Eine Entwicklungslinie für Paare

Beziehungen

Eine Entwicklungslinie für Paare

Tom Habib

Integral Leadership Review Integral Publishers
Integral European Conference Published August-November, 2016 Revised April, 2018

Aus einer integralen Perspektive wird eine Entwicklungslinie für Paare vorgeschlagen. Diese Entwicklungslinie legt die Entwicklungsstufen und Aufgaben für jede Stufe fest und beschreibt kulturelle Botschaften, die die Entwicklung behindern. Sie enthüllt die Natur und die Auswirkungen eines integralen Konzepts, das als Prä-/Trans-Verwechselung bezeichnet wird und einzigartig für frühe intime Beziehungen ist, und zeigt, wie dies oft zu einer stockenden Entwicklung in der zweiten und dritten Phase führt. Sie lokalisiert die Bemühungen von Therapeuten, die eine kombinierte Therapie anbieten, identifiziert entwicklungsorientiertes Kompetenztraining und gibt sowohl Paaren als auch Therapeuten die dringend benötigte Richtung für zukünftiges Wachstum vor. Sie lokalisiert auch Strukturen im rechten unteren Quadranten (Unten-Rechts-Quadranten, UR), die „Regeln für den Weg“ vorgeben, wodurch die Stabilität der Beziehung verbessert und der Paarentwicklungs-Prozess gefördert wird. Die Entwicklungslinie für Paare erkennt die Notwendigkeit an, kulturelle Botschaften im linken unteren Quadranten (UL) zu dekonstruieren, die irreführend sind und einer größeren Intimität im Wege stehen. Schließlich wurde versucht, eine vorläufige empirische Überprüfung der Prä-/Trans- Verwechselung vorzunehmen.

Prä-/Trans-Verwechslung
Erste Stufe: Sicherheit und Anziehungskraft
Zweite Stufe: Rollen-Phase
Dritte Stufe Beziehungsstufe (Relationale Stufe)
Vierte Stufe: Erste Liebe
Fünftes Stufe: Die spirituelle Phase
entwicklungslinie fur paare

Stellen Sie sich vor, Sie sind krank, aber sie haben diesen wunderbaren Nachbarn, der in die Apotheke geht, um Medikamente für Sie zu holen. Er hat auch Ihr Mittagessen gekocht, ein paar Ladungen Wäsche gewaschen, Ihre Kinder gefüttert und Ihr Haus gesaugt. Die meisten von uns würden denken, was für ein toller Nachbar! Unser Maß an Wertschätzung und unsere Entschlossenheit, dies zu erwidern, sobald es uns besser geht, wäre dauerhaft und riesig.

Denken Sie jetzt an Ihren vertrauten Partner und beachten Sie die Ähnlichkeiten in seinen Bemühungen, die er Tag für Tag unternimmt, um ein Leben mit Ihnen aufzubauen. Ist die Wertschätzung und Dankbarkeit, die Sie Ihrem Partner gegenüber empfinden, auch nur annähernd so groß wie bei dem hypothetischen „großartigen Nachbarn“?

Viele Therapeuten, die eine Paarberatung durchführen, haben wahrscheinlich beobachtet, dass ein durchschnittliches Paar 85% seiner Interaktionen gut durchführen kann, doch die weniger perfekten 15% werden zu einem unverhältnismäßig beachteten Hauptaugenmerk ihrer Bedenken und negativen Gefühle bezüglich ihrer Beziehung. Was ist es, das unsere Gefühle der Dankbarkeit, die wir so leicht für unseren „großartigen Nachbarn“ empfinden würden, stört? Ich möchte vorschlagen, dass diese Neigung zur Enttäuschung zum Teil aus einer kollektiven Liebeserwartung herrührt, die hochgradig erotisiert und gleichzeitig wenig einfühlsam ist. Und warum? Weil zu viele von uns rückwärts blicken in dem vergeblichen Versuch, das frühe Stadium der (hier so bezeichneten) „romantischen Liebe“ wieder aufzunehmen. Eine Liebe, nach der wir uns chronisch sehnen und die unseren Blick in die falsche Richtung lenkt. Die „romantische Liebe“ hat wirklich die Fähigkeit zu dieser Ablenkung.

Diese „romantische Liebe“ ist zugegebenermaßen eine wunderbare Erfahrung. Eine Liebe, bei der das berauschende Gefühl nicht nur Minuten, sondern Stunden andauert. Eine Liebe, die uns umhüllt und unsere Gedanken den ganzen Tag über durchdringt. Eine Liebe, die auf einer tieferen Ebene gefühlt wird. Eine Liebe, die wir niemals aufgeben wollen und von der wir hoffen, dass sie immer weiter brennt. Eine Liebe, die frei ist von der erstickenden Dosis der Realität, die über kurz oder lang auf uns zukommt (Bonds-Raacke, et al., 2001). Eine Liebe, die nur in den frühesten Phasen der Intimität existieren kann, vor unserer Vertreibung aus dem Garten Eden, bevor wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Um unser Verständnis der fesselnden Kraft dieser Stufe zu fördern und ihren einschränkenden Einfluss zu vermeiden, müssen wir die allgegenwärtige kulturelle Botschaft der Prä-/Trans-Verwechslung (Wilber, 2000) und die Auswirkungen auf die innige Beziehung in Betracht ziehen.

Prä-/Trans-Verwechslung

Eine Prä-/Trans-Verwechslung ist die irrige Deutung, dass ein Verhalten, ein Motiv oder ein Verständnis von einem höheren Entwicklungsstand einer Person oder eines Paares ausgeht als es tatsächlich der Fall ist. Die Prä-/Trans-Verwechslung wurde in der integralen Theorie von Ken Wilber (2000a) beschrieben. Wilber zitiert häufig narzisstische Babyboomer mit Autoritätsproblemen, die nichtsdestoweniger Frieden, Liebe und Harmonie verkünden, als ein Beispiel für ein Individuum oder eine Gruppe, die unter den falschen Schlussfolgerungen eines Prä/Trans- Verwechselung operieren. Er führt auch religiöse Fanatiker an (die eine Botschaft der Liebe verkünden und doch dabei oft andere verurteilen) und den katastrophalen deutschen Nationalismus der 1930er Jahre ( in dem verhängnisvollen Glauben, sie würden eine bessere Gesellschaft aufbauen) als Beispiel für ein fehlgeleitetes prä-transzendentes Denken. Wilber (2000a) warnt davor, dass ein Prä/Trans- Verwechselung auftritt, wenn man emotionale Schwärmerei, die durch körperliche Empfindungen ausgelöst wird, mit den viel ausgereifteren Fähigkeiten von Empathie und Verständnis verwechselt. Dieser Artikel schlägt vor, dass ein ähnliches Fehlverständnis die Entwicklung von Einfühlungsvermögen und Verständnis bei vielen Paaren behindert und noch andere negative Folgen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene hat.

Ein fünfstufiges Modell für eine Entwicklungslinie für Paare ist in Abbildung 1 dargestellt. Es stellt die Hypothese einer Prä-/Trans- Verwechselung auf, die von den vorherrschenden kulturellen Werten des UL-Quadranten herrührt, sich negativ auf die intime Beziehung auswirkt und dadurch die Paarentwicklung hemmt. Unbestreitbar untergräbt sie die Paarzufriedenheit, die Stabilität der Dyade und in der Folge die Familie. Die Populärkultur treibt diese Phantasien an, und wir werden von der irrigen Vorstellung von der Nachhaltigkeit der frühen Romanze geblendet. Unverkennbare und unablässige UL-Botschaften in Werbung, Filmen, Liebesromanen, Modestilen, plastischer Chirurgie und eine hochgradig erotisierte und romantisierte Interpretation von Beziehungen verfestigen die irrige Erwartung. Die kulturelle Botschaft führt zu der Annahme, dass wir im Paradies der frühen Romanze bleiben können, in den zugegebenermaßen wunderbaren ,,subjektiven Gefühlen, die stark durch den Sinnesapparat des Menschen gesteuert werden“ (Wilber, 2001).

Allerdings informieren uns andere Entwicklungslinien, dass diese Erfahrung nicht „nachhaltig…oder wiederherstellbar“ ist (Wilber, 2006). Unzählige Paare blicken unbewusst zurück, in die falsche Richtung, in einem vergeblichen Versuch, diese Erfahrung wieder zurückzugewinnen. Was ist der Preis dieser gesellschaftlichen Fixierung auf dieses Stadium der Liebe, könnte man fragen? Ein schwarzes Loch, das für die meisten Paare effektiv den Fortschritt einfriert, sei es in der Rollen- oder in der Beziehungs-Phase, während die Liebe stagniert oder verdorrt. Paare wissen weder, wo sie die reiche Zustandserfahrung in der Vertrautheit suchen sollen, noch haben sie eine Richtung. Indem sie zurückblicken, um das Vergangene zurückzuerobern, anstatt sich auf das zu freuen, was zukünftig verwirklicht werden kann, erreichen viele Paare die vierte Stufe, die „Erste Liebe“, nicht.

Erste Stufe: Sicherheit und Anziehungskraft

Der Name dieser Phase fasst zwei der wichtigsten Erfordernisse zusammen, um eine Beziehung in Gang zu bringen. Es handelt sich um eine berauschende, tranceähnliche Erfahrung, die dazu dient, Paare zu verbinden, möglicherweise zu lebenslangen Einheiten mit dem Impuls der Evolution zur Sicherung der nachfolgenden Generation. Die Chemie verbindet sich mit idyllischer Hoffnung (und vielen anderen positiven Eigenschaften), um ein Paar darauf vorzubereiten, die Veränderungen und das Fortschreiten der Zeit in Kauf zu nehmen. Wenn die anfänglich entstandene Bindung stark genug ist und das Paar reif genug ist, wird es den Einbruch der Realität in den Traum überleben. Eine neue Romanze definiert sich durch eine traumartige Prä-/Trans- Verwechselung, die auf der untersten Stufe der Entwicklungslinie des Paares angesiedelt ist. Diese Verwechselung beginnt in der Frühphase von „Sicherheit und Anziehung“. Trotz der anfänglichen positiven Erfahrungen und Qualitäten befindet sich im Zentrum dieses Stadiums jedoch ein riesiges Eros-verzehrendes Schwarzes Loch, das das Liebespaar mit dauerhaftem Aufenthalt in einem Fegefeuer der Hoffnung (Habib, 2004) bedroht.

Zu den Phantasien, die als Folge der kulturellen Verblendung UL häufig erlebt werden, gehören unrealistische Romantisierung, typischerweise bei Frauen, und exzessive Sexualisierung, typischerweise bei Männern (Farrell, 1986). Kommerziell erfolgreiche Liebesfilme enthalten verschiedene Darstellungen dieser Phantasien und enden oft damit, dass sich das Paar im Schein der „Neuen Liebe“ sonnt; aber eben nur in der ersten Phase, „Sicherheit und Anziehungskraft.“

Die beiden Geschlechter bewahren ihre jeweilige Phantasie und gehen anscheinend davon aus, dass sie nachhaltig ist und sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben werden. Ihre Vorstellung ist, dass die höchste Stufe der Paarentwicklung gleich zu Beginn der Beziehung erreicht worden ist, und zwar allein dadurch, dass sie mit der richtigen Person zusammen gekommen sind.
In ähnlicher Weise haben viele Männer einen hocherotisierten Blick auf Frauen. Das Objekt dieser Phantasie wurde im antiken Griechenland in Gestalt der Aphrodite verkörpert. Es ist meine klinische Erfahrung, dass, wenn diese erotische Sicht auf die Frau in der Therapie mit einem Mann auf ihren Wirklichkeitsgehalt hin überprüft und dekonstruiert wird, Depressionen entstehen, Gefühle der Täuschung ausgesprochen werden und der Verlust der Phantasie akut betrauert wird. Sobald ein Mann diesen Prozess jedoch abgeschlossen hat, ist er in der Lage, seine Sexualität und Liebesgefühle wieder in seine Beziehung zu seiner Partnerin zu integrieren.

Wenn und falls die Männerbewegung jemals umfassend beginnt, sind diese erotisierten und Frauen zum Objekt machenden Ansichten wahrscheinlich ein wesentlicher Teil der emotionalen Arbeit, die es zu bewältigen gilt. Kenneth Clatterbaugh (2000) stellte fest, dass die Männerbewegung nicht in der Lage ist, Bodenhaftung zu erlangen, und sagte, sie sei in „ernsthaftem Niedergang“ und „durch Sektenkämpfe geschwächt… und nur noch in akademischen Abteilungen vorhanden“. Ich vermute, dass es immer noch starken unbewussten Widerstand dagegen gibt, die jeweiligen Phantasien aufzugeben, die von beiden Geschlechtern festgehalten werden. Diese frühen Beziehungsdynamiken sind hartnäckig festgeschrieben und in vielen Aspekten unseres sozialen Milieus stark verankert. Ohne eine wirksame Infragestellung der verwirrenden Kraft dieser UL-Phantasien, einschließlich der Prä-/Trans- Verwechselung, die die unteren drei Stufen besetzt, sind Paare nicht in der Lage, den Blick zu heben und eine alternative Richtung zu erkennen, in der die Liebe zwischen zwei vollständig verwirklichten und verkörperten Individuen wirklich wohnt.

Abbildung 1 skizziert die vorgeschlagenen Entwicklungsstadien von Paaren neben den individuellen Entwicklungsstadien von Terri O’Fallon (2010). Einige der Erfahrungen und Anforderungen, die mit O’Fallons einzelnen Stadien verbunden sind, wurden in die Erfahrung des Paares übersetzt, von der impulsiven Phase bis zur Phase des Konstrukt-Bewusstseins. Andere Themen, die für die intime Dyade einzigartig sind, wie z.B. die Prä-/Trans-Verwechselung und andere Entwicklungsaufgaben, sind in jeder Stufenbeschreibung enthalten.

Wie bei jeder Entwicklungslinie kann keine Stufe übersprungen werden, die Stufen entfalten sich sequentiell, und frühere Stadien sind zugänglich und verfügbar für diejenigen, die sich auf höheren Stufen befinden, z.B. bei der Rückkehr zu einer einfache Rollenzuweisung. Dieser Artikel ist ein Versuch) zur Identifizierung und empirischen Überprüfung einer in 2) vorgeschlagenen Entwicklungslinie, die nur für Paare gilt und aus dem UL-Quadranten hervorgeht.

Personal line of development acc to   O’Fallon, 2010

Couples Line of Development
(englisch im Original)

Entwicklung von Paaren

(Habib)

Universal /

Transpersonal

Spiritual

Non Dual

Transparency

Beloved

Spirituell

Non-dual

Transparenz

Voller Liebe

Construct Aware /
Strategist

First Love

Acceptance

Focus on Good

Contentment & Grateful

Erste Liebe

Akzeptanz

Fokus auf das Gute

Zufriedenheit & Dankbarkeit

Pluralist / Achiever

Relational

Flexible Roles

Communication

Exchange

Beziehungsorientiert

Flexible Rollen

Kommunikation
Austausch

Expert / Conformist / Rule Oriented

Roles

Husband/Father
Wife/Mother

Rollen

Ehemann/Vater
Ehefrau/Mutter

Ego Centric / Impulsive

Safety & Attraction

Sensation/Sexual

Emotion & Projection

Pre/trans fallacy (expulsion from garden of eden)

Sicherheit & Anziehung

Attraktion/Sexualität

Emotion & Projektion

Prä/Trans-Verwechslung

 

Zweite Stufe: Rollen-Phase

Die Rollen-Phase ermöglicht es dem Paar, mit der Bildung der notwendigen Strukturen zu beginnen, um die normalen Anforderungen des Lebens zu erfüllen, einschließlich der Grundbedürfnisse nach Nahrung und Unterkunft, die mit der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes verbundene Aufgabe zu erfüllen, sich auf Kinder vorzubereiten, Beziehungen zu Menschen außerhalb des Hauses wie Freunden und Familie zu pflegen und vieles mehr. In diesem Stadium beginnt das Paar, sich nach außen hin als Dyade zu präsentieren, und berücksichtigt mehr als nur individuelle Interessen. Bei gesunden Paaren gibt es ein Bewusstsein dafür, wer was tut, Überlegungen darüber, wie sich Veränderungen auf die Bemühungen des Partners auswirken könnten, und eine flexible und gerechte Arbeitsteilung. Diese Rollen können hierarchisch organisiert sein … nicht auf der Grundlage von Geschlechterrollen, die seit unzähligen Jahrtausenden verwendet werden, sondern eher auf der Grundlage von Erfahrungswerten, um zu entscheiden, wer möglicherweise besser führen und wer Unterstützung bieten könnte. Die Notwendigkeit dieser Rollen verschwindet nie (obwohl sie verändert werden), und auf den oberen Stufen werden diese Muster immer wieder genutzt.

Was die Rollen-Phase einleitet, ist die gelebte Menschlichkeit des Partners, im Guten wie im Schlechten, die uns alle von den leidenschaftlichen körperlichen Gefühlen und der gedanklichen Idealisierung befreit, die mit „Sicherheit & Anziehung“ verbunden sind. Dieser Übergang stellt für Paare eine besondere Herausforderung dar, zumal er häufig für das Ende der meisten Beziehungen mitverantwortlich ist, vor allem für diejenigen, die erst am Anfang des Dating-Prozesses stehen. Das heißt, eine Person entscheidet sich für die Flucht, anstatt die Einschränkungen dieser Phase zu akzeptieren. Toleranz für die Einschränkungen durch diese zweite Phase wird mit wachsender Erfahrung erworben, was die Aussichten (trotz der durch die Phantasien der ersten Phase geschaffenen Unstimmigkeiten) verbessert. Wie bereits erwähnt, wird die anfängliche Anziehung während der relativ kurzen Phase von “Sicherheit & Anziehung“ stark beeinflusst durch die körperlichen Empfindungen und die Chemie und die Entscheidung, als intimes Paar zusammenzukommen, erfolgt oft schnell und impulsiv.

In der Rollenphase sind Konflikte unvermeidlich, da die Beziehung auf einem rudimentären Wissen über den jeweiligen Intimpartner basiert, was zu einer eingeschränkten Einschätzung seiner Bedürfnisse und Perspektiven führt (O’Fallon, 2010). Es kommt unvermeidlich zu vorhersehbaren Unterbrechungen in der Verbindung (Hendrix, 2001). Die Deutung dieser Verminderung der Liebe wird stark durch die nicht erkannte Idealisierung und den projizierten Schatten jedes einzelnen Partners beeinflusst. Obwohl häufig erhebliche Liebesgefühle fortbestehen, wird doch die Sicht auf den Partner immer weniger idealisiert, was mit einer unvermeidlichen Abkühlung der positiven Zustandserfahrung einhergeht, die in der ersten Phase „Sicherheit & Anziehung“ empfunden wird.

Es gibt wenig Vorbereitung oder Unterstützung in unserer Kultur, um uns auf diesen Übergang von „Sicherheit & Anziehung“ auf die Rollenphase vorzubereiten oder um uns dabei zu unterstützen, auf eine höhere Stufe zu gelangen. Dies ist eine verpasste Gelegenheit, die Entwicklung von Paaren zu fördern, was die ganze Sache zusätzlich erschwert. All dies entfaltet sich innerhalb einer kulturellen Mythologie, die suggeriert, dass die gefühlsgeladene Romanze, die mit der Sicherheits- & Anziehungsphase verbunden ist, dauerhaft ist.

Zweifel und Angst, dass bei der Partnerwahl ein Fehler gemacht wurde, sind ebenso eine hartnäckige Phantasie wie der Irrglaube, dass alle anderen Menschen weiterhin in der Intensität der Phase „Sicherheit & Anziehung“ leben. Der ganze Kummer und diese Verwirrung sind unnötig, und sie könnten durch eine Anerkennung und eine Vorwegnahme des Übergangs von der ersten zur zweiten Paarphase ersetzt werden.

Ob man vorbereitet ist oder nicht, die Realität der Unvollkommenheiten des Ehepartners verbindet sich mit unseren eigenen Schwächen, die alle dazu geeignet sind, die idealisierte, wunderbare Trance der Sicherheits- & Anziehungsphase zu beenden. Damit beginnt die Rollen-Phase.

In dem Maße, wie sich der Schwerpunkt des Paares in die Rollen-Phase verlagert, oft innerhalb weniger Monate, sind sich viele, aber nicht alle, des Verlustes eines Teils der Wirkungskraft der frühen idealisierten Liebe bewusst. Paare können nun auch die Unterschiede zu ihrem Partner erkennen, und die Unstimmigkeiten eines zuvor angenommenen Zusammenpassens werden offensichtlich. Der Schwerpunkt wird zunehmend auf die Entwicklung notwendiger komplementärer Rollen wie Freund/Freundin, Geliebte/ Geliebter, Ehefrau/Ehemann, Mutter/Vater, Führungsperson/Unterstützer gelegt. Das Paar kann zunächst traditionelle Regeln und Muster übernehmen. Das gefühlte innere „Wir“ ist noch sehr unvollkommen und unentwickelt. Sehnsüchte sind stark, und wenn einander widersprechende Bedürfnisse auftauchen, werden sie ohne die etablierten Problemlösungsmuster ausgehandelt, die erst in der Beziehungsphase entwickelt werden können. In der Rollenphase kehren die frühen, starken positiven Gefühle, die mit der oben erwähnten Prä-/Trans-Verwechselung verknüpft sind, hin und wieder für kürzere Zeiträume zurück und scheinen wieder erreichbar zu sein. Aber der gleichzeitige Rückgang der Intensität weckt Zweifel und Ängste, während das Paar die beachtliche Arbeit leistet, die dyadischen Rollenmuster des UR zu etablieren.

Wenn das Paar den Übergang durch das frühe Rollenstadium übersteht, beginnt es, zurückzutreten und seine Wünsche und Verhaltensweisen zu überprüfen und einige der notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Die Qualität ihrer Selbst- und Partnereinschätzung verbessert sich, obwohl die Verzerrungsrate oder die Ungenauigkeit der Einschätzung immer noch recht hoch ist. Auf der positiven Seite gibt es geteilte und reifende Gefühle für die feineren Aspekte der Liebe. Diese Gefühle können sich um gemeinsame Ziele, behagliche Vertrautheit und schließlich um die Zuneigung zu ihren Kindern drehen, sofern sie welche haben. Das Rollen-Stadium war die höchste Stufe der intimen dyadischen Entwicklung in vielen Jahrtausenden. Für die meisten Menschen war dies alles, was es gab. In der späten Rollenphase beginnt das Paar, kulturell geprägte Vorstellungen (wie ein Paar zu sein hat) vom eigenen Bild seiner Paarbeziehung zu trennen und letztere zu entwickeln. Freunde und Familien werden in ihre Paarbeziehung integriert. Das Tempo des Wandels ist in dieser Phase rasant und kann sich chaotisch und erschöpfend anfühlen.

Es gibt in der Tat viele Paare, die sich mit einem Zustand zufriedengeben, der mit dem verbunden ist, was in diesem Stadium verfügbar ist: einen Partner zu haben, ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch.

Die Rollen-Phase wurde ab Mitte der sechziger Jahre, mit dem Aufkommen der Post-Moderne sehr infrage gestellt. In der Folge strebten viele den Aufbau einer Beziehung mit mehr Möglichkeiten und Flexibilität an, was zur Entwicklung der Beziehungs-Stufe führte. Ein eingespieltes Paar wird in keiner der beiden Phasen auf das Nachlassen der romantischen Liebe übermäßig reagieren, die sie noch in der Phase „Sicherheit & Anziehung“ so genossen haben. Masters (2012) hat vorgeschlagen, dass sie freilegen, konfrontieren und direkt mit dem arbeiten, was immer im Inneren unreif ist. Aspekte des OL wie z.B. die Entwicklungsgeschichte der einzelnen Partner, wirkt sich gleichzeitig auf den Erfolg des Paares aus. Das weniger gesunde Paar ist viel anfälliger für „ängstliche Reaktivität“ (Lerner, 2013). Beide müssen mit der klar wahrnehmbaren Verminderung der bisher bekannten Intensität (der Romanze) zurechtkommen, wenn sie an der Ernährung, Einkleidung und Unterbringung ihrer Familie arbeiten. In der späteren Phase dieser Stufe wird die Unabhängigkeit jedes Partners entstehen, die später als Quelle der Erneuerung dienen wird, wenn sich zwei Menschen zwischen den Polen Individualität und Gemeinschaft bewegen.

Eine potenziell schädliche Auswirkung von zu viel Unabhängigkeit in diesem Stadium führt zur Festlegung starrer Rollenmuster durch die Partner, die sich später als Konflikt manifestieren werden. Diese können ein Mutter/Sohn- oder Vater/Tochter-Muster beinhalten, das das Versagen des Paares widerspiegelt, das Vertrauen zu entwickeln, das mit größerer Verletzlichkeit und gegenseitigem Offenlegen von Bedürfnissen verbunden ist. Im späten Teil dieser Phase können diese Partner Probleme bekommen, einander ihre Bedürfnisse mitzuteilen bzw. zu klären, wessen Bedürfnisse Priorität haben. Insbesondere, wenn schon Kinder anwesend sind, wird das schwierig. Schließlich gibt es eine starke Tendenz, dem Partner die Schuld für das Scheitern von Interaktionen zu geben. Die Fähigkeit, auf die Beziehung von außen objektiv zu schauen, hat sich in dieser Phase noch nicht herausgebildet, was verzerrte Deutungen begünstigt, die den Konflikt oder den Rückzug schüren.

Dritte Stufe Beziehungsstufe (Relationale Stufe)

Wenn das Paar in der Rollenphase Stabilität erreicht hat und genügend Zeit verstrichen ist, so dass Rollenprozesse und -strukturen erfolgreich ausgearbeitet werden konnten, hat sein Schwerpunkt die Beziehungsstufe erreicht. Zu diesen Errungenschaften gehören das mit Geben und Nehmen verbundene Gleichgewicht sowie Problemlösungen, die davon abhängen, die OR-Physiologie zu beruhigen, Grenzen zu setzen und zu bestimmen, wann man sich nähert und wann man sich entfernt, sowie verschiedene Rollenprobleme zu meistern.

Es ist durchaus anzunehmen, dass das Erreichen dieses Stadiums auch mit vorausgegangen positiven Entwicklungserfahrungen im individuellen Werdegang des jeweiligen Partners einhergeht, wie z.B. das Kind von einem stabilen Paar (also kein Scheidungskind) zu sein (Amato und Keith, 1991) oder der Abwesenheit von schädlichen Auswirkungen der Erziehung durch einen alleinerziehenden Elternteil (Amato und Kane, 2011). Wie erwartet, korreliert die frühere Ausrichtung jedes Einzelnen während der Kindheit (Sturge-Apple, Davies & Cummings, 2006, Crockenberg & Langrock, 2001) und später als Erwachsenem in der Ehe (Dinero, et. al., 2011; Amato & Both, 2001; Conger, et al., 2000; Caspi & Elder, 1988) mit dem Erfolg der Ehe und fördert die Wahrscheinlichkeit eines Fortschritts auf der vorgeschlagenen Paar-Entwicklungslinie.

In der Beziehungsphase hat das Paar erfolgreich Interaktionsmuster in seiner Beziehung zueinander festgelegt, zu denen Intimität, Problemlösung, Aufgabenverteilung, wechselnde Führung, wechselseitige Regression und mehr gehören. Sie haben auch festgelegt oder sind dabei, festzulegen, wie sie ihre Kinder erziehen und Familie und Freunde einbeziehen. Problemlösungen werden mit einer überschaubaren Regelmäßigkeit zu einem positiven Ergebnis führen. Wie bereits erwähnt, hängt dies davon ab, dass man auftretende emotionale Intensität entschlossen reguliert, wenn man in einen Konflikt hineingeht. Reziprozität wird praktiziert. Flexibilität ermöglicht Anpassung und Kreativität. Das Paar beginnt, auf funktionaler Ebene zusammenzuarbeiten, und sie sind in der Lage, die regressiven Bedürfnisse und Empfindlichkeiten zu berücksichtigen, die der intimen Dyade eigen sind. Die Entwicklung dieser komplementären Muster, die den regressiven Bedürfnissen gerecht werden, ist für die Bewältigung dieser Phase von entscheidender Bedeutung (Habib, 2014). Individualität und Autonomie werfen keine Konflikte mehr in der Partnerschaft auf, wie es noch in der Rollenphase der Fall war. In dieser Phase findet eine Neubestimmung der Prioritäten für sich selbst und andere statt, die den Partner stärker in den Mittelpunkt rückt. Die Existenz eines starken Selbst ist notwendig, um den dynamischen Prozess zwischen den Polen Individualität und Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Starke Individualität bedeutet gleichzeitig auch starke Bedürfnisse, und bedeutet, dass Entwicklung auch außerhalb der Beziehung des Paares stattfinden kann. Aber dies wahrzunehmen produziert Angst. Die meisten Paare werden deshalb erst in der Phase der „Ersten Liebe“ versuchen, ein Bewusstsein für diese Wahrnehmung zu entwickeln. In der Beziehungsphase sind sie offen für Neuinterpretationen der Motive ihres Partners, obwohl der Rückgriff auf Projektionen noch stark fortbesteht. Es gibt ein gemeinsames Narrativ über ihre Beziehung. Problemlösungsfähigkeiten öffnen das Paar zunehmend für neue Informationen und Sichtweisen auf ihre Beziehung. Introspektion und Reflexion durch beide Partner tragen zu diesem Prozess bei. Das Paar genießt die Ruhe verlässlicher und vorhersehbarer Muster, während unproduktive Konflikte minimiert werden. Im späteren Teil dieser Phase entsteht ein Bewusstsein für die subtilen Energien beider Mitglieder mit ihrer Fähigkeit, eine Vierte-Person-Perspektive zu erreichen.

Dennoch leben sie im Beziehungsstadium immer noch ohne eine voll entwickelte empathische Anerkennung dafür, wie viel ihr Partner tut und wer ihr Partner ist. Obwohl es in der Gegenwart Gefühle der romantischen Liebe gibt, wird sie durch einen immer noch rückwärts gerichteten Blick gemildert, der sich aus den kulturellen Botschaften des UL speist. Sie müssen noch um die nicht so weit zurückliegende Prä-/Trans-Verwechselung und die Intensität und Häufigkeit der romantischen Liebe trauern, die ihre Beziehung zuvor hatte. Dieser Blick zurück vermindert weiterhin ihre Wertschätzung für ihren Partner und damit für ihrer beider Zustandserfahrungen in der Gegenwart. Erst wenn ihre jeweiligen Bestrebungen nach Authentizität auftauchen (O’Fallon, 2010), lehnt das Paar die allgegenwärtige Prä/Trans-Verwechselung der romantischen Liebe vollständig ab. Dies signalisiert die Annäherung des Paares, um die Stufe der sogenannten „Ersten Liebe“ zu betreten.

In der Paartherapie ist der Ausgangspunkt oft die Rollenphase, und es wird versucht, das Paar in die Beziehungsphase zu bringen. Verständlicherweise suchen Paare in der Phase „Sicherheit & Anziehung“ in der Regel keine Therapie. Wenn ein Paar durch die Therapie das Beziehungsstadium erreicht, ist dies für die meisten Paare oft ein zufriedenstellendes Ergebnis und damit die höchste Stufe, die die meisten Paare erreichen werden. Diese Ebene der Verbindung ist jedoch „… ein Verrat am Potenzial jedes Einzelnen um der Sicherheit und des Komforts willen, den die Beziehung bietet“ (Masters, 2012). Sie ist zurückzuführen auf „…ihre übermäßige Bindung an Autonomie und ihre Abneigung gegen tiefe Verbundenheit“, die erst noch aufgegeben werden müssen, erklärt Masters.

Diese weit verbreitete Furcht vor übermäßiger Ausgesetztheit und Verwundbarkeit erklärt vielleicht die von Bader et al. (2000) festgestellte und von Paartherapeuten häufig beobachtete Verwendung von Illusion statt Aufrichtigkeit.

Um Erfahrungen der „Ersten Liebe“ zu entwickeln, habe ich Paare Übungen durchführen lassen, bei denen sie sich tief in die Augen geschaut haben. Wenn sie dabei an gemeinsame berührende Momente gedacht haben, habe ich diese von Masters und Bader beschriebene Ausgesetztheit und Verwundbarkeit gesehen. Ich habe auch gesehen, wie während dieser Prozesse ein beträchtliches Maß an Traurigkeit aufkam, das ich als unbewusste Sehnsucht nach dieser Ebene der Verbindung zu verstehen gelernt habe.

Es braucht Zeit, um gemeinsam zu wachsen. Das Bewusstsein für und das Streben nach der Relationalen Entwicklungsphase begann erst in den späten 1960er Jahren mit dem Beginn des Feminismus und der evolutionären postmodernen Entwicklung auf die grüne Entwicklungsstufe (Beck und Cowan, 2005) zu wachsen. Folglich gibt es in der nächsten Phase, der „Ersten Liebe“, relativ wenige Paare. Es braucht zwei erwachte Menschen, um die „Erste Liebe“ am Leben zu erhalten…..einer reicht nicht aus.

Plötzliche Krankheit, Verlust oder längere Trennung können zu einer vorübergehenden Zustandserfahrung der Ersten Liebe führen, ohne dass die Prä-/Trans-Verwechselung aufgegeben wird. Der Tod eines Ehepartners in einer Beziehung, die die Beziehungs-Phase erreicht hatte, kann diese Erfahrung für das überlebende Mitglied dauerhaft zur Ersten Liebe erheben. Für die meisten jedoch wird das Paar, sobald das Leben wieder normal verläuft, feststellen, dass diese Zustandserfahrung nicht dauerhaft ist. Der Schwerpunkt der meisten Paare, denen es recht gut geht, liegt innerhalb der Rollen- oder Beziehungsphase, oft mit einer unausgesprochenen Enttäuschung über das Absterben von Liebesgefühlen und über die unnötigen Zweifel, die innerhalb dieser engen Grenzen entstehen.

Durch die Anwendung eines alle Quadranten umfassenden Ansatzes, insbesondere eines Ansatzes, der die allgegenwärtige Prä/Trans-Verwechslung und andere kulturelle Botschaften im unteren linken Quadranten infrage stellt und gleichzeitig die strukturellen Muster und Regeln des unteren rechten Quadranten definiert, wird es möglich, einige Paare neu auszurichten und auf die zentaurische Ebene der Ersten Liebe zu heben.

Die weit verbreitete kulturelle Überzeugung, dass Liebe darin besteht, „den richtigen Menschen zu finden“, ist zum Teil auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, mit denen die kulturellen Botschaften des UL die Paare in ihrer Entwicklung behindern. Diese kulturell gesättigte Fehlinformation muss durch das Bewusstsein ersetzt werden, dass nachhaltige Liebe von zwei Personen durch Präsenz geschaffen wird, und zwar unbelastet von idealisierten Projektionen. Die Liebe muss als ein Erscheinen erkannt werden, das nur in einem evolutionären Prozess dadurch aufrechterhalten werden kann, dass zwei einzigartige Individuen (Gafni, 2012) auf der fließenden Kante der Entdeckung und der Kreativität hervortreten und sich entscheiden, darauf zu tanzen.

Liebe ist nicht so sehr eine Qualität der Beziehung, sagt Marc Gafni, sondern vielmehr eine Qualität der Präsenz zweier Individuen. Wenn dies erkannt wird, haben wir die „Erste Liebe“ erreicht. Die Erfahrung, wie unser Ehepartner wirklich ist, kann nun endlich Ähnlichkeiten mit der unseres “ großartigen Nachbarn“ bekommen.

Vierte Stufe: Erste Liebe

Die vierte Stufe wird als „Erste Liebe“ bezeichnet, weil Menschen tatsächlich stärker mit ihrem Partner in Liebe verbunden sind, indem sie die Projektion verringern und sich wieder auf das Ideal einstellen. Endlich frei von dem kraftvoll allgegenwärtigem und verwirrendem Leuchtfeuer, das in „Sicherheit & Anziehung“, in der ersten Phase beginnt.

Das Liebespaar in der „Ersten Liebe“ ist jetzt umfassender verbunden und die Partner sind in der Lage, diese Person zu schätzen und zu lieben, die da tatsächlich vor ihnen steht. Unbelastet von falschen Erwartungen arbeitet sich dieses Paar nicht viel an Fragen ab, die sich aus unerkannten Schatten und den nachfolgenden Fehlinterpretationen ergeben, und die letztendlich nur die Ressourcen erschöpfen und zu nutzlosen Zielen führen.

Weniger belastet durch die enormen Verzerrungen, die die intime Beziehung in einzigartiger Weise kennzeichnen,*5) halten sie den Raum für alternative Deutungen der Motivationen ihrer Ehepartner offen. Dieser Raum ermöglicht eine genauere Interpretation und ein besseres Verständnis des Ehepartners. Folglich gehen sie mit Mehrdeutigkeiten oder dem, was Hendrix als „Brüche in der Verbindung“ bezeichnet, ohne Panik um, die sich bei weniger entwickelten Paaren oft als Wut, Rückzug oder Kontraktion äußert. In der Tat reagieren sie weniger auf ihre eigenen Projektionen als vielmehr auf die unmittelbare Gegenwart ihres Partners, der sich zu verständigen bemüht. Das sind Worte, die noch bei Paaren in den Rollen- oder Beziehungsstadien der Entwicklung schmerzlich ungehört bleiben.

Paare in der „Ersten Liebe“ fühlen sich endlich gehört und verstanden. In der Folge reagiert dieses Paar viel weniger chaotisch auf Irritationen, Enttäuschungen und vorübergehende emotionale Unverfügbarkeit. Der Prozess der gemeinsamen Kommunikation wird vereinbart und eingesetzt. Der Weg, wie sie sich verbinden, muss nicht während der Arbeit an den Inhalten entwickelt werden … etwas das in früheren Phasen so schmerzlich verwirrt. Sie wenden die Grundregeln des UR Quadranten an (Habib, 2014), insbesondere in Bezug auf Geben und Nehmen und auf Grenzen. Diese Dritte-Person-Perspektive, die sich des wichtigen Unterschieds zwischen Inhalt und Prozess bewusst ist, erlaubt keinen emotional geladenen Austausch, der die emotionalen Ressourcen überfordert. Das Wissen über einander und über sich selbst ist kumulativ und steht für zukünftige Interpretationen zur Verfügung, die folglich immer weniger verzerrt sind.

In der Phase der „Ersten Liebe“ kann dieses Paar ohne Angst, sich selbst oder seine Identität zu verlieren, wieder (auf der Entwicklungslinie) zurückgehen und Aspekte der Rollen-Phase in ihren gegenwärtigen Prozess integrieren. Dies zeigt sich in übernommenen Aufgaben, bei denen sie vorübergehend in hierarchischen und komplementären Konstellationen arbeiten können. Dies hilft, Konflikte zu vermeiden, die andere weniger entwickelte Paare erleben würden. In ihrer sexuellen Beziehung, in der die Aufrechterhaltung der Polarität zwischen dem Maskulinen und dem Femininen (Deida, 1995) mit Aspekten der Macht (Schnarch, 2009) kombiniert wird, ist das Paar in der Lage, eine lebendige sexuelle Begegnung aufrechtzuerhalten. David Deida beschreibt, wie das gesunde Maskuline eine Frau zur Entfaltung ihrer vollen Feminität bringen kann. Zum Beispiel löst sich ein Mann in der Beziehungs-Phase gelegentlich zu weit und zu schnell von seiner Macht, die er zuvor in der Rollen-Phase erlernt hat. Anstatt Macht hervorzubringen und dann Gleichheit einzubeziehen, „wird Gleichheit, … oft überbewertet, so dass Unterschiede verflachen, an den Rand gedrängt oder ihrer Vitalität beraubt werden“ (Masters, 2012). In diesem Fall beziehen wir uns auf Deidas maskuline und feminine Polarität. Die Abnahme der männlichen Macht in der Beziehungsphase korreliert, wie ich festgestellt habe, manchmal mit Problemen der sexuellen Anziehung und des Sexuallebens. Es scheint, dass der Mann im Bemühen um mehr gegenseitiges und gleichberechtigtes Miteinander die maskuline Macht zum eigenen Nachteil und zum Nachteil seiner Geliebten abwehrt und folglich nicht integriert. Das Transzendieren ohne Einbeziehung der maskulinen Energie schließt eine vollständig aufgeladene dyadische sexuelle Polarität aus, folgerten David Deida und David Schnarch unabhängig voneinander.

In der Phase der Ersten Liebe gibt es eine betrauerte und auch ausgedrückte Einsicht, dass die Liebe der Phase “ Sicherheit & Anziehung“ niemals vollständig aufrechterhalten werden kann. Das Paar lebt aber mit einem leicht erfahrbaren Bewusstsein für die Leistungen und die Hingabe des Partners. Viele tagtägliche Verhaltensweisen werden als Liebeserklärung ausgeführt und anerkannt. Der Schwerpunkt liegt auf der Gegenwart, und der Verlust der flüchtigen „Anziehungs-Liebe“ wird schließlich akzeptiert. Nichts ging wirklich verloren… nur eine Illusion. In diesem Stadium entscheiden sie sich aktiv dafür, sich dankbar zu fühlen, und dieses Gefühl nimmt an Häufigkeit zu. Ähnlich wie bei der individuellen kognitiven Disziplinierung durch Achtsamkeitspraktiken schöpft das Paar aus der Fülle der Zufriedenheit, die jederzeit verfügbar ist. Sie werden nicht stark durch die Bilder oder die Erinnerung an die „Neue Liebe“ abgelenkt, die nie von Bestand sein konnte. Ihr Blick richtet sich schließlich in die Richtung des Partners und nach vorne, anstelle der falschen Vorstellungen, die in der Populärkultur verbreitet werden. Diese achtsame Disziplin schafft den Raum für eine Erfahrung der liebevollen Wertschätzung und Akzeptanz.

Zu den Gefahren der späteren Abschnitte der Ersten Liebe gehören Möglichkeiten der Liebe außerhalb der Paarbeziehung. Beide wachsen nicht nur in der Fähigkeit, ihren Partner zu lieben, sondern es gibt auch eine zunehmende Fähigkeit, andere zu lieben. Die Transparenz in der Hauptbeziehung macht es schwierig, diese potenzielle zusätzliche Liebe zu ignorieren. Das Paar in der Ersten Liebe kann mit außerehelicher Liebe nicht umgehen. Gafni (2015) hat spekuliert, dass monogame Liebe auf den höheren Stufen der Liebe nicht mehr möglich sein könnte. Dennoch sind auf dieser Stufe der Liebe Verbindlichkeit und Treue notwendig.

Fünftes Stufe: Die spirituelle Phase

Die spirituelle Phase der Liebe, die höchste Stufe, die sich dieser Autor vorstellen kann, ist ein seltener Ort, der nur von wenigen Paaren erreicht wird. Sie wird erst sichtbar, wenn wir unseren Blick vollständig von „Sicherheit & Anziehung“ abwenden und einen Schwerpunkt bei der „Ersten Liebe“ erreicht haben. Voraussetzungen für dieses Stadium sind, dass beide Mitglieder der Dyade große Mengen an individueller und an Paar-Wachstumsarbeit geleistet haben und jeder sich in einen second tier Raum öffnen kann.*6) Mit anderen Worten: Sie sind gewachsen, haben aufgeräumt und sind aufgewacht, und alles trägt dazu bei, dass sie sich vollständig offen zeigen können. Auf der spirituellen Ebene ist die Beziehung leicht zur Transparenz fähig. Aufgrund dieser Verfügbarkeit sind die Interpretationen einfühlsam und werden zunehmend genauer. Es gibt eine starke „klare und kraftvolle Authentizität“ (Ramirez, et al., 2013), die zur Stabilität beiträgt. Jeder Partner ist mit den Nuancen seiner inneren Welt vertraut und ist jenseits von Scham oder Abwehr. Trotz der Unterschiede gibt es gleichzeitig die Fähigkeit zu „Einheitlicher Vielfalt“, die sich durch „im Herzen gefühlte Präsenz, authentisches Mitgefühl … und eine äußerst leichtfallende Einbeziehung anderer auszeichnet“ (Kiehl, 2018). Dieses Paar befindet sich in einem fortlaufenden Narrativ, das Einflüsse anerkennt, die durch ihre jeweilige Entwicklungsgeschichte einzigartig sind. Es gibt nützliche wiederkehrende Muster; aber Muster, die die Präsenz hemmen, werden bereinigt. Dieser Austausch wandelt die Überreste früherer Identitäten in einem nach untengerichteten, dynamischen Heilungsprozess um und beeinflusst sie positiv (Forman, 2010). Das Narrativ wird kontinuierlich durch eine evolutionäre Dialektik ergänzt (McIntosh, 2015) und selten durch abwehrende Blockaden, die diese Erforschung in früheren Stadien behindert oder zum Entgleisen gebracht haben. Neue Offenbarungen werden von beiden Mitgliedern der Dyade gesucht und als das Geschenk entgegengenommen, das sie schon immer waren.

Die Leichtigkeit des Narrativ wird durch gut etablierte UR -Interaktionsmuster *7) unterstützt, die in der Lage sind, Intimität, Regression, Kooperation, Problemlösung auf der spirituellen Ebene zu vermitteln und Enttäuschung zu dämpfen. Diese gut entwickelten UR-Interaktionsmuster sind in der Lage, mächtige Regressionen umzuwandeln, die in allen vorherigen Stufen Schwierigkeiten bereiten. Wenn archaische Themen oder Muster auftauchen, wie z.B. verkapselte Identitäten (Noam, 1988; vgl. Forman, 2010), wird auf sie reagiert und sie werden in erkennbare Muster in der Gegenwart gemildert. Rückmeldungen, abweichende Meinungen und Wünsche werden ohne Beeinträchtigung oder Verwirrung entgegengenommen. Beide Mitglieder sind sich des dyadischen Stimmungsraums bewusst, und ihre Worte werden so gewählt, ihn zu bewahren. Die unauthentische Natur des Ärgers wird erkannt und nur selten benutzt, wenn es darum geht, komplexe oder sensible Gefühle zu vermitteln. Unzulänglichkeiten des Partners oder der Interaktion werden weder als Katastrophe empfunden, noch wird ihnen erlaubt, als eine Quelle des Verletztseins oder des Auseinanderbrechens aktiv zu bleiben. Vielmehr werden Mängel eher als normal erwartet und dann zur Kenntnis genommen. Man nimmt sich sorgfältig Zeit für Reflexion, Entscheidungsfindung und für die Entstehung und Integration dessen, was als Schatten gehalten wird. Dieses Paar nimmt den stetigen Einfluss kultureller Eigenheiten auf seine Beziehung zur Kenntnis, ( reagiert aber nicht darauf). Es kann aber auch beschließen, dass die kulturellen Einflüsse für sie von Nutzen sind. Der Prozess der Beziehungsentwicklung wird als fortlaufende Erweiterung des „Wir“ betrachtet.

Wenn die Liebe dieses Paares ihren Höhepunkt erreicht, nutzen sie Intuition und andere subtile Energien zur Erforschung und zur Steigerung der Präsenz. Beide Mitglieder der Dyade öffnen gemeinsam den Raum zu einem größeren Reich, als sie es allein tun könnten. Auswahlmöglichkeiten werden zu Strukturen verwoben, die dem Paar auf eine Art und Weise dienen, die vorher nicht realisiert werden konnte. Das Paar kann intuitive Erkenntnis-Ausbrüche und Offenbarungen gemeinsam erschaffen. Dieses Paar kann radikale Veränderungen vornehmen, wo und wie es lebt. Konventionen können zur Bestürzung der anderen einfach ignoriert werden. Es gibt beständige Erfahrungen von Spiritualität und gelegentlich erweiterte Bewusstseinszustände, gemeinsam erfahrene Erkenntnisse und eine moralisch geleitete Fürsorge für sich selbst und den Partner (Forman, 2010). Sie müssen und können auch gar nicht immer verbalisieren, was gefühlt und erfahren wird. Dies sind universelle und erleuchtete Erfahrungen (Ramirez et al. 2013), die gemeinsam erlebt werden, während sie kreativ in die Unbekanntheit vordringen (Whitehead, vgl. Gafni, 2012). Sie bewegen sich als kosmische Touristen durch unendliche Gebiete der Erkundung, die nur durch ihre endliche Energie begrenzt werden. Die nicht-dualen Zeiten ihrer Verbindung erlauben ihnen, das ,,Eine“ zu erfahren, den „Einen Geschmack“ zu kosten (Wilber, 2000b). Die Erfahrung ist die der Geliebten, die Seelenebene der Entfaltung.

Übersetzung: joachimjohannsen.born@t-online.de
Bildquelle: unsplash.com

 

Über den Autor
Tom Habib

Thomas Habib war Gründer und 26 Jahre lang geschäftsführender Partner einer privaten Gruppenpraxis. Er ist außerdem Lehrbeauftragter am Zentrum für Integrative Psychologie an der California School of Professional Psychology in San Diego. Als Lehrstuhlinhaber für ärztliches Wohlbefinden an einem örtlichen Krankenhaus wendet er in monatlichen Vorträgen integrale Prinzipien und staatliche Erfahrungen an. Er entwickelt derzeit Wir-Raum-Erfahrungen bei San Diego Integral und nutzt diese Erkenntnisse, um intimen Paaren bei der Entwicklung von Zustandserfahrungen zu helfen.

 

 

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