Die lautlose Revolution
Arjuna Ardagh
Wie eine im Alltag gelebte Spiritualität uns und die Welt verändert
ISBN 3-89901-090-6 J. Kamphausen Verlag 2006
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Buchbesprechung
Mit dem Übergang von traditioneller Spiritualität zu integraler Spiritualität hat das, was wir unter ?Erleuchtung? verstehen eine holonische Entwicklung erfahren: die Veränderung in den Zuständen, wie sie die altehrwürdigen Weisheitstraditionen so umfassend beschreiben, wird um die unterschiedlichen Interpretationen gemäß den jeweiligen Entwicklungsstufen erweitert?. Schön und gut. Aber jenseits einer Verortung auf der Wilber-Combs-Matrix verlässt uns meist die Phantasie. Aus den Traditionen kennen wir Schamanen, kanonisierte Heilige, Eremiten, Religionsstifter und taoistische Schelme. Wie aber erlebt ein Molekularbiologe mit Patchwork-Familie und chronisch überzogenem Bankkonto sein spirituelles Erwachen?
Arjuna Ardaghs Buch Die lautlose Revolution vermittelt uns einen langersehnten Eindruck davon, wie spirituelles Erwachen zu Beginn des 21. Jahrhunderts aussehen kann. Er und auch andere spirituelle Lehrer haben aus erster Hand beobachtet, dass die Anzahl der ?erwachten? Menschen in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten merklich zugenommen hat. Es ist eine lautlose Revolution, die sich bei Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, oft mitten im Alltag und ohne den Nimbus des Besonderen, unaufhaltsam vollzieht. Ardagh nennt das Erwachen auf der Schwelle zum zweiten Rang, das er in seinem Buch untersucht, ?Transluzenz?. (?Translucent? bedeutet im englischen Original ?partiell lichtdurchlässig? und ist damit eine treffende Metapher).
Dieser fortschreitende Prozess der Transformation, wie ihn heute immer mehr Menschen erleben, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem traditionell angestrebten (vermeintlichen) Endzustand ?der Erleuchtung?: Tranzluzente Menschen haben aufgehört, spirituell etwas erreichen zu wollen und versuchen nicht, sich dahingehend zu verbessern. Sie akzeptieren alles, was der Moment ihnen bietet, auch ihre eigenen Unzulänglichkeiten. Sie verändern sich stetig und vertiefen ihr spirituelles Erfahren. im Einklang mit dem fließenden Prozess des Lebens. Sie brauchen keine Gurus oder Lehrer – und scheuen sich wiederum nicht, parallel von mehreren Lehrern aus mehreren Traditionen zu lernen. Sie ziehen sich nicht zurück, um zu praktizieren, sondern ?umarmen das Leben?, mit allem was dazu gehört. Sie halten nichts von Askese, sondern erfahren Körper, Geist, Seele und GEIST als Einheit. Sie stehen mitten im Leben, treiben Sport, leben ihre Sexualität, gehen ihrer Arbeit nach, gründen Familien und machen ihre Steuererklärung.
Ardagh hat dieses Phänomen über mehrere Jahre hinweg untersucht, indem er eine große Anzahl an tranluzenten Menschen nach ihrem Erleben befragte und ihr Verhalten beobachtete, darunter bekannte spirituelle Lehrer ebenso wie die Hausfrau von nebenan. Die untersuchten Menschen sind so vielfältig wie man sie sich nur vorstellen kann. Aus dem, was ihnen gemeinsam ist, entstand dieses Buch.
Beschrieben wird, wie sich der Prozess transluzenter Entwicklung auf individuelle Lebensbereiche, wie persönliches Verhalten, das innere Erleben, den Umgang in Beziehungen, künstlerisches Schaffen, Kindererziehung und ebenso auf kollektive Aspekte, wie das Bildungs- und das Gesundheitswesen oder die Wirtschaft auswirkt. Konkrete Beispiele aus den von Ardagh geführten Interviews mit transluzenten Personen machen den Text unterhaltsam und anschaulich. Besonders hilfreich ist auch die Richtigstellung häufig vorkommender Fehlannahmen, wie es sein müsste, erwacht zu sein. Sie sind, humorvoll als ?Spiritueller Mythos Nr. 1 ? 30? markiert, in die verschiedenen Kapitel eingestreut. Darüber hinaus wird der Leser eingeladen, in sich in einer Reihe von Übungen, die die oftmals auch mit einem Partner ausgeführt werden können, mit seiner eigenen Entwicklung von Transluzenz auseinander zu setzen.
Wie endet nun diese aufschlussreiche Monografie? Ardagh bekennt, dass es ihm nicht gelungen ist (und auch nie gelingen wird), das Buch fertigzustellen: Bevor es gedruckt werden konnte, hatten viele der darin beschriebenen Menschen ihr transluzentes Er-leben bereits merklich vertieft und erweitert. Die lautlose Revolution schreibt sich fortlaufend weiter. Transluzenz ist kein Endzustand, den man ultimativ erreicht, sondern ein evolutiver Prozess, der die strukturelle Entwicklung und die damit einhergehende Veränderung im Erfahren der Zustände, an den Bedingungen des Lebens im 21. Jahrhundert feinschleift. ?Erwachen ist nur der Anfang. Erst wenn wir dieses Erwachen auch leben, begegnen wir neuen Horizonten?.
Juli 2007