Boomeritis Buddhismus

Religion / Spiritualiät

Boomeritis Buddhismus

Ken Wilber

Hinweis: Der folgende Text enthält Transkripte aus einem Telefoninterview mit Ken Wilber zum Kapitel 5 seines Buches Integrale Spiritualität, veröffentlicht auf IntegralLife.com. Die Zwischenüberschriften wurden zur besseren Verständlichkeit redaktionell hinzugefügt.

Einführung von Ken Wilber

Ein anspruchsvolles Thema

Boomerits Buddhismus ist eines der etwas anspruchsvolleren Themen. Eine Menge Dinge im Zusammenhang mit dem Integralen sind relativ leicht zu verstehen. Man erklärt die Quadranten, und die Leute verstehen das ziemlich schnell. Bei Boomerits Buddhismus ist jedes einzelne Teilstück des Puzzles einfach zu verstehen, die prä/trans Verwechslung zum Beispiel, doch wenn man alles, was dazugehört, zusammenbringen möchte, z. B. auch die wirkliche Bedeutung von „Leere“, Nagarjunas Konzeption von shunyata, die Doktrin der zwei Wahrheiten, relative Wahrheit und absolute Wahrheit, vom Neo-Platonismus zu Vedanta zu Vajrajana und so weiter, und wenn man beides berücksichtigt, auch wenn sie letztendlich nicht-zwei sind – dies muss man alles dabei berücksichtigen, und dazu gehört auch das Verständnis von zumindest einem oder zwei der westlichen psychologischen Modelle. Wenn eines dieser Puzzlestücke dabei nicht an seinem Platz ist, wird man nicht verstehen, worum es geht. Wir möchten also jetzt [in dieser Einleitung] über diese Puzzleteile kurz sprechen.

Strukturentwicklung

Wir können dabei überall beginnen, und ich beginne mit den Entwicklungsmodellen. Man kann jedes der Entwicklungsmodelle dafür verwenden, Entwicklungsmodelle, die Bewusstseinsstrukturen beschreiben, und dies sind die Modelle, die ganz überwiegend von der modernen westlichen Psychologie entwickelt wurden. Worum es dabei geht ist das, was [im Rahmen des Integral Methodologischen Pluralismus] mit Zone 2 bezeichnet wird. Man nimmt auf eine bestimmte Weise eine objektive Perspektive gegenüber inneren Wirklichkeiten ein. Dies ist eine der ganz großen und grundlegenden Entdeckungen der modernen westlichen Aufklärung. Man kann dafür die Modelle von Jane Loevinger, Carol Gilligan, Janet Wade, oder Kohlberg verwenden (Carol Gilligans Modell ist eine Version von Kohlbergs Modell und stimmt im Wesentlichen mit seinen Hauptstufen überein). Wenn man das macht, bekommt man sofort Schwierigkeiten mit Menschen auf einer bestimmten Bewusstseinsstufe, und zwar der pluralistischen Bewusstseinsstufe, der grünen Entwicklungswelle, weil diese Entwicklungswelle eine Entwicklungsstufe ist, die leugnet, dass es Entwicklungsstufen gibt. Es ist eine Ebene, welche die Existenz von Ebenen verneint, und da beginnt das Problem. Jemand auf dieser Bewusstseinsebene wird sofort fragen: „Was sollen diese Ebenen?“ Das meine ich keineswegs abwertend. Jeder durchläuft die grüne Entwicklungsebene, und dem gesunden Grün haben wir eine Menge positiver Dinge zu verdanken, doch dabei gibt es auch Schattenseiten, und darüber sprechen wir hier.

Regenbogenfarben versus Spiral Dynamics (SD)

Man kann – noch einmal – jedes der Entwicklungsmodelle dafür verwenden, wir verwenden die allgemeinen Grundstrukturen, und nehmen für deren Bezeichnung die Farben, die auch schon die großen Traditionen dafür verwendet haben, die Regenbogenfarben, und die verlaufen, wie in der Natur, von rot zu gelb und weiter zu grün, und die höheren Ebenen sind blau und indigo, und dann weißes Licht. Spiral Dynamics (SD) verwendet auch Farben, doch diese entsprechen nicht den natürlichen Regenbogenfarben, die von den großen Traditionen verwendet werden. SD hat, aus bestimmten Gründen, die ebenso nachvollziehbar sind, eine andere Farbbezeichnung gewählt. Das ist der Grund, warum wir für das, was SD mit gelb bezeichnet, petrol verwenden. Blau (und blau ist eine der höchsten Farben in allen Traditionen) ist bei SD eine der schlimmsten Farben, die man haben kann, absolutistisch und rigide), und dafür verwenden wir im Rahmen des Regebogenschemas die Farbe „Bernstein“. Also Petrol (im Regenbogen) statt Gelb (SD), und Bernstein statt Blau, ansonsten sind die Farben im Wesentlichen die gleichen, und sie verlaufen von Rot zu Bernstein (SD: blau) zu Orange zu Grün zu Petrol (SD: Gelb) zu Türkis. An diesem Punkt hört SD auf, doch die großen Traditionen kennen mindesten 3 oder 4 höhere Strukturen, auch wenn sie diese nicht immer als Strukturen erkennen. Aurobindo beispielsweise bezeichnete die 4 höheren Strukturen wie folgt: den erleuchteten Geist, den intuitiven Geist, den Übergeist und den Supergeist. Wir verwenden diese Bezeichnungen auch. Manchmal nennen wir den erleuchteten Geist den Para-Geist, und den intuitiven Geist bezeichnen wir auch mit Meta-Geist, weil die Bezeichnung „intuitiver Geist“ bedeutet, dass man Intuitionen nur auf dieser Stufe haben kann, doch das stimmt nicht. Man kann tiefgreifende spirituelle Intuitionen auf praktisch jeder der Entwicklungsebenen haben. Ich glaube daher, dass die Begriffswahl von Aurobindo hinsichtlich „intuitiv“ und „erleuchtet“ keine gute Wahl war, daher vermeiden wir diese Begriffe. Die entsprechenden Farben dafür sind Indigo, Violett und Ultraviolett, als permanente strukturelle Verwirklichungen. Man braucht also ein Verständnis für derartige Entwicklungsabfolgen. Die Ergebnisse der westlichen Psychologie reichen etwa bis hin zu Ebene der Schaulogik, das ist Türkis, und sie ging nicht sehr darüber hinaus, weil diese Aussagen wissenschaftlich begründet sind, und bei Türkis sich zurzeit nur sehr wenige Menschen. Besteht die Gruppe, die man untersucht aus 2000 Menschen, dann ist darin vielleicht nur einer, der Türkis ist. Die westliche Psychologie berichtete also über das, was sie herausgefunden hatte, was nicht bedeutet, dass sie höhere Ebene verleugnete, sie konnte diese lediglich nicht finden. Würde man jedoch eine Bevölkerungsgruppe untersuchen, in welcher sich mehr Menschen auf den höheren Bewusstseinsebenen befinden, würde diese Forschung uns von diesen höheren Ebenen berichten. Das ist der Grund, warum die Entwicklungsforscher des Westens mit die ersten waren, die Strukturstufen akzeptierten. Das machte Sinn, und sogar Kohlberg vermutete, dass oberhalb seiner Stufe 6 sich eine Stufe 7 befindet, welche er mit „universell, spirituell“ bezeichnete. Warum sollte die Entwicklung nicht weiter voranschreiten? Die westlichen Traditionen konnten aufgrund ihrer weit entwickelten Technologie feine Unterscheidungen zwischen den unterschiedlichen Bewusstseinsstrukturen und den Stufen ihrer Entfaltung treffen, z. B. wurde der Unterschied zwischen Orange und Grün erkannt, und der Unterschied zwischen Bernstein und Orange, und der zwischen Petrol und Türkis.

Das Strukturmodell des Vedanta

Schaut man sich die östlichen Traditionen hingegen an, Vedanta z. B., dann sind das, was den Strukturen des Bewusstseins entspricht, die fünf „Hüllen“, und zwar anamayakosha [Nahrungshülle], pranamayakosha [Prana, Bioenergie, emotional-sexuelle Energie], manomayakosha [Geist, mind], vignanamayakosha [der höhere Geist, Türkis, unterscheidende Weisheit], und anandamayakosha [Seligkeit]. Darüber hinaus gibt es das reine Selbst, Brahman/Atman. Diese 5 Hüllen oder Ebenen werden dort bereits von den Bewusstseinszuständen und den „Körpern“ unterschieden. Dies ist ein sehr gutes Modell, doch die 5 Ebenen [sind noch nicht sehrfein unterteilt]. Man kann alle 8 Ebene von SD nehmen, und sie lassen sich alle dem manomayakosha zuordnen. Wo Vedanta eine einzige Struktur hat, hat die westliche Psychologie mindestens 5 unterschiedliche Stufen festgestellt. Dies wurde durch die Verwendung einer anspruchsvolleren Untersuchungsmethode möglich … Und auch orthodoxe Entwicklungspsychologen werden noch höhere Bewusstseinsstufen akzeptieren, wenn diese durch Daten belegbar sind. Einer der Gründe, warum die östlichen Traditionen die Verwechselung [der Strukturstufen] von z. B. Türkis und Grün nicht erkennen konnte, und das gehört schon zu Boomeritis, ist, dass sie zu ein und derselben Ebene gehören, und daher nicht zu unterscheiden waren. Daher ist ein gutes westliches Entwicklungsmodell hier wichtig. SD – als ein Beispiel – ist eine popularisierte Version der Arbeit von Clare Graves, und wir müssen hier, was bestimmte Hinzufügungen wie den Begriff der „Meme“ betrifft, etwas vorsichtig sein. Meme funktionieren nicht besonders gut, und praktisch niemand akzeptiert sie. Doch die allgemeine Beschreibung, die SD von den etwa 8 Entwicklungsebenen liefert, ist sehr gut und praktisch, und sie orientieren sich an den gesunden Werten diese Ebenen. Diese – von Clare Graves herausgefundene – Werteentwicklungslinie wurde mittlerweile um zwei Stufen durch Jenny Wade erweitert, (ich empfehle ihr Buch), und ein weiteres sehr gutes Modell ist das Modell der Selbstentwicklung von Jane Loevinger. So wie Jenny Wade Clare Graves über Türkis hinaus erweitert hat, hat Susanne Cook-Greuter Jane Loevingers Arbeit in die transpersonalen Bereiche hin erweitert, basierend auf Forschung und Evidenz. Dies sind Modelle, die wir speziell empfehlen, doch es können auch andere Modelle verwendet werden wie das von Bob Kegan. Es ist wichtig diese Modelle zu verstehen, sie wurden in vielen unterschiedlichen Kulturen überprüft. Auch das von vielen mit Argwohn betrachtete Modell von Kohlberg wurde in über 30 Kulturen getestet, ohne dass dabei größere Abweichungen gefunden wurden. Piagets Stufen, bis hin zur konkret-operationalen Stufe, wurden getestet in Stämmen des Regenwaldes und bei den australischen Ureinwohnern, ohne dass Abweichungen gefunden wurden – das ist erstaunlich.

Doch das sagen uns die Postmodernisten nicht, und das ist der Grund für viele Probleme: Die grüne Entwicklungsstufe ist diejenige Entwicklungsstufe, die aus verschiedenen Gründen Entwicklungsstufen leugnet. Das hört sich dann an wie „eine gegenseitige Durchdringung aller Dinge und Ereignisse“.

Die prä/trans Verwechselung

Und hier geraten wir sofort in den Boomeritis Buddhismus, weil den nächsten Baustein, den wir für das Verständnis hier brauchen, ist den der prä/trans Verwechselung, bzw. die prä/post Verwechslung. Dies bedeutet, dass wenn man sich irgendeine der Entwicklungsabfolgen betrachtet, und eine der Stufen als einen Bezugspunkt wählt, dass dann die Stufen vor dieser Stufe und die Stufen nach dieser Stufe ähnlich aussehen. Nehmen wir die verbale Stufe und Dimension als ein Beispiel, dann erscheinen die prä-verbalen Stufen und die trans-verbalen Stufen ähnlich, weil beide nicht-verbal sind. Das kann man leicht verwechseln. Das gleiche gilt für prä-konventionell und post-konventionell, beide sehen sich sehr ähnlich, weil beide nicht-konventionell sind. Prä-rational und trans-rational sind sich ebenso ähnlich, weil beide nicht-rational sind. Diese Verwechselung, und ich bleibe bei der rationalen Stufe als einem Beispiel, ist wahrscheinlich die größte einzelne Katastrophe, die sich im Hinblick auf die Spiritualität in diesem Land [USA] in den zurückliegenden dreißig Jahren ereignet hat. Was Leute gemacht haben ist: Sie haben nur zwei Dimensionen gesehen, das Rationale, die egoische Rationalität, und das Nicht-Rationale. Alles Rationale war „schlecht“, und alles Nicht-Rationale war „Gott“, GEIST und letztendliche Wirklichkeit. Das war eine Katastrophe, weil eine Menge von infantilem und prä-rationalem Zeugzu Trans- und Post-rationalem – zur Buddhanatur und zum Christusbewusstsein usw. – erhoben wurde. Daraus resultierte eine gewaltige Regression, die als spiritueller Fortschritt bezeichnet wurde, und das, die prä-post Verwechselung, ist ein weiterer Teil von Boomeritis Buddhismus.

Was ist Leere?

Was man auch noch dabei braucht, ist ein angemessenes Verständnis darüber, was shunyata – Leere – wirklich bedeutet, so wie es von Nagarjuna und einigen seiner Schüler entwickelt, und über die Jahre vom Mahajana- und Vajrajana-Buddhismus weiterentwickelt wurde, wobei sich dabei an Nagarjunas grundlegenden Einsichten nichts geändert hat. Als er seine dialektische Methode entwickelte und niederschrieb, war das, was er am meisten kritisierte, nicht Vedanta sondern Theravada, und damit auch Gautama Buddha. Er nahm dies wirklich komplett auseinander und zeigte, dass Theravada falsch lag, sowohl was die relative wie auch was die absolute Wahrheit betraf. Das war ein Schock, und es veränderte vollständig die Art und Weise buddhistischer Praxis. Wer in diese Thematik tiefer einsteigen möchte, den verweise ich auf das Buch Eros Kosmos Logos, und darin die Fußnote 1 in Kapitel 14 (sie ist etwa 20 Seiten lang). Seit ich dies 1995 niedergeschrieben habe, habe ich etwa von zwei Duzend buddhistischen Gelehrten und Lehrern die Rückmeldung erhalten, dass ich das Thema auf den Punkt gebracht habe. Wir brauchen also auch ein angemessenes Verständnis von shunyata …

Zwei Wahrheiten

Was Nagarjuna hier zeigt ist, dass es zwei Wahrheiten gibt, eine relative Wahrheit und eine absolute Wahrheit, doch über die absolute Wahrheit lässt sich buchstäblich nichts sagen, einschließlich dessen, was ich gerade gesagt habe. Die formale Dialektik, in welcher er dies zum Ausdruck brachte, war:

  • von der Wirklichkeit kann man nicht sagen, dass sie existiert
  • von der Wirklichkeit kann man nicht sagen, dass sie nicht existiert
  • von der Wirklichkeit kann man nicht sagen, dass sie sowohl existiert als auch nicht existiert
  • von der Wirklichkeit kann nicht sagen, dass sie weder existiert noch nicht existiert

usw. ad infinitum.

Mit dieser Dialektik hat Nagarjuna alle Formen relativen Denkens und relativer Bewusstheit zerschmettert. Was danach noch übrig blieb war das, was immer schon vorhanden war/ist, und das war/ist Big Mind, die absolute Wahrheit. Und was kann man darüber aussagen? Nichts, einschließlich dieser Aussage. Alles was man – metaphorisch gesprochen – tun kann, ist zum Big Mind zu erwachen, um selbst zu sehen. Die Antwort auf alle diese Fragen ist also: „Erlange satori und finde es selbst heraus“. Ist es also richtig zu sagen, dass ultimative Wirklichkeit nicht-konzeptionell ist? Nein. Ich es richtig zu sagen, dass ultimative Wirklichkeit konzeptionell und nicht-konzeptionell ist? Nein. Ist das, was ich darüber sage richtig? Nein. Jeder Ausgangspunkt und jede Aussage und jeder Impuls diesbezüglich wird negiert, einschließlich der Negation.

Die Verwechselung von Leerheit und gegenseitiger Durchdringung

Das Problem ist, dass viele der amerikanischen Buddhisten auf der grünen, pluralistischen und relativistischen Bewusstseinsstufe Aussagen des Dzogchen oder der Vorstellung einer gegenseitigen Durchdringung aller Dinge und Ereignisse nehmen, und dies mit der ultimativen Wirklichkeit identifizieren. Das ist ein falsches Verständnis von shunyata, und es bedeutet ein Stehenbleiben auf der grünen und relativistischen Entwicklungsstufe. Und das wird noch kombiniert mit der prä/trans Verwechselung, und dann wird diese prä/post Verwechselung mit der absoluten oder ultimativen Wirklichkeit identifiziert, wie beispielweise in der Ati Lehre. Dieses Durcheinander ist dann Boomeritis Buddhismus. Man muss daher eines nach dem anderen dabei durchgehen und die Probleme nacheinander klären. Es ist eine einfache Tatsache, dass sich eine beträchtliche Anzahl von Menschen auf der grünen Entwicklungsstufe befindet, in diesem Land [USA] sind es etwa 20%. Unter ihnen sind viele, die meditieren.

Erfahrung und Interpretation

Es gibt auch Menschen auf der orangen und bernstein Entwicklungsebene, die meditieren, und das ist OK, doch die Interpretation der eigenen Zustandserfahrung, ob es sich dabei um einemeditative Erfahrung oder eine Gipfelerfahrung oder eine satori Erfahrung oder um eine Erfahrung eines Christusbewusstseins handelt, wird entsprechend der Bewusstseinsstruktur geschehen, auf der man sich befindet. Auf der bernstein Bewusstseinsebene wird man dieser Erfahrung eine absolutistische Bedeutung geben, auf Orange eine Bedeutung von etwas Hervorragendem und Erreichtem, auf Grün bekommt die Erfahrung eine pluralistische Bedeutung, „alles durchdringt sich gegenseitig und hängt voneinander ab“. Das klingt sehr ähnlich einer türkisen Beschreibung des Maha-Ati des Dzogchen, mit zwei Ausnahmen und zwei großen Problemen. Das eine ist die prä/post Verwechselung, weil man sich [bei grün] immer noch im 1st tier befindet, und nicht bei türkis. Und: „gegenseitige Durchdringung“ ist eine metaphorische Beschreibung, und man kann nicht sagen, dass dies die Natur der absoluten Wahrheit ist, weil es dazu ein Gegenteil gibt, und es sich um eine dualistische Aussage handelt. Nagarjuna würde einem das nicht durchgehen lassen … Wir haben also eine Menge Leute bei Grün, die eine Reihe von sehr tiefgreifenden Zustandserfahrungen machen, doch sie identifizieren diese satori Erfahrungen dann mit der grünen Entwicklungsstufe. Daran ist nichts verkehrt, außer dass behauptet wird, dies sei die einzige Interpretation des Buddhismus – und das ist das, was Boomeritis Buddhismus macht.

Übrigens ist Boomeritis nur eine Bezeichnung für die prä/post Verwechselung, die sehr häufig bei den Boomern auftritt, mit der Verwechselung von prä-rational und trans-rational, oder der Verwechselung von grün und rot. Doch es kann sich dabei um jegliche prä/post Verwechselung handeln. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Leute auf grün gewissermaßen „einfrieren“ und glauben, dass ihre satori Erfahrung mit dem grünen Wertesystem gleichgesetzt werden kann, und das ist ein wirklich großes Problem, denn es gibt auch noch Petrol und Türkis, und wenn man sich bei Türkis befindet und eine tiefgreifende satori Erfahrung macht, dann wird man diese entsprechend der türkisen Bewusstseinsebene interpretieren, und das ist ganz OK, solange man nicht der Meinung ist, dass dies die einzige Ebene ist, die es gibt, denn es geht noch weiter: Indigo, Violett, Ultraviolett. Was wir also anstreben ist ein Verständnis aller diese Komponenten, und natürlich kann man das auch kritisch betrachten, wir arbeiten ständig an der Verfeinerung dieses Wissens. Betrachtet man jedoch alles zusammen, dann kommt man zu dem Schluss, dass der amerikanische Buddhismus in vielerlei Hinsicht einen Fehlstart hingelegt hat. Das alles lässt sich beheben, und es gibt eine Menge buddhistischer Lehrer, die beginnen das Problem zu erkennen.

Die Unterscheidung von Zuständen (Phänomenen, Inhalten) und Strukturen des Bewusstseins

All dies, was ich gerade beschrieben habe, wurde deutlich als wir begannen, den Unterschied zwischen Bewusstseinsstrukturen und Bewusstseinszuständen zu verstehen. Noch einmal: Der Osten ist sich auch der Bewusstseinstrukturen bewusst, die „Hüllen“ des Vedanta z. B. oder auch die sieben Chakren sind den Strukturen sehr ähnlich. Doch auch sieben Chakras sind noch zu wenig und zu ungenau, man kann mit ihnen beispielsweise nicht zwischen orange und grün unterscheiden. Die innerlichen phänomenologischen Stufen der Bewusstseinszustände hingegen, die der Osten beschrieben hat, sind unübertroffen, und man findet sie auch sehr gut beschrieben in den westlichen kontemplativen Traditionen. Die östlichen Traditionen, speziell der Buddhismus, sind wirklich unübertroffen in dem, was wir die Zone 1 nennen, den direkten inneren Erfahrungen phänomenologischer Stufen. Doch wenn es um die Bewusstseinsstrukturen geht, dann hat der Westen eine Technologie entwickelt, die uns ein genaueres Verständnis dieser Strukturen ermöglichen, und diese Technologie funktioniert auch für die oberen Bewusstseinsebenen, auch wenn es nur wenige Menschen gibt, die sich dort befinden.

Nach wie vor ist jedoch die ganz überwiegende Mehrheit der amerikanischen Buddhisten gefangen in einer dieser Verwechselungen. Es gibt hervorragende Menschen auf der grünen Entwicklungsstufe, und sie machen sehr authentische und reale Bewusstseinszustands­erfahrungen. Doch die Strukturen des Bewusstseins sind etwas anderes als die Bewusstseinszustände … Man kann ein vollständiges Training der Bewusstseinszustände durchlaufen haben, man kann eine satori Erfahrung gemacht haben, und doch auf der bernstein Bewusstseinsstufe stehen bleiben. Was wir in diesem Land [USA] sehen, sind eine Vielzahl von Menschen, die erleuchtet sind im Hinblick auf Bewusstseinszustände, jedoch nicht im Hinblick auf die Bewusstseinsstrukturen. Sie haben alle Hauptzustände des Bewusstseins durchlaufen, aber nicht alle Bewusstseinsstrukturen, und ich spreche hier auch von vielen amerikanischen buddhistischen Lehrern. Ihr Psychogramm besteht aus einem (überwiegend) gesunden Grün, verbunden mit einem authentischen grobstofflichen, subtilen, kausalen und nichtdualen Zustandstraining. Sie haben damit die Anforderungen ihrer Traditionen erfüllt und können lehren, sie sind „lineage holder“. Die Tradition [lineage] überprüft lediglich die Zustände, und nicht die Strukturen (womit ich die Strukturstufen meine).

Die Entfaltung der Bewusstseinszustände

Die meisten Bewusstseinszustände erscheinen nicht in einer Stufenabfolge. Sie sind so etwas wie zufällige Ereignisse. Mal ist man glücklich, mal traurig, mal ist man wach, dann träumt man, usw. Trainiert man jedoch die Zustände des Bewusstseins, dann entfalten sich manche davon in Stufen. Und diese Zustandsstufen sind das, was z. B. Daniel P. Brown aufgeführt [in den Büchern Psychologie der Befreiung und Integrale Spiritualität] und untersucht hat. Die innere Burg von Teresa von Avila sind derartige Zustandsstufen, oder auch die Stufen von Plotin, und auch die 10 Ochsenbilder im Zen. Noch einmal: Die östlichen Traditionen haben auch schon Strukturstufen gekannt, aber nicht in einer Differenzierung, die ihnen erlaubt hätte, so etwas wie Boomeritis Buddhismus zu erkennen. Das ist das Problem. Boomeritis Buddhismus ist eine Art auszudrücken, das vieles des westlichen Buddhismus aus guten Menschen auf der grünen Entwicklungsstufe besteht, die ein Zustandstraining bis zum Nichtdualen durchlaufen haben, die jedoch damit nicht notwendigerweise auch eine Strukturstufenentwicklung durchlaufen.

Meditation und Strukturentwicklung

Meditation kann die Strukturentwicklung beschleunigen, aber alle vier Quadranten müssen diesen Prozess unterstützen. Wenn man bei Grün ist, und man beginnt Türkis zu erfahren, dann wird einen der eigene Lehrer, wenn er sich auch bei Grün befindet, nicht mögen. Er wird sagen, „nein, das ist Hierarchie, das ist falsch, das ist das, was wir überwinden müssen.“ Doch Petrol und Türkis und alle höheren Ebenen anerkennen – im Unterschied zu Grün – aufeinander aufbauende Hierarchien. Es liegt in der Natur von Grün, als einer pluralistischen und relativistischen Stufe, dass sie Ebenen verleugnet. Es ist, wie schon gesagt, die einzige Bewusstseinsebene, die Ebenen verneint. „Jeder ist gleich, wir sind alle gleich, es gibt keine Gewinner und Verlierer, und kein Höher und Tiefer“, und das wird mit Maha-Ati verwechselt. Dies ist eine Verwechselung von relativer und absoluter Wahrheit, und die absolute Wahrheit wird verdreht. Diese zwei Fehler befinden sich im Zentrum des amerikanischen Buddhismus.

Ich möchte noch sagen, dass meine eigene Hauptpraxis eine buddhistischen Praxis war und ist, und ich sehr viel Sympathie für die buddhistische Tradition habe. Ich möchte sie nicht wegwerfen, ich möchte sie konstruktiv kritisieren.

Ken Wilber im Dialog

Frage: Meine Frage bezieht sich auf den Aspekt von Boomeritis Buddhismus, bei dem die Leere als eine Ausrede für schlechtes Verhalten verwendet wird. Ich würde gerne dazu etwas vorlesen aus einem Artikel von Thanissaro Bhikkhu in [der Zeitschrift] buddhadharma, wo er dieses Problem anspricht. Der Artikel trägt den Titel The Integrity of Emptiness und legt dar, dass die Mahayana Lehre über die Leere zu abstrakt ist, um uns in unserem alltäglichen Leben zu unterstützen. Ich zitiere:

„Die Ironie dabei ist, dass die Vorstellung von Leere als etwas, dem jede Art von Existenz fehlt, nur sehr wenig zu tun hat mit dem, was der Buddha über die Leere sagte. Seine Lehren über die Leere haben unmittelbar auch mit Handlungen und den daraus folgenden Ergebnissen zu tun, und mit Themen wie Freude und Schmerz. Um Leere entsprechend dieser Lehren zu verstehen, braucht es keinen philosophischen Anspruch, sondern eine persönliche Integrität und die Bereitschaft, sich die konkreten Motivationen hinter den eigenen Handlungen und dem, was daraus an Gutem und Schlechten entsteht, anzuschauen.“
Kann es sein, dass von einer buddhistischen Perspektive aus betrachtet ein Grund für diese falschen Ansichten des Boomeritis Buddhismus darin liegt, dass man den Kontakt zu den Wurzeln dieser Tradition verloren hat?

KW: Ja, das ist eine sehr gute Frage, und ich möchte dazu sagen dass es beides ist: Zum einen fehlt tatsächlich der gründliche Bezug zu den Traditionen, doch es geht auch darum auf eine „richtige“ Weise darüber hinauszugehen. Gehört Thanissaro der Theravada Tradition an?

Frage: Ja.

KW: Erinnern wir uns daran, dass es genau diese Tradition war, die Nagarjuna kritisierte.

Frage: Ich glaube, dass viele in die Mahayana Lehren eingestiegen sind und sich dann gleich mit den Dzogchen Lehren beschäftigten, ohne sich mit dem Weg dahin vertraut zu machen.

Leere, Form und crazy wisdom

KW: Ja, und ich möchte dazu die ganze „Gestalt“ beschreiben. Was mit Nagarjuna geschah ist: Seine Schriften, auch bis zu den Prajnaparamita-Sutren, dieser großartigen Literatur darüber, verlieren sich so oft in reine philosophische Analysen, eine Art dialektischer Kritik von jeder nur vorstellbaren Anschauung. Das ist endloses philosophisches Zeug, und das ist in der Tat für die meisten Menschen viel zu abstrakt. Unzählige Arten von Leere, eine Analyse nach der anderen, die Dialektik des Madhyamaka, und die vier unausdrückbaren Sachverhalte. (Man kann nicht sagen, dass es ist, oder nicht ist, oder beides, oder keines von beiden, und so weiter ad Infinitum). Das, was damit erreicht werden soll, ist, einem jeglichen relativen Phänomen oder einer jeglichen Glaubensvorstellung den Boden zu entziehen, indem man aufzeigt, dass alles miteinander zusammenhängt, und nichts davon irgendeine inhärente oder absolute Wirklichkeit besitzt. All das hängt voneinander ab, nichts davon kann für sich bestehen oder existieren. Doch diese gegenseitige Anhängigkeit ist nicht die absolute Wahrheit, das ist ein Merkmal von etwas nicht [absolut] Realem. In den USA nahmen die Leute die Systemtheorie, entdeckten dort „gegenseitige Abhängigkeit“ und „gegenseitige Durchdringung“, und meinten, dass die Systemtheorie die absolute Wahrheit sei. Nein! Systeme sind ein Merkmal von etwas nicht [absolut] Realem, und nicht das REALE. Systemtheorie zeigt, dass alles voneinander abhängt und daher in sich selbst keine [absolute] Wirklichkeit besitzt. Doch diese Art von philosophischer Analyse kann man ins Unendliche betrieben, und Bhikkhu hat recht, wenn er sagt, dass dies Menschen nicht wirklich nützt. Doch was dann getan wurde, ist auch verkehrt, und die Kurzfassung davon lautet: „Leere bedeutet keine Konzepte, keine Rationalität, Leere bedeutet die Gefühle, die auftauchen …“, und das führt genau in die Beliebigkeit. Das führt zu der Art von crazy wisdom: „saufe so viel du möchtest, rauche wie ein Schlot, jage den Frauen hinterher und dann meditiere“. Die Identifikation der Leere mit „keine Konzepte“ ist falsch, weil Leere weder konzeptuell noch nicht-konzeptuell noch beides noch keines von beidenist. Dies ist ein Missverständnis der Leere, und die Theravada Praxis kann bei der (Be)gründung eines richtigen Verständnisses der Leere helfen, doch nur wenn es auf die Art geschieht, wie sie beispielsweise mit dem Weg der 9 jnanas beschrieben wird. Die ersten zwei Stufen dieser Praxis sind Theravada, man muss zuerst die monastischen Regeln befolgen, kein Trinken, kein Rauchen, kein Sex usw., und dann sitzt man und meditiert, schaut sich die eigenen Bewusstseinsinhalte an im Hinblick darauf, ob sie etwas [absolut] Eigenständiges haben, und die Antwort darauf ist „nein“, (es gibt unterschiedliche Arten dies zu tun), und diese Art von einer erfahrungsorientierten Grundlage ist entscheidend. Erst danach geht man zum Mahayana und macht für mehrere Jahre eine Tonglen Praxis. Und erst danach darf man sich den äußeren Tantras zuwenden, und dann erst den inneren Tantras, und dann Maha-Ati. Doch in Amerika geht man sofort zum Maha-Ati, und wenn man sich auf der grünen Entwicklungsebene befindet, identifiziert man Grün mit Dzogchen, weil es in Worten ähnlich klingt. Nimmt man die Avatamsaka-Sutra, die höchste philosophische Schule in China und eine der Grundlagen der Zen-Philosophie einer gegenseitigen Durchdringung, dann hört sich das ähnlich wie Grün an, und so wandten sich amerikanischen Buddhisten bei Grün gleich ganz nach oben, ohne jegliche vorbereitende Praxis, und das war einfach katastrophal.

Ich stimme also mit dem, was du vorgelesen hast, überein, doch was ich auch sage ist, dass wir nicht stehen bleiben wollen bei der Theravada Sichtweise. Worauf Nagarjuna hingewiesen hat, und dass ist wirklich wichtig, ist, dass Theravada falsch liegt, sowohl was das Relative als auch was das Absolute betrifft. Zu sagen, dass Wirklichkeit Nicht-Selbst ist, ist auf der absoluten Seite nicht wahr, weil es diesbezüglich weder Nicht-Selbst noch Selbst ist, weder beides noch keines von beiden. Man kann nicht sagen, dass Wirklichkeit Nicht-Selbst ist. Man kann nicht sagen, dass Anata ein Kenzeichen des Wirklichen ist – es ist eine Illusion des Nicht-Realen. Das ist der Grund, warum Nagarjuna Gautama [Buddha] kritisierte. Das zweite dabei ist: Es ist auch im phänomenologischen Bereich nicht real, und dies hat Nagarjuna sehr sorgfältig dargelegt. Er sagte, dass Theravada die Wirklichkeit vorübergehender Dharma Zustände akzeptierte, d. h. vorübergehender Erfahrungs“blitze“ ultimativer Wirklichkeit. Mahayana hingegen sagte, dass diese Dharmas leer wären, von einer absoluten Perspektive aus gesehen. Doch Nagarjuna fügte dem hinzu, dass im relativen Bereich Dharmas etwas Reales sind, und das gilt auch für das Selbst, für das Ego. Das Ego ist ebenso real wie Dharmas. Im relativen Bereich gibt es das Selbst und Dharmas, und das ist im Theravada nicht so. Im Absoluten ist weder Selbst noch Nicht-Selbst, und auch da liegt Theravada falsch. Hier hat Nagarjuna den Buddhismus aus dem Steckenbleiben im Nirvana und nirvikalpa herausgebracht, herausgebracht aus der reinen Leere ohne jegliches Samsara. Das wird klar, indem man aufzeigt, dass beide relativ sind, sowohl samsara und nirvana erscheinen miteinander [co-arise]. Das ist das, was Tantra meint: Was immer von Augenblick zu Augenblick im Samsara erscheint ist Nirvana, ist So-heit, wenn es mit dem Auge des prajna gesehen wird, dem nichtdualen Bewusstsein.

Ati = Grün?

KW: Ich denke dass das, was du sagst, noch einmal darauf hinweist, dass Amerikaner auf der grünen Bewusstseinseben sich sofort dem Maha-Ati zuwenden, der „gegenseitigen Durchdringung aller Dinge und Ereignisse“, und sie identifizieren das dann mit der ultimativen Wirklichkeit. Und dann – oh wunderbar – gibt es diese Übereinstimmung mit dem eigenen Wertesystem –, wie praktisch, wie einfach! Dann wird das immer-schon Gegenwärtige mit Grün gleichgesetzt, und damit wird Ati = Grün. Oh mein Gott! Darin verbergen sich 2 oder 3 wirklich gravierende Fehler. Es ist schwer das wieder zu entwirren, doch wenn man es einmal erkannt hat, dann ist es klar, und plötzlich erkennt man es überall. Mehrere Teilnehmer dieses Telefonats haben darüber gesprochen, dass sie in einer Sangha sind, und die sind grün, und auch die Lehrer sagen: „was soll all das mit den Ebenen?“ Und die Antwort darauf wäre: „Das ist das, was Ihnen fehlt – bei allem Respekt!“ Daran arbeiten wir. Die 9 jnanas [der Reihe nach] zu durchlaufen ist eine sehr gesunde Sache, sich zuerst in den Dienst stellen (Theravada), dann Tonglen (Mahayana), dann die äußeren Tantras, dann die inneren Tantras, dann Ati.

Frage: Man muss diese Arbeit machen.

KW: Ja, ohne Frage. Big Mind ist immer gegenwärtig, auf jeder der Stufen, und viele der tantrischen Traditionen weisen schon zu Beginn darauf hin. Man weiß also: Das gibt es. Doch dann geht es darum jahrelang zu meditieren und das zu stabilisieren, weil es so lange braucht. Man muss (sich) die Arbeit also machen.

Bewusstseinsstrukturen im traditionellen Buddhismus

KW: Das Problem dabei ist nicht, dass man sich dieser Strukturen nicht bewusst wäre – natürlich hat man auch schon in den Traditionen innere Erfahrungen objektiv betrachtet. Die westliche Entwicklungspsychologie hat sich jedoch sehr viel intensiver damit beschäftigt, und Hunderte von unterschiedlichen Gruppen von Menschen über längere Zeiträume untersucht … Praktiziert man jedoch Buddhismus, dann konzentriert man sich auf diejenigen Entwicklungsstufen, die man innerhalb der Tradition kennt, in der man praktiziert. Trans-kulturelle oder interkulturelle Strukturen werden dabei nicht erkannt. Doch zu einem gewissen Grad wurden sie erkannt, und das ist das, was die Hüllen sind. Der Grund warum ich dieses frühe Vedanta Modell liebe – und Vajrajana hat das auch –, ist, es ist das einfachste Modell, was dennoch alles enthält, was man braucht. Es hat 5 Hüllen, (und dann noch turya und turyatita), und 3 Bewusstseinszustände (Wachen, Träumen und traumloser Tiefschlaf), und 3 Körper, die diesen 3 Hauptzuständen entsprechen. Die 3 Körper stellen die materiell-energetische Komponente dar, die im Zusammenhang steht mit der Bewusstseinskomponente. Der grobstoffliche Körper unterstützt das Wachbewusstsein, der subtile Körper unterstützt den Traumzustand und die meisten meditativen Zustände, und es gibt den kausalen Körper, der den formlosen oder auch selig-formlosen Zustand unterstützt – anandamayakosha. Wir haben also in diesem Modell bereits Bewusstseinsstrukturen, Bewusstseinszustände und Körper, das sind der obere linke und der obere rechte Quadrant. Das gibt es also bereits [in den Traditionen]. Doch feinere Unterscheidungen wie die zwischen Orange und Grün, oder zwischen Grün und Petrol können dadurch nicht erkannt werden. Man kann, wie schon gesagt, den ganzen Tag auf seiner Meditationsmatte sitzen, doch man wird dabei niemals etwas sehen, was einem sagt, „das ist ein Gedanke der moralischen Stufe 4, und das ist ein Gedanke der moralischen Stufe 5.“ Was man jedoch erkennen kann ist Allgemeines wie „das ist egozentrisch“, oder „das ist ethnozentrisch“ oder „das ist weltzentrisch“. Das gibt es, und davon gibt es auch ein phänomenologisches Verständnis. Und in einigen Fällen gibt es auch eine Zone 2, doch nicht annähernd mit den Feinunterscheidungen  [wie sie die westliche Entwicklungspsychologie hervorgebracht hat], um diejenigen Stufenprobleme zu entdecken, über die wir hier sprechen, wenn wir über die prä/post Verwechselung sprechen oder über Boomerits Buddhismus … Ich habe das in Integrale Spiritualität vereinfachend formuliert – vielleicht zu sehr vereinfachend –, als ich sagte, dass die Traditionen kein wirkliches Verständnis von Zone 2 hätten. Was ich damit meine ist, dass ihr Verständnis nicht ausreichend differenziert ist. Ich möchte das zukünftig noch klarer machen und freue mich, dass wir hier darüber sprechen.

Frage: Das leuchtet mir ein. Die buddhistische Praxis hat also auch ein Verständnis der Bewusstseinsstufen, doch die feineren Unterscheidungen, die wir dabei brauchen, können diese Modelle nicht leisten.

Zwei Arten von Entwicklung, horizontal und vertikal

KW: Genau. Ich möchte noch etwas hinzufügen – das Thema ist komplex, und es ist faszinierend. Mit dem Beginn des Verständnisses von Bewusstseinsstrukturen und Bewusstseinsstufen, und mit einem genaueren Verständnis, welches wir heute darüber haben im Vergleich zu den kontemplativen Traditionen des Ostens und des Westens, können wir die relative Unabhängigkeit von beidem besser begreifen. Dies gibt es auch schon in den Traditionen, doch mit den gut ausgearbeiteten Modellen wie dem von Clare Graves oder Jane Loevinger, und denjenigen, die Bewusstseinszustände wie meditativen Zustände beschreiben, kann man zwei unterschiedliche Arten von Entwicklung verfolgen: vertikale (strukturelle) Entwicklung (Infrarot, Magenta, Rot, Bernstein, Orange, Grün, Petrol, Türkis, Indigo, Violett, Ultraviolett, Overmind, Supermind –, das ist das maximal Erreichbare heute, und es wird in der Zukunft weitere und noch höhere Strukturen geben). Doch es gibt ebenso eine Entwicklung durch diese vier oder fünf Hauptzustände, und das hängt mit der Frage zusammen, wo sich der eigene Bewusstseinsschwerpunkt befindet. Orientiert er sich ausschließlich an Wirklichkeiten des Wachbewusstseins, oder orientiert er sich an Wirklichkeiten des Wachbewusstseins und den subtilen meditativen, kontemplativen Traumzuständen und deren Wirklichkeiten, visionären Wirklichkeiten? Oder liegt der Bewusstseinsschwerpunkt im kausalen Zeugenbewusstsein, und verbringt man einen Grossteil seiner Zeit damit, grobstoffliche und subtile Zustände zu bezeugen? Oder ist man im Nichtdualen? Das ist eine eigene Entwicklungsabfolge, und die kann man mit der Aufnahme einer meditativen Praxis bewusst verfolgen. Und wie Daniel P. Brown und viele andere Gelehrte gezeigt haben, gibt es eine grundsätzliche Übereinstimmung bei allen Meditationen. Sie verlaufen von grobstofflichen Zuständen zu subtileren Zuständen zu Zuständen der Leere und des Kausalen und dann weiter ins Nichtduale. Man findet das bei Teresa von Avila, bei Johannes vom Kreuz usw., und das nennen wir horizontale Entwicklung. Der Punkt ist nun, dass man sich auf praktisch jeder der vertikalen Entwicklungsstufen, die ganz unteren einmal ausgenommen – bildlich gesprochen – auf den waagerechten Weg begeben und sich horizontal weiterentwickeln kann.

Schattenaspekte und Entwicklungspraxis

KW: Es können Schattenanteile entstehen sowohl innerhalb der Bewusstseinsstrukturen als auch der Bewusstseinszustände. Schatten sind ihrem Wesen nach Subjekte [des Bewusstseins], die man (noch) nicht zu Objekten gemacht hat, Subjekte mit denen man immer noch identifiziert ist. Sie sind ein Teil der relativen Welt, auf die man fixiert ist und die man nicht losgelassen hat. Das ist sehr faszinierend. Was ich noch dazu sagen möchte ist: Schaut man sich die 9 jnanas an, dann beschäftigt sich ein Teil dieses Trainings, speziell das moralische Training, in der Tat mit diesen Strukturen und der Zone 2. Was jedoch dabei geschehen kann ist: Sagen wir man beginnt auf der roten Bewusstseinsstufe und praktiziert die Theravada Praxis, Vipassana usw., das sind die ersten zwei jnanas, und man bleibt dabei auf der roten Ebene, doch Rot wird allmählich zu einem Objekt [des Bewusstseins], und die Meditation hilft einem dabei, sich durch diese Strukturen hindurch zu bewegen – Meditation kann das nicht erzwingen, aber es macht die Entwicklung wahrscheinlicher, wenn die anderen 4 Quadranten mitspielen. Man befindet sich gewissermaßen am Ausgang der roten Ebene und beginnt mit dem dritten jnana, und das ist die Praxis von Tonglen. Diese Praxis befördert einen von Rot zu Bernstein. Jetzt befindet man sich auf der bernstein Ebene und meditiert weiterhin, was im Wesentlichen eine Praxis horizontaler Zustände ist. [Um das voneinander zu unterscheiden] verwenden wir zwei Bewusstseinsschwerpunkte [der erste Begriff bezieht sich auf die Bewusstseinsstruktur, der zweite auf den Bewusstseinszustand]. Am Beginn war man also Rot/Grobstofflich. Dann, mit der Praxis des dritten jnana erreicht man Bernstein/Subtil, vorausgesetzt die eigene Praxis macht Fortschritte, weil das dasjenige ist, was die Theravada Tradition macht – sie führt einen aus dem grobstofflichen nirmanakaya heraus ins sambhoghakaya. Jetzt gilt es, diese subtile Wahrnehmung, und eine (noch) grobstoffliche Orientierung miteinander zu vereinbaren. Man macht jetzt also Tonglen, und das bringt einen zu Bernstein/Subtil. Dann kommen [im Rahmen der Praxis] die äußeren Tantras, das sind die nächsten drei jnanas, und was dann geschehen kann – und was dabei immer geschehen kann – ist, dass man diese Übungen macht und bei Bernstein stehen bleibt, doch in den Zuständen weiter fortschreitet. So kann man sich im Verlauf der Praxis beim vierten jnana bei Bernstein/Subtil befinden, und beim fünften jnana bei Bernstein/kausal, und beim sechsten jnana immer noch bei Bernstein/Kausal, und beim siebenten jnana vielleicht bei Bernstein/Nichtdual. Man kann also auf jeder der Bewusstseinsstrukturen ausschließlich den Zustandsweg verfolgen, weil die Traditionen einige dieser Strukturen nicht so leicht erkennen. Doch jetzt sind wir uns dessen bewusst, und [einige] amerikanische buddhistische Lehrer erlauben es einem nicht mehr bei Grün stehenzubleiben und nur noch den Zustandsweg zu gehen, bis man bei Grün/Nichtdual ist. (Das ist das, wo sich eine Reihe amerikanischer buddhistischer Lehrer befinden: bei Grün/Nichtdual). Doch jetzt mit dieser Landkate [von Zuständen und Strukturen des Bewusstseins] bestehen die Lehrer darauf, dass man sich weiter entwickelt, mindestens bis zu Türkis/Nichtdual. Dazu gehören Praktiken, bei denen man die Perspektive von anderen einnimmt, und bei denen man sich moralisch weiterentwickelt usw. Schon allein sich das bewusst zu machen [die Strukturen], z. B. indem man Spiral Dynamics und Jane Loevinger studiert, macht dies zu einem Objekt [des Bewusstseins], etwas was Meditation alleine nicht notwendigerweise leistet, auch wenn Meditation dabei hilft. Doch Lehrer mit einem Grün/Nichtdualen Psychogramm, die sich dessen nicht bewusst sind, setzen Grün mit Ati gleich. Ihnen kommt nicht die Idee, dass ihre grünen Werte verborgene Subjekte und verborgene Identitäten sind, Teile des Egos, derer sie sich nicht bewusst sind. Doch wenn sie es einmal erkennen, und viele von ihnen sind offen dafür, machen sie aus dem grünen Subjekt ein grünes Objekt, und das bringt sie augenblicklich zu Petrol oder Türkis, und dann sind sie Türkis/Nichtdual. Bleibt man sich dessen bewusst und setzt die Praxis fort, dann setzt sich auch die Entwicklung fort, z. B. von Türkis/Nichtdual zu Indigo/Nichtdual. Und dann gibt es auch noch Stufen der Post-Erleuchtung …

Hierarchie und Werteunterscheidungen

Dieses Rahmenwerk gibt einem die Möglichkeit dies festzustellen, und das ist nicht abwertend gemeint, weil jeder sich irgendwo befindet. Das Problem, das wir derzeit hauptsächlich sehen, ist die Kombination Grün/Nichtdual, weil daraus grün = ati gemacht wird, und das ist eine Katastrophe. Wo man dabei ansetzen kann, ist, dass jemand dessen Bewusstseinsschwerpunkt bei Grün ist, im Rahmen seiner kognitiven Entwicklung bei Petrol oder Türkis sein kann, also zwei Bewusstseinsstufen weiter. Wenn jemand also dazu bereit ist dies zu verstehen, ist das möglich. Doch viele sind so sehr an das Bekämpfen der schlechten Formen von Hierarchie und Werteunterscheidungen gewöhnt, dass sie das Baby mit dem Badewasser ausschütten. Innerliche Hierarchien sind ausnahmslos Hierarchien von zunehmender Umfassendheit. Atome zu Molekülen zu Zellen zu Organismen. UndOrganismen hassen keine Zellen, und Zellen hassen Moleküle nicht und unterdrücken sie auch nicht. Bei innerlichen Hierarchien gibt es nicht die schrecklichen Formen sozialer Unterdrückung, wie wir sie so oft vorfindenwenn der gesellschaftliche Bewusstseinsschwerpunkt bei Rot oder Bernstein ist …

Tendenz zum Wechsel individuell/kollektiv

Ein weiterer Punkt dabei ist: Clare Graves war einer der ersten, dem das auffiel, doch man findet das auch bei [der Arbeit von] Bob Kegan und Jane Loevinger – Stufen haben die Tendenz, zwischen Agenz und Kommunion hin und her zu wechseln. Ich glaube nicht, dass das zwingend so sein muss, d.h. ich glaube nicht, dass das eine strukturelle Notwendigkeit ist. Wenn das so wäre, dann müsste Orange immer agentisch sein, doch wenn man sich beispielsweise die japanische Kultur anschaut, dann sind die meisten der Entwicklungsstufen dort gemeinschaftlich [communal] geprägt, und es gibt viele Menschen, die gemeinschaftlich/Orange sind – Orange muss also nicht zwingend agentisch sein. Doch es gibt diese Tendenz für ein agentisches bzw. individualistisches Orange und Rot, und das ist der Grund, warum Spiral Dynamics hellere Farben für die individualistischen Stufen gewählt hat, Rot, Orange, Gelb. Auf der anderen Seite gibt es Blau, Grün und Türkis, und diese haben die Tendenz zu Gemeinschaftlichkeit.

Um das Thema abzuschließen: Der kulturelle Bewusstseinsschwerpunkt der meisten östlichen Traditionen ist bei Blau bzw. Bernstein, und passt aufgrund einer gemeinschaftlichen Orientierung gut zu Grün. Es gibt daher so etwas wie eine geheime Liebesaffäre zwischen Grün und Blau. [Lachen] Die meisten der Lehrer, die Genpo Roshi hatte, waren bernstein, und die meisten der amerikanischen Studenten von ihnen waren grün … Das war eigentlich das, was diese Studenten am meisten hassten: autoritäre Gurus, doch [aufgrund dieser unbewussten Liebesaffäre] konnten sie eine Weile bei diesen Lehrern bleiben. Mit Orange wäre das anders gewesen, Grün kommt nicht wirklich gut mit Orange klar. Doch das „wir sind eins“, diese gemeinschaftlich orientierte Sprache von Blau passt gut zu Grün, das ist ein weiterer Aspekt dabei. Die Lehrer waren Blau/Nichtdual, und ihre Studenten waren Grün/Nichtdual. Was wir [am Integral Institute] daher machen ist, die Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die solche Analysen möglich machen. Und dann geht es, worauf ich schon in Integrale Spiritualität hingewiesen habe darum, die eigene Praxis weiterzuverfolgen. Diese [traditionelle] Praxis ist eine Praxis von Zuständen, eine horizontale Entwicklung von grobstofflich zu subtil zu kausal zu nichtdual, und das ist wunderbar. Die meisten Traditionen führen einen durch diese Zustände hindurch, und damit sollte man nicht aufhören. Worum es geht, ist die vertikale Dimension hinzuzufügen. Lies beispielsweise ein paar gute Bücher dazu, und der Rest kommt beinahe von alleine. Was dadurch in Bewegung kommt ist die selbstkorrigierende und selbsttranszendierende Funktion der Psyche, die aus einem Subjekt ein Objekt macht. Ich empfehle jedem amerikanischen Buddhisten das Kapitel über Grün in Spiral Dynamics zu lesen. Dort ist auf eine wunderbare Weise nicht nur Grün beschrieben, sondern auch die Schattenseiten von Grün … Die Psyche wird das selbst korrigieren, wenn man anfängt sich damit zu beschäftigen.

Frage: Integrale Spiritualität spricht über die Bedeutung des [psychodynamischen] Schattens und der Arbeit daran, und ich frage mich, ob wir hier eine ähnliche Situation [wie bei den Strukturstufen] haben, weil auch die Traditionen schon über Projektionen sprechen.

Schattenerkenntnisse in den Traditionen

KW: Ja, das ist ganz ähnlich. Die Traditionen sind sich dessen bewusst, aber nicht mit diesen Feinunterscheidungen und den Methodiken, über die wir heute verfügen. Die östlichen und westlichen kontemplativen Traditionen waren sich der Schattenelemente bewusst – wenn man mit Selbstmordgedanken in einer Depression steckt, dann kann man das nicht übersehen. Doch das wurde dann meist auf die Selbstkontraktion zurückgeführt, die es zu entspannen und zu transzendieren gilt. Was man jedoch kaum dabei berücksichtigt hat, ist, dass es sich um etwas handelt, was innerhalb des Selbst und seiner Kontraktion stattfindet, und dass es darum geht hier etwas tiefer zu graben, unter Verwendung spezieller Methodiken … Auch ich und viele andere haben zu Beginn geglaubt, dass Meditation in der Lage sei die Verdrängungsschranke zu 100% durchlässig zu machen, so dass der Schatten vollkommen sichtbar werden würde, aber das funktioniert so nicht. Der Buddhismus hat ein Verständnis von Projektion, doch dabei handelt es sich oft um die Projektion von Big Mind, die gesamte Welt als eine Projektion von Big Mind. Doch schaut man sich beispielsweise die gesamte Hierarchie der Abwehrmechanismen, wie sie von der westlichen Zone 1 und Zone 2 Forschung entdeckt wurde an, was zur Entdeckung jeweils charakteristischer Pathologien der einzelnen Strukturstufen führte – dann muss man sich dazu all der unterschiedlichen Strukturen bewusst sein, sonst wird man die unterschiedlichen Arten von Schatten nicht voneinander unterscheiden können. Wir haben also herausgefunden, dass Meditation ein gutes Stück bei der Schattenarbeit helfen kann, aber nicht so weit, wie wir das ursprünglich annahmen. Ich habe das in Integrale Spiritualität ein bisschen übertrieben formuliert, um Menschen anzuregen darüber nachzudenken.

Frage: Integrale Spiritualität macht auch spezifische Aussagen über Einzelpersonen wie den Dalai Lama oder Gautama Buddha, könntest du dazu noch etwas sagen?

Der Dalai Lama und Buddha

KW: Ja, hier gibt es viel Klärungsbedarf, und ich bin selbst dabei dies für mich zu klären. Es besteht kein Zweifel, dass der Bewusstseinsschwerpunkt der tibetischen Kultur bei Blau bzw. Bernstein ist. Doch das bedeutet nicht, dass nicht noch vieles andere dabei stattfindet … [KW verweist darauf, dass er die Entwicklungsstufen als Wahrscheinlichkeitswolken betrachtet, und nicht als rigide Festlegung auf nur eine Bewusstseinsstufe].

Der Dalai Lama ist zweifellos, was seine kognitive Entwicklung angeht, Indigo bis Violett, er ist ein sehr tiefgründiger Denker. Und ich habe auch keinen Zweifel daran, dass bestimmte Aspekte seines Bewusstseinsschwerpunktes bei Indigo und Violett sind, oder auch Ultraviolett. Doch auf eine Art und Weise, die nicht völlig klar ist, jedenfalls nicht für mich, hat der kulturelle Hintergrund einen Einfluss. Jede der Entwicklungslinien verläuft gewissermaßen durch alle vier Quadranten. Wenn der eigene kulturelle Bewusstseinsschwerpunkt sich also bei Blau oder Bernstein befindet, dann wird es praktisch in jeder Entwicklungslinie subjektive Nischen mit einem blauen Beigeschmack geben. Ich kann das auch von meinem eigenen Guru Chagdud Tulku sagen. Einige Aspekte von dem, was er sagte, waren sehr Rot und Magenta, das war erschreckend. Das Rauchen von nur einer Zigarette beispielsweise wurde karmisch gleichgesetzt mit dem Ermorden von 100 Menschen. Das setzte mich auf die gleiche Stufe mit Hitler, weil ich als Jugendlicher wie ein Schlot rauchte. Es gibt also diese Nischen … (In Japan beispielsweise ist der kollektive Bewusstseinsschwerpunkt ein unglaublich starkes Blau, das nationale Motto könnte lauten: „Der Nagel, der sich aufrichtet, wird wieder eingeschlagen“. Viele der individuellen Entwicklungslinien, die dort über Blau hinausgegangen sind, können von Blau infiziert sein). Ich verwende das Beispiel des Dalai Lama gerne um zu schockieren. Wenn man hört, wie er Homosexualität verdammt, dann hat das schon etwas Barbarisches. Bei Gautama Buddha ist es etwas schwieriger das festzustellen, aber man kann vergleichbare Annahmen machen. Ich denke, dass die Lankavara Sutra bei Türkis ist, ein sehr starkes Türkis, und von denjenigen, die sie geschrieben haben, nehmen wir an, dass sie Türkis/Nichtdual waren. Sie hatten wahrscheinlich den Zustandsweg voll durchlaufen, unddieser ist relativ unabhängig von den Strukturstufen. Doch die Entwicklung geht weiter, und wir nehmen heute an, dass wenn jemand sich auf der grünen Entwicklungsstufe befindet, dass er dann leichter den nichtdualen Zustand erreichen kann, weil Grün als Ausgangspunkt mehr Bewusstheit enthält als Bernstein. Doch grundsätzlich kann man von jeder der Bewusstseinsstufen aus die Hauptzustände durch ein entsprechendes Training durchlaufen. Wir gehen bei Gautama Buddha davon aus, dass seine kognitive Entwicklungslinie bei Petrol oder Türkis war, sein Bewusstseinsschwerpunkt bei Bernstein, und seine Zustandsverwirklichung beim kausalen Zustand. Er war zweifellos nicht beim Nichtdualen. Nirvana ist [bei ihm] unterschieden von samsara, und das Ziel ist es, aus samsara herauszukommen und zum nirvana zu gelangen, das wäre tuyria, der vierte Hauptzustand, aber nicht tuyriatita, der fünfte Hauptzustand. Dies war die [nichtduale] Revolution die erst mit Nargajuna kam.

Der kulturelle Einfluss

Frage: Das Aufwachsen in einer von Bernstein geprägten Kultur hinterlässt also Nischen?

KW: Ja. In Amerika gab es immer einen starken Anteil von Blau/Bernstein, und irgendwie scheint sich da kaum etwas zu ändern. Doch die Boomer wuchsen überwiegend in einer von Orange geprägten Kultur auf, und sie waren die ersten, die Grün etablierten. So haben wir heute drei Hauptkulturen in den USA: traditionell, modern und postmodern – Bernstein, Orange und Grün. Die Boomer erzogen ihre Kinder Grün, und diese „Kinder“ drängen nun ins 2nd tier, mit all ihren grünen kulturellen Schatten und Nischen … Sie lesen das Buch Boomeritis und lieben es. Das Buch zeigt ihnen ihre grünen Eltern und ihre grünen Nischen. Dieses Wissen bekommen sie nicht von ihren in die Jahre gekommen grünen Lehrern, und die Kids fordern sie nun damit heraus, das ist sehr interessant. Jüngere Professoren wie Steven Pinker fordern die älteren grünen Boomer Professoren heraus, und das ist eine große und großartige Auseinandersetzung zwischen Türkis und Grün. Die Soziologen sprechen von einem beginnenden integralen Zeitalter …

Frage: Es gibt eine Reihe von Praktizierenden, die diesen blinden Fleck [Boomeritis Buddhismus] nicht sehen. Was empfehlen sie, was man ihnen sagen kann?

Was kann man sagen?

KW: Wenn man es mit jemandem zu tun hat der offen für dieses Thema ist, dann kann man ihm eines der Bücher über Entwicklung geben, wie Robert Kegans In over our Heads, das ist eine wunderbare Einführung in diese Thematik, wie auch sein früheres Buch The evolving self. Auch Spiral Dynamics ist zu empfehlen, ich mag dieses Modell und unterstütze es auf vielerlei Weise, auch wenn es in bestimmten Teilsaspekten problematisch ist …

Spiral Dynamics

Spiral Dynamics ist eine wundervolle Beschreibung der unterschiedlichen Entwicklungsstufen aus der Sicht einer psychologisch gesunden Werteorientierung. Clare Graves grundlegende Arbeit basierte dabei auf einer einzigen Frage. Er fragte Menschen: „Beschreiben sie das Verhalten eines psychologisch gesunden Menschen“. Das war alles. Er sammelte dann die Antworten zu dieser einen Frage, und er ging ursprünglich davon aus, dass es darauf nur zwei unterschiedlichen Antworten gab, weil etwa die Hälfte der Befragten antwortete, dass ein psychologisch erwachsener, gesunder und glücklicher Mensch jemand wäre, der anderen selbstlos dienen würde. Er oder sie würde für andere sorgen. Die andere Hälfte der Befragten sagte das genaue Gegenteil, und zwar dass ein psychologisch gesunder Mensch sich um sich selbst kümmert und für sich selbst sorgt. Dies war für Clare Graves das Wechselspiel zwischen agentisch und gemeinschaftlich/kommunal, doch als er begann sich das genauer anzuschauen, fand er unterschiedliche Ebenen dieser Antworten. Er fand zwei unterschiedliche Ebenen einer gemeinschaftlichen Orientierung, und zwei Ebenen einer agentischen Orientierung, und so kam er zu vier Ebenen, und als er sich dieDaten noch genauer anschaute, gelangte er zu sechs oder sieben Ebenen. Das ist der Grund, warum wir sagen, dass Spiral Dynamics lediglich eine bestimmte Perspektive einnimmt, weil die gesamte Forschung auf dieser einen Frage basiert, doch Don Beck und Christopher Cowan, die Begründer von Spiral Dynamics (das auf der Arbeit von Clare Graves Stufen basiert, und die auch mit Clare Graves zusammengearbeitet haben), sind da anderer Meinung. Doch man findet in Spiral Dynamics nicht Piagets Stufen oder die von Jane Loevinger, weil sie alle aus einer anderen Blickrichtung das Thema untersucht haben. Und sie alle haben etwas dazu beizutragen. Doch Spiral Dynamics beinhaltet nicht alle anderen Untersuchungen, und [Beck und Cowan] werden richtig sauer auf mich, wenn ich das sage. Aber so ist es nun einmal. Doch ich mag Spiral Dynamics als eine Einführung, und das Buch darüber ist gut, weil es Menschen über die Beschreibung der Stufen hilft, diese Stufen zu verstehen. Einer der wunderbaren Dinge bei Clare Graves Stufen ist – und das sage ich seit zwanzig Jahren, noch bevor es Spiral Dynamics gab –, wenn ich mich für nur eine Entwicklungslinie entscheiden müsste, um einen Überblick über diesen Bereich zu geben, dann würde ich mich für Clare Graves entscheiden, weil seine sieben oder acht Ebenen unmittelbar verständlich sind. Jeder kennt irgend jemand der rot/egozentrisch ist, und jeder kennt jemanden, der bei Blau (Bernstein) ist, jemand mit absolutistisch-fundamentalistischen Überzeugungen, und jeder kennt jemanden, der bei Orange ist, leistungsorientiert, business, und jeder kennt jemanden, der bei Grün ist, sensitiv und fürsorglich – und jeder möchte bei Türkis sein. Das Lesen des Buches macht einen damit vertraut, und man kann es mit seinen eigenen Erfahrungen vergleichen. „Ja, ich kenne jemand, der rot ist, und blau …“ und man liest weiter und kommt zu Grün, und plötzlich „oh, das bin ja ich, der da beschrieben ist“. Man liest weiter und gelangt zu Türkis und denkt sich „oh, das ist das, von dem ich dachte, dass ich dort wäre.“

Aus Subjekt wird Objekt

Dann beginnt man einen Prozess, der aus einem Subjekt ein Objekt macht, man betrachtet sein eigenes grünes Subjekt, und das führt dazu, dass Grün zu einem Objekt [der Wahrnehmung] werden kann. Robert Kegan fasst Entwicklung wie folgt zusammen: „Das Subjekt einer Entwicklungsstufe wird zum Objekt des Subjektes der nächsthöheren Entwicklungsstufe“. (Das gilt auch für Zustandsstufen). Und genau so ist es. Das geht immer weiter, bis kein Subjekt mehr übrig ist. Wenn das letzte Subjekt zu einem Objekt gemacht wurde, bleibt nichts übrig außer absoluter Subjektivität. Das ist der reine Zeuge, der reine Atman, das reine Selbst, Big Mind. Selbst Buddhisten gebrauchen den Begriff „absolute Subjektivität“, ich habe den Begriff vom Zen Meister Shibayama. Absolute Wirklichkeit ist weder Subjekt noch Objekt noch beides noch keines von beiden. Man kann sie also metaphorisch als absolute Subjektivität beschrieben, weil es das ist, was geschieht: Es gibt nichts mehr zu objektivieren. Der Körper, der Geist und die Seele in ihrer Gesamtheit sind Objekte des eigenen Gewahrseins. Und dasjenige, das sich all dessen bewusst ist, ist Big Mind, das wahre Selbst, welches nicht zu einem Objekt gemacht werden kann. Es ist kein Objekt unter anderen Objekten. Es ist der Raum oder die Lichtung, in welcher alle Objekte erscheinen. Es ist keine Erfahrung, es ist das Gewahrsein aller Erfahrungen, die Klarheit und Geräumigkeit, in der Erfahrungen erscheinen, verweilen, und wieder vergehen. Der Raum, in dem das geschieht, ist die Immergegenwärtigkeit. Das ist reine Bewusstheit, der Zeuge, oder die absolute Subjektivität. Spiral Dynamics spricht auf eine so einleuchtende Weise über die Entwicklungsebenen, dass man dabei wirklich den Unterschied zwischen Grün und Türkis erkennt.

Frage: Das verstehe ich, aber nicht alle lesen diese Bücher, und oft lesen sie auch die Lehrer nicht.

Lesen

KW:Ja, mit den Lehrern ist es schwierig, speziell denjenigen, die dafür nicht offen sind. Daher ist das einzige, was ich einem Lehrerempfehlen kann, Integrale Spiritualität. Es ist das einzige Buch das ich kenne, was all das berücksichtigt. Weist man einen Lehrer auf der grünen Entwicklungsebene auf Spiral Dynamics hin, gesundes Grün, mit ein paar Schattenaspekten und mit authentischen Zustandserfahrungen, dann sagt er, nachdem er das Buch gelesen hat: „Oh ja, das ist sehr schön, wir sind alle bei Türkis. Wir sind zur gegenseitigen Durchdringung aller Dinge und Ereignisse erwacht. Im Hinayana ist es die zwölffache Kette gegenseitig abhängiger Ursprünglichkeit, im Mahayana ist es die gegenseitige Durchdringung aller Dinge und Ereignisse, und im Vajrayana ist es reines Dzogchen Ati. Das ist das, was wir sind, wir sind Türkis.“ Hierzu braucht man eine Darstellung, wie ich sie in Integral Spirituality gebe, welche diese Themen anspricht. Ich habe das Buch auch aus einer leidenschaftlichen Haltung heraus geschrieben, um diese Denkanstösse zu geben. Wenn man einmal darüber nachzudenken beginnt, kann man damit nicht mehr aufhören. Auch wenn das, was dabei herauskommt, das widerlegt, was ich gerade gesagt habe, wird dabei dennoch aus einem grünen Subjekt ein Objekt. Das wird allmählich zu einer Öffnung führen, hin zu Petrol oder Gelb …

Frage: Wie sieht es mit dem Argument aus, dass all dies lediglich kulturelle Konstruktionen sind?

Postmoderne Dialektik

KW: Das ist in gewisser Weise auch etwas, was Nagarjuna entdeckt hat, und wie man damit umgeht, auf eine sehr tiefgründige Art und Weise. Er entdeckte sowohl die postmoderne Dialektik, als auch den Weg darüber hinaus. Der Weg darüber hinaus besteht darin, die Aussage zu nehmen und sie auf sich selbst anzuwenden. Nimmt man zwei der wesentlichen Aussagen der Dekonstruktion, und zwar a) alle Bedeutung ist kontextgebunden, und b) Kontexte sind endlos, dann bedeutet dies, dass jegliche Bedeutung endlos gleitet, und nichts eine letztendliche Bedeutung hat. Doch wenn das stimmt, dann trifft es auch für die Dekonstruktion selbst zu. Wenn die Dekonstruktion ein Teil der Wirklichkeit ist, und wenn alle Aussagen über die Wirklichkeit letztendlich nicht zutreffen, dann gilt das auch für die Dekonstruktion selbst. Die Dekonstruktion ist dann ebenso unwirklich wie all das, was sie kritisiert. Das ist das, was Nagarjuna machen würde, er würde die Aussage auf sich selbst anwenden. Wenn alle Wahrheiten kulturell relativ sind, dann gilt das auch für diese Aussage. Wenn alle Wahrheiten gleichermaßen OK sind, dann gilt das auch für die Aussage, dass es absolute und rigide hierarchischen Stufen gibt. Man kann dann nicht sagen, dass das falsch wäre, weil alle Wahrheit relativ ist. Deine Wahrheit ist also nicht wahrer als meine Wahrheit

Die Dekonstruktion der Dekonstruktion

… Nagarjuna würde also die Philosophie eines Menschen auf sich selbst anwenden, und an dieser Stelle dekonstruiert sich die Dekonstruktion selbst. Der Grund, warum Nagarjuna das macht, ist nicht der einer philosophischen Aussage, weil das die eigene Aussage dekonstruieren würde, sondern um den denkenden Geist loslassen zu können, damit prajna oder nichtduales Bewusstsein hervortreten kann. Doch die Vorstellung von absoluter kultureller Relativität bricht damit auch in sich zusammen, und mittlerweile ist man sich weitgehend einig darin, dass man das nicht mehr machen kann. Warum auch immer man einige Zeit lang glaubte, dass große Erzählungen komplett falsch sind, und nur kleine Erzählungen näher an der Wahrheit dran sind als große Erzählungen – das war 20 Jahre lang das einzige, was erlaubt war, kleine Geschichten. Doch man kann ein größeres Bild nicht sehen ohne eine Technologie, die es einem möglich macht, überhaupt zu sehen und erkennen. Und es war nicht so, dass es keinen größeren Rahmen gegeben hätte, es war so, dass die kleinen Erzählungen diese größeren Zusammenhänge leugneten. Doch wenden wir diese kleinen Erzählungen auf sich selbst an, dekonstruieren sie sich selbst …

Eine der Fragen dabei war auch, was der Postmodernismus und der Buddhismus gemeinsam haben, ohne sie dabei zu vermischen, und eines der Dinge, die sie gemeinsam haben, ist, dass beide hinsichtlich des relativen Bereiches entdeckten, dass Bedeutung kontextabhängig ist, und dass Kontexte unendlich sind, was wiederum bedeutet, dass Bedeutung immer kontextuell und auf einen Zusammenhang bezogen ist. Dessen muss man sich bewusst sein. Jeder Kontext steht wieder im Zusammenhang mit anderen Kontexten, auf eine unendliche Weise. Das hindert uns jedoch nicht daran weiter miteinander zu kommunizieren, doch Bedeutung wird damit gleitend. Wenn man daraus jedoch eine absolute Wahrheit machen möchte, führt das zur Selbstdekonstruktion. Die drei großen Merkmale des Postmodernismus, wie ich sie in Naturwissenschaft und Religion ausgeführt habe, sind Konstruktivismus, Kontextualismus und A-Perspektivismus, und das kennzeichnet in gewisser Weise die Relativität aller phänomenologischer Aussagen, was wiederum auf einer ursprünglich gegenseitigen Abhängigkeit beruht.

Abhängigkeit und Absolutheit

KW: Alle Ansichten hängen von anderen Ansichten ab und existieren nicht unabhängig von allem anderen in sich selbst. Doch was Nagarjuna und auch der Buddhismus machten, und was der Postmodernismus nicht machte, ist einen Weg zu finden, um mit absoluter Wahrheit in Berührung zu kommen, und zwar durch Kontemplation. Die Postmodernisten machten ihre relative Wahrheit jedoch zu einer absoluten Wahrheit. Alle Aussagen sind danach bedeutungslos. Doch das gilt dann auch für diese Aussage. Niemand hat danach ein Recht irgendetwas zu sagen. Jeder und alles wurde dekonstruiert, Hegel, Marx, Plato usw. weil man immer aufzeigen kann, dass jede Feststellung ein Gegenteil hat und daher relativ ist. Dekonstruktion ist eine einfache Sache, und Nagarjuna hat damit begonnen. Die Postmodernisten taten dies 25 Jahre lang, und alles, was danach übrig blieb, war ihr eigenes System, welches wiederum eine große Erzählung, ein großes Meta-Narrativ darstellte. Dabei trat der performative Widerspruch, der sich darin verbarg, klar hervor. Und alle wiesen darauf hin, von Charles Taylor bis Jürgen Habermas. Die Postmodernisten machten selbst das, von dem sie behaupteten, dass man es nicht machen kann … Das ist genau das, was Nagarjuna tat. Er entdeckte den performativen Widerspruch in allen relativen Weltsichten. Doch die Entdeckung dieses performativen Widerspruchs war für Nagarjuna die Öffnung für prajna, nichtduales Bewusstsein, reine Leere, jedoch nicht für den Westen. Der Westen ging nicht so weit, aber manche dann doch, wie die deutschen Idealisten, die ein gutes intuitives Verständnis davon hatten, auch wenn sie es nicht besonders gut formulierten. Einige wenige gingen über die Schaulogik hinaus und sie identifizierten ihre eigene Bewusstseinsebene, welche Türkis war – mit dem Absoluten. Das ist der Fehler, den jeder macht, bis man sowohl zu Bewusstseinszuständen wie auch zu den Bewusstseinsstufen erwacht.

Der performative Widerspruch und der Weg darüber hinaus

Nagarjuna hat den performativen Wiederspruch verstanden und einen Weg darüber hinaus aufgezeigt. Es gibt eine Menge Gemeinsamkeiten zwischen dem Postmodernismus und dem Mahayana Buddhismus. Doch es gibt auch diesen einen tiefgreifenden Unterschied. Der Mahayana Buddhismus kennt einen Weg zum Erwachen zur letztendlichen Wirklichkeit, wohingegen der Postmodernist eine relative Wahrheit erkannt hat, und diese zur absoluten Wahrheit erhoben hat. Das ist der performative Widerspruch. Was mit Boomeritis Buddhismus geschieht ist, dass der gleiche Fehler, den die Postmodernisten machen, dort wiederholt wird. Die grüne Bewusstseinsebene wird als das Absolute betrachtet. Das ist das Problem. Und was kann man da machen? Die Bücher lesen, wie erwähnt, eine integrale Lebenspraxis ausprobieren, und viel mehr gibt es dazu (noch) nicht. Doch es wird mittlerweile zur Mode den Postmodernismus auseinanderzunehmen,es gibt eine Reihe Bücher dazu, und was jetzt geschieht ist die Dekonstruktion der Dekonstruktion. Ganz allmählich taucht integrales Denken auf. Das ist der Grund, warum einige Soziologen davon sprechen, dass wir in ein integrales Zeitalter eintreten. Und das sagen orthodoxe Denker, und das ist kein New Age. Ganz allmählich beginnt etwas, doch wir machen das schon seit dreißig Jahren. Viele Menschen arbeiten daran, doch es ist immer noch sehr schwierig. Und vergessen wir dabei nicht, wenn jemand sich auf der grünen Entwicklungsebene befindet, dann wird ihn das Lesen eines Buches nicht ändern. Robert Kegan schätzt, dass ein Erwachsener durchschnittlich fünf Jahre braucht um sich zur nächsthöheren Stufe zu entwickeln. Doch etwa ein Drittel der Menschen, die sich bei Grün befinden, befinden sich am Ausgang von Grün. Sie sind bereit für den nächsten Schritt. Kognitiv sind sie schon ein oder zwei Stufen weiter. Die meisten der amerikanischen Buddhisten sind im Hinblick auf ihre kognitive Entwicklung 2nd tier, sie sind in ihrem Denken Petrol oder Türkis. Doch ihr Bewusstseinsschwerpunkt, ihr Selbst, ist bei Bernstein, Orange oder meistens bei Grün – Türkis sind vielleicht nur zwei oder drei Prozent von ihnen. Doch das Drittel, das sich am Ausgang von Grün befindet, das sind knapp 20 Millionen Menschen (etwa 20% der amerikanischen Bevölkerung ist bei Grün, das sind 50 Millionen Menschen, und ein Drittel davon sind knapp 20 Millionen), die bereit für den nächsten Schritt sind, hin zu 2nd tier. Das wird im Laufe der nächsten zehn Jahre geschehen, und das werden sehr interessante zehn Jahre werden …

KW: Praktisch alle postmodernen Denker, mit ihrem großen Einfluss in Amerika, waren alle Franzosen. Doch diese Franzosen waren wiederum eine gewissermaßen verdünnte Version deutschen Gedankengutes. Ein wesentlicher Einfluss für Foucault war Nietzsche, und Derridas wesentlicher Einfluss war Heidegger. Bourdieus Einfluss war Marx, und Lacans Freud. In Amerika haben wir also eine verdünnte Version der Franzosen, die ihrerseits eine verdünnte Version dieser deutschsprachigen Denker waren … Doch Großbritannien ist glücklicherweise diesen Weg nicht gegangen. Die Bücher über Geschichte in Amerika der letzten zwanzig Jahre sind praktisch wertlos. Wenn man darüber etwas wissen will, muss man auf britische oder deutsche oder australische Gelehrte zurückgreifen.

Piaget – Nachfragen

KW: Es hat den Anschein, dass praktisch keiner der Psychologen vor Piaget [bei seinen Untersuchungen] eine zweite, dritte fünfte oder zwölfte Nachfrage gestellt hat. Was bis dahin gemacht wurde, war, dass eine Frage gestellt wurde, die Antwort dazu aufgeschrieben wurde, und danach die nächste Frage gestellt wurde. Piaget jedoch hat bei seiner méthode clinique nachgefragt und ist tiefer gegangen. Er fragte beispielsweise ein Kind im Alter von fünf Jahren: „Warum bewegen sich die Wolken?“, und das Kind antwortete: „Die Wolken bewegen sich, weil ich mich bewege“. Dann fragte er nach: „Du bewegst dich also in diese Richtung, und die Wolken auch, doch wie ist es, wenn jemand anders in eine andere Richtung läuft, folgen ihm dann die Wolken auch?“ Und das Kind würde sagen, „nein“. Wenn Piaget dann weiter fragt, warum die Wolken nur ihm (dem Kind, das er fragt) folgen, dann würde das Kind die Frage nicht verstehen, und antworten „was meinst du?“ Es gibt für dieses Kind kein anderes Bewusstseinszentrum als es selbst. Durch dieses immer wieder Nachfragen gelangte Piaget zu dieser außerordentlichen Sensitivität bei seinen Stufenbeschreibungen, die immer noch gültig sind. Die Gründe, warum sich Menschen durch diese Stufen entwickeln sind möglicherweise andere als von ihm beschrieben, und die Vorstellung, dass die kognitive Entwicklung die einzige Grundstruktur sei, von der alle anderen nur Variationen sind, lässt sich auch nicht aufrechterhalten … aber die Phänomenologieseiner Stufen ist immer noch richtig, bis zur formal operationalen Kognition, das ist wirklich erstaunlich. Zu den ersten sechs Stufen der sensomotorischen Entwicklung gelangte er durch die Beobachtung des Aufwachsens seiner eigenen Kinder. Diese Stufenentwicklung wurde auch bei Völkern des amazonischen Regenwaldes nachgewiesen, das ist unglaublich. 

Wirklich gute Tests, wo jemand bei seiner Entwicklung steht, sind daher Interviews, die eine lange Zeit benötigen, eine Stunde oder mehr, um sie durchzuführen, und mehrere Stunden für die Nachbearbeitung und Interpretation. Der Satzvervollständigungstest von Jane Loevinger ist der wahrscheinlich genaueste, den wir haben, aber auch der Test von Bob Kegan ist interpretativ und auch der von Kohlberg. Und dabei wird auch nachgefragt. 

aus: Online Journal 25, 2010

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