Ken Wilber, aus: Integral Naked, Enlightenment trough Relationship
Ich glaube, dass jedes Ereignis – alles was geschieht, vier Quadranten, vier Dimensionen hat, von denen aus es betrachtet werden kann – und Beziehung ist dabei wesentlich, es ist ein wesentlicher Teil von allem was erscheint.
Ist man nicht im Kontakt mit dem beziehungsmäßigen Aspekt eines Augenblicks, dann ist man mit der Fülle dieses Augenblicks nicht wirklich in Berührung. Der Beziehungsaspekt ist daher meiner Meinung nach absolut wesentlich – und es geht darum das weder zu ignorieren, noch es zu sehr zu betonen. Beides führt zu Problemen. Männer haben die Tendenz das zu ignorieren, Frauen tendieren zur Überbetonung [Lachen]. Aber – das ist das, was beide für einander tun können. Das ist – zumindest auf der Ebene der romantischen Mann/Frau Beziehung – ein Grundbestandteil einer Praxis, und ich denke dass es dasjenige ist, worum es beim Tantra wirklich geht. Und deshalb zeigen in der tibetischen Tradition die allerhöchsten Darstellung der Thankas Mann und Frau in sexueller Vereinigung. Viele der Traditionen sagen, dass es bestimmte transformierende Zustände der Erleuchtung gibt, die man ohne einen konkreten Partner, d.h. ohne konkreten Geschlechtsverkehr mit einem Liebespartner, nicht erreichen kann. Interessanterweise, eine der Schulen des tibetischenBuddhismus, gegründet von Tsongkhapa, es ist diejenige Schule, welcher der Dalai Lama angehört, sie sagt, wie die meisten der tibetischen Schulen, dass es zwei Wege – und nur zwei Wege gibt – wie man die absolute, endgültige Erleuchtung erlangt. Einer davon, als die höchste Stufe der Praxis, ist tantrische Sexualpraxis. Der zweite Weg ist die Erlangung im Bardo Zustand. Tsongkhapa war so sehr besorgt über den Missbrauch einer sexuellen Beziehung, dass er sich dafür entschied, mit der Erleuchtung bis zum Bardo zu warten. Nun [verschmitzt]: ich frage mich, ob das eine gute Wahl war [Lachen]. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Vertrauen hätte… Es ist interessant, dass dies von den Traditionen so gesehen wird, und ich sage euch warum dies ein wichtiger Teil ist.
Natürlich wollen wir weder Frauen noch Männer auf irgendetwas festlegen, es geht bei dem was wir hier erörtern um maskuline und feminine Grundzüge, die sowohl Männer wie Frauen haben, und das gilt auch für homosexuelle und lesbische Beziehungen, den mehr aktiven und den mehr passiven Part darin… Sprechen wir über das Zeugenbewusstsein – schaut man sich die traditionellen Beschreibungen des Bezeugens an, und betrachtet man dazu auch einiges der modernen Forschungen darüber, dann ist es leichter für Männer in den Zustand des Zeugen zu gelangen, weil es ein Abstandnehmen ist. Frauen tendieren dazu, diesen Zustand mehr als eine alles ausstrahlende Liebe oder Berührung zu erfahren. Dafür gibt es wahrscheinlich eine ganze Menge Gründe, einschließlich denen der evolutionären Psychologie. Und – ich weiß – es ist trivial zu sagen, dass Männer Jäger waren, und Frauen den Garten bestellten, aber so war es, etwa eine Million Jahre lang. Diese Art von Wissen, die das Überleben sicherte, war so, dass Männer in jagenden Gruppen unterwegs waren, aus der Entfernung jagten, und die Dinge mit Abstand betrachteten. Der Vorteil dieser Abstand nehmenden Betrachtungsweise der dritten Person ist: man sieht Ganzheiten. Man kann einen Wald nur aus der Distanz sehen. Man kann einen Baum berühren, aber einen Wald kann man nur sehen. Man braucht Abstand um Ganzheiten zu sehen, das ist interessant. Frauen demgegenüber bevorzugen das Berühren. Hier ist ein Neugeborenes, und man muss jede emotionale Bewegung dieses Neugeborenen verstehen, um es am Leben zu erhalten – ist es hungrig, ist es traurig, hat es Schmerzen usw. Frauen haben eine ganz außerordentliche emotionale Bandbreite entwickelt – sie können 28 [im Sinne von: sehr viele] Grade von Emotionalität unterscheiden. Männer können nur zwei unterscheiden – [Lachen] gegenüber Frauen heißt dies, sie will mit mir schlafen oder nicht [Lachen]. Und Männer interpretieren das meiste was Frauen sagen als „sie möchte mit mir schlafen“ [Lachen]. „Geh runter von mir, du Schwein!“ heißt, sie möchte nicht mit mir schlafen. Das ist schon alles. [Lachen]
Und beides hat Stärken und Schwächen. Feministinnen erzählen gerne, dass Frauen einen beziehungsorientierten Modus haben, und Männer abstrakt sind… aber das stimmt nur zur Hälfte. Frauen haben einen berührenden, taktilen beziehungsorientierten Modus, aber der ist nicht holistisch. Man kann – mit anderen Worten – den Baum berühren, aber nicht den Wald. Männer haben eine holistische, Abstand nehmende Sichtweise, aber diese ist holistisch. Frauen haben eine beziehungsorientierte, im Kontakt befindliche Sichtweise, aber diese ist nicht holistisch. Wenn man immer nur einen Baum berührt, sieht man nicht den Wald..
Dies sind die Stärken und Schwächen von Männern und Frauen, aber dies ist vor allem auch das was sie füreinander tun können, und das macht uns alle verrückt. Aber es ist wunderbar, diese „sprachlichen“ Unterschiede zu verstehen – auch wenn man sie nicht fühlen kann, so kann man sie sich doch zumindest kognitiv übersetzen. Also „okay, sie hat mir das gesagt, und es bedeutet eigentlich… [macht die Bewegung des Blätterns in einem Wörterbuch, Lachen]. Was klassischerweise geschieht ist, wenn man glaubt man spräche in der gleichen Sprache über das gleiche Thema, dann gibt es ständig Probleme – die Studien darüber sind absolut klassisch. Bei Problemlösungen z.B. kommen Frauen zusammen, und sie wollen sich spüren, sie wollen miteinander reden. Ein anwesender Mann will das Problem lösen. „Das ist das Problem? OK, hier ist die Lösung.“ Wenn Frauen hingegen sich einer Lösung nähern, dann würde das bedeuten dass das Gespräch beendet ist, keine Berührung mehr [Lachen]. Schlaue Studien zeigen, dass wenn man ein Problem vor einem Frauenkreis auf den Tisch legt, dann möchten sie es lange diskutieren, und wenn sich eine Lösung abzeichnet, dann wird herummanövriert, weil eine Lösung das Ende der Party bedeuten würden [Lachen]. Männer würden sagen “oh, mach dies“, Ende der Diskussion. „Was kommt als nächstes? Lasst uns einen trinken gehen.“ [Lachen] In seiner schlimmsten Form sieht man das, wenn man in einer Beziehung ist und es ein Problem gibt. Das geht dann etwa so: „Ich bekomme nicht genug Aufmerksamkeit“, „wir müssen dies oder jene tun“, oder „warum sehen wir uns diesen Kinofilm heute Abend an“, oder „können wir nicht einfach daheim bleiben?“ Ein Mann wird innerhalb von 15 Sekunden die perfekte Lösung parat haben und genau das ist völlig verkehrt [Lachen]. Und so weiter und so weiter, das ist der Stoff aus dem Komödien gemacht sind.
Dies alles wird jedoch sehr interessant, wenn wir es auf den transpersonalen Bereich übertragen, und dies zu verstehen wird zunehmend wichtiger für unseren spirituellen Ansatz. Offen gesagt, die meisten der meditativen Systeme wurden von Männern entwickelt, die mit starrem Blick einfach nur dasaßen. Sie bewegten sich dabei nicht, und schauten einfach nur, und darin sind wir gut. [Lachen] Es gibt nicht sehr viele Systeme die für Frauen entwickelt wurden, die fühlen, fließen, strahlen und sich bewegen wollen. So etwas findet man bei einem Mann nur bei Rumi, der homosexuell war. Er tanzt und fließt, das ist wunderbar. Schaut man sich die Thankas an, ich habe einige davon hier, … dann wird der Mann üblicherweise tiefschwarz dargestellt – die reine Leere, der reine, unbewegte Zeuge, inhaltsleer, und alles erscheint in dieser unermesslichen schwarzen Leere – wie der unermessliche schwarze Nachthimmel, in dem die Sterne leuchten. Die Frau jedoch wird immer als reines, weißes, strahlendes Licht dargestellt. Das Männliche möchte sehen, das Weibliche möchte gesehen werden, möchte strahlen und leuchten. Zwingt man also in einer spirituellen Tradition die Frau zu schauen und sich nicht zu bewegen, dann kann es sehr schwierig für sie sein, zu diesem eigenen Teil Zugang zu bekommen – also zu demjenigen was gesehen werden möchte, was leuchten, fließen und sich bewegen möchte, und – am wichtigsten – was berühren möchte. Erreicht man diese höheren Zustände, dann möchten die Männer klassischerweise dies bezeugen, sie möchten diese Leere erfahren – Frauen hingegen erfahren dies als Liebe, als eine konkrete Berührung all dessen was „da draußen“ ist. Männer haben diese Art Spiegelbewusstsein, wohingegen für das weibliche Prinzip das ganze Universum Schokolade ist. [Lachen] Noch einmal, Männer und Frauen haben beides, und am Ende fällt das zusammen. Das Bezeugen wird leidenschaftlich, der Zeuge berührt alles was erscheint, maskuline und feminine Formen vereinigen sich. Frauen müssen Abstand bekommen zu dem was sie berühren, sonst finden sie keine Freiheit, und sind von ihrer Beziehung abhängig, und das ist die klassische Pathologie der Femininen. Sie können nicht für sich stehen, sind nicht autonom, sie verlieren sich in ihrer Beziehung. Die klassische maskuline Pathologie ist: nicht nur Autonomie, sondern Starre, Unterdrückung, Abgetrenntheit, Gefühllosigkeit – das ist das andere Extrem. Was wir – noch einmal – idealer Weise füreinander tun, ist dies auszubalancieren. Das ist die Mann/Frau Seite des Themas Beziehung…Wir kommen aus einer Zeit, wo manche dieser Unterscheidungen [männlich/weiblich] sehr starr und stereotyp waren, und sehr hart. Dann sind wir aber übers Ziel hinaus geschossen indem wir sagten: „Okay, keine Unterschiede mehr, alles ist gleich.“, und dies richtet – auf seine Weise – auch großen Schaden an. Worum es geht ist: zum einen die männlichen Fähigkeiten für Tiefe und Gegenwärtigkeit zu schätzen. Das höchste Kompliment hingegen, welches man oft einer Frau sagt ist, „sie betrat den Raum, und der Raum erstrahlte“, ein Leuchten und Strahlen, das vom Femininen ausgeht. Worum es geht ist – wir haben beides in uns – jeder Augenblick ist ein Augenblick von Bewusstsein und Licht. Das Bewusstsein ist der leere, männliche, schwarze Raum in welchem dies erscheint. Das Licht und das Leuchten ist das was tanzt und was man sieht. Jeder Augenblick unserer Existenz ist diese Vereinigung von Bewusstsein und Licht. Das ist Beziehung in ihrer letztendlichen Bedeutung, und das macht dies so großartig.
Quelle: AK Ken Wilber Rundbrief 22, 2005