Michael Habecker
Was könnte in einer globalisierten Welt wichtiger sein als ein guter interkultureller Dialog, als ein Gespräch und Austausch darüber, wie wir Menschen, in unseren unterschiedlichen Ländern und Kulturen lebend, mit uns selbst und allen anderen Lebewesen auf diesem begrenzten Planeten gut auskommen können?
Wie kann man so einen Dialog gestalten, oder, anders gefragt, wenn Menschen und Kulturen miteinander ins Gespräch kommen sollen, was ist ein Mensch, was ist eine Kultur und was ist ein Gespräch? Mit diesen drei Fragen sind bereits die Quadranten Wilbers eröffnet – subjektiv, intersubjektiv, objektiv und interobjektiv – und damit auch ein möglicher Einstieg in die Thematik. Beginnen wir beim Individuum, beim Menschen, und damit bei uns selbst. Jeder Mensch verfügt, mehr oder weniger bewusst und entwickelt, über Innerlichkeit, Intentionalität, Absichten, Gedanken, Gefühle, Ideale und vieles andere. Dies sind – so wir es erleben, wenn wir in uns hineinhorchen– keine abstrakten Kategorien, sondern lebendige innerliche Erfahrungen unterschiedlichster Phänomene. Manche davon hören sich wie Stimmen an, die Stimme der Bewertungen, der Angst, der Freude, der Abwehr usw., und was sich zwischen diesen unseren inneren Stimmen in jedem Augenblick abspielt, ist bereits ein – innerpsychischer – Dialog, dessen Meisterung, oder zumindest Kenntnisnahme, die Voraussetzung ist, mit anderen Menschen und Wesen in einen bewussten Austausch eintreten zu können. Was schon für sich alleine eine komplexe Angelegenheit ist, das Zurechtkommen mit der eigenen Innerlichkeit, deren Inhalten als Phänomenen, deren Strukturen, Mustern, Unbewusstheiten und Schattenaspekten, potenziert sich in seiner Kompliziertheit bereits in einem einfachen Dialog zweier Menschen, wenn zwei Subjekte, mit einer jeweils eigenen und einmaligen Innerlichkeit sich zu verstehen versuchen. Wenn nun noch ganze Kulturen miteinander ins Gespräch kommen, kann man verstehen, warum ein interkultureller Dialog zu den komplizierten Dingen auf dieser Welt gehört.
Gehen wir, auf der Basis von Wilbers integralem Ansatz (AQAL) ein paar der wesentlichen Aspekte dabei durch:
a) Quadranten oder Perspektiven
Die Quadranten helfen uns dabei, unterschiedliche – und gleichberechtigte – Perspektiven in uns, in nderen und zwischen uns (im Dialog) zu würdigen und auszudrücken. Durch die Verwendung unterschiedlicher Pronomina (ich, wir, es) beziehen wir uns „automatisch“ auf unterschiedliche Aspekte einer Wirklichkeit und sind in der Lage die Absolutismen und Grabenkämpfe hinter uns zu lassen, die mit der Dominanz einer Perspektive gegenüber allen andern einhergehen. Dazu gehören idealistisch (innerlich) versus naturalistisch (äußerlich), liberal (individualistisch) versus sozial (kollektiv), Einzelbetrachtung versus systemisch, usw. In einer weiteren Differenzierung von 8 Hauptperspektiven können wir im Rahmen eines von Wilber so bezeichneten integralen Methodenpluralismus (IMP) alle bekannten Erkenntnismethodiken der Menschheit in ihrer jeweiligen Größe, aber auch in ihren Grenzen abschätzen und in ihren Zusammenhängen erkennen. Durch die Möglichkeit eines auf alle wissenschaftlichen Erkenntnisperspektiven gegründeten gleichberechtigten Dialogs öffnet der IMP innerkulturelle und interkulturelle Möglichkeiten und Chancen, wie es sie bisher nicht gab.
b) Entwicklungsebenen und Entwicklungslinien
Ein sich entwickelndes Leben erinnert uns daran, dass wir als einzelne Menschen und auch unsere Kulturen auf unterschiedlichen Ebenen und Niveaus der Entwicklung stehen und uns von diesen aus miteinander austauschen. Dabei entspricht unser Wahrnehmungshorizont unserem Entwicklungsstand. So gibt es nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch innerhalb jeder Kultur eine „vertikale Spannung“ (Sloterdijk) zwischen traditionellen, modernen und postmodernen Weltsichten, die ein Miteinander-Auskommen zu einer Herausforderung werden lassen. Wie können alle Ebenen und deren „Stimmen“ gewürdigt werden, ohne dass eine Ebene andere unterdrückt, und wie können ein gesellschaftlicher Diskurs und eine Politik auf höchstmöglichem Niveau dabei entstehen?
c) Typologien
Die Tatsache typologischer Unterschiede erinnert uns an die Dimension der Fülle und der Vielfalt unserer Welt. Auf jeder Entwicklungsstufe und in jeder der Hauptperspektiven treffen wir auf eine unendliche Fülle persönlicher und kultureller Möglichkeiten, und ein integrales Vorgehen wird sie alle würdigen. Die Sprachen der Welt sind dafür lebendiger Ausdruck; eine Welt wird von jeder Kultur sprachlich anders beschrieben und damit auch anders gesehen, und jede Sprache trägt einen unersetzlichen Erfahrungsschatz zum Gesamtbild der Menschheit bei, weshalb kulturelle Vielfalt, wie auch ökologische Vielfalt, eine der Grundvoraussetzungen für unser gemeinsames (Über)Leben ist.
Ob wir es wollen oder nicht: In einer begrenzten Welt mit vielen Möglichkeiten, aber auch begrenzten Ressourcen, sind wir aufeinander angewiesen. Wir sind gemeinsam unterwegs, jeder für sich und alle miteinander, durch die gleichen Grundebenen und Linien der Bewusstheit, innerhalb gleicher perspektivischer Grundorientierungen, in großer typologischer Vielfalt der Weisen und Gebräuche und in den unterschiedlichsten Zuständen wechselnder Erfahrungen von Augenblick zu Augenblick. Ein interkultureller Dialog und Austausch ist daher unverzichtbar für unser aller Zusammenleben. Von seiner erfolgreichen Gestaltung hängt unsere Zukunft ab.
(aus: IP 14, 2009)