Zusammengestellt von Michael Habecker
Einleitung
Eines der wichtigsten Anliegen von Ken Wilber auf dem Gebiet des Bewusstseins im weitesten Sinne ist es, die unterschiedlichen Ansätze, Erkenntnisse und Methoden dazu zu integrieren und Menschen verfügbar(er) zu machen. Schon sein erstes Buch, Das Spektrum des Bewusstseins, hatte dies zum Ziel. Seit dem hat Wilber unermüdlich die Grundlagenarbeit dazu vorangetrieben und den Dialog mit Menschen gesucht, die auf diesen Gebiet aktiv sind, ob aus einer spirituellen, entwicklungsstrukturalistischen oder psychodynamischen Richtung kommend.
Sein ebenso einfaches wie aussagenstarkes Konzept der „3 S“, als Zustände, Strukturen und Dynamiken des Bewusstseins (states, structures and shadow), gibt dabei eine allgemeine Richtung vor[1]. Während die meditativen Methoden Hervorragendes geleistet haben bei der Auslotung der Tiefe menschlicher Bewusstseinsinhalte, bis hin zur Leerheit einer Wahrnehmung ohne Inhalte, haben die psychologischen und psychchodynamischen Methoden enorm zum Verständnis von Bewusstseinsstrukturen (Meme, mindsets, Glaubenssätze, unbewusste Interpretationshintergründe) und Psychodynamiken beigetragen.
In einem Telefondialog von 2 Stunden und 45 Minuten sprechen Ken Wilber und Junpo Roshi über ein von Junpo und Keith Smith kürzlich veröffentlichtes Buch. Darin beschreiben die Autoren die Mondo Zen Praxis, als eine Praxis, die traditionelles Zen mit modernen psychodynamischen Techniken verbindet. (The Heart of Zen: Enlightenment, Emotional Maturity, and What It Really Takes for Spiritual Liberation von Jun Po Denis Kelly Roshi und Keith Martin-Smith)
Was ist Mondo Zen?
(aus: http://www.mondozen.org/)
Mondo Zen™ ist ein Update eines japanischen und chinesischen Zen für das 21. Jahrhundert. Mondo Zentranszendiert die hierarchisch/autoritären, gender-bevorurteilten und begrenzenden monastischen Aspekte des traditionellen Zen für ein konkretes und erfahrungsorientiertes Engagement „in der Welt“. Sich ausschließlich auf direkte persönliche Erfahrungen stützend – wie von Buddha selbst gelehrt – wird verhindert, dass mythische Konstrukte die philosophische Orientierung komplizieren. Derartige Glaubensvorstellungen und Konzepte (wie Reinkarnation, eine persönliche Seele, Bardobereiche, vergangene Leben, Schöpfergottheiten) zwängen unsere unmittelbare Erfahrung in einen Container vordefinierten Verstehens und nehmen uns so die Möglichkeit der Erfahrung tieferer Einsichten.
Unser Mondo Zen Ablauf beginnt als ein erster Schritt mit dem alten, erneuerten Pfad des Erwachens. Die Koan-Fragen, die wir in unserem Dialog stellen können, verwirren, weil sie darauf angelegt sind die eigene Philosophie zu dekonstruieren für ein neues philosophisches Verstehen und ein Erwachen in den klaren und tiefen Herz/Geist. Mit diesem zweiseitigen Verständnis – erfahrungsorientiert und philosophisch – erleben wir die Offenheit und angstfreie Stabilität in unserem gewöhnlichen Geist. Wir eigenen uns dabei eine neue Sprache an, als eine Sprache, die es uns ermöglicht, den klaren und tiefen Herz/Geist zu erkennen, zu verwirklichen und aufrecht zu erhalten.
Über Jun Po Denis Kelly
(http://www.mondozen.org/people/abbot-jun-po-denis-kelly)
Jun Po Denis Kelly erhielt seine Ordination als Zen Meister 1992. Er war Vizevorstand und Yoga Lehrer im Dai Bosatsu Zendo Kong Ji in den Catskill Mountains im Bundesstaat New York state von 1987 bis 1993. Seine Zen Linie ist die der Rinzai Tradition, vermittelt durch Eido Shimano Roshi von der Zen Studies Society. Seine Yoga Linie geht zurück auf BKS Iyengar and Patabi Jois. Jun Po praktiziert, studiert und lehrt Zen und Yoga seit über fünfundzwanzig Jahren.
(Seine Biografie ist 2012 erschienen unter dem Titel: A Heart Blown Open: The Life & Practice of Zen Master Jun Po Denis Kelly Roshi von Keith Martin-Smith)
Ein Update ist notwendig
Durch die Verbindung emotionaler Arbeit mit traditionellem Zen kann der Bewusstwerdungsprozess enorm beschleunigt werden. Wir haben uns entwickelt. Mondo Zen ist ein Update unter Beibehaltung der Essenz des Buddhismus. Die Lösung emotioneller Lebensprobleme hängt dabei unmittelbar mit der Fähigkeit zur Konzentration bei der Meditation zusammen. Deshalb braucht es beides – Meditation zum Halten von Wahrnehmungen, so unangenehm diese auch sein mögen, wie auch psychodynamische Methoden zum Gestalten dieser Inhalte. Konzentrationspraxis ist die Fähigkeit bei dem zu sein, was ist, und die Fähigkeit zu verstehen, was ist, und die Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten zu erkennen und einzusetzen, die wir dabei haben.
Der Buddhismus selbst anerkennt 3 Umdrehungen des Dharmarades, mit jeweiligen Weiterentwicklungen, die das Vorangegangene mit aufnehmen. Es geht darum die Lehren zu klären und zu transformieren als ein ethisches Mandat. Wie können wir uns und andere bestmöglich befreien?
Die Initiation von Jun Po als traditionellem Zen Meister brachte ihn in eine Krise, weil er mit dieser Initiation in der Linienfolge und Tradition gleichzeitig das ethnozentrische japanische Modell miterbte. Er fühlte sich darin gefangen und erlebte gleichzeitig viel psychodynamischen Schatten im Kloster. Als einzige „Lösungsmöglichkeit“ wurde angeboten (noch) mehr zu meditieren. Der Ausweg aus diesem Konflikt bestand für Jun Po darin aus dem Orden auszutreten, um Freiheiten für einen eigenen Weg zu finden.
Was für traditionelle Kulturen funktioniert, funktioniert (nicht mehr) in modernen und postmodernen Gesellschaften. Angst vor anderen Kulturen und Gleichgeschlechtlichkeit, starre Hierarchien und Rassismen sind gewaltige Schatten der Traditionen. Dafür gibt es dort hervorragende Zustandsverwirklichung. So können aus dem Mund eines Lehrers hintereinander ganz außerordentliche Erfahrungsberichte von Zustandsverwirklichungen kommen und ebenso auch kulturrassistischer, sexistischer, patriarchischer und homophober 2000 Jahre alter Unfug.
Die Traditionen und deren spirituelle Praktiken, das haben wir auf die harte Weise lernen müssen, sind unübertroffen, wenn es um die absolute Wahrheit geht – das Erwachen und die Vermittlung absoluter Wahrheit – shunyata, Leerheit, Soheit, Dharmakaya, Gottheit, unbegrenzter GEIST, en sof, moksha, Befreiung, Erleuchtung usw. Doch wenn es um relative Wahrheit geht, das endliche Selbst, Schattenarbeit, Sexualität, Beziehungen, mentale und emotionale Konditionierungen, Arbeit und Elternschaft, dann sind die Traditionen nicht annähernd so gut. Was wir brauchen ist eine Ausgewogenheit in beidem, dem Absoluten und den Relativen.
Psychotherapie und Zen zusammenbringen
Ein Schwerpunkt von Mondo Zen ist die Arbeit mit schwierigen Emotionen und deren Transformation. Diese Arbeit wird auf die Basislehre von Buddha zurückgeführt, wo es auch darum geht, eine tiefe und wahrhaftige Schau einzunehmen gegenüber dem Wesen und der Funktion von Gefühlen.
Die Transformation schwieriger Emotionen mittels emotionaler Koans
Gefühle werden als Information betrachtet, einschließlich der eigenen Reaktion darauf, körperlich und mental. Wut ein Gefühl zu nennen ist für Jun Po nicht richtig. Wut ist eine Reaktion auf ein Gefühl. Geht man tiefer in die Wut hinein entdeckt man vielleicht Angst, Trauer und Fürsorge. Das kann sehr kompliziert werden, je nachdem wie tief man in einer Neurose oder auch (hoffentlich nicht) in einer Psychose steckt. Doch diese Bewegung ist ganz wichtig. Niemand hat jedoch jemals jemanden dazu veranlasst auf eine bestimmte Weise zu reagieren. Ist man entsprechend trainiert kann man das tiefer fühlen, mit der entsprechenden Disziplin und den Verständnis dazu, und die Dinge können sich transformieren. Das hängt teilweise auch damit zusammen in der Lage zu sein, den eigenen Geist zu betrachten, durch Meditation den mentalen Prozess zu verlangsamen und so genauer festzumachen, was passiert – wie man selbst unbewusst wählt auf einen bestimmten Reiz oder eine Wahrnehmung zu reagieren, und man erkennt, dass dies eine Wahlentscheidung ist, die dahinter steht. Darum geht es bei den emotionalen Koans – zu sehen, dass wir diese Wahlmöglichkeiten haben und uns dann auch anders entscheiden und auch mit Alternativen experimentieren können.
Als ein Beispiel: Man tritt einen Hund oder schimpft auf Leute, die einen beim Autofahren schneiden. Wenn man das bemerkt, kann man sich entsprechend vorbereiten, und wenn eine gleiche oder ähnliche Situation erneut geschieht, tut man dann etwas anderes. Die eigene Konditionierung kann so überwunden werden. Diese Koans bereiten einen auf derartige Augenblicke vor – im Verhältnis mit dem Partner, mit Kollegen und Anderen. Diese Menschen werden zu Bodhisattwas, die einem auf dem Weg helfen. Diese Praxis verhilft einem auch zu einem neuen Verhalten. Praktiziert man das für eine Weile, geht es einem mehr und mehr in Fleisch und Blut über. Es kann jedoch 10, 20, 30 oder auch 40 Gelegenheiten brauchen, bevor dieser Übergang stattfindet.
Sex, Macht und Geld sind die Schattenthemen. Schattenarbeit ist auch geboten, wenn man die Koanpraxis richtig versteht und ernst nimmt. Wenn man seine Probleme kennen lernen möchte, braucht man nur zu schauen, wo der Schmerz, die Wut und das sich Abwenden im Leben sind. Auch Voice Dialog, als eine Konversation mit eigenen Selbstanteilen, ist dabei hilfreich, vor allem im Umgang mit den unangenehmen Teilpersönlichkeiten. Dann kann sich das Verhalten zeigen und die darunter liegende tiefere Wahrheit, das Muster.
Warum gibt es Schatten?
Auf der relativen Ebene gibt es diese enorme Angst vor Befreiung und Liebe, als die faszinierendste Wahrheit die es gibt. Warum? Dies ist ein erstaunlicher Teil der Selbstkontraktion. Ist es Teil des Absoluten, um spontan eine Welt manifestieren zu können? Das war eine große Diskussion zwischen Aristoteles und Plato. Aristoteles sagte, dass das Absolute nichts erschaffen kann, weil das Erschaffen können bedeuten würde, dass dem Absoluten etwas fehlt. Doch da dem Absoluten nichts fehlt, kann es auch nichts erschaffen. Doch Plato sagte, dass jedes Absolute, welches nichts erschaffen kann, einem Absoluten, das erschaffen kann, untergeordnet wäre. Und ja, das Absolute kann etwas erschaffen, es erschafft die gesamte Welt. Sie konnten sich jedoch nicht darüber einigen. Wilber denkt, dies ist das gleiche Thema. Diese negativen Aspekte scheinen in die Selbstkontraktion und das separate Selbst eingebaut zu sein, sie scheinen dazu zu gehören. Was wir uns daher von einer spirituellen Praxis erhoffen ist, dass diese sich dessen bewusst ist und darauf eingeht. Schopenhauer sagte, dass jeder Mensch eine Fähigkeit zu einer Art von moralischen Bewusstheit hat aus nur einem Grund – wir alle teilen ein und dasselbe SELBST. Man könnte daher sagen „behandle deinen Nächsten wie dich selbst, weil dein Nächster dein SELBST ist. Das ist der traditionelle Schritt von turya zu turyatita. In turya ist der Zeuge, mit einer subtilen Dualität, das beobachtende Selbst, welches alles beobachtet, was erscheint, ohne jegliche Beurteilung oder Identifikation, mit reinem Gleichmut. Doch es ist noch auf eine subtile Weise dualistisch, weil wir immer noch ein Subjekt haben, das auf alle diese Objekte schaut. Doch bei turyatita fällt der Betrachter weg und was bleibt ist Soheit und Istheit. Alles was erscheint, von Augenblick zu Augenblick, ist selbst-bewusst und selbst-befreit, doch es gibt keinen Betrachter mehr, kein Bezeugen, keine Getrenntheit. Wir sind nicht getrennt, niemals, wie können wir also in einer heiligen Harmonie miteinander leben? Das ist schwierig, wenn wir diese Verwirklichung nicht haben, und die Verwirklichung beinhaltet auch das philosophische Verständnis darüber. Erneut wird der Quantenphysiker Erwin Schrödinger zitiert: „Bewusstsein ist ein Singular, von dem kein Plural existiert.“ Und das reicht bis ganz nach unten auf der Entwicklungsskala. Sogar Atome haben Buddha-Natur, eine proto-proto Wahrnehmung wie jedes individuelle Holon. Das lässt sich direkt erfahren, es ist eine lebendige Wirklichkeit und nicht nur ein philosophisches Konzept.
Reaktive Muster
Niemand ist Verursacher für dich auf eine bestimmte Weise zu reagieren. Die Reaktionsmuster, die wie haben, sind gewohnheitsmäßige Wahlmöglichkeiten. Wir haben immer die Wahl. Niemand hat je verursacht, dass wir ärgerlich sind oder gewalttätig reagieren oder uns schämen, außer wir selbst. Hat man diesen Mechanismus einmal verstanden, und führt dann Injunktionen als Koans ein, als Situationen wo man sich ein neues Paradigma vorstellen kann, dann kann Transformation stattfinden.
Schattenarbeit in den kontemplativen Traditionen
Schattenarbeit in vielen Traditionen meint lediglich, man meditiert nicht genug. Dort gibt es viele Widerstände gegen psychotherapeutische Arbeit. Mondo Zen hat eine dialogische Praxis entwickelt. Dabei wird deutlich, dass jeder und jede selbst der Autor und die Autorin des eigenen Psychodramas ist und dies aufrechterhält. Dafür zahlen wir einen hohen Preis. Wir sind veränderungsunwillig als eine Hingabe an das eigene Ego. Wenn das einmal verstanden wird, dann kann sich die Tür öffnen für eine philosophische, neuro-linguistische und emotionale Restrukturierung und wir können damit experimentieren, was für uns besser funktioniert.
Das Ego
Oft wird das Ego (oder Ich) als nur schlecht angesehen. Doch das Ego ist sehr nützlich, solange man sich nicht ausschließlich damit identifiziert. Wir können, bei entsprechender Praxis undBewusstheit, beobachten wie das Ego in Erscheinung tritt, von Augenblick zu Augenblick, aus der Leerheit heraus. Wir verleugnen es nicht, wir lassen es einfach erscheinen so wie es ist, ohne Bewertung (was lediglich noch mehr Ego bedeutet). Wir begrenzen es nicht, wir transformieren es, doch wir lassen es erscheinen so wie alles andere auch, Berge, Bäume, Wolken und bringen einfach immer mehr Bewusstheit dorthin.
Eine der Methoden dabei ist eine Zeitreise zurück in den vorsprachlichen Bereich, wo das Ego noch nicht gebildet wurde, und sogar weiter zurück, wo noch kein Innen und kein Außen, noch kein Du und Ich existierte. So werden die entstandenen Gewohnheitsmuster des Ich, die sich gebildet haben, Schicht um Schicht zurückverfolgt. Der Controller als eine innere Stimme (voice) ist auch ein Skriptschreiber. Skripte lassen sich jedoch umschreiben.
Und wieder: Umgang mit schwierigen Emotionen
Im Zen geht es darum, den Geist so weit zu stabilisieren, dass wir auf Emotionen nicht reagieren. Sie werden bezeugt, ohne sich darauf einzulassen. Doch das ist nicht genug, weil die Konditionierung nach wie vor besteht. Eine Transformation hat noch nicht stattgefunden, und daher ist diese Situation vergleichbar mit der eines trockenen Alkoholikers, der durch eine Willensanstrengung gelernt hat das erste Glas stehenzulassen, aber nicht an die Ursachen geht, die ihn überhaupt zum Trinken gebracht haben. Doch worum es wirklich geht ist, gewohnheitsmäßige negative Muster in erleuchtete Aktionen zu transformieren. Man kann sich selbst nicht aus einer emotionalen Reaktivität herausmeditieren. Das ist lediglich Unterdrückung oder Umgehung (bypassing). So entsteht eine Zen-Krankheit, als ein cool bleiben bei allem was geschieht, aber ohne sich oder etwas zu transformieren. Es geht nicht nur um Transzendenz, es geht um Transformation. Eine Grundfrage dabei ist: Was ist die Information eines Gefühls? (Nicht: Was ist die Reaktion auf ein Gefühl – Feindseligkeit, Scham, Wut, Gewalt), sondern: Was ist die Information in dem Gefühl (z. B. „ich möchte das nicht, ich habe Angst …“). Dies gilt es zu verstehen anstatt es zu unterdrücken. Es geht darum dabei zu bleiben und sich die Zeit nehmen, die Information daraus zu erhalten, auf die ich reagieren kann, von einer anfänglichen Reaktivität hin zu einer intelligenten Verantwortlichkeit als eine Wahlmöglichkeit. Es geht um eine willentliche Hingabe.
In diesem Zusammenhang wird das Buch Zen, Nationalismus und Krieg erwähnt, als ein Beispiel dafür wie verwirklichte Zen Meister in Japan sich ihrer eigenen nationalistischen Strukturen und Reaktivitäten nicht bewusst waren[2].
Die Neuentdeckung der Koan Praxis
Im Mondo Zen werden in einer dialogischen Praxis einige Hauptkoans eingesetzt. Traditionell kann es mehrere Jahre dauern ein Koan zu lösen – bis Subjekt und Objekt zusammenfallen. Es geht darum, durch die Konzentration auf ein Koan in einen samadhi Zustand zu kommen, so dass die Antwort auf eine Koan Frage aus diesem Zustand kommt. Im Mondo Zen wird ein Koan gegeben und darüber gesprochen, und dann wird die Antwort gegeben und darüber gesprochen. Wilber erwähnt in diesem Zusammenhang seinen Aufsatz zu einer integralen Semiotik[3]. Diese lässt sich auch auf spirituelle Erfahrungen anwenden, die ebenso referenzierbar sind wie jede andere Erfahrung und daher keineswegs unausdrückbar sind. Etwas in jedem Menschen ist schon gegenwärtig, auch wenn es nicht bewusst ist. Doch es kann durch ein Bezeichnen und darüber sprechen bewusst werden, und Jahre der Übung können abgekürzt werden (Mondo im Japanischen heißt Konversation).
Die Koans des Mondo Zen
Der zweite Teil des Dialogs ist der Diskussion der Koans des Mondo Zens gewidmet. Dabei muss klar sein, dass es dabei nicht um 13 einfache Antworten auf 13 gestellte Koans geht, sondern dass der gesamte Prozess, der hier besprochen wird, ein längerer Vorgang ist, der viel Praxis, Übung und Ausdauer erfordert. Die ersten Koans unterstützen Menschen dabei, ein Gewahrsein des Absoluten aufzubauenund zu stabilisieren, und die letzten Koans sind – als emotionale Koans – dazu da, schwierige Emotionen zu transformieren.
Koan 1: Ist es möglich wahrhaft zuzuhören?
Kannst du zuhören ohne eine Meinung oder Wertung dazu? Gibt es reines Zuhören? Kannst du z. B. einen Glockenton hören, wie er in einem größeren Bewusstsein erscheint?
Koan 2: Wo ist dieser Klang in deinem Körper lokalisiert?Als Übung dazu wird der Klang im eigenen Körper lokalisiert. (Oft im Herzen, manchmal auch im Bauch). Es geht um die Erfahrung dieses Ortes. Oberflächliches Hören findet meist im Kopf statt. Es wird auf Unterschiede geachtet: Hören mit dem Herzen, dem Bauch, dem Kopf. Es muss nicht im Herzen sein – wo immer es ist, ist OK. Es geht um das Hören. Ein Zuhören ohne eine Meinung ist sehr tief.
Koan 3: Wer bist du – wer bin ich?
Wer bist du, in der größten Tiefe deines Herzens und deines Geistes? Die übliche Antwort darauf ist das, was man dabei denkt und fühlt. Doch der oberflächliche Geist ist eine Konstruktion an der Oberfläche des Bewusstseins. Geht man jedoch tiefer, entdeckt man dass es kein Konstrukt mehr gibt, keine Struktur. Hier entsteht eine ewige Stille. Sagt man nun auf die Frage „wer bist du? „Ewige Stille“ aus einem samadhi heraus, dann ist das immer noch eine Kontextualisierung, und das ist OK. Geht man noch tiefer, gelangt man zum Nichtwissen wer oder was man ist. Doch auch das kann man sagen – Nichtwissen –, doch die entscheidende Frage ist: Was ist damit gemeint? Es kann sich lediglich um ein weiteres Gefühl oder um eine philosophische Vorstellung handeln, und das machen viele.
Wilber erwähnt 2 Bücher von Katagiri Roshi: return to silence und you must say something. Dies deckt beides ab. Das Nichtwissen selbst hat noch kein Buch geschrieben – doch wenn man diese Erfahrung gehabt hat, dann gibt es so viel darüber zu sagen. Dazu müssen wir zum Oberflächenbewusstsein zurückkehren. Das nun neu informierte Ich geht wieder online. Die Frage ist dann: Bleibt man erwacht zu dieser tieferen Bewusstheit, wenn man sich wieder seines Ich bedient? Ist dieses Ich von der Leerheit informiert? Dies ist der Beginn von Nichtdualität.
Koan 4: Dieses Koan differenziert zwischen einem Nichtwissen und dem konkreten „ich weiss nicht“ (und arbeitet damit).
Beschreibungen dazu gibt es in den Traditionen mit Begriffen wie „Die Wolke des Nichtwissens“, „göttliche Unwissenheit“ oder „der nichtwissende Geist“.
Koan 5: Was genau ist dieser Zustand (und nicht: was erscheint dort)?
Hier geht es um ein Sprechen aus der Leerheit heraus – unter Verwendung von Signifikanten, welche diesen Zustand direkt beschreiben – wie Unermesslichkeit, Stille, Zeitlosigkeit, Angstlosigkeit, Bewusstheit …
Es ist nicht so, dass keine Angst in diesem Zustand erscheint. Was nicht erscheint ist die Reaktivität auf die Angst. Wenn Angst in einer unermesslichen leeren Geräumigkeit erscheint ist es einfach so – es gibt keine Angst, welche diese Unermesslichkeit übertreffen könnte.
Dies sind beispielhafte Signifikanten – es müssen nicht die genauen Worte verwendet werden, es können auch Synonyme sein. Hier wird eine Art philosophische Basis geschaffen – ich existiere grundlegend als unermessliche, stille, reine Unzerstörbarkeit und mitfühlende Bewusstheit. Das BIN ich, und ich existiere gleichzeitig als ein konditioniertes Ich. Die Frage ist: Woraus orientiere ich mich?
Der Argumentation Nagarjuna folgend haben alle Konzepte eine Bedeutung lediglich in Bezug auf ihr Gegenteil – doch das Absolute hatkein Gegenteil und ist daher nicht zu beschreiben. Dennoch: to name the depth is to claim the depth (die Tiefe zu benennen bedeutet, sie zu beanspruchen).
Koan 6: Lass die Wortenun los und drücke deine neue Einsicht aus in einer stillen Geste verkörperter Bewusstheit.
Zeig‘ es mir – über die Augen, den Körper, die Hände, eine Bewegung!
Koan 7: Wähle einen Namen für diesen tiefen Herz/Geist und beziehe dich über diesen Namen darauf.
Dies kann eine der Bezeichnungen sein, als ein Signifikant aus Koan 5. Es kann aber auch ein anderer Name sein. Der eigene Name kann eine Erinnerung daran sein, jedes Mal wenn man ihn hört oder ausspricht, als eine Erinnerung an die Anwesenheit von Herz/Geist. Durch das Wiederholen wird der Zugang mit der Zeit immer leichter. Ein Signifikant ist signifikant! Er erinnert uns. Statt eines toten philosophischen Konzepts ist er eine lebendige Antwort, ein Trigger.
Koan 8: Kommt und geht ein klarer Herz/Geist?
Das Ich kommt und geht, aber nicht der klare Herz/Geist. Das ist die Essenz von dem was viele Meister lehren. Wir waren schon immer frei, immer schon erleuchtet. Die Unerreichbarkeit des erleuchteten GEISTES kommt nicht und geht nicht, hat keinen Anfang in der Zeit und kein Ende, man ist sich dessen schon seines gesamten Lebens bewusst – das ist schockierend, wenn dies erkannt wird. Das Ego jedoch kommt und geht ständig.
Koan 9: Wie kannst du dir sicher sein dass dieser tiefe Herz/Geist real ist?
Wir müssen für uns die Entscheidung treffen in dieser Wahrheit zu leben, darin zu erwachen. Das erste was dabei zu tun ist sich dafür zu entscheiden. Es ist auch eine Bereitschaft zu sterben. (Dahinter steht ein Widerstand sich zu ändern). Es geht um beides, Hingabe und Wille. Eine Hingabe der Perspektive und ein sich dafür entscheiden. Es ist wichtig immer wieder mit dem Controller Kontakt aufzunehmen und zu sprechen – sich immer wieder dafür zu entscheiden, zu trainieren und sich gegen die eigene neurobiologische Matrix und das eigene egozentrische Ich-Konstrukt zu entscheiden. Eine Meditationspraxis bleibt dabei wichtig. Mondo Zen bringt einen Geschmack, der als Motivation dienen kann in sesshins zu gehen und die meditative Praxis zu vertiefen.
Koan 10: Welche Gefühle erscheinen, wenn du dieses Verstehen erfährst?
Es ist ein gutes Gefühl, das nicht vom Ego kommt, sondern durch das Ego hindurch erscheint. Mit immer mehr Praxis wird dieser Zustand stabil. Eine Analogie dazu ist die eines klingelnden Telefons. Gefühle sind wie Telefonanrufe, welche Informationen bringen. Es geht um die Information, die in diesen Anrufen liegt. Man entdeckt sie, legt dann den Hörer auf und wählt eine Reaktion darauf. Geistvolle Antworten entwickeln sich so immer mehr, wenn das emotionale Telefon klingelt. Wichtig dabei ist auch der Unterschied zwischen Schmerz und Leiden. Schmerz ist einfach Schmerz ohne eine emotionale Ladung. Leiden entsteht, wenn mein Schmerz sich zusammenzieht zu Ärger oder Wut, woraus Gewalt entstehen kann, gegenüber mir selbst oder anderen. Mein Schmerz ist real, aber daran hängt kein Gefühl. Wenn ich erlaube, dass sich ein Gefühl daran hängt, entsteht Leiden. Für die meisten Menschen ereignet sich dieser Vorgang so schnell, dass sie sich dessen nicht bewusst sind. Doch es gibt die Möglichkeit, Schmerz frei von emotionaler Ladung zu erfahren – Aua ist einfach nur Aua weil es weh tut – doch „verdammt noch mal“ ist eine Reaktion auf diesen Schmerz. Dies ist der Schlüssel zu emotionaler Befreiung. Man kann auch von einer Selbstkontraktion sprechen, die zu Leiden führt. Schmerz passiert, aber Leiden ist eine Wahl und Entscheidung, die man trifft. Schmerz und Fühlen allgemein ist eine Information, das ist ein großer Unterschied. Die Reaktion darauf ist ein Ergebnis von Überleben und soziopolitischer Konditionierung. Der Schmerz ist eine Information, die uns einlädt diese zu untersuchen, doch unsere Intelligenz wird meist von unserer Reaktivität überrollt.
Koan 11: (als ein emotionales Koan): Hat jemand dich jemals geärgert, dich beschämt oder dich veranlasst dich abzuwenden?
Und die Antwort ist: Wissen/Nein. [know/no] Wissen steht für die Wahrheit des Ärgers als Klarheit und Nein für ein Leben als ein emotional-reaktives, eingesperrtes Wesen. Wir haben die Wahl. Die ersten zehn Koans bereiten uns darauf vor und dies ist ein gewaltiger Schritt. Hier entdecken wir, dass uns nichts ärgern oder beschämen kann. Es geht um Bezeugen und untersuchen. Beschämen geht dabei nach innen und Zorn nach außen. Was ist das Gefühl unter dem Zorn? Die meisten sagen: Angst. Was führt zur Angst? Manche sagen Kummer oder Traurigkeit. Und was treibt das alles an? Darunter liegt eine tiefe Fürsorge [care]. Ich sorge mich zutiefst um das was geschieht. Mit diesem Verständnis kann man dem Controller eine neue Definition für Zorn geben. Das ist die Information, die darin liegt. Auf diese Weise werden die Reaktionen zu den tieferen Gefühlen, die man hat, bewusst und es entstehen Wahlmöglichkeiten. Wenn man das hat ist man frei. Von da an muss man nicht mehr automatisch reagieren. Wird man es trotzdem weiter tun? Wahrscheinlich, doch jetzt gibt es Möglichkeiten für mehr Bewusstheit und andere Entscheidungen.
Jun Po:
Hinter dem Zorn ist Klarheit und tiefe Fürsorge – und keine Gewalt. Ich schlage nicht mehr und spucke nicht, ich bleibe wo ich bin, wende mich nicht ab, verstecke mich nicht. Esist vorbei. Ich gehe aus der Co-Abhängigkeit heraus. Als mein Geliebter oder meine Geliebte – rede mit mir. Als mein Bruder, rede mit mir. Kein Missbrauch mehr, keine Beschämung. Begegne mir in Liebe, in unbedingter Liebe.
Das ist das, was wir erreichen können, wenn wir unser Verständnis über das Wesen und die Funktion der Informationen, die in Gefühlen stecken, ändern und die Reaktivität beenden.
Koan 12: Zeige mir die intensive Klarheit, die immer erscheint, bevor du dich für eine negative emotionale Reaktion entscheidest.
Das geschieht immer. Zuerst ist es einfach nur eine intensive Klarheit. Hier untersuchen wir die Mechanik von Wahrnehmung. Zuerst ist die Erfahrung, die wird dann zu Daten, geht in die Erinnerung und sucht dort nach Bedeutung. Und dann kommt deine gewohnheitsmäßige Reaktion. Doch zu Beginn ist einfach nur Geräumigkeit. Mit Meditation und Achtsamkeitstraining übt man in dieser Lücke zu bleiben. So wird aus dummer Gewalt ein heiliger Zorn.
Koan 13: Stelle dir vor, wie du eine gewohnheitsmäßige negative Reaktion in eine bewusste mitfühlende Reaktion umwandelst.
Hier geht es um die Etablierung eines gesünderen „Koans“ für die Zukunft anhand einer konkreten eigenen Lebenssituation. Wo genau findet das im eigenen Leben statt? Jeder hat es, jeder hat diese reaktiven Situationen. Man kann visualisieren wie es besser geht und verschiedene Möglichkeiten durchspielen. So kommt man aus Ko-Abhängigkeiten heraus und ändert das Spiel. Das kann schwierig sein für die bisherigen Spielpartner, welche die alten Muster erwarten.
[1]Siehe hierzu (Link zum Artikel integrale Psychologie)
[2]Siehe die ausführliche Besprechung dieses Buches im der Ausgabe 16 des Online Journals.
[3]Siehe die ausführliche Besprechung dieser Veröffentlichung in der Ausgabe 45 des Online Journals.
(aus: Online Journal Nr. 47)