Ken Wilber, in einem Interview 2005
Frage: Im Februar 2005 hatten Sie in einer E-Mail an uns Folgendes geschrieben:
“Zur militärischen Thematik: Europa hat einen hohen Prozentsatz an Grün, der die weltweite Bedrohung durch Rot maßlos unterschätzt. Amerika hat einen hohen Prozentsatz an Blau, der die weltweite Bedrohung durch Rot maßlos überschätzt. Ich versuche ein integrales Gleichgewicht zwischen beiden zu halten – und ernte dafür auf beiden Seiten abgrundtiefes Misstrauen! Was soll denn ein armer integraler Bursche da bloß tun?”(:-)
Ken Wilber: Was die „militärische Thematik“ betrifft, bleibt einem nichts anderes übrig, als nach eigenen Maßstäben so integral wie möglich zu bleiben. Es geht jedoch um die Frage: Wenn man einen der einflussreichsten Staatsoberhäupter der Welt beraten könnte, zu was würde man ihm raten? Und da wird es sehr schwierig, das richtige Maß zu finden. In Amerika ist das inzwischen unmöglich geworden weil wir, im Grunde genommen, blaue Werte haben, eine bernsteinfarbene, mythische Zugehörigkeit und fundamentalistische Standpunkte. Grob geschätzt vertreten etwa 50% der Amerikaner diese Werte. Die Hälfte von uns ist zutiefst puritanisch und fundamentalistisch eingestellt.
Früher war es so, dass die Fundamentalisten ihre Anhänger nicht in die Wahllokale locken konnten. Aber George Bush hat einen Berater, [Karl] Rove, der so etwas wie ein kleines Genie ist. Rove hat herausgefunden, wie man diefundamentalistischen Kirchen ansprechen muss, um sie zum Wählen zu bewegen. Auf der einen Seite wissen also die Republikaner und Konservativen, wie man die eigenen Leute hinter dem Ofen hervorlockt, damit sie alle wählen gehen; auf der anderen Seite ist die Liberale Partei eine einzige Katastrophe, weil die Liberalen, d.h. die Demokraten in diesem Land sich im Grunde genommen aus Orange, Grün und Rot zusammensetzen. Den Demokraten fallen die prä-konventionellen und die post-konventionellen, und den Konservativen die konventionellen Werteträger zu. Früher, als die Demokraten ganz einfach Orange repräsentierten –die Werte der Aufklärung – und die Konservativen mythische Zugehörigkeit, grundlegend Blau bzw. Bernstein, da fiel es den Liberalen relativ leicht, hin und wieder die Mehrheit der Stimmen für sich zu gewinnen. Als sich jedoch Grün herauszubilden begann (Grün und Orange können sich nicht ausstehen, hassen einander buchstäblich), entstand deshalb ein besonders ungesundes Grün, von mir auch Boomeritis genannt – eine schlimme Angelegenheit.
Die Liberale Partei ist demnach tief gespalten zwischen althergebrachten Liberalen – den Liberalen der Aufklärung, die für orange Werte, Individualität, Freiheit, Leistungsstreben, usw. stehen – und den grünen Liberalen, die den Westen verdammen, die Demokratie verdammen und aus irgendeinem Grund glauben, dass prä-moderne Gesellschaften, wie der Irak, frei und ohne Unterdrückung seien und dass wir wieder zum „edlen Wilden“ zurückkehren sollten. Wenn dann so ein grüner Liberaler daherkommt, der den Westen ablehnt, der die Aufklärung ablehnt – warum sollte man ihn zum Präsidenten wählen? Das ergibt keinen Sinn. Der Präsidentschaftskandidat erhebt sich und sagt: „Ich will, dass ihr mich zu eurem Präsidenten macht. Ich lehne dieses Land ab, ich lehne diese Werte ab, ich lehne Euch alle ab – aber wählt mich zum Präsidenten!“. So viel zur Demokratischen Partei. Sie befindet sich in einem erbärmlichen Zustand, sie ist zersplittert in diese beiden Lager, die sich nicht ausstehen können. Deshalb, und weil die Konservativen sich nun zusammengerauft haben, werden die Konservativen, wie ich befürchte, für ein gutes weiteres Jahrzehnt an der Macht bleiben. Und das wird uns eine Menge Probleme bescheren.
Es ist ja nicht so, dass dieses Land konservativ ist, es ist einfach nur, dass es den Konservativen gelungen ist, sich zusammenzuraufen – und die Demokraten brechen auseinander. Und wozu das führen wird, zeichnet sich jetzt schon ab, in dem, was die Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat vorhaben: Sie versuchen die Lehre der Evolution zu verbieten. Sie sind, durch die Bank, Fundamentalisten und das ist äußerst problematisch. Wenn sie die Präsidentschaft und die außenpolitischen Beziehungen in der Hand haben, gehen sie selbstverständlich geschlossen vor. Amerika meint daher, als die einzige verbleibende Supermacht könne es die Welt herumkommandieren – und das ist eine Katastrophe!
Ich halte mir immer vor Augen, dass jeder Mensch bei seiner Geburt ganz von vorne anfängt, dass alle Menschen sich von Rot nach Bernstein, nach Orange, nach Grün, nach Petrol, nach Türkis nach Indigo entwickeln. Jeder tut das. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir eine parlamentarische Regierung haben, in der Rot sich vertreten fühlt, ebenso wie Bernstein und Orange usw. Aber leider haben wir in diesem Land dieses idiotische Zweiparteien-System, bei dem immer nur die eine oder die andere Partei gewählt wird. Das ist ein schlimmer Zustand, weil er die Konservativen an der Macht halten wird. Gemäss Clare Graves ist Blau (bzw. Bernstein) absolutistisch – und das stimmt auch. Nicht zu vergessen, dass es ethnozentrisch ist. Wir haben also eine absolutistische, ethnozentrische Außenpolitik. Und das ist einfach beängstigend!
Das wahrlich bedeutsame an der Aufklärung ist – und dieser Punkt ist immens wichtig –, dass weltzentrische Umgangsweisen für das Verhalten im öffentlichen Raum als Mininmalanforderung betrachtet werden. Orange oder höher – darum geht es in den Demokratien, darum geht es in der weltzentrische Sichtweise, darum geht es bei Freiheit und Gleichberechtigung. Leider verhilft Grün, in dem es Orange angreift, Blau zum Sieg. Und darin besteht die eigentliche Katastrophe.
Frage: Mark Edwards stellte soeben eine Frage zur Demokratie: „In Deutschland sind am kommenden Samstag Bundestagswahlen. Zur Zeit wird die Welt mit einer großen Zahl von ernsten globalen Herausforderungen konfrontiert. Lösungen, die aus konventionellen Denkweisen heraus entwickeltwerden, tendieren dazu, diese Probleme eher noch zu vergrößern als sie zu lösen. Die Demokratien, wie wir sie derzeit haben, kümmern sich jedoch hauptsächlich darum, konventionellen oder populistischen Anforderungen gerecht zu werden. Somit haben wir eine Situation geschaffen, in der das Abhalten von Wahlen Vorgehensweisen und Weltsichten institutionalisiert, mittels derer wir niemals in der Lage sein werden, mit den globalen Herausforderungen, die über unsere Zukunft entscheiden, adäquat umzugehen. Gibt es einen Ausweg aus dieser Dilemma?“
KW: Ich denke, dass Mark absolut Recht hat. Er wiederholt damit eine Kritik an der Demokratie, wie es sie schon seit Platon gegeben hat. Es lässt sich ganz einfach auf den Punkt bringen: 70% der Weltbevölkerung befindet sich auf der ethnozentrischen oder einer noch niedrigeren Stufe (d.h. faschistoid oder noch tiefer, fundamentalistisch oder noch tiefer). Wenn das Direktwahlsystem vorherrschte, mit einem 1:1 Verhältnis von Wähler zu Stimme, dann würden Faschisten und Fundamentalisten die Welt regieren. Demokratie ist dann verheerend, wenn sie mit „eine Person, eine Stimme“ gleichgesetzt wird.
Demokratie in ihrer besten Form, (wie es sie in Amerika und in Europa immer gegeben hat), ist mit Sicherheit eine repräsentative Demokratie. Das erfordert kein Direktwahlsystem, sondern, dass die Menschen ihre politische Führung demokratisch wählen. Jeder ist wahlberechtigt und gewählt werden die Führungspersonen, die dann die Entscheidungen zu treffen haben. Zu hoffen ist, dass gerade diese Führungspersonen ein bisschen höher entwickelt sind – sie werden die Führung innehaben und man kann nur hoffen, dass sie das Richtige tun.
In Amerika haben wir zwei bis drei Pufferschichten zwischen dem Volk und den Führungspersonen: z. B. wählen die Bürger die Wahlmänner und die Versammlung der Wahlmänner wählt den Präsidenten. Der Senat wird lediglich alle sechs Jahre gewählt, im Gegensatz zum Repräsentantenhaus, das alle zwei Jahre zur Wahl steht. Die zugrunde liegende Idee ist, dass das bürgernähere Repräsentantenhaus häufiger gewählt wird, damit es den Wählerwünschen besser entsprechen kann; die Senatoren werden im Sechsjahres-Turnus gewählt, damit sie weiter entfernt zum Volk die richtigen Entscheidungen treffen können, ohne dafür gleich wieder abgewählt zu werden. Der Senat sollte gewissermaßen als „Haus der Weisheit“ fungieren, das Repräsentantenhaus als „Haus des Volkes“. Es hat also immer ein gewisses Verständnis dafür gegeben, dass eine repräsentative Demokratie einen Puffer bildet, zwischen der politischen Führung und dem, was einer unserer großen Staatstheoretiker, Madison, die „Tyrannei der Mehrheit“ nannte. Was wir anstreben ist, dieses feine Gleichgewicht, bei dem einerseits jeder ein Mitspracherecht bei der Wahl der politischen Führung hat und andererseits den Führungspersonen selbst die Möglichkeit gegeben wird, die Wähler, in gewissem Sinne, zu transzendieren: Es gibt mindestens zwei Wege, auf denen dies erreicht werden kann:
Der eine ist eine parlamentarische Regierungsform, in der im Prinzip jegliche Interessengruppe die Möglichkeit hat, eine Partei zu gründen; so kann die Nähe zum Wähler erhalten bleiben, indem es eine größere Anzahl von Parteien gibt, die den unterschiedlichen Interessen gerecht werden. Selbst wenn es nur drei oder vier Parteien gibt, ist das immer noch besser als unser verrücktes System hier mit zwei großen Parteien.
Wenn jedoch die Führung erst einmal gewählt ist, benötigt man wirklich einen Mechanismus, der interne Grabenkämpfe unterbindet und durch den es sich lohnt, das Richtige zu tun. Ich empfehle sogar in „The Many Faces of Terrorism“, (voraussichtliche Veröffentlichung Sommer 2006 A.d.Ü.), dass in einer Weltföderation, – zusätzlich zu Organen wie einem Senat und einem Repräsentantenhaus und einer parlamentarischen Staatsform – z. B. die gewählte Führung aus ihrer Mitte heraus diejenigen auswählt, von denen sie selbst geführt werden will; mit anderen Worten, dass die Gewählten diejenigen auswählen, die ihrer Meinung nach die Besten unter ihnen sind – und so tatsächlich ein „Haus der Weisheit“ schaffen. Es wäre im Grunde genommen ein weiterer Filtermechanismus, eine weitere Gelegenheit, echte Führung entstehen zu lassen. Diese wäre dann eine 1. Rang (umfassende Sicht) Führung, nicht einfach nur eine 2. Rang (Einzelinteressen) Führung. Aber solche Strukturen gilt es erst noch zu schaffen. Wir müssen da genau bei der Einsicht von Platon, bzw. Mark Edwards anfangen und uns darüber klar werden, dass Demokratie alleine nicht genügt. Was wir brauchen ist Demokratie und echte Führung. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, 1. Rang Demokratien mit 2. Rang Führung zu schaffen.
Frage: Präsident Bush – ein „Kriegspräsident“, wie er sich selbst bezeichnet –, hat anlässlich des Hurrikanes Katrina die Fernsehansprache an die Bevölkerung von New Orleans vor einem Kriegsschiff stehend gehalten – einem Symbol der Stärke und Sicherheit. Allerdings hatten die Zivilisten, die in dem Sportstadium Unterschlupf fanden, weder Strom noch Fernsehgeräte, um die Übertragung zu sehen. Hier in Europa haben wir alles mitverfolgen können und diese Situation erinnerte mich an die MATRIX-Archive, auf die Sie sich auch in Ihren Kommentaren zur DVD-Version (im Interview 2004) beziehen. In einer Folge marschieren die Maschinen – die laut Ihren Kommentaren GEIST symbolisieren – wie in einer Armee und als Kommentar ist zu hören: „Die Zivilgesellschaft wird der Dekadenz und der Zerstörung erliegen“. Möchten Sie dazu etwas sagen, auch in Anbetracht dessen, dass Ihre Kindheit durch die Militärlaufbahn Ihres Vaters geprägt war?
KW: Denkt daran, dass es um das gesamte Spektrum von Ebenen und Stufen geht, das sich spiralenartig durch Dutzende von Entwicklungslinien hindurchwindet – und jeder hat in seiner Entwicklung ganz am Anfang angefangen. Wir brauchen also immer eine Polizei, weil es da draußen immer Magenta und Rot geben wird. Und Rot schneidet einem die Kehle durch und findet das gut! Also werden wir die Polizei immer in der einen oder anderen Form brauchen, und ebenso das Militär. Es wird immer Blau oder Bernstein oder Republikaner geben. Und die Menschen auf dieser Entwicklungsstufe haben das Recht auf dieser Stufe zu sein. Wozu sie jedoch nicht das Recht haben, ist, sobald sie an der Macht sind, alle Anderen zu zwingen, sich [auch] auf diese Stufe zu begeben. Deshalb war die große Errungenschaft von Orange die Einführung des Weltzentrischen.
Das Große an der Aufklärung, bei all ihren Nachteilen, – das Große, das Emanuel Kant bewirkte, das John Locke bewirkte, jeder auf seine ihm eigene Art und Weise, und das all die anderen Denker der Aufklärung bewirkten – war die Entwicklung von ethnozentrischen Rechten hin zu Menschenrechten, die für die gesamte Menschheit gelten, für alle Frauen und Männer, überall. Diese weltzentrische Moral ist von immenser Bedeutung. Selbstverständlich werden wir von dort aus auch weiter fortschreiten, wenn wir uns weiterentwickeln. Diese Werte stellen jedoch ein unentbehrliches Fundament dar.
Das eigentliche Problem sind also weder das Militär, noch die Republikaner. Das wirkliche Problem tritt dann in Erscheinung, wenn das Militär oder die Republikaner an die Macht gelangen – weil sie eine absolutistische und ethnozentrische Weltsicht vertreten. Das ist genau das, wogegen die Aufklärung gekämpft hat.
Zur Zeit durchlaufen wir eine Regression. Wir befinden uns nicht in einer Phase der post-Aufklärung, sondern wir gehen auf eine Phase der prä-Aufklärung zu; wir sind nicht post-liberal geworden, sondern tendieren zu prä-liberal. Das hat Grün angerichtet. Wenn Grün Orange angreift, geht Blau daraus als Sieger hervor. Das ist ein Teil des Problems. Nochmals, es geht nicht um das Militär und nicht um die Republikaner an sich, sondern um die Tatsache, dasssie an der Macht sind.
Es gibt eine ehrbare Komponente, wenn blaue Ordnungskräfte rote Hooligans, Diebe, Vergewaltiger, Mörder oder Terroristen bekämpfen. Ich betone nochmals: sie sollen nicht an die Macht, aber diese Seite an ihnen verdient Respekt. Die Ordnungskräfte müssen jedoch in den Diensten von – hoffentlich – mindestens Orange und vorzugsweise Türkis stehen. Ich habe die Frage immer vor diesem Hintergrund gesehen.
Als Kind hatte ich keine Probleme damit. Ich habe das nie sonderlich ernst genommen, aber ich habe mich dessen auch überhaupt nicht geschämt. Als ich dann aufs College kam, während der Zeit des Vietnam-Kriegs, da wurde es zu einem tatsächlichen Problem. Und das nur, weil wir uns in Grün verloren. Wir haben dann jegliches Militär abgelehnt und wir hatten kein Verständnis von der begrenzten, aber notwendigen Funktion, die das Militär immer in der Welt innehaben wird. Es gab also die beiden Extreme: Wir lehnten wir alles Militär ab, wohingegen Blau alles Militär großartig findet – Türkis transzendiert beide Einstellungen.
Frage: Eine Frage zur Friedensbewegung: Wie denken Sie über all die Millionen von Menschen, die gegen das militärische Eingreifen der USA im Irak protestiert haben? Waren sie nichts als Romantiker, an Boomeritis leidende Romantiker, oder der Neuen Linken zugehörig? Was hat eine derart große Zahl von Menschen auf die Strasse getrieben?
KW: Es gibt mit Sicherheit eine große Anzahl an Protestierenden, aber in einigen Ländern gibt es einen höheren Prozentsatz an Menschen, die [die Militärintervention] unterstützen – und diese Leute sieht man nicht auf Protestmärschen. Wer waren diejenigen, die gegen blaues militärisches Eingreifen demonstriert haben? Grün hat protestiert und Rot und auch Purpur. Es gibt also eine ziemliche Mischung von Leuten, die demonstriert haben – genau wie die Menschen, die gegen die Globalisierung demonstriert haben. Globalisierung ist in diesem Fall natürlich orange gefärbt: Es sind in erster Linie amerikanische und in zweiter westliche Wertvorstellungen, vorrangig aus der Wirtschaft, die globale Ausbreitung erfahren. Gruppierungen, die dagegen protestieren sind blaue Gewerkschaften und grüne Aktivisten. Die Protestierenden können auf allen möglichen Stufen angesiedelt sein. Sie sind nicht Blau und kommen wahrscheinlich hauptsächlich aus Rot und Grün.
Würde Türkis protestieren? Es kommt darauf an: Weil militärische Intervention an sich nicht schlecht ist – schlecht ist militärische Intervention, die den Zustand der Welt nicht berücksichtigt. Deshalb ist die amerikanische Vorgehensweise, für sich genommen, verwerflich. Türkis würde aus anderen Gründen protestieren, nicht einfach weil militärische Intervention an sich schlecht ist. Wenn man also jemanden fragt, weshalb er protestiert, kann man sehr schnell herausfinden, ob er Rot, Orange, Grün oder Türkis ist.
Frage: Sie haben Tony Blair als gelben Politiker bezeichnet …
KW: Das war relativ gemeint! Viele Leute denken, ich würde in ihm den idealen integralen Politiker sehen. Darauf antworte ich: Nein, er ist lediglich der einzige, der auch nur annähernd mit integral in Verbindung gebracht werden kann.
Frage: Würden Sie in diesem Zusammenhang sagen, dass sich so etwas wie der Archetyp eines gelben Kriegers entwickelt? Wenn ja, wie würde er aussehen? Es wäre wohl mehr als der friedfertige grüne Krieger, ein Krieger des Herzens?
KW: Das ist eine sehr weitsichtige Frage… und ich glaube, dass genau dies gerade im Entstehen ist. Wenn jemand jegliches militärische Vorgehen ablehnt, dann ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit grün; wenn er jegliches militärische Vorgehen befürwortet, dann ziemlicher Sicherheit blau. Gelb würde manche militärische Eingriffe befürworten und das nur unter bestimmten Gegebenheiten – nämlich dann, wenn sie einem größeren gesellschaftlichen Wohlergehen dienen.
In diesem Sinn ist ein gelber Krieger nicht immer nur friedfertig – jedoch anders als ein blauer Krieger, der in jedem Fall Krieg führen will. Es geht also um angemessenes militärisches Vorgehen. Und das habe ich wenigstens ansatzweise bei Bill Clinton und Tony Blair wahrgenommen. Als sie zusammen waren, haben sie zumindest bis zu einem gewissen Grad versucht, sich der Frage anzunähern. Damit will ich nicht sagen, dass sie weit gekommen sind – ich glaube nicht, dass irgend jemand eine Antwort gefunden hat – aber sie haben sich zumindest schon einmal die richtige Frage gestellt. Und ich meine, dass Tony Blair – ob die Leute ihn nun mögen oder nicht – eine einzigartige Positionierung inne hat: Er ist mehr oder minder der einzige Staatsmann weltweit, der mit einem Bein in Amerika und dem anderen in Europa steht. Damit ist er der einzige, der ein Interesse daran hat, den größten – nicht den kleinsten – gemeinsamen Nenner zu finden. Deshalb setzt er sich, meiner Meinung nach, überhaupt mit dieser Thematik auseinander. Ich glaube, er ist der einzige, der nicht nur ausschließlich blau oder ausschließlich grün ist und deshalb finde ich ihn interessant.
Ich vermute, wir werden einen gelben Krieger entstehen sehen. Das ist schwierig, weil es ein Jahrhundert dauern kann, bis es tatsächlich eine gelbe Welt-Föderation geben wird, zumindest aber zehn bis zwanzig Jahre – eher jedoch dreißig bis vierzig. Bevor es eine Welt-Föderation gibt, die auch die Machtbefugnis hat, aktiv einzugreifen, wird jeder führende Staatsmann dafür abgestraft werden, wenn er aus einer gelben Sicht heraus handelt. Das macht die Sache äußerst schwierig und deshalb kann es eine sehr heikle Übergangsperiode geben.
Nehmen wir als Beispiel meine Sichtweise des Irakkriegs: Gemäss der UN-Resolutionen und der amerikanischen Verfassung verstößt er gegen das Gesetz. Ich halte Bushs Invasion im Irak für gesetzeswidrig und ich nehme an, dass eine Welt-Föderation sie nicht zugelassen hätte. Eine gelbe Welt-Föderation hätte Amerikas Invasion im Irak nicht zugelassen. Allerdings wäre sie selbst in den Irak einmarschiert, weil Saddam Hussein 400.000 Menschen ermordet hat – was ebenso gegen das Gesetz verstößt. Eine gelbe Welt-Föderation hätte also als Ordnungsmacht interveniert und wäre in den Irak einmarschiert. Was die Sache so schwierig macht, ist, dass die amerikanische Vorgehensweise auch die der Welt-Föderation gewesen wäre. Amerika selbst hat jedoch nicht das Recht so zu handeln. Was Amerika getan hat, ist gesetzeswidrig und unmoralisch. Eine Welt-Föderation hätte jedoch genau so gehandelt.
Frage: Inwieweit wird Ihr Werk, Ihrer Meinung nach, von Ihrer Linksunten-Konditionierung als Amerikaner beinflusst, wie sie die amerikanischen Kultur mit sich bringt?
KW: Leute, die das behaupten sind, meines Erachtens, grün. Sie haben nichts daran auszusetzen, dass meine Aussagen Amerika auf anderen Gebieten transzendieren, nicht jedoch auf diesem.
(aus: IP 1, 2006)