Hilde Weckmann
Kürzlich habe ich im Berliner Frauenarchiv www.FFBIZ.de an einer Sitzung teilgenommen – wir haben das Projekt vor fast 30 Jahren gegründet – da wurden mir, wie so oft, die vielen feministischen Strömungen deutlich.
Nach der bürgerlichen Frauenbewegung, die in Europa seit dem 19. Jhdt. aktiv war, kristallisierte sich direkt aus der Studentenbewegung eine neue Form der Organisation von Frauen heraus. Dies wurde zu einem wesentlichen Bestandteil im Übergang der Avantgarde der westlichen Kultur von der Moderne in die Postmoderne. Strukturen in der westlichen Gesellschaft, die Hierarchien, Vormachtsstellungen und Privilegien gestützt hatten, wurden bewusst infrage gestellt und nach außen sichtbar gemacht.
Wir sahen Anfang der 70-er Jahre des 20. Jhdt. viele seit Generationen vertraute Dinge in evolutionär völlig neuen Kontexten und das schien uns plötzlich so klar, dass wir oft überrascht waren, welch empörte Reaktionen wir bei vielen Männern und Frauen hervorriefen. Interessierte Frauen trafen sich in kleinen Gruppen, Termine wurden mündlich und telefonisch weitergegeben. Wir lebten in den Anfangsjahren nach der Parole, alle Frauen sind Schwestern – allein durch ihr Frausein – und dies gab uns für einige Zeit eine enorme Schubkraft, mit der wir tatsächlich Veränderungen in einigen westlichen Gesellschaften bewirken konnten. Die Zeit war günstig, so ist der Übergang von der Moderne in die Postmoderne kräftig durch die Frauenbewegung mitgestaltet worden. Über Jahrtausende geprägte – teils aus einer evolutionären Perspektive für gewisse Zeiträume durchaus sinnhaft erscheinende – Diskriminierungen wurden zu öffentlichen Themen und mehr als 30 Jahre später können wir erleichtert feststellen: viele fast schon kosmische Gewohnheiten wurden verändert! Niemand kann mehr leugnen, dass Frauen heute mehr Bildungs- und Berufsmöglichkeiten haben und dass es Veränderungen an den Arbeitsplätzen und bei der Bezahlung von Frauen, sowie bei der Vereinbarkeit und Familie und Beruf gibt.
Dennoch sind wahre Gleichheit und Partnerschaft in vielen Bereichen noch nicht realisiert. Berufstätige Frauen haben Kinder und verdienen eigenes Geld, dennoch sind sie es in den allermeisten Fällen, die dasEssen zubereiten und danach spülen und die Wäsche waschen. Das weibliche Durchschnittseinkommen für gleiche Arbeit liegt nach wie vor ein Viertel unter dem der Männer und in den Spitzenpositionen von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind Frauen weiterhin recht selten.
Dagegen wehren sich weiterhin die verschiedenen Fraktionen der Frauenbewegung mit diversen Strategien, die durchaus in vielen Bereichen wirksam werden und dennoch bislang nicht den völligen Durchbruch brachten. Dass dies nicht so einfach gelingt, kann u. a. damit begründet werden, dass sich alle diese Ansätze überwiegend im von Graves (vgl. Beck/Cowan, Spiral Dynamics, Bielefeld 07) so genannten first tier (dt. Erster Rang)-Bewusstsein bewegen (von magisch, egozentrisch, mythisch zu rational und pluralistisch) und sich deshalb gegenseitig ablehnen oder zumindest großeVerständigungsschwierigkeiten untereinander haben (dazu später mehr). Dies war recht bald spürbar geworden, die Schwesterlichkeit differenzierte sich nach den anfänglich entdeckten Gemeinsamkeiten zunehmend entsprechend der Spiral Dynamics vMeme.
Im magisch esoterischen Feminismus wird reklamiert, dass das große Erfahrungswissen von Frauen bei den Hexenverbrennungen im Übergang von der Prämoderne in die Moderne (Neuzeit) in erheblichem Umfang ausgelöscht wurde. Einige Vertreterinnen wie z. B. Luisa Francia rufen dazu auf, magisches Hexen- und Heilwissen zu rekonstruieren und zu lehren. Darüber hinaus werden teils romantische, vom heutigen Bewusstsein und seinem Wunschdenken geprägte, Bilder von Gartenbaugesellschaften mit Göttinenkulten gezeichnet. Vor der Durchsetzung des Patriarchats entstandene matrilineare Machtstrukturen und Spiritualität werden erforscht und als Vorbilder für unsere heutige Situation und für zukünftige Entwicklungen genommen.
Der militante Feminismus rief in seiner extremen Form zur Vernichtung der Männer auf (Valerie Solanas 1967). Dazu können m. E. auch die gegen Ende des 20. Jhdt. auftretenden bad girlies gezählt werden, die mit Armeestiefeln (und oft extrem kurzen Hängerkleidchen) meist pubertär aufstampften und die Frauen, die innerhalb der jüngeren autonomen und anarchistischen Bewegungen (z. B. in den schwarzen Blöcken) für feministische Anliegen Raum einfordern.
Dem gynozentrischen und Differenzfeminismus geht es eher um die Entdeckung und Anerkennung von Weiblichkeit, die Suche nach Wurzeln und Ursprüngen des Frauseins und die Anerkennung der Persönlichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Idee „Frauen seien einfühlsamer und sanfter als Männer“ führte zur Ansicht, dass wenn Frauen mehr Macht hätten, es weniger Kriege gäbe, oder dass Frauen die bessere Kindererziehung gewährleisten. Maria Mies ist in Deutschland eine wichtige Stimme, die ökologische, biologistische und Themen um Subsistenz in der dritten (und auch ersten) Welt mit esoterischen Elementen vermengt. Hier ist aber auch die Heimat vieler Frauen, die in traditionellen Parteien organisiert sind.
Im Gleichheits- oder Radikalfeminismus, anfangs auch teils marxistisch inspiriert, wird von einer grundsätzlichen Gleichheit der Geschlechter ausgegangen. Die existierenden Unterschiede werden hauptsächlich durch gesellschaftliche Machtstrukturen und Sozialisation hergeleitet. Hier gibt es kein „typisch männlich und weiblich“, sondern nur durch geschlechtsspezifische Sozialisation und Aufgabenteilung begründete Verhaltensunterschiede. Ziel ist die Aufhebung sämtlicher geschlechtsspezifischer gesellschaftlicher Unterschiede, um individuelle Fähigkeiten und Vorlieben zu leben, statt gesellschaftlich vorgegebener Geschlechterrollen. Im deutschsprachigen Raum vertritt u. a. Alice Schwarzer diese Richtung.
Eine Untergruppe ist der materialistische Feminismus: hier wird, angelehnt an den Marxismus, der Geschlechtsunterschied als Hauptwiderspruch gesehen. Daraus resultierten teilweise Überlegungen zur Aufhebung der biologischen Unterschiede: In diesem Zusammenhang meintez. B. Shulamith Firestone, dass die Fortpflanzung durch Gentechnologie organisiert werden könnte um so die Frauen von der biologischen Notwendigkeit der Schwangerschaft zu befreien.
Eine weitere relativ junge Strömung vertritt libertäre Theorien, um die Individualrechte aller Menschen, von Frauen und Männern zu sichern bzw. zu stärken. Wichtig ist die Verwirklichung des Individuums, deren Grenzen dort gezogen werden, wo ein anderes Individuum in seiner Entwicklung behindert wird. Die bekannteste Individualfeministin ist Wendy McElroy.
Die französische Existenzialistin Simone de Beauvoir hat 1949 mit ihrem Buch ‚Das andere Geschlecht’ erstmals die Differenzierung in soziales Geschlecht (dies wurde später ‚Gender’ genannt) und biologisches Geschlecht (‚Sex’) vorgenommen und damit den Übergangvon der Moderne in die Postmoderne angestoßen.
Im kulturellen oder Genderfeminismus werden Persönlichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen anerkannt. Geschlecht wird in diesem Zusammenhang als soziokulturelle Konstruktion verstanden. Anspruchsvolles Ziel ist Integration und Gleichstellung in Arbeitsroutinen und allen gesellschaftlichen Bereichen mit den jeweils situationsspezifisch angepassten Mitteln und Instrumenten.
Mit Gender Mainstreaming wird eine Strategie bezeichnet, um unterschiedliche Ausgangslagen und möglicherweise unterschiedliche Wirkungen von Maßnahmen auf Männer und Frauen systematisch zu berücksichtigen. Werden bei diesem Vorgehen Benachteiligungen festgestellt, sind „Frauenpolitik“ bzw. „Männerpolitik“ die einzusetzenden Instrumente, um der jeweiligen Benachteiligung entgegenzuwirken (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen & Jugend, 2004). Gender Mainstreaming ist offizielle Politik in etlichen westlichen Ländern. Allein deshalb wird es von einigen feministischen Gruppen sehr kritisch beobachtet und teils heftig infrage gestellt.
Der Dekonstruktivistische Feminismus als Variante des Genderfeminismus sollte noch erwähnt werden: Judith Butler u. a. bauen auf dem Beauvoirschen Radikalfeminismus auf und gehen noch einen Schritt weiter: Sowohl das biologische Geschlecht (sex) als auch das soziale Geschlecht (gender) seien gesellschaftliche Konstrukte und das Geschlecht müsse deshalb als Klassifikationsmerkmal abgelehnt werden. Ins Zentrum tritt die Differenz unter Menschen, d. h. angenommene Gemeinsamkeiten/Geschlechtsidentitäten werden „aufgelöst/dekonstruiert“. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass es so viele Identitäten gibt, wie es Menschen gibt. Die Zweigeschlechtlichkeit wird aus dekonstruktivistischer Sicht bestritten und durch das Anerkennen von Vielgeschlechtlichkeit ersetzt.
Jede dieser Gruppierungen bedient im Schwerpunkt eine Bewusstseinswelle und jede dieser Strukturen ist umfassender, kann mehr Wesen umfassen sowie größere und komplexere Kontexte halten. Die Praxis zeigt, dass viele Feministinnen zumindest verbal postmoderne Sichtweisen vertreten und sich gleichzeitig emotional für Matriarchatsmythen u. ä. einsetzen. Dies ist teilweise mit Boomeritis (vgl. Wilber 2002) erklärbar. Es ist allerdings manchmal nicht so einfach, hier Regressionen ins Prärationale (die sich z. B. auch in aufstiegsorientiertem Zustands-Wunschdenken äußern und in den Erfahrungen erweiterter Zustände bereits die Lösung vieler Struktur-Probleme sehen) von integrierten Anteilen und reiferen transrationalen Haltungen zu trennen. Es wird mit Kritik nicht gespart, auch Selbstkritik geübt, und teils laufen wichtige – auch hilfreiche – Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen: im Androzentrismus-Vorwurf werfen Differenzfeministinnen den Radikalfeministinnen vor, sich an ‚männlichen’ Idealen zu orientieren und dadurch patriarchale Strukturen zu reproduzieren. Mit dem Eurozentrismus-Vorwurf wird von Frauenrechtlerinnen aus Asien, Afrika, Südamerika und aus dem arabischen Raum den US-amerikanischen und europäischen feministischen Organisationen vorgeworfen, auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen aus anderen Kulturräumen und insbesondere aus Entwicklungsländern keine Rücksicht zu nehmen und mit ihrem eurozentrierten Diskurs die ‚Frauenrechtsfrage’ für die spezifischen Bedürfnisse von Frauen aus dem westlichen Kulturraum zu monopolisieren.
Weiters herrscht Uneinigkeit über die Frage, wie mit bestehenden Geschlechtsrollenstereotypen umzugehen sei, ohne diese festzuschreiben. Andererseits sollen eventuell bestehende wichtige Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht verleugnet werden. Die Konstruktion von Geschlecht selbst ist ebenfalls Thema der feministischen Diskussion.
Als praktische Übung möchte ich anregen, die folgenden Themen den oben vorgestellten Gruppen zuzuordnen und dabei jeweils auf Entwicklungshöhe und Perspektive zu achten. Aufschlussreich ist, dabei auf eigene emotionale Reaktionen zu achten, auf Wertungen, Zustimmungen, Ablehnungen usw. Eine spannende Möglichkeit, Perspektivenreduktionen zu entdecken, sind die Zuordnungen nach den vom Integral Institute in Beiträgen zur Integralen Politik vorgestellten drei Achsen (InternalistInnen/ExternalistInnen, IndividualistInnen/KollektivistInnen und Progressive-Eros/Konservative-Agape). Einer integralen Herangehensweise sind alle Perspektiven wichtig. Jede enthält wertvolle Beiträge. Es handelt sich hier vorwiegend um politische Themen, ein wichtiges Motto der Feministinnen war „das Private ist politisch“.
In den vergangenen 30 Jahren beschäftigte sich Feminismus (nach www.wikipedia.de) unter anderem mit:
- Entwicklung einer „feministischen Theorie“ und „(politischen) Praxis“
- Gleichstellung/Gleichberechtigung in Politik (z.B. Frauenquoten), Arbeit (z.B. Lohndiskriminierung), Gesellschaft, Familie (z.B. Bildungschancen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie)
- Gewalt gegen Frauen (individuell und strukturell)
- sexuelle Selbstbestimmung
- Freigabe der Abtreibung
- Sichtbarmachung von Frauen innerhalb der Sprache (Verwendung des Binnen-I, wie etwa in StudentInnen oder Verwendung beider Formen) Feministische Linguistik (Luise F. Pusch, Senta Trömel-Plötz).
- Kritische Beobachtung der Reproduktionsmedizin
- Stellung von Müttern in der Gesellschaft (breite Diskussion um das so genannte Müttermanifest), Mutterschaft allgemein
- Homosexualität: Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit heterosexuellen Formen des Zusammenlebens und Sichtbarmachen lesbischer Frauen im gesellschaftlichen Leben
- Diskussion von Pornografie – die unter anderen von Alice Schwarzer ins Leben gerufene PorNO-Kampagne wird von feministischer Seite kontrovers diskutiert.
- Konstruktion bzw. Dekonstruktion von Geschlechtsidentität
- kulturelle oder individuelle Selbstbestimmung (z.B. Islamismus und Kopftuchstreit) Frauenrechte als Menschenrechte
- Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Natur- und Geschlechterverhältnissen; Veränderung des Umwelt-Verständnisses und von Umweltzpolitiken, Nachhaltigkeit und ’sustainable Lifelihood‘ (Ökofeminismus)
- Vermeidung diskriminierender Tendenzen durch emanzipatorische Bestrebungen („Feministinnen üben auch selbstreflexive Kritik aus“)
- Verhältnis zu anderen sozialen Bewegungen (Arbeiterbewegung, Ökologiebewegung, Friedensbewegung, u. a.)
Wie bereits angedeutet, die verschiedenen feministischen Richtungen bewegen sich überwiegend in postmodernen, teils auch in modernen und prämodernen Bewusstseinsschwerpunkten und schauen aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf ihre Themen, mal mehr aus der subjektiven Ich-, mal mehr aus der objektiveren Es- und teils auch aus der intersubjektiven Wir-Perspektive. Ohne Reflexion von Bewusstseinsentwicklung in Wellen und Linien und von wenigstens drei Perspektiven kann dies leicht zu Streit und Verwirrung führen. Und wir gehen hier auf Typen und Zustandserfahrungen gar nicht ein.
Das Thema Bewusstseinswandel wird von Elizabeth Debold in ihrem Beitrag „Wo sind die Frauen?“ in WIE 17, Herbst 2005 aufgeworfen. Sie stellt die provozierende Frage ob die unterschiedlichen Beziehungen, die Männer und Frauen zu hierarchischer Macht haben, evtl. fest in uns verdrahtet sind?
Debold meint, die radikale Schwesterlichkeit der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war ein außergewöhnlicher evolutionärer Schritt, der, angeführt von den Frauen einen Systemwechsel nie da gewesenen Ausmaßes erwirkte und das war deshalb so berauschend und überhaupt nur möglich, weil die Frauen (bis zu einem gewissen Grad sehr erfolgreich) daran arbeiteten, das Bewusstsein an sich zu verändern. Und dennoch scheint es Beweise zu geben, die die Ansicht stützen, dass Frauen nichtführen wollen und sogar andere Frauen an der Führung hindern. Debold führt u. a. Untersuchungen mit Jugendlichen an (deren Haltungen prägen die Zukunft), die belegen, dass die Mehrzahl der Mädchen wohl die Welt verändern, dabei aber keine Verantwortung in der Führung übernehmen oder Autorität über andere haben will, um die Welt tatsächlich verändern zu können. Wenn die Frage nach Hierarchie im Bereich von Beziehungen auftaucht, schrecken Mädchen zurück und Debold ergänzt, sie vermutet ihre Mütter und älteren Schwestern ebenso. Leider sehe ich das nach langjähriger Erfahrung in der Frauenbewegung und mehr als 20 Jahren als Geschäftsführerin eines Unternehmens sehr ähnlich. Tatsächlich scheint dies nicht einfach ein bevorzugtes individuelles, sondern ein bevorzugtes kollektives Verhalten zu sein, das auf die Ursprünge der Menschen zurückgeht. Doch die Frauenbewegung zeigte etwas auf, das noch stärker ist als der Impuls aus Jahrtausenden des Konkurrenzkampfes der Frauen um einen Sexualpartner.
„Die Frauen sahen sich gezwungen, sich selbst und die Welt zu verändern, und entschieden sich dafür, sich zugunsten der Freiheit und der Gleichheit bewusst weiter zu entwickeln. Und es wurde etwas befreit, das fast jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens veränderte.“ Und dann lehnten wir uns zurück, bevor volle Gleichheit und Partnerschaft erreicht war und zögerten, den nächsten Schritt zu tun. Damals glaubten wir, die Geschlechtsunterschiede entstünden durch eine kulturelle und somit veränderbare Konditionierung. Doch da scheinen grundsätzlichere und ursprünglichere Kräfte auf der Instinktebene und in unserem Inneren am Werk.
Die radikale Schwesterlichkeit hielt den biologischen Impuls, gegeneinander zu wetteifern lang genug in Schach, um einen kollektiven Wandel des Bewusstseins zu erzeugen. Für die wirkliche Befreiung wäre es aber darüber hinaus noch notwendig, diese primitive Dynamik des Wettbewerbs und des Verrats gemeinsam zu erforschen. Das war damals und bis jetzt eine zu große Herausforderung, weil dabei beunruhigende Fragen zur eigenen Identität auftreten. Es ging um nichts weniger als die eigene Identität zu formen, ohne zu Stereotypen Zuflucht zu nehmen. Die grundlegendste Prägung in Frage zu stellen war noch zuviel für die Frauen, zumal der dafür nötige Halt der Schwesterlichkeit nicht mehr wie anfangs gegeben war. Zudem begann da der neue ‚weibliche Feminismus’ unsere traditionell fürsorgliche Rolle wieder mehr zu stärken denn sie in Frage zu stellen. So richtete sich der Hauptimpuls der Bewegung wieder mehr auf das Innere und die persönlichen Eigenschaften als auf den gesellschaftlichen Mechanismus in dem unser Geist gefangen ist. Dieser weibliche Feminismus stützt nicht diesen gemeinsamen Kampf, sondern stärkt eine in Jahrhunderten gepflegte, andere konspirative Schwesternschaft unter Frauen, nämlich unser Gefühl der emotionalen und moralischen Überlegenheit über Männer. Hier wird das Verhältnis zu anderen Frauen oft nur benutzt, Dampf abzulassen oder endlos zu nörgeln. Ein heuchlerischer Zusammenhalt: wir sind selbstlose fürsorgliche Mädchen nur wenn wir bekommen was wir wollen, aber unterder Oberfläche ein zorniges, vor Wut kochendes Opfer, wenn etwas verweigert wird. Dieser weibliche Feminismus ruft hier nicht mehr zur rebellischen Erhebung auf sondern lädt eher ein auf die Therapiecouch. „Die vertikale Bewegung eines neuen Bewusstseins zerfloss in der sich selbst reflektierenden Welt des postmodernen Ichs.“
Der Feminismus brachte die immense postmoderne Entscheidungsfreiheit mit sich: alle Möglichkeiten Frau zu sein in einer ‚Was du willst’ Welt mit einer nie da gewesenen Anzahl von Konsumgütern. Frei verfügbare Waren statt persönlicher Freiheit? Da nahmen sich junge Frauen aus der neu entstehenden evolutionären Psychologie die wichtigsten Elemente und sie manipulieren wieder, um durch mächtige Männer Macht und Status zu erlangen, nur diesmal in der Rolle des bösen Mädchens, der Verführerin. Girlie Feministinnen aus der Generation X und Y agieren dabei über die Sexualität und sind damit leider als böse ebenso wie als gute Mädchen noch immer an die Vergangenheit unserer Vorfahren, der Primaten und deren Trieb sich fortzupflanzen, gebunden.
Die weibliche Hälfte der Avantgarde darf nicht aus dem weiteren Bewusstseinswandel aussteigen, der so dringend notwendig ist, um mit den Krisen unserer sich globalisierenden Welt angemessen umzugehen.
Zu viele der aktiven Frauen stecken in den postmodernen Anregungen der zeitgenössischen Gesellschaftsszene fest oder in ihrem eigenen urzeitlichen Wunsch nach Sex oder Sicherheit und sind zu nett oder zu sehr in die eigenen Gefühle und Wünsche vernarrt, um sich der großen und anstrengenden Aufgabe zu stellen, eine kollektive Kraft des Wandels zu sein – herauszufinden, was es bedeutet, Frau zu sein – nicht gutes oder böses Mädchen. Das heißt, sich damit auseinander zu setzen, dass das Geschenk der Entscheidungsfreiheit auf diesem Planeten kein narzisstisches Recht auf Vergnügen bedeutet, sondern die Verantwortlichkeit, mit der wir dem zunehmend höheren Risiko begegnen, ein Mensch zu sein.
Quelle: IP 07, 2007