Auf dem Weg zu einem integrale(re)n Business

Wirtschaft

Auf dem Weg zu einem integrale(re)n Business

Rolf Lutterbeck, Michael Habecker

[Ein Hinweis: Die im Folgenden verwendeten Farben beziehen sich auf das Modell Spiral Dynamics. Wenn Sie damit nicht vertraut sind, hier eine vereinfachte Übersetzung: Mit Blau wird die konservativ denkende, traditionelle Weltsicht gemeint, Orange steht für die Moderne und Grün für die Postmoderne.]

Im Zen hat das zehnte (und höchste) Ochsenbild die Bezeichnung „mit leeren Händen auf dem Marktplatz“, wobei der Marktplatz den Platz unseres In-der-Welt- Seins repräsentiert. Wie können wir uns integral auf diesem Marktplatz bewegen, und was ist dieser Marktplatz integral betrachtet überhaupt? Willkommen beim „Integralen Business“. Eigentlich ist dieser Begriff zu eng gefasst, da „Business“ ein moderner (oranger) Begriff ist. Allgemeiner wäre der Begriff „Arbeit“, der allerdings etwas angestaubt ist. Worum es geht, ist eine Beziehung zwischen ein oder mehreren Menschen (die sich zu einem „Unternehmen“ zusammenfinden) zu anderen Menschen (meist „Kunden“ genannt) mit einer bestimmten Aufgabe (Unternehmens-Mission); zur Erfüllung dieser Aufgabe werden vom „Unternehmen“ Leistungen (Dienstleistungen, Produktlieferung) erbracht und diese – in vielen Fällen – vom Kunden (oder Förderern der Kunden) „honoriert“. Im besten Fall ist das Ganze ein „schöpferisches Spiel“, ein Ausdruck unseres Miteinander-Seins, eine Kommunion mittels bewusster Austauschbeziehungen, ein Feiern eines Wir, bei dem niemand ausgeschlossen ist.

Wir, die wir uns dafür interessieren, sind daher auf dem Weg in ein Neuland, das bereits schon auf den ersten Metern seiner Erkundung faszinierende Ausblicke ermöglicht:

IB behauptet nicht nur, „neu“ zu sein, sondern erlaubt tatsächlich auf eine bisher noch nicht da gewesene Weise, alle existierenden Business-Ansätze und deren Umsetzung zu integrieren.

Integration bedeutet dabei, das Beste des Bestehenden aufzunehmen und zu würdigen und durch die Integration einen übergeordneten Zusammenhang und wirkliche Synergien herzustellen, die über das Bisherige weit hinausgehen.

Eine sehr nützliche „Landkarte“ dabei ist AQAL als eine explizite und nachprüfbare Sicht auf Wirklichkeit.

IB widmet sich den innerlich individuell- psychologischen wie auch den äußerlichen Verhaltensaspekten von Menschen im Business als auch den am Geschehen beteiligten Gemeinschaften und Systemen (im Innen und Außen). IB umfasst somit das Wahre (Wissen, Forschung, Produkte, effiziente Abläufe …), das Schöne (Design, Kreativität, Ästhetik .. .) und das Gute (Ethik, Nachhaltigkeit, menschliche Wertschätzung …).

IB berücksichtigt explizit den Entwicklungsaspekt des Bewusstseins als einen fundamentalen Hinweis darauf, was Menschen, die wirtschaftlich aktiv sind, jeweils „sehen“ und erkennen können und was nicht. Damit besteht die Möglichkeit und das Ziel, allparteiliche Erfolge durch das Business zu erreichen – für das Unternehmen, seine Mitarbeiter, die Anteilseigner, die Kunden, die Lieferanten und auch für die Gemeinschaft und die Welt als Ganzes.

IB unterscheidet die unterschiedlichen Bedeutungen von Entwicklung wie a) Entwicklung als „Change“ im Sinne horizontaler Veränderungen (typologische Balancierung, Skillförderung, strukturelle Optimierung, …), b) Entwicklung als horizontales Phasen und Zyklengeschehen (Produktzyklen, Unternehmenszyklen, Teamphasen) und c) Entwicklung als vertikale Bewusstseinsund Strukturentwicklung (z.B. von zahlenbasierter, moderner Profitorientierung zu kommunikativer, kunden- und menschenorientierter, grüner Serviceorientierung).

IB berücksichtigt und fördert typologische Vielfalt. Im Gegensatz aber zur postmodernen „Diversität-über-alles“-Haltung wird aus integraler Sicht eine Vielfalt in unterschiedlichen Bewusstseins-Stufen (blau, orange, grün,..) innerhalb eines Teams häufig als nicht produktiv gesehen. Ein Unternehmen – insbesondere ein größeres – kann (und sollte häufig) Menschen unterschiedlicher Bewusstheit in unterschiedlichen Teams beschäftigen, abgestimmt auf die jeweiligen Aufgaben eines Teams oder einer Abteilung. Je „höher“ aber eine Person sich in der Unternehmenshierarchie (und Verantwortung) befindet, desto höher sollte auch ihre Bewusstheit sein, um angemessen führen zu können. Eine Führungskraft, deren Horizont nur bis Blau reicht, wird beispielsweise nicht in der Lage sein, auch orange und grüne Mitarbeiter angemessen zu integrieren und zu fördern.

Abb.: Führungskulturen

Und schließlich berücksichtigt IB die Möglichkeiten, welche die wechselnden Zustandserfahrungen bereithalten, sei es entspannt-visionäres Denken in strategischen Prozessen, Nutzung von Kreativität (aus subtilen Alpha/Theta-Zuständen) in Workshops, der Einsatz von Big Mind- Prozessen (kausal bis non-dual) und natürlich Förderung von regelmäßiger Meditation und Schattenarbeit (z.B. durch Aufstellungsarbeit).

IB entsteht nicht auf dem Reißbrett, sondern trifft auf die derzeit etablierten existierenden Business-Praktiken, die man, unter Bezug auf die Entwicklungsstufen, in traditionelles, modernes und postmodernes Business einteilen kann. In all diesen Businessformen gibt es Wesentliches zu bewahren, doch auch Grenzen, die weiteres Wachstum verhindern. Traditionelles Business und „old economy“ haben eine Fülle von guten und bewährten Regeln, Traditionen und Tugenden (wie hierarchische Ordnung, Struktur, Verbindlichkeit, Treue) erarbeitet, die in einem IB aufzunehmen sind. So ist es z.B. nach wie vor keine schlechte Idee, neue Vorhaben auf eine solide Finanzbasis zu stellen und nicht nur über Fremdkapital zu finanzieren, wie die derzeitige Finanzkrise uns überdeutlich vor Augen führt. Gleichzeitig können Traditionen auch zu Haltungen wie „das haben wir schon immer so gemacht, und das bleibt so“, führen, die eine Weiterentwicklung behindern. Modernes Business hat die modernen Betriebswirtschaften (und Volkswirtschaften) hervorgebracht, mit einer weltweit agierenden kapitalorientierten Wirtschaftsweise, deren Licht und vor allem auch Schattenseiten immer deutlicher hervortreten. Positive Aspekte wie Effizienz, Effektivität, zielorientierte Abläufe, Ressourcenreduzierung, Technologieeinsatz wird ein IB weiter verfolgen, die alleinige Ausrichtung auf materielle Ziele und Erfolge wird jedoch überwunden. Postmodernes Business führt so wichtige Qualitäten wie Wertschätzung, Vertrauen, Verständnis, soziale Verantwortung und Ökologie in das Wirtschaften ein. Was gegenüber einer integralen Betrachtungsweise fehlt, ist die wirkliche, holarchische Transzendierung und Integration aller Faktoren, einschließlich der Errungenschaften des traditionellen und modernen Business, auf der Grundlage einer Landkarte wie z. B. AQAL.

Integrales Business erlaubt die Integration bestehender Methoden in einer  umfassenden Landkarte

Das deutschsprachige Angebot an integralen Artikeln und Büchern im BereichIB ist noch dürftig, und häufig ist unser Eindruck, dass nicht überall, wo integral drauf steht, auch integral drin ist. Ein dabei zu beobachtender Trend ist der, dass integrale Gedanken in traditionelles, modernes oder postmodernes Bewusstsein „hineingezwängt“ werden, ohne dass dies den Autoren immer bewusst ist (und wir fügen hinzu, dass auch wir nicht von uns behaupten können, davon ganz frei zu sein). So werden z. B. in dem Buch von M. Bär, R. Krumm, H. Wiehle „Unternehmen verstehen, gestalten, verändern“ die Spiral Dynamics-Ebenen nicht immer richtig interpretiert. Familienunternehmen werden z.B. als Unternehmen auf der Ebene Purpur (Stammesbewusstsein) eingeordnet. Purpur ist aber die Welt der Magie, des Voodoo und bei Naturvölkern (und kleinen Kindern) zu finden. Familienunternehmen sind oft eher patriarchalisch blau oder auch schon vielfach modern und postmodern, sonst könnten sie in der heutigen Businesswelt gar nicht überleben.

Trotz einiger Fehlinterpretationen des integralen Paradigmas in der Businessliteratur ist es begrüßenswert, dass immer mehr BeraterInnen und Führungskräfte sich mit integralen Perspektiven beschäftigen. Auf der praktischen Seite gibt es bereits Firmen mit hochinteressanten Ansätzen, die jeweils den einen oder anderen Aspekt einer integralen Sichtweise hervorheben, wie die Schaffung hochentwickelter Organisationsformen oder die Einbeziehung von Wertebewusstsein, Aspekte von Spiritualität, Psychodynamik oder Entwicklungslinien (z.B. Talentförderung). Beispiele, die den AQALRahmen ganz ausschöpfen sind hingegen noch selten. Erwähnenswertes Beispiel ist hier Holacracy von Brian Robertson.

(aus: IP 16, 2010)

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