Manifestation dem GEIST zustrebt, strebt der GEIST zu allen Manifestationen. Letzteres ist Agape. Eros und Agape sind zwei Seiten desselben Zuges.

3. Ein Gradient im manifesten Bereich, der sich durch eine Reihe von Ebenen und Bereichen ausgedrückt, die sich von Körper zu Geist zu Seele zu GEIST erstrecken.

4. Bestimmte prototypische Formen, Muster und Gesetzmäßigkeiten, wie beispielweise mathematische und physikalische Gesetzmäßigkeiten, und die „20 Grundaussagen“ im Buch Eros, Kosmos, Logos.

„Involutionäre Gegebenheiten sind das, was man haben muß, bevor man irgendetwas anderes haben kann. Sie existierten dem Anschein nach bereits zum Zeitpunkt des Urknalls oder auch schon davor.“ (Siehe hierzu Exzerpt A, Fußnote 26, On The Nature of Involutionary Givens, in Auszügen übersetzt und als Grundlagenkonzept Involution veröffentlicht auf http://www.if.integralesforum.org/index.php?id=206.

[2] So der Arbeitstitel des noch nicht veröffentlichten 2. Bandes der Kosmos Trilogie.

[3] Siehe hierzu auch die Diskussion der Begriffe Anthropozentrik, Pathozentrik, Biozentrik und Holismus

unter http://www.treffpunkt-umweltethik.de/umweltethische-modelle/diskussion.htm.

[4] Wilber spricht von „involutionary givens“, siehe dazu auch excerpt A, Fussnote 26 „On the Nature of Involutionary Givens”.

(Aus dem Handout anlässlich einer Veranstaltung der „Herbstakademie“ in Frankfurt/Main 2009.)

(aus: Online Journal 19)

Ähnliche Beiträge