Michael Habecker
Der Begriff “Singularität” hat viele Bedeutungen. Eine davon im Zusammenhang mit technologischer Entwicklung ist die, dass, bei laufender Verdoppelung technologischer Möglichkeiten, wie beispielsweise der Schnelligkeit der Informationsverarbeitung, irgendwann der Punkt erreicht ist, wo diese Fähigkeiten exponentiell „nach oben“ hin in einer Singularität explodieren – was immer Zukunftsforscher sich darunter vorstellen. Etwas Ähnliches kann man auch für die Bewusstseinsentwicklung postulieren in dem Sinn, dass große Bewusstseinssprünge in immer kürzeren Abständen erfolgen.
Die Zukunftsoptimisten vertrauen dabei auf die Innovativkraft des menschlichen Geistes nach dem Motto „es ist ja immer gut gegangen“ und sehen keinen Grund, sich irgendwelche Begrenzungen aufzuerlegen, – im Gegenteil – der Einfallsreichtum des menschlichen Geistes und damit auch der menschlichen Möglichkeiten ist unbegrenzt und soll es auch bleiben, auch im Hinblick auf ihre Außenwirkungen und Eingriffe. Im Unterschied dazu zeigen Wachstumskritiker schon seit langem die „Grenzen des Wachstums“ auf, die in manchen Teilen der Welt bereits zu existentiellen Problemen wie dem Verlust der Heimat (wegen Überflutung) führen und machen uns klar, dass ohne freiwillige massive Beschränkungen unseres Lebensstils das Leben auf diesem Planeten keine Zukunft hat, jedenfalls keine, die mit dem Begriff „human“ beschrieben werden kann. (Siehe hierzu auch den Beitrag zur Postwachstumsökonomie in dieser Ausgabe).
Die integrale Theorie sieht eine Wahrheit in beiden Perspektiven. In einem Beitrag A Singularity in All Four Quadrants vom 9. September 2013, veröffentlicht auf integrallife.com (http://integrallife.com/integral-post/singularity-all-four-quadrants) geht der Autor Corey deVos der Frage Die Singularität: Durchbruch oder Zusammenbruch? [rupture or rapture] nach. Dabei unterscheidet er unter Zuhilfenahme der vier Quadranten vier ganz unterschiedliche Arten von Singularität und, damit verbunden, auch vier unterschiedliche Arten von Wachstum und Wachstumsgrenzen (innerlich-individuell, kulturell, äußerlich-individuell und systemisch). Da die vier Quadranten unterschiedliche Perspektiven eines Ereignisses sind, entstehen durch die Unterschiedlichkeiten in den Bereichen unterschiedliche Arten von Freiheiten und Begrenzungen und, damit verbunden, Wachstumsspannungen.
Corey deVos beginnt mit der Erläuterung der Natur des exponentiellen Wachstums, welches, erst allmählich beginnend, über eine beschleunigte Phase schließlich steil „nach oben“ geht in die Unendlichkeit. (Frage: wenn die Seerosenblätter auf einem Teich ihre Oberfläche mit jedem Tag verdoppeln, und wenn der Teich in 50 Tagen zur Hälfte zugewachsen ist, wie lange dauert es, bis der Teich vollständig mit Seerosenblättern bedeckt ist? Antwort: noch einen Tag). Im Unterschied dazu geschieht lineares Wachstum allmählicher und ist auch für das menschliche Denken leichter zu erfassen. Exponentielles Wachstum gibt es sowohl „natürlich“, wie bei der Vermehrung durch Zellteilung, als auch „kulturell/künstlich“, wie beim Zinseszinsmechanismus. Beides stößt in einer endlichen Welt immer an Grenzen. Das Gleiche gilt für das „Wachstum“ von Ideen, die nicht einmal exponentiellen Wachstumsbeschränkungen unterliegen. Doch wenn Ideen sich in der Welt manifestieren sollen, dann stoßen auch sie an Grenzen und dies führt zu den oben erwähnten Wachstumsspannungen.
In einer näheren Betrachtung dessen, was bei Wachstum eigentlich geschieht und worin eine „Singularität“ besteht, unterscheidet deVos entsprechend den vier Quadranten eine Singularität in jedem von ihnen.
- Post-Menschsein (die Zukunft des Körpers, der obere rechte Quadrant)
- Post-Knappheit (die Zukunft der Technologie, der untere rechte Quadrant)
- Post-Ironie (die Zukunft der Kultur, der untere linke Quadrant)
- Post-Metaphysik (die Zukunft des Bewusstseins, der obere linke Quadrant)
Die Singularität Nr. 1, das Post-Menschsein [Post-Humanism] charakterisiert deVos als “die Integration organischen und anorganischen Materials zur Steigerung unserer physischen, wahrnehmenden und intellektuellen Fähigkeiten, um zu einem besseren, schnelleren und stärkeren Menschen zu werden.“ Als Beispiele nennt er eine erweiterte/virtuelle Wirklichkeit, Bionik (als die Verbindung von Technik und Biologie), Nanomedizin, Gentherapie, Anti-Aging, Organregeneration und eine maschinenerweiterte Kognition. Was man noch hinzufügen könnte, wären mögliche Verbesserungen unseres subtilen Körpers mit entsprechenden erweiterten energetischen Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Die Singularität Nr. 2, als eine Überwindung von Knappheit [Post-Scarcity], bezogen auf technologische und ökonomische Möglichkeiten, beschreibt deVos wie folgt:
Im Verlauf der Menschheitsgeschichte bestand eine der Hauptantriebskräfte der Zivilisation darin, Auswege aus Ressourcenknappheiten zu finden – Wasser, Nahrung, Energie, Arbeit, seltene Mineralien und Metalle und so weiter. Es scheint keine Begrenzungen für unsere Wünsche, Bedürfnisse und Bestrebungen zu geben und doch leben wir in einer Welt begrenzter Ressourcen. Es klafft eine große Lücke zwischen der unbegrenzten Überfülle des menschlichen Geistes und den endlichen Begrenzungen der menschlichen Lebensbedingungen und in dieser Lücke liegen unsere besten und unser schlimmsten Möglichkeiten – zwischen Krieg und Innovation, Wettbewerb und Kooperation, Tribalismus und Globalismus.
Jede Hauptstufe technologischen und ökonomischen Wachstums (vom Jagen und Sammeln zu Gartenbau zu Ackerbau zu Industriell zu Informationell) hat zu besseren Möglichkeiten geführt, Mangel und Knappheit zu überwinden, war ein schrittweiser Fortschritt der Zivilisation zum Überfluss, hin zu einer integrierten globalen Gesellschaft. Doch wie würde die Welt aussehen, wenn wir die Begrenzungen des Mangels insgesamt überwinden könnten? Wie können wir uns auf eine neue Weise unsere globalisierte Zivilisation vorstellen, wo, als ein Minimum, alle Menschen Zugang haben zu den unteren Stufen der Maslov’schen Bedürfnispyramide – Nahrung, Wasser, Wohnung, Schutz und eine Gesundheitsversorgung. Was würde dies für unser Wirtschaften, unser Eigentum (sowohl geistig als auch materiell), Klassenunterschiede und soziale Gerechtigkeit bedeuten?
Als Innovationen, die in Richtung einer den Mangel überwindenden Welt führen, nennt deVos: Die Robotik, künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, 3D Printing (als ein persönliches Produzieren), sich selbst steuernde Autos, Graphene und andere Materialien, Wetterbeeinflussungen, die Mineraliengewinnung von Asteroiden und Raumfähren.
Die Singularität Nr. 3: als eine Ironie-überwindende Kultur (The Future of Culture) wird von deVos mit folgenden Sätzen beschrieben:
Die ersten zwei Singularitäten (Post-Menschsein und Post-Knappheit) sind gut dokumentierte Muster technologischer Innovationen im Sinne einer „Hardware“ der Zukunft. Jetzt wenden wir uns den inneren Singularitäten zu, der so wichtigen „Software“ von Kultur und Bewußtsein, ohne die all die Technologien nur tote Artefakte sind. Die Technologien existieren nicht in einem Vakuum und ihre Anwendung zu einer möglichen Linderung menschlichen Leidens hängt vollständig davon ab, welche Werte wir mit ihnen als Kultur verbinden.
Vor etwa 50.000 Jahren tauchten magische Kulturen auf mit einer entsprechenden techno-ökonomischen Entwicklungsstufe des Jagens und Sammelns.
Mythische Kulturen erschienen vor etwa 5.000 Jahren mit dem Gartenbau und dann später mit Ackerbau während der Achsenzeit vor etwa 2.500 Jahren.
Die ersten Regungen moderner rationaler Kultur begannen vor etwa 500 Jahren mit der Renaissance und der industriellen Revolution.
Postmoderne pluralistische Kulturen tauchten dann vor etwa 500 Jahren auf, als das Medienzeitalter uns viele neue Perspektiven und Wertesysteme ausder ganzen Welt eröffnete, weshalb wir jetzt von einem Informationszeitalter sprechen.
Dies sind natürlich nur grobe Annäherungen, doch sie weisen auf einen allgemeinen Trend kultureller Beschleunigung hin (50.000zu 5.000 zu 500 zu 50 Jahren), bei dem neue Stufen immer schneller erscheinen als ihre Vorgänger.
Alle diese kulturellen Weltsichten sind in unserer heutigen Welt lebendig mit all ihren inneren Konflikten, aber auch mit den Konflikten, die zwischen ihnen entstehen als horizontale und vor allem vertikale Kulturkriege.
Wir können sagen, dass uns die menschliche Evolution von autoritären Kulturen (Traditionalismus) zu Kulturen der Autonomie (Modernismus) geführt hat und weiter zu Kulturen der Selbstverwirklichung (Postmodernismus) und dass wir uns jetzt in Richtung einer Kultur von Authentizität bewegen (integral). Mehr als alles andere weist der Begriff einer Post-Ironie auf ein definierendes Merkmal dieser beginnenden Kultur der Authentizität. Es ist ein kultureller Ausdruck, der über Zynismus, Ironie und selbstbezügliche Impotenz hinausreicht.
Als Merkmale einer post-ironischen Kultur führt deVos auf:
- Der kulturelle Ausdruck aller vorangegangenen Kulturen ist sowohl gültig wie wertvoll,
- Keine spezifische Kultur, Weltsicht oder Werteansicht ist mehr oder weniger legitim als eine andere,
- Die Kulturen sind unterschiedlich vorbereitet auf die gegenwärtigen Herausforderungen,
- Jüngere Wertevorstellungen scheinen bedeutender für die Zivilisation zu sein, während frühere Werte grundlegender für die Zivilisation zu sein scheinen,
- Jedes dieser kulturellen Muster brachte bedeutende Fortschritte in der Bedeutungsfindung sowie auch in der Linderung menschlichen Leidens,
- Jedes dieser kulturellen Muster hat eine Schattenseite, welche zu Problemen führt, die erst die nachfolgende kulturelle Orientierung zu lösen beginnen kann.
Die Singularität Nr. 4 als eine Post-Metaphysik [Post-Metaphysics] weist auf die Zukunft des Bewusstseins hin.
So wie uns unsere Technologie hilft, den Mangel zu überwinden, so finden wir auch eine Analogie im psychologischen Wachstum der inneren Bewusstseinsstufen als einen gewaltigen Schritt von unseren angstbasierten Motivationen aus einer Wahrnehmung persönlichen Mangels heraus hin zu einer Motivation von zunehmender Freiheit, von Überfluss und Fülle.
DeVos erwähnt, dass unser Wissen über das menschliche Bewusstsein weit zurückbleibt hinter unseren technologischen Erkenntnissen und dass sich die Geisteswissenschaften generell schwer tun in einer materialistisch ausgerichteten Gesellschaft.
Warum ist das so wichtig? Wenn wir eine bessere Zukunft erschaffen wollen, müssen wir verstehen, was Menschen motiviert – warum sie die Entscheidungen treffen, die sie treffen und wie wir dabei helfen können, zu besseren, mitfühlenderen und nachhaltigeren Entscheidungen zu kommen zum Wohle von uns allen.
Er geht dann noch auf die Möglichkeiten – und gegenwärtigen Grenzen – künstlicher Intelligenz ein:
Es wird im Hinblick auf künstliche Intelligenz selbstverständlich angenommen, dass diese Maschinen irgendwie automatisch (und „automagisch“) eine innere Bewusstheit erreichen. Doch so, wie es heute aussieht, kann eine rechnende Intelligenz mich zwar im Schach schlagen, doch mein Laptop ist sich nicht der Tatsache bewusst, dass er mich im Schach geschlagen hat. Es ist eine Sache, künstliche Intelligenz herzustellen, doch es ist eine ganz andere Sache, ein digitales Bewusstsein zu schaffen. Sind mathematische Algorithmen ausreichend, um ein „inneres Licht“ von Wahrnehmungen, Impulsen, Emotionen, Symbolen und Konzepten zu erzeugen als Träger innerlicher Bewusstheit? Vielleicht, aber zuerst müssen wir wissen, was Bewusstsein tatsächlich ist.
Bewusstheit (oder Bewusstsein) ist die letztendliche und unausweichliche Singularität am Beginn und am Ende aller Dinge – ein Singularität, die so grundlegend singular ist, dass wir davon keinen Plural kennen.
Corey deVos fasst zusammen:
Die Singularität verspricht uns sowohl Zusammenbrüche als auch Durchbrüche. Unsere Identitäten, Ideale und Werte versuchen mit der Beschleunigung der technologischen Evolution Schritt zu halten, doch die Lücke zwischen der Hardware der Technologie und der Software von Bewusstheit und Kultur scheint sich zu vergrößern. Es ist völlig klar: wenn die technologische Singularität wirklich zu einer völlig neuen menschlichen Existenz führen soll, dann muss sie von einer kulturellen Singularität und einer Bewusstseinssingularität begleitet werden – als einer Singularität des „Ich“, des „Wir“ und des „Es“. Sonst wird es keine Singularität geben, sondern lediglich ein weltumspannendes Monster am Ende der Geschichte, welches die Evolution in dieser kleinen Ecke des Universums um Jahrtausende, wenn nicht Jahrmillionen zurücksetzt.
Anlage: Eine Interpretation der Singularität
(Quelle: IntegralNaked, Integral Buddhism Seminar, 2007, Interpreting the Singularity)
Einleitung der IntegralNaked Redaktion
Nichts hat wohl mehr zur Gestaltung technologischer und sozialer Veränderungen der vergangenen 50 Jahre beigetragen, als das Mooresche Gesetz. 1965 formulierte Gordon P. Moore seine berühmte Beobachtung, die technisch ausgedrückt besagt, dass die Anzahl der Transistoren, die auf einem integrierten Schaltkreis Platz haben, sich alle zwei Jahre verdoppelt, was zu einer Zunahme von Rechnerkapazität bei gleichzeitiger Preisreduktion führt. Diese Art von Gesetzmäßigkeit kann generell als ein Sinnbild für die technologische Beschleunigung verstanden werden. In jeder Menschheitsepoche lassen sich derartige Trends beobachten, bei denen die Zeitabschnitte für den Durchbruch einer neuen Technologie immer kürzer werden. Wir können beispielsweise für die Periode der Jäger und Sammler einige hunderttausend Jahre annehmen, für die Ackerbauperiode zehntausend Jahre, einige tausend Jahre für die Gartenbauperiode, fünfhundert Jahre für Wissenschaft und Industrie und gerade einmal 50 Jahre für die digitale Technologie, wobei jede Epoche für ihre Reifung nur einen Bruchheil der Zeit ihrer Vorgängerepoche benötigte. Der science fiction Author Arthur C. Clarke hat darauf hingewiesen, dass eine fortgeschrittene Technologie etwas Magisches hat. Die Lücke zwischen dem Heute und dem Morgen schließt sich mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit und die Zukunft nimmt dabei immer mehr surreale Züge an. Ein passendes Beispiel dafür ist die Arbeit vom Erfinder und Futuristen Ray Kurzweil, der oft von einem Zeitpunkt spricht, der sich innerhalb der kommenden fünfzig Jahre ereignen soll, bei dem sich unser technologischer Fortschritt der Unendlichkeit annähert – ein Ereignis, welches er mit dem Wort „Singularität“ beschreibt. Dieses Ereignis stellt den Ereignishorizont unserer eigenen technologischen Evolution dar, über den hinaus wir uns nichts weiter vorstellen können. Macht das Konzept einer Singularität überhaupt Sinn, oder ist das lediglich eine mythische Verzückung für Techno Schlappschwänze? Was bedeutet ein exponentieller technologischer Fortschritt für das menschliche Bewusstsein? Welche Rolle spielt die integrale Vision bei der freien Verfügbarkeit und Allgegenwärtigkeit von Informationen im Rahmen eines „globalen Gehirns“, welches sich derzeit bildet?
Frage: Überall auf der Welt bauen wir, die Menschheit, sehr leistungsfähige Informationssysteme, für Kommunikation und viele andere Dinge. Ich freue mich, dass das Integrale Institut diese Instrumente nutzt, um deine Arbeit bekannter zu machen. Innerhalb der nächsten 20 Jahre nähern wir uns der „Singularität“. Könntest du etwas dazu sagen, wie wir deiner Meinung nach diese sehr einflussreichen Kommunikationsmöglichkeiten auf eine Weise nutzen können, die uns hilft?
Ken Wilber: Ja, es kann etwas von der Matrix haben [Ken Wilber bezieht sich auf die Filmtrilogie gleichen Namens], wenn man darüber nachdenkt. Wir, die Weltgemeinschaft, sind jetzt überall dabei, so etwas wie ein globales Gehirn zu entwickeln, nicht notwendigerweise einen globalen Geist oder ein globales Bewusstsein für dieses globale Gehirn, doch wir schaffen diese außerordentliche große Anzahl von Verbindungen und treten jetzt wirklich in das Informationszeitalter ein. Für dieses Informationszeitalter gibt es eine Reihe von Regeln und eine davon lautet: „Informationen gibt es umsonst“. Informationen sind mehr oder weniger frei, Menschen verdienen nicht mehr viel an Informationen. Für menschlichen Kontakt wird nach wie vor bezahlt, und wofür etwas im Zusammenhang mit Informationen bezahlt wird, ist deren Zusammenstellung [edit]. Wir werden von Informationen überflutet – man kann bei Amazon schon auf sehr viele Bücher per Suchmodus zugreifen, all das ist im Wesentlichen kostenlos. Wir haben Zugang zu allen Kulturen der Welt und zu jedem esoterischen Geheimnis. Jede Antwort auf jedes Zen Koan ist veröffentlicht, die allergeheimsten Geheimnisse sind offen zugänglich. Gesundes Grün denkt, dass dies eine gute Entwicklung ist, die dazu führt, dass man keine Verleger mehr braucht, weil jeder sein Buch selbst verlegen kann, online, und man alles andere loswerden kann, doch was wir jetzt haben, ist eine Überfrachtung mit Informationen. Und was machen wir? Wir bezahlen Menschen dafür, uns zu sagen, welche dieser Informationen gut sind. Wir zahlen für die Zusammenstellung [editors] von Informationen. Ein Verlag wie shambhala ist nicht mehr der klassische Verlag mit einem physischen Gebäude, in dem Bücher gedruckt werden, die dann verteilt werden. Was den shambhala Verlag ausmacht, ist der Name, dem Menschen vertrauen. Die eigentliche Substanz von shambhala sind die 9 Buchstaben des Namens, das Wort „shambhala“. Wenn ein Buch von shambhala herauskommt, dann vertrauen Menschen auf diesen Namen und kaufen das Buch. Es sind diese Namen, denen die Menschen vertrauen, Organisationen, die sich einen Namen mit der Verbreitung von Informationen gemacht haben. Der Herausgeber der New York Times sagte einmal: „Die Menschen bezahlen uns für das, was wir nicht drucken.“ Das ist das, was wir jetzt erleben.
In vielleicht 30 Jahren – und das ist das, was Ray Kurzweil mit dem Begriff „Singularität“ meint – strebt die technologische Innovationsgeschwindigkeit gegen Unendlich. Immer mehr Innovationen ereignen sich immer schneller. Maschinen sind an dem Prozess auch beteiligt und beschleunigen diese Revolution noch. Wenn man sich das mathematisch aufzeichnet [z. B. die Verdoppelung der Innovationsrate in gleichen Zeitabschnitten], dann geht diese Innovationskurve in 30 Jahren gegen Unendlich. Niemand kann heute sagen, was das bedeutet. Für die Boomer bedeutet das, dass sich damit die größte Revolution in der Geschichte der Welt ereignet und dass sie selbst dafür verantwortlich sind. Das ist, aus ihrer Perspektive, etwas sehr Gutes. Andere sagen, dass wir dann unser Bewusstsein in Computer herunterladen können und keinen physischen Körper mehr brauchen. Dann muss man diese Computer genau beobachten Was passiert, wenn sie irgendwo herunterfallen – ist dann alles aus [Lachen]? Unsere Lebenserwartung wird sich verlängern und darüber werden sehr ernsthafte Überlegungen angestellt, bis hin zu Lebenserwartungen von 100.000 Jahren. Unter diesen Umständen wäre es wirklich tragisch, im Alter von 7 Jahren von einem Bus überfahren zu werden [Lachen]. All das muss auf eine dramatische Weise neu überdacht werden. Es ist sehr schwierig, sich vorzustellen, wie diese Zukunft aussehen wird. Was es auf jeden Fall geben wird, sind Gehirn/Geist Implantate. Kurzweil beschreibt das so, dass alle Informationen der Welt einem zur Verfügung stehen. Doch auch dann muss man immer noch die ganz große Entdeckung der Postmoderne in Betracht ziehen und zwar, dass es keine eine vorgegebene Welt gibt. So etwas existiert nicht. Es ist aber auch nicht so, dass alles lediglich eine soziale Konstruktion ist. Es gibt eine zweite Schule des Postmodernismus, die aufzeigt, wie man dort [aus der Vorstellung, dass alles lediglich eine soziale Konstruktion ist] wieder herauskommt, und das ist die Genealogie. Genealogie geht zurück [z. B.] auf Nietzsche, Foucault und es ist eine Form von Entwicklungspsychologie. Was man damit erkennt, ist, dass es nicht einfach nur eine Welt gibt, sondern dass es eine rote Welt gibt, eine bernstein Welt, eine orange Welt, eine grüne Welt, eine petrol Welt, eine türkise Welt, eine indigo Welt, eine violette Welt, eine ultraviolette Welt und in all diesen unterschiedlichen Welten sieht man unterschiedliche Phänomene. Menschen auf diesen unterschiedlichen Bewusstseinsebenen sehen verschiedene Welten – ganz konkret. Wir können daher nicht auf eine dieser Welten zeigen und sagen, „oh, das ist die eine Welt, das ist die wirkliche Welt.“ Was wir jedoch sagen können, ist, dass jemand bei Türkis eine höhere und umfassendere Weltsicht hat als jemand bei Rot. Diese Art von Unterscheidungen kann man machen und das ist wichtig. Doch selbst, wenn jeder Mensch Implantate im Gehirn hat [mit Zugang zu allen Informationen], bleibt die Frage, wie man diese Informationen interpretiert. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt bei Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsstufen. Man interpretiert den eigenen Bewusstseinszustand entsprechend der Bewusstseinsstruktur, bei der man sich befindet. Eine Information, die man hat oder erhält, hört sich unterschiedlich an bei Rot, Orange, Grün usw. Das zwingt uns noch mehr dazu, uns die unterschiedlichen Weltsichten anzuschauen, die Menschen bewohnen. Ich sehe daher bei der Globalisierung von Informationen und der dazugehörigen Technologie auch Probleme – ich glaube nicht, dass man das aufhalten kann, ich denke, es wird geschehen und spreche daher auch über worst case Szenarios bestimmter Aspekte, um Menschen dazu zu bringen, darüber nachzudenken und zu sprechen.
Frage: Was für Systeme können wir dabei aufbauen, Systeme für uns?
KW: Die Schattenseite bei dem, was in der Blogsphäre oder gesamten Informationssphäre überhaupt geschieht, ist, dass Menschen, die sehr viel Zeit übrig haben, dazu tendieren, die Dialoge zu dominieren. Diejenigen, die wirklich zu tun haben, Bücher schreiben, die Welt verändern usw., nehmen an diesen Diskussionen kaum teil. Darauf hat schon Habermas hingewiesen, dass die intellektuelle Qualität dabei sehr in den Hintergrund tritt. Das Positive dabei ist, dass Menschen wie wir beispielsweise sich finden können. Das ist sehr wichtig und dadurch können viele positive Dinge geschehen. Wir können und werden diese Systeme nutzen und sie helfen uns dabei, uns mit Menschen weltweit zu verbinden. Wir können dadurch „best practices“ miteinander austauschen, wie man lokale Gruppen organisiert, wie man Materialien für die Presse zusammenstellt, um z. B. darauf hinzuweisen, dass wir nicht das Gleiche machen wie die Baptisten der Südstaaten, aber mit vielen kontemplativen Lehrern weltweit zusammenarbeiten. Wir möchten also diese neuen Möglichkeiten nutzen, auch als ein Marketing- und PR Instrument im besten Sinne, um zu kommunizieren, was wir hier machen. Doch was wir hier machen – und das ist ein Problem – wird weniger als 2% der Bevölkerung wirklich etwas sagen, damit müssen wir leben. Kognitiv können etwa 25% der Bevölkerung verstehen, was wir tun und sie sind daran auch interessiert. Doch was wir brauchen, sind Menschen, die uns dabei helfen, mit den 2% zu arbeiten, die sowohl, was ihre kognitive Entwicklung als auch was ihre Selbstentwicklung betrifft, sich bei Türkis oder höher befinden. Nicht: kognitiv Türkis – Selbst Grün, oder kognitiv Türkis – Selbst Orange. Das sind viele Menschen, doch es sind nicht diejenigen, die wirklich daran arbeiten, dass das, was wir vorhaben, auch geschieht. Was wir auf jeden Fall auf der [damals neu zu gestaltenden] Webseite [IntegralLife] machen möchten, ist, die Möglichkeit geben, sich über „best practices“ auszutauschen: wie organisiert man einen integralen Salon, wie organisiert man eine lokale ILP Gruppe usw. Daran arbeiten wir, doch ich darf keine Versprechungen mehr abgeben [Lachen], aber ich kann versprechen, dass wir daran arbeiten. [Lachen]
(aus: Online Journal Nr. 44)