– eine Kollage zum Thema Geld
Michael Habecker
[Dieser Text ist eine Kollage aus einem früheren Artikel von mir, der in Rundbrief AK Ken Wilber Nr. 18 vom Juli 2004, veröffentlicht wurde, einem Artikel von Richard B. Wagner, der im AQAL Journal of Integral Theory and Practice, Spring 2006, Volume 1 Number 1, veröffentlicht wurde, und neueren Überlegungen.]
Geld ist eine menschliche Abstraktion. Auch wenn es in der Natur nicht vorkommt, durchdringt es doch alle menschlichen Aktivitäten und Unternehmungen. Dabei werden, zusätzlich zur materiellen Manifestation des Geldes, eine Reihe von persönlichen und kulturellen Reaktionen hervorgerufen. Somit ist Geld ideal für eine AQAL Analyse geeignet [1].
Durch das Geld wird die menschliche Breite und Tiefe erkennbar und zum Ausdruck gebracht.
Das Thema „Geld“ ist „in“ – egal ob man „es“ hat oder nicht hat. Geld ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Es bestimmt die Schlagzeilen des öffentlichen Lebens („Mega-Abfindung“, „Schuldenstaat“, „Strukturreformen“, „Haushaltskonsolidierung“, „Pleitewelle“), und ist auch ein wichtiges Thema in Unternehmen und privaten Haushalten. Es gibt so gut wie nichts, was nicht vom Geld in irgendeiner Weise berührt ist. Mit der äußerlichen Welt sind wir vertraut. Wenn die Wirtschaft einen Schnupfen hat, dann müssen wir alle zu Taschentüchern greifen. Wir sind eine Ziffer in einer Reihe endloser Statistiken, und ein Arbeitsplatzverlust kann uns treffen; die Altersrücklagen unserer Eltern können wertlos werden, und all die nationalen und internationalen Phänomene und kalten Statistiken können einen herzergreifenden persönlichen Einfluss haben. Gleichzeitig ist kaum ein Thema so tabuisiert wie das Thema Geld. Während seit der sexuellen Revolution der 68er das Thema Sex überall öffentlich ausgebreitet wird, wird um das Thema Geld nach wie vor der Nimbus des Geheimnisvollen und des Schweigens verbreitet, zum Teil auch rechtlich abgesichert („Bankgeheimnis“). Warum hat Geld eine derart große und universelle Bedeutung für uns Menschen? Wenn wir es haben, geht es uns zumindest materiell gut, doch wenn wir es nicht haben, können wir daran sterben. Geld ist auch eine Frage von Leben und Tod. Die Knappheit des Geldes lässt es erst zu dem werden, was es ist und leistet – wenn jeder Geld im Überfluss hätte, würde Geld seine Funktionen als universelles Tauschmittel verlieren, doch die Knappheit der Währungen, die Dollar, Euro und Yen zu internationalen Handelswährungen macht, bedeutet jedoch auch, dass eine große Anzahl von Menschen keinen Zugang zu dem haben, was sie benötigen. Die individuell äußerliche Perspektive auf das Geld umfasst Dinge wie unsere Scheckbücher, Kreditkarten, Steuern und Versicherungen, unsere Häuser und Wohnungen, unsere Kleidung, unsere Autos, Aktien, Ersparnisse. Die innerliche Dimension des Geldes, wie wir über Geld denken und fühlen, ist nicht so offensichtlich, wenngleich Geld unsere heftigsten Emotionen hervorrufen kann, wie Zorn, Eifersucht und sogar Liebe. Wenngleich Geld in seinen äußerlichen Manifestationen beobachtet werden kann, hat es seinen Ursprung doch in unseren Herzen und Seelen. Geld ist in uns gegründet. Es ist der beste Menschheitsversuch, effizient zu arbeiten und fair miteinander umzugehen … Wir lieben es. Wir hassen es, und oft „ist es nur Geld“. Soziale Aspekte des Geldes sind Geschichte und Theorie, sowie Börsen, Geldinstitutionen, Steuern und Steuersysteme, Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen, Regierungsprogramme, Politik, öffentliche Bilanzen, Zinsen, Wachstumsraten, Wechselkurse, Kaufkraft usw. Unsere Beziehungen zu Geld handeln von unserer persönlichen und kulturellen Innerlichkeit. Haben die Eltern über Geld gestritten? Was ist deine erste Erinnerung an Geld? Welche Aussagen gab es in deiner Kindheit über Geld? Unsere Beziehung zu Geld ist ein Amalgam aus Traditionen, Religionen, Ärger, Missbrauch, Ressourcen, persönlichen Fähigkeiten, Notwendigkeiten, sozialen Umständen, unterschiedlichen Philosophien, Verzerrungen, Diskriminierungen, und, natürlich, den immer gegenwärtigen Gegebenheiten des Marktes.
Die vier Dimensionen des Geldes
Wir versprechen definitiv nicht irgendeine „wie werde ich schnell reich“ Methode, oder fantasievolle Investments, Immobilien, Steuersparstrategien oder Ähnliches. Wenn Sie etwas derartiges Erwarten, sollten Sie sich woanders umschauen.
Worum es bei einer AQAL Betrachtung geht, ist eine integrale Perspektive auf Geld und unsere Beziehung zu ihm einzunehmen. Auch wenn Geld als ein menschliches Artefakt kein Eigenbewusstsein hat, ist es das Produkt hervorragenden menschlichen Bewusstseins, welches geschaffen wurde, um den Handel zu erleichtern, Transaktionen fair zu gestalten, Bedarf zu artikulieren und um das menschliche Bedürfnis nach Systemen zu erfüllen, die Güter, Dienstleitungen und Ressourcen effizient verteilen können. Doch Geld ist auch und vor allem das Produkt von Vereinbarung und Glauben. Diese Vereinbarungen und das darin enthaltene Vertrauen haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ebenso entwickelt wie das Geld selbst, und so finden wir uns in einer Jahrtausende alten Tradition des Umgangs mit Geld wieder, fügen unsere Gegenwärtigkeiten im Umgang mit Geld hinzu, einschließlich unserer darin enthaltenen individuellen und kulturellen Glaubensüberzeugungen, und reichen dieses Erbe an die kommenden Generationen weiter. Was immer Menschen für Vorstellungen von Geld auch haben, diese Vorstellungen machen das Geld aus. Geld ist dabei sowohl ein Segen, als auch die Ursache für Leid und Elend. Jeder Mensch hat seine eigene Sicht auf Geld, und diese Sichtweisen ändern sich teilweise dramatisch im Verlaufe der Generationen. Geld kann glücklich machen, aber man kann davon und daran aber auch krank werden. Geld übertrifft jede Religion, wenn es um die Anzahl der Gläubigen geht. So wie bei den Naturkräften – Erde, Luft, Feuer und Wind können die Konsequenzen des Geldes wunderschön oder entsetzlich sein. Die Integrale Theorie hilft uns dabei, Geld besser zu verstehen.
Oben links (OL)
Dies ist die Perspektive des individuellen Erlebens, die persönliche Innenansicht, der Aspekt der persönlichen Einstellung, welche sich subjektiv erfahren lässt. Was fühle ich z.B. wenn ich einen 100 Euro-Schein visualisiere, was fühle ich, wenn ich Dagober-Duck-Geschichten lese, was fühle ich, wenn ich sehe, wie andere mit Geld umgehen, was fühle ich,wenn ich materiellen Mangel/Fülle erlebe, oder diesen Mangel/Fülle bei anderen sehe. Der OL Quadrant umfasst alles das, was sich in einem individuellen Bewusstsein im Hinblick auf Geld abspielt, Bewusstes wie Unbewusstes – wie z.B. eine verborgene Obsession hinsichtlich Geld, ein verborgener Ekel („an allem Geld klebt Blut“), ein verborgenes Machtskript („Geld regiert die Welt“), oder ein unbewusstes negatives Lebensmotto (wie „ich bin ein Versager“). Theorien, welche sich diese Perspektive zum Schwerpunkt gemacht haben, sind Theorien der inneren Einstellung, wie z.B. das in der New Age Bewegung und auch von Motivationstrainern verbreitete positive Denken („dein Bewusstseins bestimmt, ob du arm oder reich bist“, „Armut bedeutet arm an Mut“) oder mentale Konditionierungsprogramme nach dem Motto „denk dich reich“. So wichtig diese Ansätze auch sind, und so wichtig es ist, sich selbst über die eigenen Konditionierungen und die eigene Intention klar zu werden und die Eigenmotivation selbst in die Hand zu nehmen -, es ist nur ein Teil der Geschichte. Ein wichtiger Faktor hierbei ist die Ebene des Bewusstseins, d.h. der Stand der eigenen Entwicklung. Ich kann nur das „sehen“, wozu ich mich bereits entwickelt habe[2]. Die „Lösung“ dieses Quadranten liegt in der Introspektion und Strukturbetrachtung („Geldskripte“), mit der Bewusstwerdung der eigenen Hoffnungen, Wünsche, Verlangen usw., und in einer Transformation hin zu einem umfassenderen und höheren (Geld)bewusstein. Eigene Glaubenssätze kann man untersuchen, indem man sich unvollständige Sätze zum Thema Geld vorlegt und diese spontan vervollständigt. Die Art der Vervollständigung lässt Rückschlüsse auf die eigenen Bewusstseinsstrukturen zu. Beispielsätze:
Geld ist für mich …
Ohne Geld lebe ich …
Geld ausgeben ist für mich …
Geld einnehmen ist für mich …
Oben rechts (OR)
Dies ist die Perspektive des individuellen objektiven Verhaltens eines Menschen in Bezug auf Geld – den Umgang mit Geld, die Verwendung von Geld, das individuelle „Geldverhalten“ welches sich objektiv beobachten lässt. So wären z.B. typische Verhaltenstypologien der Geizkragen (Dagobert Duck), der Verschwender, der Hochstapler, der Bankrotteur, der Gierige, der Sparer, der Gebende, der Verschenkende, der Samariter, der Handelnde usw. Dieses Verhalten hinterlässt seine Spuren z. B. in unseren Kontoauszügen (Soll und Haben), und lässt sich dort in seinen Auswirkungen beobachten. Typische Verhaltensansätze wären z.B.: „Die goldene Regel, um immer ausreichend Geld zu haben, besteht darin, nicht mehr auszugeben als einzunehmen, oder immer mindestens soviel einzunehmen, wie man ausgibt“. Regeln dieser Art bestechen durch ihre Einfachheit und Logik, sind jedoch wiederum nur ein Teil einer – komplexeren – Geschichte – und in dieser strukturellen Ausschließlichkeit oft lebensfern. Dennoch sind persönliche Verhaltensregeln ein unverzichtbarer Bestandteil eines „gesunden“ und nachhaltigen Umgangs mit Geld. Alle unsere persönlichen Finanzkennzahlen werden durch die Einnahme der OR Perspektive sichtbar.
Unten links (UL)
Dies ist die Perspektive der gemeinschaftlich geteilten intersubjektiv-inneren Werte, Vorstellungen und Überzeugungen, die mit dem Thema Geld zusammenhängen, wie z.B. eine Kultur der Verschwendung, eine Schuldenkultur, eine Spar- und Vermögenskultur, eine Barmherzigkeitskultur usw., also dasjenige, was bewusst oder unbewusst kulturell gemeinschaftliches Erleben ausmacht. In der Bibel und auch in den Schriften anderer Religionen finden sich eine Reihe von „traditionellen“ Hinweisen, wie mit Geld umzugehen ist. Theorien dieser Perspektive sind Werte und Ethiktheorien der unterschiedlichsten Art. Auch im Kulturellen kann es Unbewusstes und blinde Flecken im Umgang mit Geld geben, das sind Bereiche, wo kollektiv nicht hingeschaut wird. So besteht – als einem Erbe der 68er – immer noch das Lebensgefühl eines allgemeinen „Lebe jetzt, zahle später“, eine Haltung, die – jetzt wodie „Zeche“ fällig wird – zum Katzenjammer von Überschuldung und immer enger werdenden finanziellen Spielräumen der öffentlichen und privaten Haushalte führt. Die „Therapie“ dieses Quadranten besteht in der Bewusstwerdung der gesellschaftlichen Geld-Ethik und ihrer Schatten, der weiter- (=höher) Entwicklung dieser Ethik und der Korrektur von Unausgewogenheiten (geben/nehmen, individuell/kollektiv, Rechte/ Pflichten, Steuern/Subventionen). Der kulturelle Umgang mit Geld ist ein Hinweis auf den Bewusstseinschwerpunkt einer Gemeinschaft.
Unten rechts (UR)
Dies ist die Perspektive äußerlich kollektiver Systeme wie das Geld- und Finanzsystem, das Steuersystem, das Bankwesen, das kollektive Wirtschaftsverhalten. Diese Perspektive nehmen viele „klassische“ und akademische Geldtheorien ein. (So ging es während meines Wirtschaftsingenieurstudiums in den siebziger Jahren an der TU Berlin praktisch ausschließlich um diese Perspektive). Hier findet sich auch das Hauptbetätigungsfeld der Finanzpolitik – es werden Zinsen oder Steuern erhöht oder gesenkt, Gesetze erlassen, Haushalte konsolidiert oder auch nicht, Wechselkurse beeinflusst, Inflation gebremst, Vermögensbildung gefördert, Geldströme und Geldverkehr gesteuert, die Geldmenge kontrolliert usw. So bedeutend alle diese Maßnahmen und ihr Einsatz auch sind, so decken sie doch nur „ein Viertel“ des Ganzen ab, und ein erheblicher Teil des Scheiterns finanzpolitischer Maßnahmen liegt in der Nichtberücksichtigung der anderen Quadranten und Faktoren, wie z.B. den Ebenen des Bewusstseins.
Alle Elemente, die mit dem Thema Geld zu tun haben, lassen sich wiederum von den vier Grundperspektiven eines Menschen aus betrachten, so z. B. der Markt[3]. Der Markt ist ein soziales Holon. Auch er lässt sich durch die vier Quadranten als Perspektiven betrachten. Von Menschen für Menschen geschaffen, ist er objektiv für alle zu sehen. Sichtbar sind auch die sozialen Beziehungen seiner Teilnehmer, was dem unteren rechten Quadranten entspricht. Der obere rechte Quadranten entspricht den individuellen Innerlichkeiten seiner Teilnehmer, die nicht zu sehen sind, jedoch wahrgenommen werden können. Die Individuen sind Mitglieder des Marktes, und nicht ein Teil von ihm. Ohne Menschen kein Markt..
Entwicklungsebenen
Jede Ebene der Entwicklung hat ihr eigenes Geldverständnis, Geldverhalten, Geldkultur und Geldsystem. Geld auf der egozentrischen Ebene ist mein Geld, ich besorge es mir und gebe es aus, wie ich will. Geld auf der soziozentrischen Ebene ist unser (Familien, Glaubensgemeinschaft) Geld, wir geben es aus, wie wir es für richtig halten, ohne Rücksicht auf diejenigen, die nicht zu uns gehören. Typisch für ein soziozentrisches Verständnis sind feste Regeln hinsichtlich des Geldes, wie sie z. B. in der Bibel festgelegt sind, „Geben ist seliger als Nehmen“, oder „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt“, oder das Zinsverbot. Für die moderne (Orange) Entwicklungsebene ist Geld ein von jeglicher Ideologie befreites Mittel, um erfolgreich zu sein, der oder die Beste oder Reichste zu sein, es ist das Schmiermittel für das Business, und Erfolg hat derjenige oder diejenige, der oder die die Gesetzmäßigkeiten des Geldes und die Spielregeln des Business am besten beherrscht. Geld auf der pluralistisch-grünen Entwicklungsebene ist für alle da, auf dieser Ebene treten Themen wie gerechte Verteilung, fairer Handel und globale Verantwortung füreinander in den Vordergrund. Von einer integralen Bewusstseinsebene aus wird erstmals die Bedeutung aller vorangegangenen Entwicklungsebenen verstanden, und sie werden gewürdigt und nicht mehr bekämpft. Dadurch ist eine integrale Geldpolitik – persönlich oder gesellschaftlich – erstmals in der Lage, das Thema Geld umfassend zu betrachten, in allen seinen Dimensionen (Perspektiven) und auf allen Entwicklungsebenen,was zu nachhaltigen Lösungen führt bei Themen wie Gerechtigkeit oder Armutsbekämpfung. Geld so wie wir es heute kennen, ist ein Phänomen der traditionellen soziozentrischen Entwicklungsstufe. Es arbeitet daher in gewisser Weise am besten für Menschen, die sich auf dieser Stufe ihrer Entwicklung befinden. Doch dadurch kann Geld sein volles Potenzial nicht entfalten.
Beispiel Zins
Viele Reformmodelle, ob konventionell oder alternativ, setzen bei ihren Reformbemühungen ausschließlich beim unteren rechten Quadranten an, bei den Strukturreformen, und gehen davon aus, dass – wenn die Strukturen sich verändern, – sich dann alles andere auch verändert. So wird der Zins(eszins) von einigen „linken“ Strukturtheoretikern, aber auch von fundamentalistischen Gläubigen (die sich auf die Bibel oder den Koran beziehen) als die Wurzel allen Übels angesehen, und die Lösung lautet: „Schaffe den Zins ab, und alles wird gut.“ Doch was wird da eigentlich abgeschafft, und was ist ein Zins? Zins ist ebenso ein Artefakt wie Geld, und zwar ein Preis. Die Idee dahinter ist die, für eine zwischenmenschliche Transaktion, dem Geld“verleih“, einen Ausgleich zu schaffen. Dem einen Transaktionspartner wird Geld überlassen, der andere zahlt dafür einen Zins. Zins ist der Preis für die Überlassung von Geld. Dies ist die – neutrale – Funktion des Artefaktes „Zins“. Wenn man den Zins insgesamt kritisiert, dann müsste man konsequenterweise jeden Zins kritisieren, also z.B. auch den Miet“zins“, den Pachtzins, Franchising usw., weil sie ja Preise für eine Überlassung darstellen. Eine ausgewogene, integrale Darstellung würde den Zins als Artefakt beschreiben, mit seiner Intention und Funktion. Weiterhin würde man in einem zweiten Schritt dann die Anwendung dieses Hilfsmittels zum Leistungsausgleich beleuchten, unter Berücksichtigung der verschiedenen Ebenen und Perspektiven des Bewusstseins – sowohl was die Licht- als auch die Schattenseiten betrifft: Die Lichtseite (das Gute) besteht in der Anwendung des Zinses als Instrument für einen Leistungsausgleich (Nutzungsüberlassung). Die Schattenseite der egoistischen Ebene ist der Wucherzins (der Egoist presst aus anderen heraus, was geht). Die Schattenseite der konventionell-traditionellen Ebene ist, dass die eigenen Leute mit einem normalen/humanen Zins „bedient“ werden, oder dass es zu Schenkungen kommt, während bei allen anderen („Fremde“) ein Wucherzins gefordert wird. Beim transkonventionellen Bewusstsein wird ein angemessener Ausgleich angestrebt zwischen den eigenen Interessen und denen der Mitmenschen, unter Berücksichtungen aller – äußeren, inneren, kulturellen und sozialen – Faktoren. Dabei kommt die gesamte Palette der Möglichkeiten einer Leistungsübertragung und eines Leistungsaustausches zum Einsatz: Schenkung, Leihe (zinslose Überlassung), Zins (sehr niedrig-niedrig-mittel).
Ein weiterer faszinierender Aspekt ist die Entwicklung des Geldes als ein Artefakt durch die unterschiedlichen Ebenen des Bewusstseins. Den Schritt des Geldes von einem konkret operationalen zum abstrakt operationalen Artefakt, von der Physiosphäre zur Noosphäre, von der konkreten Golddeckung zur reinen Vertrauenssache, beschreibt Richard B. Wagner in dem erwähnten Artikel wie folgt: Dies ist der Augenblick, als das Geld sich wandelte von materiellen, anfaßbaren Gütern (Gewürze, Muscheln usw.) zu einem Glauben an etwas Konzeptuelles und Symbolisches, das man einfach und praktisch mit sich herumtragen konnte. Als der Bäcker sein Gold beim Goldschmied lagerte, anstatt es irgendwo im Garten bei sich zu vergraben, gab ihm der Goldschmied einen Beleg, der diese Lagerung dokumentierte. (Natürlich war die Lagerung nicht ganz umsonst, er nahm ein bisschen Goldstaub dafür). Diesen Beleg konnte der Bäcker dem Müller für das Mehl geben, das er zum Backen brauchte, und der Müller konnte den Beleg dem Farmer für das Getreide geben. Und so wanderte der Beleg weiter zum Fuhrmann, zum Wagenbauer und zum Schmied, der ihn dann wieder an den Bäcker zurückreichte, um Brot dafür zu kaufen. Dieser virtuose Kreis funktionierte so lange reibungslos, so lange alle Beteiligten sich sicher sein konnten, dass das Gold dafür beim Goldschmied lagerte, und sich der Beleg jederzeit in das Gold einwechseln ließ. Irgendwann erkannte der Goldschmied, dass er mehr Belege ausstellen konnte als er Gold hatte, so lange die Leute glaubten, er hätte das Gold. So wurde er zum Banker und die Welt bekam eine Währung. Die Aufhebung der Goldbindung an die (damalige) Reichsmark geschah durch ein Gesetz am 4. August 1914. Seitdem basiert unsere Währung auf einem Vertrauen in der Noosphäre, und nicht mehr auf einer garantierten Deckung (durch Gold) in der Physiosphäre. In den USA wurde die Dollar-Goldbindung formell erst am 15. August 1971[4] aufgehoben[5].
[1] Alle Kursivsetzungen sind, sofern nicht anders angegeben, Zitate aus: Richard B. Wagner, Integral Finance 101, Integral Finance 201 Part 1, Integral Finance 201 Part 2, aus: AQAL Journal of Integral Theory and Practice, Spring 2006, Volume 1 Number 1.
[2] Diesem Thema hat Wilber in „Das Atman Projekt“ breiten Raum gegeben: Geld als Unsterblichkeitssymbol, und sein unterschiedlicher „Einsatz“ auf den verschiedenen Ebenen der Bewusstseinsentwicklung.
[3] Hier wird die Unterscheidung von Wilber zwischen Quadrant und Quadrivium wichtig. Ein Quadrant ist die Perspektive eines Subjektes, ein Quadrivium ist die Perspektive, aus der ein Objekt betrachtet wird. Ein Markt ist ein soziales Artefakt, von Menschen geschaffen, er hat kein Ich-Zentrum, ist kein empfindendes Wesen, und kann daher auch keine Perspektive (Quadranten) einnehmen. Doch ein Markt kann von einem Individuum unter Einsatz der unterschiedlichen Perspektiven (Quadranten) betrachtet werden.
[4] Vor der Aufhebung der Goldbindung entsprachen 1 Mark des Deutschen Reiches 0,36 Gramm Feingold, und 1 US-Dollar hatte den metallischen Gegenwert von ca. 1,51 Gramm Gold.
[5] Ein Vortrag zur Rolle des Goldes in der Währungsgeschichte findet sich unter http://www.bundesbank.de/download/presse/pressenotizen/2002/Vortrag-Gold.pdf
(aus: Online Journal 15)