Ken Wilber
Vorwort der Integral Life Redaktion
Ken untersucht einige der Probleme, die in “integralen Beziehungen” auftreten können, in Beziehungen von Menschen, die sich zu integralen Stufen ihrer Identität, ihrer Werte und ihrer Weltsichten entwickelt haben.
Zuerst erläutert er allgemeine Pathologien, die sich auf integralen Stufen ereignen können und bei denen Aspekte unseres Wachstums nicht ausreichend im Selbst integriert wurden – eine vorangegangene Entwicklungsstufe, die gegenwärtige Stufe, oder eine höhere Stufe, die sich für uns zu öffnen beginnt, gegenüber der wir jedoch aus unterschiedlichen Gründen Widerstände haben können (die Umarmung des Lichts kann letztendlich ebenso schwierig sein wie die Umarmung des Schattens). Ken wendet sich dann den zwischenmenschlichen Verletzungen zu, welche – wie überraschend! – typisch sind für jede der Entwicklungsstufen: wie beispielsweise die Tendenz dem oder der anderen den Vorwurf zu machen „es nicht zu verstehen“ (oder, in diesem Fall, „nicht integral genug“ zu sein), und die Unfähigkeit zu erkennen, wie unterschiedlich sich maskuline und feminine Dynamiken in Beziehungen ausdrücken können.
In diesem Clip verwendet Ken die Terminologie von Spiral Dynamics zu Beschreibung der unterschiedlichen Entwicklungsebenen. „Grün“ bezieht sich dabei auf die postmoderne/pluralistische Entwicklungsstufe, und „Gelb“ bzw. „second tier“ beziehen sich auf die integrale Entwicklungsstufe.
Transkript
Frage: Wenn in integralen Gemeinschaften über unkonventionelle Beziehungen gesprochen wird, dann stellt sich sogleich die Frage, ob diese Beziehungen prä [konventionell] oder post [konventionell] sind. Worüber aber so gut wie gar nicht gesprochen wird, sind ungesunde integrale oder postkonventionelle Beziehungen. Wie sehen Sie das, wie sieht eine ungesunde integrale Beziehung aus?
KW: [Lacht] Ich würde das gerne demonstrieren! [Lachen] Ich möchte dazu erst allgemein etwas sagen. Ich werde oft gefragt, was gelbe oder second tier Pathologie ist. Das scheint sich erst einmal zu widersprechen, weil second tier ja bedeutet, dass man alles integriert, und wie kann dann etwas pathologisch sein oder werden. Abstrakt gesprochen kann man sagen, dass es mindestens zwei Arten von Pathologien auf jeder Ebene gibt. Die eine ist, dass man auf der Ebene, auf der man sich befindet, die Elemente dieser Ebene nicht ausreichend aufnehmen und integrieren kann, das ist extrem verbreitet. Das kann auf der gelben, der türkisen Ebene geschehen, oder, in den Begriffen Aurobindos, auf der Ebene des erleuchteten Geistes oder dem Übergeist [overmind]. Die Tatsache, dass man sich auf einer bestimmten Entwicklungsstufe befindet, bedeutet nicht, dass man das, was sich auf dieser Ebene zeigt, auch integrieren kann. Man kann auf jeder der Ebenen Schiffbruch erleiden. Man kommt mit den Inhalten und Elementen einer Ebene nicht klar, und das hat auch etwas mit Selbstkontraktion, aber auch mit Mut zu tun. Aurobindo beispielsweise spricht von einer Ebene des erleuchteten Geistes [illumined mind], und viele Menschen können sich zu dieser Stufe entwickeln, doch nicht alle kommen dabei mit dem Licht dieser Stufe klar. Es überwältigt sie, sie können es sich nicht erklären, sie können es nicht integrieren, sie haben keinen Erklärungsrahmen [mindset], der ihnen erlaubt, dies aufzunehmen und es sich zu vergegenwärtigen. Es ist ebenso schwer das Licht zu integrieren wie die Integration von Macht, Sexualität oder Aggression usw. Ein Darth Vader zu sein ist immer möglich, bis ganz nach oben.
Eine andere verbreitete Pathologie, die auf jeder der Stufen auftreten kann, ist, dass man – per Definition – gegen höhere Ebenen Widerstände hat. Das gehört gewissermaßen dazu. Wenn eine höhere Stufe im eigenen Wesen aufzutauchen beginnt, dann wehrt man sie erst einmal ab. Das kann auf jeder der Stufen passieren. Was sehr oft geschieht ist, dass Grün Gelb abwehrt. Als sich Grün erstmals etablierte, war das noch keine Pathologie. Eine Entwicklungsstufe ist keine Pathologie. Es ist nichts pathologisch daran, dass man nicht auf der nächsthöheren Stufe ist. Doch nach einer gewissen Zeit, wenn man die Lektionen der Stufe, auf der man sich befindet, gelernt hat, sie aufgenommen hat und die Identifikation mit dieser Stufe loslassen könnte, dies aber nicht tut, dann haben wir es mit einem Widerstand, einer Pathologie zu tun.
Mit diesen abstrakten Erläuterungen schütze ich mich davor, dass das Thema für mich zu persönlich wird [Lachen] … Bei Beziehungen passiert das gleiche, das nehme ich jedenfalls an. Kommt man mit dem Integralen in Berührung, dann passiert es oft, speziell bei Menschen, die dies zu lernen beginnen, dass sie alle ihre Probleme damit erklären, dass der oder die andere nicht integral ist. Ich denke, das ist bis zu einem gewissen Grad auch nicht zu vermeiden, weil ja die große Mehrheit nicht integral ist. Ein anderer Teil davon ist, dass es einem mit einzelnen Aspekten davon nicht gut geht. Was Männer und Frauen betrifft, ist dies die klassische Junge/Mädchen oder Yin und Yang Konstellation. Männer und Frauen können sich dies einander antun. Nehmen wir an, ein Paar ist vollständig auf der gelben Entwicklungsstufe, hat jedoch die Inhalte dieser Stufe nicht vollständig integriert, dann tendieren Männer, wenn sie in Schwierigkeiten sind, und eine Frau ihnen gegenüber mehr Yang Energie darstellt, welche sie irritiert, dazu zu sagen „diese Frau ist nicht integral“. Frauen ihrerseits können sagen, „warum kannst du nicht mit diesen Aspekten deiner selbst in Kontakt sein? Ich könnte dir zeigen, wie das geht, wenn du nicht so verbohrt wärst!“ So weit ganz allgemein gesprochen. Wir können gerne noch konkreter einstiegen. Mit was für Leuten verabreden Sie sich? [Lautes Lachen] Was hat er Ihnen angetan? Das will ich jetzt wissen. [Lachen]
Frage: Wenn Dinge schief gehen in Beziehungen, oder in einem selbst, als jemand, der second tier oder gelb ist, dann werden wir wieder grün, präkonventionell oder unkonventionell, und es interessiert mich, was da geschieht. Was genau ist da ungesund?
KW: Ja, das geschieht. Wir sehen das – wie in einer Miniaturversion – in Schüler-Lehrer Beziehungen, wenn man beispielsweise mit einem spirituellen Lehrer arbeitet. Der spirituelle Lehrer kann sagen, „dein Problem ist, dass du egoistisch bist.“ Das kann stimmen, vielleicht sogar in 99% der Fälle. Aber manchmal ist der Lehrer auch einfach nur ein Depp. Es ist wie wenn man einen Trumpf ausspielt, wenn man sagt „Ich bin integral und du nicht.“ Und als spiritueller Lehrer hat man auch einen Trumpf in der Hand: „Ich bin erleuchtet, und du bist ein kontrahierter egoistischer Spinner. Das ist sehr, sehr schwierig. Andrew Cohen ist damit ständig konfrontiert. Manche sagen, sie hätten das Problem gelöst, aber ich kenne niemanden, der hier wirklich eine Lösung hat.
Frage: Subpersönlichkeiten, die von unteren Ebenen aus agieren, sind sie auch ein Teil der second tier Pathologie?
KW: Ja. Manchmal wollen Menschen etwas klären und sagen „dies ist Grün“, und das ist OK, wenn es stimmt. Doch in persönlichen Beziehungen und auch in Gruppen ist es oft so, dass es nicht um Probleme mit einer bestimmten Ebene geht, sondern dass bei first tier Subpersönlichkeiten auftreten können, die sofort andere beschuldigen. Unsere Fähigkeiten so zu handeln sind unbegrenzt. Was man machen kann, ist eine Art von reflektierendem Austausch miteinander zu haben, in einem geschützten Rahmen, wo alle damit einverstanden sind, und man kann über Schattenanteile und anderes miteinander reden. So etwas ist sehr interessant.
(Quelle: IntegralLife.com, The Problems of Integral Relationships)
(aus: Online Journal 23)