Ein Interview von Dennis Wittrock mit Terry Patten (Auszug)
Transkription: Cindy Lorenz, Übersetzung: Sebastian Stark und Dennis Wittrock
Dennis: Ich weiß aus deiner Geschichte, dass du Erfahrungen hattest mit dem Pfad des Guru Yoga und dem zweiten Gesicht Gottes. Was sind die nötigen Aktualisierungen, um den Pfad des Guru Yoga im neuen Jahrtausend auf intelligente Weise zu praktizieren oder um eine 2. Person Praxis auszuüben?
Terry: Ich denke, dass es da einen Weg gibt, eine 2. Person Praxis mit einem Lehrer oder einem Guru zu praktizieren, und dass das eine kraftvolle, tiefe und profunde Angelegenheit ist. Aber ich würde nicht sagen, dass das der einzige Weg ist um eine 2. Person Spiritualität zu praktizieren. Für die meisten von uns hat der realste und naheliegendste Anfangspunkt tatsächlich damit zu tun unseren existenziellen Weg des Seins zu untersuchen. Wie stehen wir in Beziehung zur Erfahrung selbst? Behandeln wir sie wie ein totes „Es“? Haben wir Angst davor? Sind wir im Kern in unserer Beziehung zur Erfahrung verschlossen?
Eine Ich-Du Beziehung zur Erfahrung selbst ist sehr, sehr verschieden von einer Ich-Es Beziehung zur Erfahrung. Und was geht in unseren Herzen vor und wandelt unsere Seinsart, unseren existenziellen Stand im Leben in einem Ich-Es Modus, und wie kann das geöffnet werden hin zu einem Ich-du [I-you] oder gar einem Ich-DU [I-thou] Modus? Das ist etwas, was jeder bedenken kann. Wir können fühlen, wie Angst und Groll dazu führen das Herz zu verschließen. Es neigt dazu eine Art Entfremdung zu kreieren. Wir können aus einer psychischen Landschaft heraus leben, die essentiell kalt und entfremdet ist. Und die meisten Menschen tun dies für eine gewisse Zeit am Tag. Wir reisen durch verschiedene Zustände.
Manche von ihnen sind kälter und entfremdeter als andere. Aber die Wiederentdeckung der Kultivierung einer zärtlichen und intimen Art des Seins im Bezug auf die Erfahrung von Moment zu Moment ist etwas, das sogar eine komplett rationale Person, welche nicht willens ist sich auf irgendetwas einzulassen, das nach Metaphysik riecht, schätzen kann. Da ist etwas Reiches an dieser Transformation des eigenen existentiellen Modus des Seins.
D: Das ist sehr interessant und ich frage mich, wie sich das anfühlt. Könntest du noch näher auf die Differenz zwischen diesen zwei Modi eingehen – zwischen dem entfremdeten abstrakten Modus und dem, der intim mit der Erfahrung ist? Geht es um die Bewusstheit, die alle Meditationslehrer wie Thich Nhat Hanh so sehr betonen, – wie z.B. bewusst zu werden gegenüber allen Dingen, wie du eine Teetasse hältst, wie du Auto fährst und wie du deine Zähne putzt – oder geht es einfach um Aufmerksamkeit oder worum geht es?
T: Ich denke, es kann sich so ausdrücken. Die Art, auf die sich Aufmerksamkeit in diesen Praktiken bewegt, ist eine zärtliche Kommunion mit jedem Objekt der Wahrnehmung. Aber das ist nicht die einzige Art. Es kann einfach eine Haltung des Herzens sein, die annehmend ist und neugierig und grundsätzlich offen und zart in ihrer Art Erfahrungen aufzunehmen. Darauf kann man noch länger eingehen. Ich versuche es nicht zu lang zu machen, in einem Format, in dem es offensichtlich zeitliche Grenzen gibt. Ich werde nicht allzu tief gehen.
Aber es gibt nocheinen anderen Weg mit dem inneren Atheisten über die 2. Person Spiritualität zu reden, den man sich merken sollte, und das ist folgender. Sobald ich einmal verstehe, dass es im Grunde keine Trennung gibt, dass mein Kosmos wirklich eins und mein Gefühl der Identität hauptsächlich eine optische Illusion ist, dann ist diese grundlegende Bewusstheit, die ich beschrieben habe, das Fundament für eine 1. Person Spiritualität. Habe ich das erstmal als meinen referentiellen Rahmen, dann kann ich verstehen, dass diese Frage danach, wer dieser GEIST ist oder wer es ist, mit dem ich intim werden möchte, einfach nicht real ist. „Ich“ ist nicht real. In dem Maße, wie das Ich Realität besitzt, wird das Nicht-Ich irgendwie auch real. Also so real wie das Selbst ist, wird gleichermaßen das große Andere real.
„Ich“ ist nicht real. In dem Maße wie das Ich Realität besitzt, wird das Nicht-Ich irgendwie auch real.
Dann haben wir diese Fragen, die der innere Atheist stellt: “Wenn ich beten werde, was glaube ich, wen ich da anbete, und wer wird wirklich zuhören und meine Gebete beantworten? Warum ist das nicht nur eine eingebildete Konversation mit meinem imaginären Freund? Wieso hat das ernsthaft Authentizität?“ Was ich sagen würde ist, OK, wer ist es, zu dem du betest? Das Eine, zu dem du betest, ist in letzter Hinsicht nicht real. Es ist nicht, als ob da ein einzelner Anderer ist. Da ist niemand mit einer Personalität, Gebete anhörend und entscheidend, ob sie erfüllt werden oder nicht. Nein. Aber du bist nicht real. Soweit du real bist und dich dieser Seite des Mysteriums der Existenz zuwendest, als wärest du real, ist das Eine, dem du dich zuwendest, genauso real wie du. Ebenso sehr wie es Aufmerksamkeit gibt, die eine Person sein kann, ist da das intime Anderssein, welches dich geboren hat und in dessen Armen du sterben wirst, wenn du vergehst. Da ist das Eine am anderen Ende dieses Tunnels, in den deine Psyche verschwinden wird. Also betest du zu dem Einen, du bist in Kommunion mit diesem Einen. Du verbindest dich mit der großen Andersheit, mit welcher verglichen du winzig bist. Eine Weite, die unvorstellbar ist, welche auf dich zurückschaut von einem Ort, der jenseits deines Todes ist, vor deiner Geburt, zeitlos, geduldig und alles annehmend. Dessen Natur Liebe ist, die aber auch zutiefst ernst ist und sich gewahr aller Realitäten des Todes und des Leidens ist, die nicht getäuscht wird und nicht leichtfertig ist, sondern tiefgreifend. Du bist in einer Verbindung damit und da ist ein großer Reichtum im GEIST, welcher weitergehen kann in dieser Beziehung, die wir erforschen können, zwischen uns selbst und dieser Andersheit, selbst im Wissen, dass wir und das Andere in manchen Momenten in non-dualer Soheit verschwinden werden. Viel von unserem eigenen Wachstum kann angestoßen werden, indem wir unsere beziehungsorientierten Funktionen durch diese 2. Person Spiritualität nutzen, auf eine Weise, die mit 1. und 3. Person Spiritualität nicht möglich ist.
D: Das war eine meiner Fragen. Es klingt jedenfalls wie eine Antwort auf eine meiner Fragen, welche im Wesentlichen aus dem Dilemma bestand, das ich hatte, als ich annahm, dass es eine überlegene Form von Spiritualität gibt, eine non-duale Spiritualität, weil jede 2. Person Beziehung eine illusionäre Trennung erzeugt. Ich dachte dann, dass diese einer non-dualen 1. Person Spiritualität irgendwie unterlegen ist. Aber du sagst, es hat immer noch seinen Wert und seinen Platz und kann uns verschiedene Perspektiven auf das Leben geben und uns helfen, den Reichtum der Erfahrung selbst wahrzunehmen.
T: Absolut. Ich sehe es folgendermaßen. Ich denke, dass viele große Wesen einem Pfad gefolgt sind, der hauptsächlich ein 1., 2. oder 3. Person Pfad ist und sie wurden tief Verstehende und sind in Kontakt gekommen mit dem Mysterium jenseits aller Perspektiven. Sie sind mit dem Einen auf eine Weise in Kommunion getreten, die große Weisheit, Schönheit und Güte in allen möglichen Weisen gewährt. Aber es ist besser – jetzt wo wir diese Bewusstheit haben – einen Ansatz für unsere spirituelle Praxis zu haben, der zumindest essentiell informiert ist durch den Geist aller drei Modi der Spiritualität. In der Art, dass selbst, wenn unser Pfad hauptsächlich ein 1. Person Pfad ist, dieser informiert ist durch 2. und 3. Person Spiritualität.
Es kann angemessen sein, alle drei gleichzeitig zu verfolgen und jeden davon zu kombinieren, Synergien zu erzeugen und sie sich gegenseitig bereichern zu lassen. Das ist eine neue Möglichkeit, die viel reichhaltiger wird durch eine integrale Spiritualität. Das ist ebenfalls wunderbar.
Es ist von einer integralen Perspektive aus wichtig zu wissen, dass jede dieser Perspektiven eine optische Illusion ist. Dass Geist in Wahrheit jenseits aller Perspektiven ist. Aber informiert durch die Reichhaltigkeit, die möglich ist durch die 1., 2. und 3. Person, können wir alles, dem wir nachgehen, in einer reichhaltigeren Weise praktizieren.
Mit diesem Wissen als Hintergrund haben die meisten ernsthaft Praktizierenden, die ich in der integralen Gemeinschaft antreffe, eine stärker entwickelte 1. und 3. Person Spiritualität, als eine 2. Person Spiritualität. In den meisten Fällen ist die Entdeckung und Erforschung einer reicheren 2. Person Spiritualität eine großartige Möglichkeit – die [sprichwörtlichen] Diamanten an den Schuhsohlen, der Ansatzpunkt für eine tiefgreifende Bereicherung des spirituellen Lebens der Menschen.
D: Ja, für mich war es ebenfalls eine Offenbarung. Ich bin genau die Art von Praktizierendem, die du gerade beschrieben hast, als Zen-Praktizierender und jemand, der über wissenschaftliche Ideen derEinheit Bescheid weiß. Aber als ich die 2. Person Spiritualität kennen gelernt habe, dachte ich, wow, hier fehlt mir total etwas – etwas, das ich erforschen kann und aus dem ich wirklich etwas ziehen kann. Ich bin sehr neugierig das weiter zu erforschen, denn ich kenne nur die 2. Person Spiritualität Linie, die auf einem gewissen Level aufgehört hat und auf dem mythischen Level verworfen wurde. Das ist alles, was ich über 2. Person Spiritualität weiß.
Es scheint eine großartige Öffnung zu sein und eine Offenbarung ist möglich.
T: Yeah, yeah, yeah! Genau so! Das ist großartig.
D: Also eine letzte Frage, vielleicht, oder auch zwei. Bezogen auf die Praxis, die du beschrieben hast, siehst du einen integralen Trans-Pfad jenseits aller traditionellen Pfade evolvieren und wie wichtig wäre es für solch einen Trans-Pfad in einer bestimmten Tradition verwurzelt zu sein?
T: Das ist sehr reichhaltig. Ich sehe einen integralen Trans-Pfad emergieren und ich denke, es ist der integrale Ansatz, der explizit die Wahrheiten und Werte der traditionellen, modernen und postmodernen Ansätze anerkennt und von ihnen allen bereichert wird. Daher schließt das christliche, jüdische, buddhistische, hinduistische, islamische, sufische, konfuzianische und taoistische Einflüsse ein, alle Strömungen aller großen und kleinen Traditionen.
Nicht zu vergessen Schamanismus und Atheismus, jede Quelle ist informierend, selbst und besonders die wissenschaftliche natürlich. Worüber wir hier sprechen ist ein Trans-Pfad, der also kein Integrales Christentum oder Integraler Buddhismus sein würde, es wäre das Integrale als ein Pfad. Auch das Integrale als ein Pfad wäre informiert durch Einflüsse des Christentums, Buddhismus und jeder möglichen Quelle, aber es neigt dazu das Erbe dieser Art von Konversation, die wir gerade führen, zu sein, welche explizit integral ist. Das Buch Integral Life Practice ist ein Ausdruck einer integralen Konstruktion eines solchen Pfades. Es ist also ausdrücklich transrational, es kreiert seine Weltsicht ausdrücklich von einer Position, die kosmozentrisch ist und leitet den Grund, auf dem es steht, nicht von etwas Altertümlichem ab.
Es würdigt die alten Wurzeln, aber er gründet sich selbst in der größeren Sicht, die möglich wird, sobald integrales Bewusstsein auftaucht. Jetzt taucht dieser Pfad auf natürliche Weise auf. Es ist noch nicht so sehr ein Pfad, es war bisher primär eine Philosophie und eine Theorie. Darüber gesprochen hat Ken Wilber mehr als jeder andere, und die Ausdrucksformen des Integralen sind sehr von ihm beeinflusst. Aber es gibt potentiell viele andere Ausdrucksformen, besonders jetzt, wo wir beginnen einige zusätzliche Philosophen zu sehen und andere integrale Figuren. Es wird zu einer Welle, mehr ein generelles Phänomen, und nicht einfach beeinflusst von ein oder zwei Hauptdenkern. Ich denke, das wird sich fortsetzen.
Was zu emergieren beginnen wird, ist eine Spiritualität, die mehr als alles andere den Geschmack von Modernismus haben wird. Sie wird hauptsächlich rational sein. Unsere Diskussion heute hat an jedem Punkt auf rationale Rechtfertigungen zurückgegriffen. Als ich gerade die 2. Person Spiritualität erklärt habe, zeigte ich auf, wie 2. Person Spiritualität Sinn machen könnte für den kritischen Intellekt, den inneren Atheisten. Er (der Trans-Pfad, Anm.d. Ü.) ist fundiert in der Vernunft, basiert auf Evidenzen und ist geprägt von allen wahren, wenngleich partiellen Perspektiven der Menschheit und umarmt explizit alles Gesehene durch das Einschließen von ihnen allen. Diese Art von Weg existierte bisher nicht. Von allem, was wir bisher hatten, kommt ihm wohl die Wissenschaft am nächsten.
Soweit du real bist und dich dieser Seite des Mysteriums der Existenz zuwendest, als wärest du real, ist das Eine, dem du dich zuwendest, genauso real wie du.
Ich denke, dass die integrale Spiritualität von Natur aus vernunftbasiert sein wird. Deswegen sind Dinge wie Quantenphysik, Relativitätstheorie und der Kosmos durch das Hubble Teleskop gesehen einige der wichtigsten Anker dieses neuen Trans-Pfads. Die Generalisierungen, die sich aus vergleichenden Studien der menschlichen Entwicklung und der Religionen und spirituellen Pfade ergeben, bieten Meta-Perspektiven, die der Kern der integralen Spiritualität werden.
Integrale Spiritualität wird sich vor allem in den älteren, früheren Entwicklungsstrukturen erden müssen. Sie wird sich in dem erden müssen, was es braucht, um zu überleben und Menschen auf niedrigeren Stufen zu begegnen. Sie wird in ihrer Kindheit durch eine Periode gehen – man könnte sagen, diese emergiert noch und ist jetzt vielleicht in der frühen Kindheit. Sie kreiert sich grundlegend als ein neues Phänomen, etwas das in der Welt vorher nicht wirklich aufgetaucht ist. Sie unterscheidet sich von allem, was vorher aufgetaucht ist. Das ist es eigentlich, was Ken Wilber so brilliant gemacht hat und warum er so eine wichtige Figur in der Geschichte der Kultur ist und ganz sicher während der Geburt eines neuen Trans-Pfades. Aber die nächste Phase wird sein, organisch das Yin zu diesem teleologischen Yang zu manifestieren. Diese Ausdrucksformen zu inkarnieren und zu verkörpern in Weisen, die diese mit den Lebensumständen verbinden, welche noch gelegentlich auftauchen und mit den frühen Ebenen der Entwicklung korrespondieren.
Der Integrale Pfad muss in sich die Kraft haben mit den brutalen Bedingungen zurechtzukommen, aus denen beiges, purpurnes, rotes und blaues Bewusstsein entstehen (ausgedrückt in Spiral-Dynamics Farben). Er muss dieses Fundament in all den frühen Lektionen haben, so dass, was er repräsentiert, nicht schwach und ungeerdet ist. So dass er Wurzeln hat, die so robust sind wie die Wurzeln des traditionellen Bewusstseins heute. Das wird eine lange Zeit brauchen.
Wir können sehen dass es selbst jetzt keine moderne Gesellschaft gibt, in der nicht bis zu einem gewissen Punkt eine Art Kulturkampf stattfindet. Es gibt normalerweise zumindest einige Mitglieder in jeder modernen Gesellschaft, die gegen den Verlust traditioneller Werte rebellieren und gegen den Verlust der Verbindung zu den traditionellen Strukturen, aber das muss stattfinden, während eine Kultur sich zu Modernität hinbewegt. Ich denke also, dass die Erfüllung der Moderne nur stattfinden wird,wenn wir eine Verbindung zur Spiritualität wieder hergestellt haben werden, die unser Wesen genauso inspiriert wie die traditionelle Möglichkeit inspirierte. Traditionelle Kulturen waren in der Lage großartige Kunst hervorzubringen.
Sobald wir modernes Bewusstsein hatten, waren wir nicht mehr fähig hohe Kunst zu schaffen. Und ich denke, dass die Erfüllung der Moderne nur in einer erwachsenen integralen Kultur kommen wird, welche ein paar Jahre in der Zukunft liegt. Es ist wirklich eine Vision – mehr wie eine türkise Kultur zu werden. Diese hat in sich Möglichkeiten und die Hoffnung eine neue Art höherer Kunst wiederherzustellen. Eine post-ironische Komplexität, die eine sehr nuancierte cross-paradigmatische Sicht der Existenz halten kann, aber uns gleichzeitig zurückbringt zu einem einfachen „Ja“. Zu einem Modell des Heroismus, der Fähigkeit mit unseren Füßen auf dem Boden zu stehen und in unseren Herzen verbunden zu sein mit allem, was wir sehen, und einem Verstand, der fähig ist die volle paradoxe Komplexität dieser sich rapide verändernden Welt, in der wir leben, zu umarmen. Das ist das Potential des Trans-Pfads.
Es mag sein, dass wir jetzt ein Schimmern davon sehen und dass es sich in unserer Lebenszeit mehr und mehr manifestieren wird, oder vielleicht braucht es auch Hunderte von Jahren, bis diese Vision sich realisiert.