Michael Habecker (mit Texten von Ken Wilber und Chögyam Trungpa)
Ich kenne keinen einzigen Impuls des Bösen, der nicht mit einer Weigerung beginnt, ein anderes menschliches Wesen zu berühren.
Ken Wilber, 2006 auf Integral Naked
Aber wenn man eine so blutige Aktion ausführen will, muss man sich auf das sorgfältigste vorbereiten. Man muss eine Strategie der Entmenschlichung verfolgen. Wenn man den Gegner nicht entmenschlicht, kann man ihn nicht töten, wenn man ihm gegenübersteht.
Anders Breivik, der Massenmörder von Oslo in einer Aussage vor Gericht 2012
Einleitung
Zu den großen, ja ungeheuerlichen Freiheiten und Fähigkeiten des Menschen gehört die Fähigkeit sich abzuwenden, von sich selbst, von anderen Menschen, vom Leben, von allem. Wie ist das möglich in einem Universum, das zu sich selbst erwacht und damit zu immer höheren Formen von Bewusstheit und Komplexität, zu immer höheren Formen von Individualität und Gemeinschaft? Es wird darüber debattiert, ob ein Massenmörder wie Anders Breivik normal oder psychisch krank ist, und die Gutachter sind sich nicht einig. Doch eines ist klar: Wir bleiben auf dem Entwicklungsweg immer auch Individuen, mit Intentionen, Motivationen und auch Freiheiten. Zu diesen Freiheiten, die wir haben, gehört auch die Freiheit, sich abzuwenden.
Dies wurde schon früh erkannt in den spirituellen Traditionen und Religionen – den frühen Menschheitsordnungen für ein ethisches Leben. Es wurden Praktiken entwickelt, angeboten und auch vorgeschrieben, die dieser menschlichen Tendenz entgegenwirken, sich von sich selbst, voneinander und vom Leben abzuwenden. Hierzu gehören alle Praktiken des Mitgefühls und der Nächstenliebe, wie z.B. der buddhistischen Tonglen Praxis.
Es ist eine schreckliche Tatsache (und Entscheidung), dass wir uns abwenden können, aber es ist eine gute Nachricht, dass wir uns auch uns selbst, einander und dem Leben, so wie es sich uns zeigt, mit allen schönen und schrecklichen Seiten, zuwenden können. Die Liebe des Universums ist so groß, dass sie sogar Raum lässt für die Wahl zwischen beidem.
Nachfolgend stellen wir drei Texte vor. Der erste Text ist ein Audioskript von Ken Wilber aus dem Jahr 2006, veröffentlicht auf IntegralNaked.org. Der zweite Text ist von Chögyam Trungpa, mit Auszügen aus dem Buch Erziehung des Herzens, und der dritte Text ist eine konkrete Übungsanleitung.
Tonglen – und Lieblosigkeit
(Ken Wilber, in dem Beitrag „non-loving impulses“, veröffentlicht auf Integralnaked.org 2006)
Ich möchte – in Betrachtung von Tonglen – an etwas erinnern.
Wir sprechen über das Böse: Und manchmal widerfährt uns Böses, aber wir sind auch fähig, selber Böses zu tun. Man kann diesen Impuls und wie er beginnt auf vielerlei Art betrachten. Ein Grund dafür, warum die Tonglen-Praxis so hilfreich ist, besteht darin, dass sie uns mit anderen empfindenden Wesen verbindet – das muss man natürlich nicht 24 Stunden am Tag machen, es ist in Ordnung, es dann auch wieder loszulassen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einem einfachen Loslassen und dem Sich-Abwenden von einem menschlichen Wesen. Was Tonglen auf der grundlegendsten Ebene tut, ist uns dabei zu helfen, die Trennung von Subjekt/Objekt bzw. Selbst/Andere zu transzendieren. Es findet ein konkreter Austausch des Selbst mit dem Anderen statt und das unterstützt uns fundamental dabei, im nicht-suchenden GEIST zu ruhen: dem GEIST, der allgegenwärtig ist, hier und jetzt, auch wenn gleichzeitig alles in ihm erscheint. Dieser Austausch zwischen Selbst und Anderen ist ein grundlegendes Versprechen, sich nicht von einem anderen empfindenden Wesen abzuwenden. Das macht Tonglen so wirkungsvoll. Ich kenne keinen einzigen Impuls des Bösen, der nicht mit einer Weigerung beginnt, ein anderes menschliches Wesen zu berühren. Es ist eine aktive Abwendung und Weigerung, diesen Menschen zu berühren. Es ist eine Weigerung, Tonglen zu praktizieren.
Denken wir dabei an die Entwicklungsstufen, über die wir sprachen – egozentrisch zu ethnozentrisch zu weltzentrisch – man kann diese Skalen auch noch weiter unterteilen, in 8, 9, 10 oder mehr Ebenen. Es ist aber nicht so einfach, spirituelle Lehrer dazu zu bringen, dies zu verstehen. Jeder in diesem Raum ist gewöhnlich weltzentrisch oder höher, und daher kommt ein spiritueller Lehrer nicht auf die Idee, dass es Menschen gibt, die Tonglen nicht praktizieren können. Lasst mich ein extremes Gedankenbeispiel geben. Stell dir vor, du wärst ein Nazi. Wirst du dich dann auf Leiden außerhalb von dir beziehen? Du wirst es nicht tun. Egozentrisch, ethnozentrisch, weltzentrisch. Auf der ethnozentrischen Ebene kann man Tonglen nicht in Bezug auf alle empfindenden Wesen üben. Bei einigen empfindenden Wesen ist es dir völlig egal, wie es denen geht, auch wenn sie direkt vor deinen Augen zu Grunde gehen. Tonglen ist eine kraftvolle Weise zu wachsen und sich zu entwickeln, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es diese Entwicklungsstufen gibt.
Das gleiche gilt für Liebe. Nehmen wir Carol Gilligan: In ihrem Buch In a different voice weist sie darauf hin, dass Frauen nicht hierarchisch denken, dass sie sich jedoch hierarchisch entwickeln. Nicht-hierarchisches Denken entwickelt sich durch drei hierarchische Stufen des Wachstums. Sie nannte diese selbstbezogen [selfish], fürsorgend [care] und universelles Mitgefühl [universal care]. Das gleiche gilt für Liebe. Selbstbezogene Liebe – nur für mich; fürsorgende Liebe nimmt nur auf die eigene Familie Bezug; universelle Liebe sorgt sich um alle Menschen und alle empfindenden Wesen. Liebe allein ist also nicht genug. Es sollte eine Liebe sein, die wächst und sich entwickelt, hin zu diesen weltzentrischen Fähigkeiten und Perspektiven. Die Nazis liebten ihre Familien aufrichtig und innig. Das ist so außerordentlich. Das gleiche gilt für Barmherzigkeit. Barmherzigkeit, Liebe und Tonglen helfen uns dabei, uns durch diese konkreten Stufen hindurch zu entwickeln. Und der Impuls der Bösartigkeit in all dem, z.B. ein nicht-liebender Impuls oder ein unbarmherziger Impuls, bedeutet: Ab einem bestimmten Punkt werde ich dich nicht mehr berühren. Du bist dann ein Unberührbarer. Und nur Unberührbare können umgebracht werden. Die Geschichte des Bösen ist die Geschichte des Tötens von Unberührbaren. Tonglen ist eine fundamentale Praxis des Berührens und sich nicht Abwendens. Im relativen Bereich gibt es Auseinandersetzung. Dinge laufen falsch, und du setzt dich – mit Liebe im Herzen – ein, setzt dich auseinander, kämpfst, tötest vielleicht auch …
Doch wir sehen den Unterschied dabei – sich fundamental nicht von einem anderen Menschen abzuwenden.
Tonglen
(aus: Chögyam Trungpa, Erziehung des Herzens, Arbor Verlag)
Mit Hilfe der „Slogan-Praxis“, [im Tonglen] wie wir sie hier nennen wollen, erkennen wir, dass unsere Selbstbezogenheit eine gewohnheitsmäßige Tendenz ist und sich selbst in den winzigsten Gedanken und Handlungen manifestiert. Diese Tendenz sitzt tief und beeinflusst all unser Tun, selbst unser so genanntes wohlmeinendes Verhalten. Die Praxis des Tonglen verkehrt dieses Gewohnheitsmuster in ihr Gegenteil.
Angefangen bei unseren Freunden, dehnen wir unseren Bereich der Wachheit auf unsere Bekannten und schließlich bis auf unsere Feinde aus, denn wir wollen andere akzeptieren und von Nutzen für sie sein. Das tun wir nicht deshalb, weil wir Märtyrer sein wollen oder unsere eigenen Bedürfnisse unterdrücken, sondern weil wir begonnen haben, uns selbst und unsere Welt zu akzeptieren. (14)
Besonders wirkungsvoll ist Tonglen im Umgang mit Schmerz und Verlust, wenn es um Krankheit oder Tod geht. Sei es bei uns selbst oder bei anderen, Tonglen hilft die Geisteshaltung des Kämpfens und der Abwehr gegenüber solchen Erfahrungen zu überwinden und einfacher und direkter mit ihnen umzugehen. (15)
Die Tonglen-Praxis selbst hat drei Stufen. Als erstes lassen Sie den Geist eine oder zwei Sekunden lang im Zustand der Offenheit ruhen. Diese Stufe ist recht kurz; es ist ein Aufblitzen grundlegender Stille und Klarheit. Als Nächstes arbeiten Sie mit der Struktur der Befindlichkeit. Sie atmen eine Qualität von Hitze, Dunkelheit, Schwere und Enge ein; dann atmen Sie das Gefühl der Kühle, Helligkeit und Leichtigkeit, also ein Gefühl der Frische aus. Sie fühlen, wie diese Qualitäten herein- und hinausströmen, nicht nur durch die Nase, sondern durch alle Poren. Sobald Sie auf diese Weise ein allgemeines Tonglen-Gefühl entwickelt haben, beginnen Sie mit den geistigen Inhalten zu arbeiten. Taucht eine Erfahrung auf, die unerfreulich ist, atmen Sie diese ein, und erfreuliche Erfahrungen atmen Sie aus. Befassen Sie sich zuerst mit Ihrer aktuellen Erfahrung und beziehen Sie dann auch die Menschen und andere Wesen in Ihrem Umfeld mit ein, die ebenso leiden wie Sie selbst. Wenn Sie zum Beispiel das Gefühl von Unzulänglichkeit haben, atmen Sie dieses Gefühl ein; das Gefühl der Kompetenz und Tüchtigkeit hingegen atmen Sie aus. Dann weiten Sie diese Praxis über Ihre persönlichen Belange hinaus auf andere aus; verbinden Sie die Übung mit all den schmerzlichen Gefühlen, die Sie in ihrer unmittelbaren Umgebung wahrnehmen und schließlich mit dem Leiden der ganzen Welt. Es geht in dieser Praxis in erster Linie darum, dass Sie Ihr Herz öffnen – dass Sie mit ganzem Herzen annehmen und mit ganzem Herzen loslassen. Im Tonglen wird nichts zurückgewiesen; alles, was auftaucht, ist Treibstoff für die Praxis. (15)
Mögen uns diese Lehren in ihrer Bodenständigkeit und Einfachheit dazu inspirieren, liebevolle Zuwendung und Mitgefühl zu kultivieren und uns selbst und andere niemals aufzugeben. Mögen sie die Furchtlosigkeit in uns wachrufen, um den Klammergriff des Egos zu überwinden. Mögen sie uns befähigen, das in die Tat umzusetzen, was uns am meisten am Herzen liegt – allen Wesen auf dem Weg zum Erwachen von Nutzen zu sein. (18)
Die Tonglen Praxis ist sehr direkt und eindeutig; sie ist eine echte Sitzmeditationspraxis. Sie geben Ihre Freude her, Ihr Vergnügen, alles, was sich gut anfühlt. All das geht mit ihrem Ausatmen hinaus. Wenn Sie einatmen, atmen Sie jegliches Ressentiment, alle Probleme und alles, etwas sich schlecht anfühlt, mit ein. Es geht einfach darum, alle Territorialitätsgefühle voll und ganz zu beseitigen. Die Tonglen-Praxis ist sehr einfach. Wir müssen nicht erst unsere doktrinären Definitionen von Gut und Böse klären. Wir atmen einfach alles altbekannte Gute aus und alles altbekannte Schlechte ein. Zunächst scheinen wir uns hauptsächlich auf unsere Vorstellungen von „gut“ und „schlecht“ zu beziehen. Doch mit der Zeit wird es realer. (61)
Manchmal haben wir das schreckliche Gefühl, dass wir Gift einatmen, das uns umbringen könnte, und zugleich das bisschen Gutheit, das wir haben, ausatmen. Das scheint höchst unpraktisch zu sein. Wenn jedoch dann der Durchbruch kommt, erkennen wir, dass wir noch viel mehr Gutheit in uns haben und dass es noch viel mehr einzuatmen gibt … Aber man sollte Tonglen nicht als irgendeine Art von Gegenmittel verwenden. Es ist nicht so, dass Sie es einsetzen und dann auf die Wirkung warten. Sie praktizieren es einfach und lassen es dann fallen. Es spielt keine Rolle, ob es wirkt oder nicht. Wenn es wirkt, atmen Sie das aus; wenn es nicht wirkt, atmen Sie das ein. (62)
Üblicherweise möchte man gern die eigene Gutheit festhalten. Man möchte gern einen Zaun um sich aufbauen und alles Schlechte draußen lassen – Fremde, Nachbarn und so weiter. Sie wollen nicht, dass die hereinkommen. Sie haben sogar etwas dagegen, dass Ihre Nachbarn ihren Hund auf Ihrem Grundstück laufen lassen, weil er Ihren Rasen beschädigen könnte. Im gewöhnlichen Leben senden und empfangen Sie also keineswegs. Sie versuchen vielmehr, die netten, kleinen Situationen, die Sie für sich geschaffen haben, so gut wie möglich zu beschützen … Es geht beim Senden und Empfangen um eine Disziplin der Leidenschaftslosigkeit, um eine Methode zur Überwindung der Territorialität. Das Überwinden der Territorialität besteht darin, mit dem Ausatmen hinauszugehen, herzugeben und zu senden und mit dem Einatmen so viel an Schmerz und Unglück anderer Menschen entgegenzunehmen wie möglich. Sie möchten der Empfänger dieses Schmerzes und dieses Unglücks sein. Sie möchten es wirklich übernehmen und selbst erleben. (63)
Wie sieht nun die Tonglen-Praxis aus? Zuerst denken wir an unsere Eltern, an unsere Freunde oder an irgendjemanden, die oder der sein Leben um unseretwillen geopfert hat. In vielen Fällen haben wir uns nicht einmal bedankt. Es ist sehr wichtig, dass Sie darüber nachdenken – nicht um Schuldgefühle zu entwickeln, sondern einfach um zu erkennen, wie armselig Sie sich verhalten haben … Sie sollten an diese Menschen denken, die sich so hingebungsvoll um Sie gekümmert haben, dass sie nicht im Entferntesten an Bestätigung dachten … Es gab ständig Menschen in Ihrem Leben, die etwas für Sie getan haben. Sie sollten an solche Gelegenheiten denken und sie in ihre Tonglen-Praxis mit einbeziehen, wenn Ihr Atem hinausströmt. Geben Sie ihnen Ihr Allerbestes, um die liebevolle Zuwendung, die sie Ihnen gaben, zurückzuzahlen. Um die Gutheit der Welt zu unterstützen, geben Sie alles her, was gut ist, das Beste, was Sie haben, und atmen die Probleme, das Unglück, die Qualen anderer Menschen ein.Sie nehmen Ihre Schmerzen auf sich, um sie davon zu befreien. (65)
„Senden und Empfangen“ wird nicht als Beweis für unseren persönlichen Mut betrachtet. Es ist nicht so, dass wir die besseren Menschen sind, weil wir Tonglen praktizieren. „Senden und Empfangen“ wird als natürlicher Austausch betrachtet; er findet einfach statt. (67)
Wir beginnen damit, dass wir an unsere Mutter oder an unsere Eltern denken … Doch es muss nicht unbedingt die leibliche Mutter sein. Es geht einfach um eine mütterliche Person, die liebevoll und sanft und geduldig mit uns war. Es muss jemandem in unserem Leben geben, die oder der freundlich zu uns war, eine Person, die liebevoll war und ihre Gutheit mit uns geteilt hat. Falls es solch eine Person nicht gab, sind wir irgendwie in Schwierigkeiten; wir hassen die Welt. Doch auch dafür gibt es eine Maßnahme – wir atmen unseren Hass und Groll der Welt gegenüber ein. Wenn wir keine guten Eltern haben, keine gute Mutter oder einen guten Menschen, der uns gegenüber eine liebevolle Haltung einnahm, sodass wir an ihn denken möchten, dann können wir an uns selbst denken. (67)
Alles, was an Gutem in uns ist, was uns Wohlgefühl vermittelt, atmen wir aus und zu den anderen hin – denn hin und wieder fühlen wir uns wohl, ob es eine Minute anhält oder eine Sekunde oder wie lang auch immer. Und dann atmen wir die umgekehrte Situation ein, alles, was schlecht und schrecklich, grob und ekelhaft ist. Wir versuchen das alles in uns hineinzunehmen … Fast alle haben das Problem, dass sie stets versuchen, das Schlechte loszuwerden und das Gute heranzuholen. Das war und ist das Problem der gesamten Gesellschaft und der Welt im Allgemeinen. Doch jetzt … ist die Logik umgekehrt … Beginnen Sie mit dem, was gerade ansteht. Einfach das. Das … Es ist wunderschön – und Sie sind dazu fähig. (69)
In der Tonglen-Praxis ersetzen wir die Achtsamkeit auf den Atem durch die Achtsamkeit auf den Atem mit Inhalt. Die Inhalte sind die emotionalen, kursiven Gedanken, die die Bezugspunkte für den Schmerz und die Freude der Menschen bilden. (70)
Die Tonglen-Praxis ist nichts sonderlich Subtiles. Sie ist nicht philosophisch, nicht einmal psychologisch. Sie ist eine sehr, sehr schlichte Methode. Es ist eine primitive Praxis … Lassen Sie sich einfach auf die Situation ein und seien Sie ganz präzise. Gehen Sie ganz nüchtern und einfach vor. Wir wollen das nicht zu einer revolutionären Art von Imaginationsübung, zu einer geistig orientierten Sozialarbeit oder zu einer psychologischen Technik machen. Praktizieren wir es einfach ordentlich. (71)
Wir versuchen nicht einfach nur, unseren Geist völlig still, völlig in sich ruhend zu halten, sondern wir versuchen, die Unstetigkeit unseres mentalen Prozesses zu benützen, indem wir unserem Atem folgen und unsere unbewussten Gedanken beobachten. (74)
Es ist einfach so, dass wir lange Zeit den Schmerz anderen zufügten und für uns selbst das Vergnügen haben wollten. Das war die ganze Zeit das Problem. In diesem Fall nun kehren wir die Logik völlig um und schauen, was geschieht … Wenn Siedas tun, beginnen Sie zu verstehen, wie es ist, ein anständiger Mensch zu sein. (74)
Ohne Tonglen kann man die Vajrayana-Disziplin der Entwicklungsstufe und der Vollendungsstufe überhaupt nicht praktizieren. Sonst werden Sie zu einer Gottheit ohne Herz, einer Gottheit aus Pappmaché. (75)
Übungsanleitung: Die vollkommenen Praxis und Tonglen
Ich fühle die Zusammengezogenheit meines Herzens und deines Herzens.
Mit jedem Einatmen atme ich diese Zusammengezogenheit ein.
Mit jedem Ausatmen verströme ich so viel Güte und Hinwendung wie möglich.
Das, was all dies fühlt, ist frei von Zusammengezogenheit.
Ich fühle die Wut und Verzweiflung in mir und in dir.
Mit jedem Einatmen atme ich diese Wut und Verzweiflung ein.
Mit jedem Ausatmen verströme ich so viel Güte und Hinwendung wie möglich.
Das, was all dies fühlt, ist frei von Wut und Verzweiflung.
Ich fühle das, was mir wichtig ist und das, was dir wichtig ist und das, was uns unterscheidet.
Mit jedem Einatmen atme ich die Kluft der Unterscheidung und den Schmerz des Getrenntseins ein.
Mit jedem Ausatmen verströme ich so viel Güte und Hinwendung wie möglich.
Das, was all dies fühlt, ist frei von Schmerz und Getrenntsein.
Ich erlebe als ein Individuum alle Freuden und Ängste, die damit verbunden sind.
Indem ich mich in dich einfühle, erlebe ich diese Freuden und Ängste auch bei und mit dir.
Mit jedem Einatmen atme ich diese Freuden und Ängste ein.
Mit jedem Ausatmen verströme ich so viel Güte und Hinwendung wie möglich.
Das, was all dies fühlt, ist frei von Freuden und Ängsten.
Mögen wir uns im Bereich des Getrenntseins immer mehr in unseren Herzen berühren.
Mögen wir die Gnade erfahren, das, was jenseits von Trennung ist, mehr und mehr zu (er)leben.
(aus: Online Journal 35)