Die Drei Gesichter des GEISTES

Religion / Spiritualiät

Die Drei Gesichter des GEISTES

Die Drei Gesichter des GEISTES

Terry Patten

Die Drei Gesichter des GEISTES sind eine der bedeutendsten Einsichten, welche die Integrale Theorie für den Bereich der Spiritualität erbracht hat. Alle menschlichen Unternehmungen einer spirituellen Praxis und mystischen Verwirklichung lassen sich in drei große Kategorien einteilen – die Spiritualität einer ersten Person, die Spiritualität einer zweiten Person und die Spiritualität einer dritten Person.

Das Mysterium der Existenz, das, worum es letztendlich geht, ist von ultimativer Tiefgründigkeit. Diese ist von keiner Perspektive zu erfassen. Aufgrund seiner Natur und seines Wesens transzendiert GEIST als das große Mysterium alle Perspektiven.

Doch das menschliche Nervensystem ist wie ein Perspektiven erzeugender Apparat. Wir können nicht anders als Perspektiven einnehmen und daher sind von Anbeginn an unsere Spiritualität und unsere Beschreibungen darüber immer schon grundlegend perspektivisch. Die Strukturen unserer Sprachen weisen uns auf die Tiefenstrukturen unserer Perspektiven und unserer Spiritualität hin – wir organisieren unsere Sprache in drei großen Kategorien.

Die erste Person.

Es gibt ein „Ich“ oder „mein“, die Perspektive einer ersten Person; von diesem Ausgangspunkt aus können wir die Tiefe und Reichhaltigkeit unserer innerlichen Erfahrungswelt untersuchen, wie es für mich ist in mir zu sein, in meinem Bewusstsein, meinen Intuitionen, meinen Gedanken, meinen Erfahrungen und meinen Gefühlen. Sprachlich ist die erste Person diejenige, die spricht.

Die zweite Person.

Wenn ich zu einem anderen in Beziehung trete, wird aus diesem Anderen für mich aus einem „Es“ ein „Du“. Wir sind in Beziehung. Es gibt eine wie auch immer geartete Kommunion. Wir können einander verstehen, Vereinbarungen miteinander treffen, und es entsteht „Kultur“. In jeder Art von intersubjektiver Verbundenheit erscheint ein „Wir“. Sprachlich ist die zweite Person diejenige, zu der gesprochen wird.

Die dritte Person.

Wenn ich über irgendetwas oder irgendwen reflektiere, oder wenn ich tätig bin gegenüber irgendetwas oder irgendwem in meiner Welt, dann ist das, worüber ich reflektiere oder tätig bin, ein Objekt meiner Aufmerksamkeit oder Handlung. Ich kann es sehen, beobachten, untersuchen, wahrnehmen und beeinflussen. Dies ist der Bereich objektiver Informationen und Erfahrungen. Hierin liegt all unser objektives Wissen, einschließlich unserer Wissenschaften. Sprachlich ist dies die dritte Person, über die gesprochen wird.

Auf der Grundlage der Unterscheidungen zwischen den Perspektiven einer ersten, zweiten und dritten Person erkennen wir drei voneinander unterschiedene „Familien“ spiritueller Erfahrungen und Praxis. Betrachten wir nun zuerst die Spiritualität der Perspektive einer dritten Person, dann die Spiritualität einer Perspektive einer ersten Person und schließlich die Spiritualität der Perspektive einer zweiten Person.

Das Mysterium der Existenz: Kosmische Kontemplation

Bei der Spiritualität einer dritten Person geht es oft um die Kontemplation über das Geheimnis der Existenz („es betrachten“). Dies kann in vielen unterschiedlichen Formen geschehen; zwei der wichtigsten und bekanntesten Ausdrucksformen einer Spiritualität einer dritten Person sind (1) Naturmystik und (2) Philosophie oder Theologie. Naturmystik findet sich in allen spirituellen Traditionen und sie spielt eine wichtige Rolle im Leben der meisten post-postmodernen Praktizierenden. Dazu gehören die Kontemplationen natürlicher Landschaften, Licht, Himmel, Sonne, Mond, Sterne und aller Kreaturen, und alles wird als der Körper des Mysteriums der Existenz betrachtet. Durch Lesen, Schreiben oder philosophische Diskussionen stellen wir kontemplative Betrachtungen über die Existenz an, und erkennen dabei die abstrakten Muster, die unserer Erfahrungswelt zugrunde liegen und die unsere Erfahrungen miteinander verbinden. Philosophie und Naturmystik sind sehr unterschiedlich, in dem was sie tun, doch beide verbindet eine „Es-Kontemplation“ bei der Betrachtung von Aspekten des Mysteriums und unserer Transformation durch diesen Betrachtungsprozess. Im Rahmen einer Integralen Lebenspraxis wird die spirituelle Praxis einer dritten Person als Kosmische Kontemplation bezeichnet.

ICH BIN: Integrale Untersuchung – Integrales Erwachen

Bei der Spiritualität einer ersten Person geht es um das Erwachen zum unveränderlichen ICH BIN, welches immer gegenwärtig ist als der ruhige und stille Zeuge aller Erfahrung. Dieses ICH BIN ist reine Bewusstheit, die in aller Erfahrung gegenwärtig ist, in jedem Klang, jeder Ansicht, jedem Geruch, jedem Geschmack, jeder Empfindung, jedem Gedanken, jedem Gefühl – ob angenehm oder unangenehm. Diese reine Bewusstheit wird oft als die ultimative Verwirklichung beschrieben, als das Ziel östlicher mystischer Wege. Sie wird erfahren, wenn sich die Augen nach der Meditation öffnen, als eine Erfahrung von Einheit mit allem, was existiert, einer Einheit, in der nichts voneinander getrennt ist. Lange bevor wir das ultimative Nirvana verwirklichen, können wir einen Schimmer des ICH BIN (auch Soheit genannt) über die Meditation erlangen, oder durch einen inspirierenden Austausch mit einem spirituellen Lehrer, oder auch spontan, in einem gnadenvollen „Unfall“. Der Weg, der sich auf die Spiritualität einer ersten Person konzentriert, bedient sich meist der Meditation, um unseren „Affengeist“, der absorbiert ist vom andauernden Strom unserer Gedanken, für das weite Bewusstseinsfeld zu öffnen, das natürlicherweise auftaucht, wenn der Geist sich entspannt. Im Rahmen einer Integralen Lebenspraxis wird die Praxis einer ersten Person als Integrale Untersuchung oder Integrales Erwachen bezeichnet.

Gebildete post-postmoderne Menschen des Westens sind für beide Formen dieser Spiritualität offen. Die moderne Wissenschaft stellt die Existenz einer persönlichen Identität in Frage, und sie bestätigt die Einheit des Kosmos. Sowohl die Spiritualität einer ersten Person wie auch die einer dritten Person passen zur gegenwärtigen Ansicht von der Welt. Die Entdeckung östlicher Spiritualität durch den Westen hat das Interesse für trans-rationale Untersuchungen der Spiritualität einer ersten Person geweckt, und, wenn auch in geringerem Maße, das Interesse für eine Spiritualität der dritten Person.

Integrale Kommunion: Liebesbeziehung mit der Existenz

Bei der Spiritualität einer zweiten Person geht es um die Kommunion mit dem Mysterium der Existenz als einem(und einer) universellen geliebten Vertrauten. Dies ist eine unmittelbare Beziehung zwischen dem individuellen „Ich“ und dem „DU“ des GEISTES, eine gefühlte Verbindung mit dem (oder der) universellen Geliebten. Sie kann durch das Gebet ausgedrückt werden und durch ein hingebungsvolles Leben der Verehrung, des Dienstes und der Lobpreisung. Der Weg einer zweiten Person der Spiritualität beginnt oft mit einer Einsicht und der Erkenntnis, dass Herzen sich verschließen können, was uns von anderen Menschen und dem Leben trennt. Daher basiert die Praxis darauf das Herz zu öffnen, sich liebend der Quelle der Gnade hinzugeben, und sich in dieser Hingabe der Vertrautheit mit dem GEIST zu erfreuen.

Die Spiritualität einer zweiten Person stellt für viele westliche Menschen eine beträchtliche Hürde dar. Ein Grund dafür ist die lange Dominanz der westlichen Kultur durch christliche Vorstellungen eines dogmatisch-mythischen Gottes. Als die westlichen Kulturen in die Moderne eintraten, verwarfen sie (richtigerweise!) die mythischen Gottesvorstellungen. Doch sie schütteten dabei das Kind (die Spiritualität einer zweiten Person) mit dem Bade (einer mythischen Gottesvorstellung) aus. Speziell mit der Vorstellung trans-rationalen Betens tun sich westliche Menschen schwer, da für sie das Gebet und die darin enthaltene Kommunion mit dem Mysterium fast zwangsläufig mit einer metaphysischen Vorstellung Gottes einhergeht. („Sage mir bitte erst genau, zu wem bete ich eigentlich?“) Ein derartiger dogmatischer Skeptizismus erkennt dabei nicht, dass wir auch auf eine trans-rationale Weise mit dem GEIST in Beziehung treten können, als einem gnadenvoller Sein der Wirklichkeit und einer universellen „Anders-heit“ gegenüber einer Erfahrung von „Ich-heit“.

Eine Spiritualität einer zweiten Person ist jedoch etwas ganz Wesentliches – und es ist eine der transformierendsten Möglichkeiten, die uns eine integrale Sichtweise eröffnet hat. Das menschliche Gehirn und Nervensystem haben sich unter Bedingungen des Sammelns und Jagens in Gruppen entwickelt, und daher sind wir mental und emotional auf Beziehungen zu anderen hin strukturiert. Diese unsere beziehungsorientierten Fähigkeiten werden durch das Erwachen einer ersten Person zum ICH BIN oder durch die Kontemplation der Natur und in der Philosophie nicht gefordert und gefördert.

Eine liebende Beziehung mit der Existenz ist das Wesen der Spiritualität einer zweiten Person – durch die Liebe haben wir Zugang zu einer enormen Stärke und Energie. Die Spiritualität einer zweiten Person bezieht uns persönlich mit ein und weist auf unsere geschlossenen Herzen und Kontraktionen – als eine Verletzung unserer gegebenen Liebesbeziehung mit dem Mysterium der Existenz. Das universelle Spiel einer Liebensbeziehung mit dem oder der universellen Geliebten lässt unsere Herzen schneller schlagen und macht uns lebendig. Liebe führt uns zur Kraft unseres gesamten Wesens. Was wäre eine Spiritualität ohne Liebe? Im Rahmen einer Integralen Lebenspraxis wird die spirituelle Praxis einer zweiten Person als Integrale Kommunion bezeichnet.

(aus: IP 13, 2009)

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