Michael Habecker
Unter der Überschrift Das Tabu der (Inter) subjektivität diskutieren Ken Wilber und Alan Wallace auf Integral Naked das Verschwinden der (Inter)subjektivität mit dem Beginn der Aufklärung. In diesem Gespräch fasst Wilber den Unterschied zwischen der Zone 1 (Betrachtung von Innerlichkeit) und Zone 2 (Betrachtung von Strukturen von Innerlichkeit) zusammen. (Siehe auch den Beitrag zu Wilber V)
Aus der Zusammenfassung zu diesem Dialog:
Alan und Ken stimmen darin überein, dass – wenngleich viele Aspekte der Wirklichkeit durch objektive Beobachtung studiert werden können – innere Phänomene nur durch subjektive Beobachtung studiert werden können. Daten „vor“ den eigenen Augen können durch die fünf Sinne erfasst werden, und werden als objektive dritte Personen in „Es“ Sprache beschrieben und verstanden. Wissenschaft ist hier sozusagen materiell. Daten „hinter“ den eigenen Augen können jedoch nur durch Techniken erfahren werden, welche zu diesen inneren Wirklichkeiten passen, so wie z.B. Phänomenologie und Introspektion, und diese werden in einer subjektiven Ich-Sprache der ersten Person beschrieben und verstanden. Wissenschaft ist hier in der Tat eine Wissenschaft des Bewusstseins.
In der heutigen Welt jedoch, darauf weist Alan hin, wird die Wissenschaft praktisch ausschließlich mit wissenschaftlichen Materialismus identifiziert, und es gibt so gut wie keinen Raum für eine echte Wissenschaft des Bewusstseins. In einer strikt materiellen Welt werden Gedanken, Empfindungen, Gefühle und das gesamte Spektrum der inneren Wirklichkeit auf ihre materiellen Substrate reduziert.
Tatsächlich gibt es zwei Wissenschaften des Inneren, die wir würdigen müssen, und nicht nur eine. Die erste haben wir gerade besprochen, und zwar den Ansatz einer ersten Person gegenüber Wirklichkeiten der ersten Person, wie sie von der Phänomenologie und Introspektion enthüllt werden. Einfach ausgedrückt: Wenn ich nach innen schaue, was sehe ich dann?
Die zweite Art einer inneren Wissenschaft verfolgt – wie Ken erläutert – einen Ansatz der dritten Person gegenüber Wirklichkeiten der ersten Person. Sie kann so bestimmte Dinge erkennen, welche die Phänomenologie nicht sehen kann, und zwar Strukturen innerhalb des Bewusstseins (welche beispielsweise die Struktur von Sprache erklären können). Strukturen können durch Introspektion nicht erkannt werden, weil diese nicht zum Inhalt des Geistes gehören; sie sind ein Teil desjenigen, mit dem der Geist schaut. Noch interessanter wird es, wenn man einen Ansatz der dritten Person gegenüber Wirklichkeiten der ersten Person über die Zeit verfolgt – moderne Forschung hat wiederholt gezeigt, dass diese Strukturen sich entwicklungsgemäß entfalten.
Die großen kontemplativen Traditionen der Welt geben einen hervorragenden Bericht der inneren Ebenen oder Stufen eines kontemplativen Wachstums und einer Entwicklung – ihre introspektiven Techniken sind wirklich außerordentlich. Was uns die Traditionen jedoch nicht sagen können ist, ob der Mensch, welcher meditiert, sich z.B. auf einer moralischen Stufe 1, oder einer moralischen Stufe 2 oder einer moralischen Stufe 3 usw. befindet. Wenn dieser Mensch sich von seiner Meditationsmatte erhebt – durch welche Struktur wird er oder sie seiner Erkenntnis Ausdruck verleihen?
Alan und Ken erläutern gemeinsam, wie jegliche Innerlichkeit – subjektiv und intersubjektiv – zu einem Tabu der westlichen Kultur wurde. Wir werden nicht nur davon abgehalten, die gefühlte, unmittelbare Subjektivität zu erforschen, wir werden ebenso davon abgehalten die Art und Weise zu studieren, wie sich Subjektivität selbst über die Zeit entwickelt, wobei sich nicht nur die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert, sondern auch dasjenige, was von der Wirklichkeit wahrgenommen wird.
Quelle: AK Ken Wilber Rundbrief 21, 2005