Ken Wilber
Die Rolle des Einzigartigen Selbst ist erst in jüngster Zeit deutlich geworden, durch das Verständnis der ontologischen Bedeutung, welche die Perspektiven haben. Woraus sich die Welt vor allem anderen zusammensetzt sind Perspektiven. Wir sprechen zum Beispiel darüber, dass die Welt aus Holons zusammengesetzt ist, d. h. Ganzheiten, die Teile von anderen Ganzheiten sind, und das ist wahr. Doch diese Feststellung ist bereits eine dritte Person Perspektive darüber, woraus sich die Welt zusammensetzt. Holons werden dabei nicht negiert, doch es wird klar, dass auch diese Aussage eine Perspektive ist. Es gibt auch erste und zweite Person Perspektiven darüber, woraus sich die Welt zusammensetzt. Alle drei haben ihre Gültigkeit. Dieses Verständnis ist erst vor nicht allzu langer Zeit aufgetaucht.
Die grundlegende Rolle, die Perspektiven spielen, wurde in der Prämoderne und auch der Moderne im Osten wie im Westen nicht verstanden. Die Welt wurde als etwas Vorgegebenes betrachtet, mit Dingen, die das sind, was man sieht. Diese Vorgegebenheit existierte auf eine relative Weise, oder in Form von „ewigen Ideen“ im Geist Gottes, die Menschen mehr und mehr entdecken. In diesem früheren Verständnis hat die Welt eine unveränderliche, metaphysische Grundlage. Sie ist wahr und gültig für alle Zeiten. Das einzige, was sich ändert, ist unser Verstehen dieser ewigen Archetypen. Je besser wir diese ewigen Ideen verstehen, desto näher kommen wir ihnen, und desto erleuchteter werden wir, auf eine klassische Weise.
In diesem System östlichen und westlichen Verständnisses wird die Erleuchtung des menschlichen Bewusstseins als ein Weg zum wahren, wirklichen und höheren Selbst verstanden. Dabei gibt es zwei Selbste des Menschen. Ein kleines, relatives, endliches Selbst, die egoische Selbstkontraktion, und ein wahres und unendliches Selbst. Bei diesen beiden Selbsten ist das kleine Selbst für so ziemlich alles Schlechte, Ungemütliche, Unangenehme und Schmerzhafte verantwortlich, weil es keine Verbindung zu diesen ewigen Ideen und Mustern im Geiste Gottes hat. Das Erwachen zum wahren Selbst hebt dies alles auf, und per Definition gibt es nur ein wahres Selbst. In allen empfindenden Wesen ist die Gesamtsumme aller wahren Selbst eins. Das neue integrale Verständnis würdigt die Wahrheit dieser Sichtweise. Schroedinger, einer der Begründer der modernen Quantenmechanik, drückte dies wie folgt aus: „Bewusstsein ist eine Einzahl, für die es keine Mehrzahl gibt“. Die Gesamtzahl aller ICH BIN ist eins.
Jeder Einzelne von uns hat direkten und unmittelbaren Zugang zu diesem einen, unbegrenzten und immer-gegenwärtigen Selbst. Dieses eine Selbst hört alles, was jetzt gesagt wird, sieht alles, was gesehen wird, kennt alles, was erscheint, und wir alle haben mehr oder weniger Zugang zu diesem wahren Selbst. Unser Grad von Erleuchtung misst sich daran, wie weit wir dieses eine Selbst fühlen, und wie bewusst wir uns dieser unbegrenzten Öffnung, Transparenz und Unbeschreiblichkeit sind. Doch auch wenn es nur ein wahres Selbst gibt, auch hier bei den Menschen in diesem Raum, und wenn jeder von uns dazu erwacht wäre, mit einem absolut identischen Erleben eines Selbst, und wir alle aus dieser Position heraus die Welt betrachten würden, so gibt es doch etwas grundsätzlich Verschiedenes in jedem von uns.
Wenn wir uns jetzt hier in diesem Raum umschauen, dann erfolgt die Betrachtung bei jedem von uns aus einer unterschiedlichen Perspektive. Es gibt ein wahres Selbst, doch in jedem von uns nimmt es eine unterschiedliche Perspektive gegenüber der Welt ein. Es gibt ein wahres Selbst, doch dieses manifestiert sich als und durch so viele Perspektiven, wie es empfindende Wesen gibt. Die Formel dafür lautet:
Ein wahres Selbst + Perspektive = einzigartiges Selbst
Mein einzigartiges Selbst ist das eine wahre Selbst, das durch die Perspektive schaut, die mein Körper-Geist [bodymind] verkörpert. Daher ist es auf eine radikale Weise einzigartig. Dinge, die mein grobstofflicher Körper wahrnimmt, Dinge, die mein subtiler Körper wahrnimmt, Dinge, die mein kausaler Körper wahrnimmt – auch wenn wir alle auf das gleiche Objekt schauen, nehmen wir doch alle dabei eine ganz unterschiedliche Perspektive ein. Durch das Verständnis von Perspektiven und des einen wahren Selbst erhalten wir ein Verständnis eines Einzigartigen Selbst, und plötzlich rückt die Individualität ins Blickfeld, die früher auf dem Weg zur Entdeckung des einen wahren Selbst ausgelöscht wurde. Auf dieser Reise, und mit dem früheren Verständnis von lediglich einem wahren Selbst wurde alles dekonstruiert, und es erfolgte eine Disidentifikation von allem. Ich bin nicht dies, ich bin nicht das. Gedanken tauchen auf, ich habe Gedanken, doch ich bin nicht meine Gedanken. Gefühle tauchen auf, ich habe Gefühle, doch ich bin nicht meine Gefühle. Neti neti, nicht dies, nicht das, in der reinen Leere, der reinen und nicht zu beschreibenden Bewusstheit, dem einen absoluten wahren Selbst. All die unterschiedlichen Fähigkeiten und „Intelligenzen“ [multiple intelligences] werden dekonstruiert, auch sie sind nicht das, was ich bin. Das führt traditionell zu einer Befreiung im einen wahren Selbst, doch ohne eine Vorstellung darüber, was man nun damit anfängt, und wie es sein kann, dass andere Bodhisattvas die Welt anders wahrnehmen. Was wir dabei erkennen ist, dass der Bodhisattva neben dir und neben mir das gleiche wahre Selbst hat, doch ein anderes einzigartiges Selbst. Das Einzigartige Selbst nimmt dabei wieder die Perspektiven ein, die auf eine gewisse Weise auf dem Weg der Transzendenz des Ego verleugnet wurden. Wird das wahre Selbst als das Einzigartige Selbst erkannt, kommt es zu einer erneuten In-Besitznahme der natürlichen Fähigkeiten des menschlichen Bodymind, mit allen dazugehörigen „Intelligenzen“, Fähigkeiten und Talenten. Mathematische oder musische Talente werden gewürdigt, ebenso wie Fähigkeiten zu Introspektion oder Beziehungen – alle Talente und Möglichkeiten, die menschlichen Wesen gegeben sind, werden reanimiert und neu zum Leben erweckt, doch jetzt nicht vom Empfinden eines getrennten Wesens heraus, sondern vom radikal einen wahren Selbst, dem Zustand einen GEISTES, jedoch aus einer einzigartigen Perspektive heraus. Das macht die Aktivitäten eines Menschen einzigartig.
Diese Einzigartigkeit ist eine neue Version der traditionellen Einheit von Leere und Form. Sie ist eins mit der nicht zu beschreibenden unermesslichen Leere, welche der Seinsgrund ist, und eins mit allen Formen, die erscheinen, doch jetzt wird noch etwas hinzugefügt, und das besteht darin, dass die Bewusstheit dieser Form in jedem empfindenden Wesen einzigartig ist. Jedes empfindende Wesen hat eine einzigartige Perspektive und Wahrnehmung gegenüber allen Ereignissen und jeglicher Erscheinung, und dies wird zur Grundlage der speziellen erleuchteten Fähigkeit eines Menschen, mit der Möglichkeiten ein wahrer Bodhisattva zu sein, als ein einzigartiger Bodhisattva mit einzigartigen Perspektiven. Dazu gehört die Entdeckung und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten und Talente. Diese Fähigkeiten und Talente sind die Art und Weise, wie der eine GEIST und das eine SELBST sich in der Welt der Formen zum Ausdruck bringt und dadurch wahrgenommen werden kann. GEIST bringt sich dabei immer noch wie in den Traditionen klassisch beschrieben zum Ausdruck, doch dieses In-die-Welt-Bringen geschieht jetzt durch die Einzigartigkeit eines jeden menschlichen Wesens, dass zum einen Selbst erwacht ist.
Dies ist nicht nur eine neue Weise, auf das zu schauen, was Bodhisattvas tun, sondern auch wie sie es tun, und welche Fähigkeiten ihnen dabei zur Verfügung stehen. Wir verstehen dadurch auch besser, was im kontemplativen Prozess oft geschieht. Wenn ein Mensch zu seiner einzigartigen Perspektive erwacht und diese erkennt, dann wird dies von Lehrern oft als etwas Egoisches betrachtet. Jetzt können wir jedoch diese Verwechselung von Einzigartigkeit und Getrenntheit beenden. Wenn man im Verlauf der Kontemplation das Ego dekonstruiert, immer und immer wieder, und zum Kausalen gelangt, zu turiya und turiyatita, und in dieser unermesslichen Leere eins ist mit allem, was erscheint – und wenn man dann dieses Einssein fühlt, dann fühlt man dabei immer noch die Einzigartigkeit der eigenen Perspektive, die man dabei einnimmt. Dieses Gefühl wird traditionell interpretiert als ein egoisches Anhaften, was das Handeln in der Welt mit der eigenen Einzigartigkeit verhindert. Was dafür von den Traditionen angeboten wird, um in der Welt tätig zu sein, ohne dabei auf die Einzigartigkeit einer speziellen Perspektive einzugehen, sind einfache, eingängige und allgemeine Regeln wie „Liebe deinen Nächsten“, „Sei nicht egoistisch“, „Lasse abvon allen Anhaftungen“, „Diene allen Wesen“ usw., anstatt in den Perspektiven zu ruhen, die in einem erscheinen, um diese dann in Besitz zu nehmen und auf einzigartige Weise zum Ausdruck zu bringen, eine Perspektive, die nur du einnimmst und einnehmen kannst. Es geht also darum, die Einzigartigkeit hervorzubringen, anstatt sie immer weiter zu dekonstruieren, in dem Versuch jegliche Einzigartigkeit und Einmaligkeit loszuwerden. Dies ist eine große Gefahr auf dem Weg zur reinen Leere, ohne ein Verständnis von perspektivischer Einzigartigkeit und den damit verbundenen Unterschieden. Einzigartigkeit wird mit Ego verwechselt und komplett verneint, anstatt Einzigartigkeit als die Grundlage zu verstehen, durch welche die unbegrenzte Wirklichkeit durchscheint.
Die Fähigkeit zu diesem perspektivischen Verstehen existiert noch nicht so lange. Es gab sie noch nicht vor 2000 Jahren, und sie ist erst im Verlaufe der Evolution entstanden. Traditionelles Verstehen war, dass es turiya gibt, das eine wahre Selbst, den reinen Zeugen, und turiyatita, die Einheit des Zeugen mit allen Formen in einer wahren nichtdualen Soheit. Doch die perspektivische Natur all dessen war darin nicht enthalten. Und wie ich schon sagte, das Verständnis von dem, was Perspektiven sind, und wie sie ontologisch allem, was erschient vorangehen, ist erst eine kürzlich im Evolutionsverlauf hervorgetretene Erkenntnis. Es ist etwas relativ Neues, im Zusammenhang mit der integralen Bewusstseinsebene. Es ist eine neue Erkenntnis des einen GEISTES über sich selbst, die darin besteht, dass nicht nur ich als der reine GEIST die Welt durch Augen sehe, sondern dass ich die Welt durch viele unterschiedliche Perspektiven betrachte, alle als das eine ICH BIN, das durch jeweils einzigartige Perspektiven, die zu einem bestimmten Augenpaar gehören, die Welt betrachtet. All das bin ich. Dies ist eine Hervorbringung und evolutionäre Entfaltung des integralen Zeitalters. Es führt zu einem tieferen Verständnis im spirituellen Bereich, so wie es auch zu einem tieferen Verständnis in anderen Disziplinen führt. Das hat mit der Emergenz von Integral und second tier zu tun, wo wir den Beitrag von Perspektiven zu verstehen beginnen, und auch zum ersten Mal wirklich verstehen, dass alle früheren Perspektiven eine wichtige Rolle in der Evolution spielen.
Bei first tier hingegen, und dessen Entfaltung in Zehntausenden von Jahren, in denen die Menschheit im first tier gelebt hat, ist es so, dass jede der Entwicklungsebenen des first tier, auch wenn es sich dabei um eine Perspektive handelt, anderen Perspektiven deren Wirklichkeit und Daseinsberechtigung abgesprochen hat. Diese Ebenen werden zwar gesehen, aber Wirklichkeit kann nicht durch sie hindurch betrachtet werden. Die Ebenen des first tier können nicht jeweils die Rolle und Perspektive der anderen Ebenen einnehmen. Erst mit dem Erreichen der pluralistischen Entwicklungsebene gibt es genug perspektivische Kraft und Reichweite für den Sprung in das second tier. Alle vorangegangenen Perspektiven sind wichtig und wir müssen sie berücksichtigen, wenn wir Wirklichkeit wirklich umfassen wollen. Fügen wir dem noch die Unendlichkeitsdimension hinzu, als eine Perspektive, dann erkennt das eine wahre Selbst zum ersten Mal, dass es sich in all diesen unterschiedlichen Perspektiven manifestiert und verkörpert, und daher nicht zu reduzieren ist auf die Perspektive des einen wahren Selbst. Es gibt also nach wie vor ein wahres Selbst, einen GEIST, ein ICH BIN, doch sie haben mit Perspektiven zu tun, die eingenommen werden. Und es handelt sich um das gleiche ICH BIN, das in all diesen Perspektiven erscheint, und das ICH BIN dadurch manifestiert.
Wenn ein empfindendes Wesen, das eine dieser unterschiedlichen Perspektiven einnimmt, zu dem erwacht, was es wirklich ist, d. h. zum eigenen wahren Selbst erwacht, dann zeigt sich das in ihm als ein einzigartiges Selbst. Es ist ihr Bewusstsein des ICH BIN, gesehen durch ihre spezielle Perspektive. Damit bin ich die Gesamtsumme aller dieser Perspektiven, sie sindalle Teil dessen, was ICH BIN, auch wenn ich dabei durch mein einzigartiges Selbst handele. Turiyatita, der nichtduale GEIST, entwickelt sich, und seine Entwicklung ist zu einer neuen Stufe von Emergenz gelangt, wo es nicht mehr nur ein Selbst und eine Form ist, sondern ein Selbst, das sich durch viele Selbste sieht, die alle eins sind mit der Welt der Formen.
Das Großartige dabei ist, wie bei allen Arten von Evolution, dass es dabei ein Transzendieren und ein Bewahren gibt. Wir erkennen die wesentlichen Wahrheiten von turiyatita und die wesentlichen Wahrheiten eines Selbst und einer Welt, und der Einheit von Leere und Form – und all dies ist nach wie vor wahr, – doch jede evolutionäre Entfaltung fügt eine neue Wahrheit hinzu, und die gegenwärtige Entfaltung fügt die Wahrheit hinzu, dass alles Vorangegangene immer noch eine Teilwahrheit enthält, gesehen durch die heutigen Perspektiven. Diese neue Emergenz entfaltet sich Stück für Stück, und wir erkennen, wie die Rolle, die integrale Perspektiven dabei spielen, überall zum Vorschein kommt. Vielleicht sind nur drei oder vier Prozent der Menschheit auf der Entwicklungsstufe von second tier, doch was wir dabei erleben ist der Wechsel von der alten und immer noch grundlegenden Form von turiyatita hin zu der neuen perspektivischen, evolutionären und einzigartigen Form. Dieser allmählich stattfindende Prozess gewinnt in immer mehr Bereichen an Einfluss. Worum es bei diesen Emergenzen, einschließlich der des einzigartigen Selbst geht, ist, dass sie mittlerweile in einer ausreichenden Anzahl von Menschen, Köpfen und Herzen zum Vorschein gekommen sind, so dass sie praktisch jedem Menschen zur Verfügung stehen. Sie werden zu einer kosmischen Gewohnheit, einem kosmischen „groove“, der sich schon ein Stück weit „gesetzt“ hat, vorhanden ist, so dass wir darauf bereits zurückgreifen können. Jedes empfindende Wesen kann auf sein oder ihr einzigartiges Selbst zurückgreifen, und nicht nur zum einen Selbst gehen und dort bleiben.
Das verändert vollständig das eigene spirituelle Leben und das Leben als ein Bodhisattva. Als ein Bodhisattva gelobt man ins Leben zu gehen und die Welt zu verändern. Doch womit will man diese Veränderungen herbeiführen, wenn nicht mit seinen einzigartigen Fähigkeiten und Begabungen? Schon der Gedanke daran, was man als ein Bodhisattva tun kann, hat sich radikal verändert durch die Tatsache des Handelns aus einem einzigartigen erleuchteten Selbst heraus. Das einzigartige erleuchtete Selbst ist die Orientierung, die einem zeigt, was zu tun ist. Dies ist eine neue Orientierung, aus der heraus ein Mensch handelt. Dieses Handeln geschieht nicht mehr aus dem einen Selbst heraus, das gegenüber dem einen Selbst handelt, und beides ist das gleiche eine Selbst, und man geht hinaus und tut gemeinsam Dinge eines einen Selbst. Das eine Selbst ist immer noch da, doch sobald man aus dem radikal Unmanifesten heraus in den Bereich von Manifestation eintritt, trifft man auf Perspektiven.
Dies ist auch der Grund, warum man auf Perspektiven einer ersten, zweiten und dritten Person des GEISTES trifft. Worin bestehen diese? Eine erste Person ist eine Person, die spricht, ich oder mein, eine zweite Person ist eine Person, zu der gesprochen wird, du oder ihr, und eine dritte Person ist eine Person oder Sache, über die gesprochen wird, er, sie oder es. Dem GEIST kann man sich durch alle drei Perspektiven nähern, was auch getan wurde und wird.
In den Begriffen einer dritten Person ist GEIST das große Gewebe des Lebens, die Gesamtsumme der manifesten Welt als ein einziges, großes, lebendiges, dynamisches System. Sitzt man am Rande des Grand Canyon und nimmt dessen Großartigkeit wahr, dann erfährt man GEIST in einer dritten Person. GEIST als eine zweite Person ist das große DU, das große Andere, als Quelle und Grund der gesamten Welt.
„Gespräche mit Gott“ sind eine Annäherung an Gott in der Form einer zweiten Person. Praktisch alle theistischen Traditionen beruhen auf dieser Perspektive. Und die erste Person?
GEIST in und als erste Person ist das eigene wahre Selbst, das eigene ICH BIN, das eine Selbst in und durch alle empfindenden Wesen.
Alle drei dieser Formen sind wahr, erste Person, zweite Person und dritte Person. GEIST manifestiert sich in allen drei dieser Perspektiven.Eine integrale Sichtweise nimmt sie alle mit auf. Was die erste Person betrifft, ist diese nun nicht mehr nur das ICH BIN, sondern das einzigartige ICH BIN, das ICH BIN in seiner einzigartigen Perspektive. Dieses unbegrenzte, wahre und einzigartige Selbst durchdringt das gesamte relative Selbst und alle seine unterschiedlichen Intelligenzen. Sie alle sind vom Einen durchdrungen, gesättigt, und bereit, ein Teil der Manifestation eines einzigartigen Selbst zu sein. Es ist also die Kombination des einen wahren Selbst und dem einen radikalen GEIST, der sich durch die Talente manifestiert, die auf eine ganz spezielle Weise in jedem Menschen als natürliche Fähigkeiten und Intelligenzen vorhanden sind.
Bei manchen Menschen zeigt sich das einzigartige Selbst speziell als eine emotionale Intelligenz. Bei anderen Menschen ist es die kognitive Intelligenz. Wieder andere Menschen finden ihren Anschluss an die Unendlichkeit vor allem durch ihre physiologische Intelligenz, und andere finden ihre Verbindung mit der Unendlichkeit auf noch andere Weisen, in einer der vielen Muster, Fähigkeiten und Intelligenzen die es gibt. Hier gibt es eine Öffnung der spirituellen Praxis nach beiden Seiten, sowohl auf dem Weg nach oben, zur Entdeckung des einzigartigen Selbst, und auch auf dem Weg nach unten, wenn es um dessen Manifestation geht.
Viele Praktiken führen dabei zu einer Klärung dessen, was das einzigartige Selbst ist, die Klärung von Schattenelementen beispielsweise, die seiner Verwirklichung im Wege stehen. Wo immer es Wachstum gibt, welcher Art auch immer, gibt es die Möglichkeit von Schattenaspekten. Es gibt funktionale und dysfunktionale Entwicklung in allem. Das gilt natürlich auch für die neue Evolution des einzigartigen Selbst. Auch dabei ist ein Schatten möglich. Die Schattenarbeit gewinnt dadurch noch mehr an Bedeutung. Wir haben unterschiedliche Formen von Praxis zu unserer Verfügung, welche die Fehler früherer Lehren vermeiden. Frühere Schulen und Lehren haben jegliche Unterscheidung zurückgewiesen, und jegliche Einzigartigkeit als „egoisch“ bezeichnet. Dies führt dazu, dass Kontemplation nicht nur zur Transzendenz des Ego eingesetzt wird, sondern zur Verleugnung des einzigartigen Selbst. Kontemplation wird so zu einer heiklen Angelegenheit, bei der das einzigartige Selbst dazu eingesetzt wird, das einzigartige Selbst zu verleugnen. Dies wäre ein typisches Beispiel einer Fehlfunktion. Versteht man einmal die Existenz dieser einzigartigen Perspektive, dann können wir damit viele der großen traditionellen Praktiken weiter verwenden.
Viele von ihnen beschäftigen sich mit Teilen der Wirklichkeit, die es zu transzendieren und bewahren gilt. Doch wir halten ebenso Ausschau nach neuen Praktiken. In der Psychotherapie halten wir Ausschau nach einer integralen Psychotherapie, in der Medizin suchen wir nach einer integralen Medizin, in Bildung und Erziehung kümmern wir uns um integrale Bildung und Erziehung, und in der kontemplativen Richtung suchen wir nach einer integralen Art von Kontemplation.
Eine integrale Spiritualität enthält eine doppelte Fülle. Zum einen die endliche Fülle von second tier integral, mit Motivationen des Überfließens aus der Fülle heraus, der unbegrenzten Fülle von turiyatita, der nichtdualen Einheit, jetzt als ein einzigartiges Selbst. Dies ist kein doppelter Mangel, sondern eine doppelte Fülle, ein Reichtum und Überströmen. Das ist etwas Neues, ein Weg, der Wege transzendiert [trans-path path]. Alle das Gute der bestehenden Wege wird dabei mit aufgenommen, doch was hinzugefügt wird, ist diese neue Ebene von Emergenz. Das ist etwas Außerordentliches, es ist historisch, und darf nicht verleugnet werden.
(Quelle: IntegralLife.com ISE Keynote: Ken Wilber, Emptiness + Perspective = Unique Self)
(aus: Online-Journal Nr. 25)