„Alles ist Eines’“– das kann jeder sagen. Aber welcher Bewusstseins-struktur entspringt es – der magischen, der mythischen, der mentalen, der psychischen, der subtilen, der kausalen? Sie alle können nämlich, zumindest manchmal, sehr ,nicht-dual’ klingen.
Ken Wilber
Das Wilber-Combs Raster differenziert (in dieser Form wahrscheinlich erstmalig) die Bewusstseinszustände[1] von den Bewusstseinstrukturen (oder Stufen oder Ebenen oder Wellen) und setzt beides miteinander in Beziehung. Bewusstseinszustände sind dabei fließende, vorübergehende und unmittelbar gefühlte Bewusstseinserfahrungen, wohingegen Bewusstseinsstufen als bestehende gewachsene Strukturen und Muster psychologischer Entwicklung verstanden werden. Allgemein gesprochen kommen und gehen Zustände, während Stufen die Rahmenbedingungen des Bewusstseins sind, innerhalb derer die Zustände kommen und gehen. Als ein Beispiel: Bei einer Zen Praxis geht es um eine immer tiefergehende Erfahrung von Bewusstseinszuständen, wohingegen Spiral Dynamics ein Modell ist welches sich mit Entwicklungsstufen befasst.
Da auch – eine wichtige Erkenntnis, auf die Wilber hingewiesen hat – die Erfahrung wechselnder Bewusstseinszustände sich (durch eine geeignete Praxis wie Zen) in Stufen entwickeln kann, ein „Wachwerden“ in den Hauptzustände des Seins – grobstofflich zu subtil zu kausal zu nichtdual (die horizontale Achse) – wurden sie häufig mit den Strukturstufen verwechselt, gleichgesetzt oder auch auf diese „draufgesattelt“ (die vertikale Achse). Die Wilber-Combs-Matrix hingegen differenziert diese beiden Entwicklungswege (Zustandsweg und Strukturstufenweg) klar voneinander und ermöglicht so in einer matrixartigen Schnittpunktdarstellung die Zuordnung einer jeden Entwicklungsstufe zu den Erfahrungen eines jeden Hauptzustandes des Bewusstseins. Mit dieser Gegenüberstellung wird beabsichtigt zu zeigen, wie die tieferen Zustände (die üblicherweise als mystische „Gipfelerfahrungen“ erlebt werden) auf den verschiedenen Entwicklungsstufen auf unterschiedliche Weise interpretiert werden. Dies bedeutet zum Beispiel, dass eine spirituelle Gestalt wie Jesus magisch interpretiert werden kann (als ein wunscherfüllender Vollbringer von Wundern) oder mythisch (als der eingeborene Sohn Gottes) oder rational (als ein weiser Heiliger und moralische Instanz) oder pluralistisch ( als einer von vielen möglichen Erlösern oder Leitfiguren für die Menschen) oder integral als ein revolutionärer Meister der erleuchteten Zustände) und so weiter, abhängig vom jeweiligen „Bewusstseinsschwerpunkt“ der eigenen Entwicklung.
Mit dem Wilber-Combs Raster wird es möglich, (nicht nur) spirituelle Erfahrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diffenrenziert zu re-interpretieren, mit der Unterscheidung
a) was war der Bewusstseinsinhalt, den jemand erfahren hat, und
b) von welcher Entwicklungsstufe aus wurde diese Erfahrung formuliert
Dadurch können die Inhalte spiritueller Erfahrungen (und jeglicher Erfahrungen überhaupt) gewürdigt werden, ohne dabei zu vergessen, vor welchem individuellen und kulturellen Hintergrund sie geäußert wurden.
(Quelle: Ken Wilber, Integrale Spiritualität, und What is Enlightenment deutsche Ausgabe Herbst 2006, S. 54)
[1] Allgemein können drei Arten von Bewusstseinszuständen unterschieden werden:
a) die drei Hauptzustände des Seins als Wachen, Träumen und traumloser Tiefschlaf (Es gibt noch zwei weitere Zustände, das Zeugenbewusstsein und die Nichtdualität). In der Grafik werden Wachbewusstsein (gross, Naturmystik) Traumbewusstseins (subtle, Gottheitsmystik), kausales Bewusstsein (causal, formlose Mystik) und nichtduales Bewusstseins (nondual) aufgeführt.
b) Die phänomenologisch erlebten Zustände wie Freude, Trauer, Zufriedenheit, Sorge usw. und
c) Außergewöhnliche Zustände, die nicht zum normalen Erfahrungsrepertoire gehören wie drogeninduzierte Zustände und meditative Zustände
