Was macht eine integrale Ernährung aus?

Integrale Lebenspraxis

Was macht eine integrale Ernährung aus?

Frank Spade

Im Körper-Modul der ILP-Matrix ist neben Gewichtheben, Aerobics, Yoga, Tai Chi u. ä. auch Diät aufgeführt. Das heißt, nach Ansicht der Autoren könnte Ernährung allein bereits als eine Praxis des Körper-Moduls praktiziert werden.

Aufgeführt werden als Beispiele Atkins, Ornish, „The Zone“ und eine ILP-Diät, wobei letztere als sogenannte „Goldsternpraxis“ [Gold Star Practice] besonders empfohlen wird. Diät wird somit als Praxis für den physischen Körper eingestuft. Wir wollen hier vorstellen, was unter der ILP-Diät verstanden wird und untersuchen, ob es nicht weitere Perspektiven gibt, die aus integraler Sicht mit berücksichtigt werden müssten.

Du bist, was du isst

Es versteht sich von selber: Was in den Körper hinein geht übt auch einen Einfluss auf ihn aus. Nahrung hat seit langem den primären Zweck, das Überleben zu sichern, überwunden und ist heute vermehrt emotional besetzt oder wird als Statussymbol verwendet. Nahrung wird rituell eingesetzt und ist stark kulturell geprägt, wobei die Gründe für bestimmteFormen der Zubereitung und Darreichung in der Regel oft nicht hinterfragt werden.

Bei der ILP-Diät haben es uns die Autoren insofern leicht gemacht, als sie sagen, die Beste Diät ist für uns jene, die welche für uns funktioniert. Trotz des überwiegend physischen Einflusses der Nahrung wird auch auf subtile Aspekte hingewiesen, wie: Wurde die Nahrung liebevoll zubereitet? Ist sie frisch und voller Lebensenergie? Darüber hinaus sollten wir uns fragen, welche Konsequenzen hat die Wahl unserer Nahrung auf andere und unsere Umwelt?

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass keine Diät 100 Prozent falsch oder 100 Prozent richtig sein kann. Mit jeder Diät wird etwas Wahres zum Ausdruck gebracht. Die ILP-Diät versucht daher, alle partiellen diätischen Wahrheiten auf möglichst pragmatische und elegante Weise einzubeziehen. Um die Sache auf einen einfachen Nenner zu bringen, sollen wir uns an dem folgenden Diagramm orientieren und dabei immer oberhalb der gestrichelten Line essen, also gute Fette, Kohlenhydrate und gutes Eiweiß:

Fette, Kohlenhydrate und Eiweiße sind die wichtigsten Nahrungsbestandteile. Gute und schlechte Vertreter sind nach Ansicht der Autoren (wir werden das im Folgenden noch hinterfragen):

Gute Fette: Fischöl, Leinöl, Olivenöl

Schlechte Fette: Margarine, Fast Food, Transfettsäuren, gesättigte Fettsäuren

Gute Kohlenhydrate: brauner Reis, Haferflocken, Gerste, Äpfel, Vollkornbrot, Orangen, Beeren verschiedener Art

Schlechte Kohlenhydrate: Weißbrot, Corn Flakes u. ä., Kekse, Nudeln, raffinierter Zucker und Mehl

Gute Eiweiße: Fisch, Eiweiß, Hühnerbrust, Hüttenkäse, Truthahnbrust, Molke

Schlechte Eiweiße:
verarbeitete Eiweiße, isoliertes Sojaprotein, Protein Riegel, gesättigte tierische Fette

Es wird angeführt, Untersuchungen hätten ergeben, dass die Reduktion von Fett oder Kohlenhydraten auf weniger als 10 Prozent der konsumierten Kalorien, zu einer Gewichtsabnahme führt. Als Beispiel einer Diät, die Kohlenhydrate reduziert, wird die Atkins-Diät genannt. Dazu bemerkt das Institut für Ernährungsinformation (www.ernaehrung.de): Die Atkins-Diät ist nur kurzfristig tolerierbar, da lebensnotwendige Nährstoffe und Ballaststoffe nicht in ausreichendem Maße aufgenommen werden. Der hohe Gehalt an Fett, Cholesterin und Purinen begünstigt das Entstehen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gicht. Bei andauernder Ernährung mit der Atkins-Diät sind Todesfälle beobachtet worden.

Als Beispiel einer fettreduzierten Diät, werden die von Pritikin und Ornish angeführt. Pritikin selber soll sich mit seiner Diät von einer Herzerkrankung geheilt haben, wogegen Atkins bei seinem Tod übergewichtig gewesen sein und unter einer Herzerkrankung gelitten haben soll. Die Ornish-Diät ist außerdem vegetarisch und hat das Ziel, Herzkreislauferkrankungen entgegen zu wirken.

Bildung statt Fischöl

Die angeführten Beispiele für die drei Nahrungsbestandteile sind leider auch nicht besonders aussagekräftig. Als gute Fette sind Fischöl und Leinöl aufgeführt, wohl weil sie 75 Prozent bzw. 50 Prozent Omega-3-Fettsäuren enthalten, von denen behauptet wird, dass sie die Nervenzerstörung im Gehirn von Alzheimer-Patienten verlangsamen sollen. Mit der Erkenntnis lässt sich gut Werbung für Produkte machen, die Omega-3-Fettsäuren enthalten. Schwerer Geld zu machen ist mit dem, was Forscher in Chicago, bei einer Erhebung unter 642 alten Menschen mit unterschiedlicher Ausbildung festgestellt haben: dass jedes Studienjahr das Alzheimer-Risiko um 17 Prozent senke. Obwohl sie die gleiche Menge Plaquesablagerungen in ihren Gehirnen hatten, waren die besser ausgebildeten Untersuchten weniger dadurch beeinträchtigt. „Die Gutausgebildeten zeigten erst dann Alzheimer-Symptome, als sie fünfmal so viele Plaques im Kopf hatten wie die weniger gebildeten Vergleichspersonen.“ Im gleichen Magazin werden Erkenntnisse des Neurologen Robert Friedland von der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, zitiert, die besagen, dass „mit jeder Stunde, die die Befragten durchschnittlich in ihrem Leben vor dem Fernseher verbracht hatten, das Alzheimer-Risiko um den Faktor 1,3 wuchs.“ [Spiegel special 4/2006, S. 98.] Bildung und geistige Aktivität statt Fischöl, könnte die Schlussfolgerung daraus lauten.

Bei den Kohlenhydraten ist zu kritisieren, dass hier eine sehr beschränkte Auswahl angegeben wurde, die mit Reis und Orangen zudem Nahrungsmittel enthält die nicht überall angebaut werden können und daher mit hohem Aufwand transportiert werden müssen. Damit sollen keine Südfrüchte o. ä. verteufelt werden, denn Bananen, Orangen, Avocados u. a. sind gute Ergänzungen des Speiseplans. Aber es fehlen lokal angebaute Früchte, denen, wenn sie in der Saison sind, der Vorzug gegeben werden sollte. Auch ein Hinweis auf die geschmacklichen und qualitativen Unterschiede von biologisch angebauten Lebensmitteln im Gegensatz zu konventionellen fehlt. Dass die „guten Eiweiße“ allesamt tierischen Ursprungs sind und keine pflanzlichen aufgeführt wurden ist dann doch sehr verzerrend.

„Studien von Osborne und Mendel von 1914 zeigten, dass Ratten, die tierisches Eiweiß erhielten, schneller an Gewicht zunahmen, als Ratten, die nur pflanzliches Eiweiß erhielten. Daraus wurde voreilig geschlossen, dass tierisches Eiweiß „höherwertiger“ sei als pflanzliches Eiweiß. Spätere Studien von McCay an der Berkeley Universität zeigten jedoch, dass Ratten, die pflanzliches Eiweiß bekommen, gesünder sind und ungefähr doppelt so lange leben.“ [Quelle: Wikipedia]

Als gute Eiweiße sollten deshalb auch Nüsse, Getreide und Hülsenfrüchte aufgeführt werden. So haben z. B. Sonnenblumenkerne 27 Prozent Eiweiß, Mandeln 19 Prozent und Leinsaat immerhin 22 Prozent. Die hier favorisierte Hähnchenbrust hat 22 Prozent und die Putenbrust sogar nur 20,5 Prozent Eiweiß, kommt dafür aber mit tierischen Fetten, die zu einer Erhöhung des Cholesterinspiegels beitragen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich dann eine aussagefähigere Grafik:

Ganz abstrus erscheint mir der Hinweis, Multivitaminpräparate zweier namentlich aufgeführter US-Firmen einzunehmen. Klaus Bös, Sportwissenschaftler an der Universität Karlsruhe sagt zum Thema Nahrungsergänzungsmittel: „Kein Sportler, der sich ausgewogen gesund ernährt, braucht zusätzliche Dosen [Vitamine]. Und auch für andere Nahrungsergänzungsmittel gibt es außer bei bestimmten Krankheiten oder Schwangerschaft keinen Grund.“ [Spiegel special 4/2006 S. 57] Wie viel mehr sollte das für Nicht-Sportler gelten?

Abschließend empfiehlt die ILP-Diät: Schlechte Fette sowie einfache Kohlenhydrate und minderwertig zubereitete Nahrungsmittel und Fast Food zu reduzieren. Darüber hinaus sollte die Größe der Portionen kontrolliert, weniger genascht und genug Wasser getrunken werden. Die Beschäftigung mit ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen sollte Teil einer lebenslangen Praxis sein.

Mehr bewegen, besser ernähren

Um wirklich integral zu sein sollte eine ILP-Diät Perspektiven aus allen Quadranten berücksichtigen. Es kommt also nicht nur darauf an wie mir die Nahrung schmeckt und bekommt (OL), sondern auch, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse über Ernährung vorliegen (OR) sowie welche Auswirkungen meine Präferenzen auf das Leben anderer Menschen haben (UL). Hier wäre zu berücksichtigen unter welchen Bedingungen Menschen die Güter produzieren müssen und ob sie sich dafür ein angemessenes Leben leisten können. Weiter ist in Betracht zu ziehen welche Zwänge dazu führen, dass die Qualität der Nahrungsmittel nachlässt, welche Folgen die Produktionsmethoden für die Umwelt haben (z. B. Gülle, Urwaldrodung, Versteppung). Nicht zu vergessen sind auch die durch den globalen Wettbewerb entstehenden Rationalisierungszwänge, die z. B. zu BSE und den jüngsten Gammelfleischskandalen in Deutschland geführt haben (UR).

Es bleibt festzustellen, dass man bei einer integralen Lebenspraxis eigentlich nicht von einer Diät sprechen sollte, sondern von einer Änderung der Ess- und Lebensgewohnheiten. Welchen Effekt das eine oder das andere auf die Gesundheit hat, zeigt eine Untersuchung aus der chinesischen Stadt Daqung. Dort „wurden Müßiggänger, deren Glukosehaushalt schon gestört war, dazu verdonnert, sich regelmäßig körperlich zu regen. Dafür durften sie weiterhin essen und trinken, wie es ihnen gefiel. Nach sechs Jahren war ihr Diabetesrisiko um 46 Prozent gesunken. Vergleichspersonen, die faul blieben, aber ihre Ernährung umstellten, erzielten eine Reduktion von 31 Prozent.“ [Spiegel special 4/2006, S. 18] Wenn wir uns besser ernähren und körperlich aktiv werden, dürfen wir uns wohl noch größere Hoffnungen auf eine Verbesserung unserer Gesundheit machen.

Wir sind mit dem,was wir einkaufen und essen, auch für das Wohl der Tiere und der Umwelt verantwortlich. Politik beginnt mit dem Einkaufskorb!
– Barbara Rütting, 75, bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen

Quelle: integrale perspektiven, Nr. 4, 2006

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