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A New Republic of the Heart: The Art and Practice of Sacred Activism

Vorwort von Corey W. deVos
Vorbemerkung Michael Habecker
Aus dem Dialog (zusammengefasst von Michael Habecker)
Nachbetrachtung 1: Osho
Nachbetrachtung 2: Christian Meyer

Vorwort von Corey W. deVos

Wir sprechen oft von den „Vier Ups“ eines integralen Lebens: Growing Up, Waking Up, Cleaning Up und Showing Up, das ist Aufwachsen, Aufwachen, Aufräumen und sich in der Welt zeigen. Die ersten drei davon haben mit „innerer Arbeit“ zu tun, einer oft äußerst anstrengenden persönlichen Arbeit mit uns selbst und in unseren Beziehungen. Doch das vierte Element, das Sich-zeigen in der Welt, ist der Ort, an dem die Früchte unserer Arbeit zum Vorschein kommen. Hier werden all unser Wissen, unser persönliches Wachstum, unsere spirituelle Praxis und unsere Schattenarbeit zu einer unbegrenzten Quelle von Stärke, Gegenwärtigkeit und Weisheit. So können wir uns in den vielen Bereichen der Welt und gegenüber vielen Herausforderungen engagieren, zum Beispiel als bessere Eltern oder eine bessere Führungspersönlichkeit und werden so zu einem besseren Weltbürger.

Wenn unsere Praxis uns nicht dazu verhilft, wirkliche Veränderungen in unseren Einflussbereichen zu bewirken, wenn sie uns nicht dazu befähigt, uns den vielen Schrecken und Tragödien unseres gemeinschaftlichen Weges auszusetzen, mit angstlosem Mitgefühl und angemessenen Handlungen, wozu sollte das Ganze dann überhaupt dienen? Wenn unsere Praxis insgesamt nicht einen Beitrag für die Welt leistet, für wen oder was praktizieren wir dann?

Dies ist die Leitlinie, welche Terry Patten uns in seinem neuen Buch anbietet. A New Republic of the Heart lädt uns dazu ein, unsere „innere Arbeit“ mit unserer „äußeren Arbeit“ zu verbinden, und so zu einem heiligen Aktivismus zu gelangen, welcher sowohl eine grundlegende Basis für unsere integrale Lebenspraxis sowie auch deren Ausdruck ist.

Terry und Ken diskutieren dabei über folgende Themen:

Das Paradox von Ganzheit: Am Beginn der Diskussion stehen die zwei sehr unterschiedlichen Definitionen von „Ganzheit“ – die unbeschreibbare Ganzheit der reinen absoluten Bewusstheit und das Spektrum relativer Ganzheit von Menschen und dem Ökosystem. Die Betrachtung dieses Paradox – dass alles immer schon vollkommen und ganz ist, auch wenn unsere Welt, unsere Kultur und unsere Herzen immer mehr in Stücke zu fallen scheinen – ist eines der bedeutendsten (und herausforderndsten) Aufgaben eines integralen Aktivismus gegenüber der Welt.

Vom schmerzenden Herzen zur Aktion: Terry Patten und Ken Wilber diskutieren, wie der ökologische und politische Druck der Klimaveränderung einen fast schon teleologischen Druck auf unsere eigene Entwicklung ausübt. Dieser Druck öffnet eine Tür zu einer vollständigeren Lebensweise, welche uns ermöglicht, den globalen Herausforderungen zu begegnen.

Die Integrale (R)evolution: Ken Wilber und Terry Patten sprechen über die evolutionäre Perspektive, welche in ihren anspruchsvolleren Modellen weit über ein „Überleben des Stärksten“, wie es der Fundamentalismus eines wissenschaftlichen Materialismus ausdrückt, hinausreicht. Sie sprechen dann über eine kürzlich veröffentlichte Studie, welche Wilber‘s Hypothese eines „Umschlagpunktes“ [tipping point] zu unterstützen scheint. Diese Hypothese sagt aus, dass, wenn sich in einer Gesellschaft etwa 10% der Menschen an der Spitze der Entwicklung befinden, sich deren Ideen dann in der gesamten Kultur zu verbreiten beginnen. Am Ende sprechen Terry und Ken noch über die zentrale Bedeutung einer integralen Lebenspraxis für die persönliche Transformation und eine daraus entstehenden Aktivismus.

Vorbemerkung Michael Habecker

Aktivismus, wie im neuen Buch von Terry Patten thematisiert, ist dem Kosmos wesenseigen, und ist lediglich ein anderer Begriff für „GEIST in Aktion“. Der evolutionäre Impuls, die evolutionäre Dynamik ist ununterbrochen aktiv, vom Anbeginn der Manifestation bis heute. Doch schon der Begriff „GEIST in Aktion“ beinhaltet und unterscheidet GEIST und Aktion, und das bedeutet, dass GEIST nicht auf seine Aktion reduziert werden kann, sondern außerhalb, innerhalb oder darüber hinaus zu verstehen und vor allem zu erfahren ist. Hinzu kommt, dass in einem sich entwickelnden Universum immer höhere Stufen der Komplexität und Bewusstheit entstehen, und somit auch weitere und höhere Formen des “ in Aktion seins” möglich werden. Das bedeutet wiederum, dass in jedem „in Aktion sein“ auch ein erhebliches Maß an Unwissenheit und Ignoranz steckt, einschließlich der Beschränktheit der Aktionisten, und zwar sowohl bestehender Unbewusstheiten als auch hinsichtlich dessen, was erst in Zukunft bewusst wird und heute noch nicht bewusst ist und damit auch noch nicht gewusst werden kann. Dies gilt auch zu einer gegebenen Zeit hinsichtlich der unterschiedlichen Entwicklungsstufen, auf denen sich Menschen befinden. Hierbei ist Demut die angemessene Haltung.

Aus dem Dialog (zusammengefasst von Michael Habecker)

Teil 1 Das Paradox der Ganzheit

Terry Patten plädiert in seinem Buch für eine neue Form von spirituellen Aktivismus mit der Verbindung von innerer Arbeit, persönlicher Transformation und Erwachen auf der einen Seite und äußerer Arbeit des Dienens, sozialen Unternehmertums und Aktivismus auf der anderen Seite. Dies ist ein Aktivismus in allen vier Quadranten, innen, außen, individuell und kollektiv. Themen wie die globale Erwärmung machen Unsicherheit und Angst, mit allen damit verbundenen Untergangs- und Destabilisierungsszenarien. Das kann demoralisierend wirken und ist eine emotionale Herausforderung, welche darin besteht, mit diesem Thema „zu sein“ und es „ins Herz zu nehmen“. Bloßes Reden kann dissoziieren, auch wenn eine objektive Analyse wichtig ist. Gleichermaßen wichtig ist aber auch ein inneres subjektives Eintauchen in das, was dieses Thema in einem selbst emotional auslöst und sich dem zu stellen. In diesem Sinn ist das Buch eine Einladung zum Fühlen und ein Aufruf zur Praxis.

Ein Grund für eine fehlende Effektivität eines Aktivismus ist die fehlende Transformation des Aktivisten, dies ist auch bei „Integralen“ zu beobachten, wo über das Ganze gesprochen, aber das Ganze nicht gelebt wird, als eine höhere Ebene des Wissens und Seins. Terry spricht in diesem Zusammenhang von einer „integrierten Intelligenz unseres Seins“, als einer Intelligenz des Herzens, des Denkens, eines kraftvollen Willens und einer intuitiven Weisheit. Pessimistischen Hochrechnungen wird so mit der Kraft neuer Emergenzen begegnet, welche nur darauf warten, durch uns hervortreten zu können.

Was kann Ganzheit in einer Krise sein beziehungsweise bedeuten? Wilber weist hier auf eine Konfusion zwischen zwei Arten von Ganzheit hin: Zum einen gibt es eine GANZHEIT als der Seinsgrund. Diese ist unbegrenzt und ewig, was aber nicht bedeutet, dass es sich um einen ganz großen Raum und eine ganz lange Zeit handelt, sondern es ist eine GANZHEIT von Raum- und Zeitlosigkeit. Diese Unbegrenztheit ist überall und an jedem Punkt der Raum-Zeit voll gegenwärtig und existierte bereits vor dem Urknall. So ist sie auch voll und überall in jedem endlichen Sein gegenwärtig und ebenso völlig frei von allen Dingen und nicht auf Endliches begrenzt – dies ist der Seinsgrund, GANZHEIT. Das gleiche gilt für Ewigkeit – hierbei handelt es sich nicht um eine besonders lange Zeitspanne, sondern um das zeitlose JETZT, die immer gegenwärtige Gegenwart, um Omnipräsenz. Dieses JETZT ist in jedem Holon des gesamten evolutionären Ablaufs gegenwärtig.

Dann, und davon zu unterscheiden, gibt es relative Ganzheit, die wir auf der evolutionären Leiter finden. Dies ist kein Pantheismus, wo die gesamte manifeste Welt mit GEIST gleichgesetzt wird. Die manifeste Welt, die Evolution, ist nicht GEIST, sondern eine Manifestation von GEIST, ein sich entäußernder, überfließender GEIST. Holons besitzen somit relative Ganzheit, und sie sind gleichzeitig ein vollständiger Ausdruck von GANZHEIT. In der evolutionären Sequenz haben nachfolgende Holons mehr Ganzheit als vorherige, d. h. Moleküle haben mehr relative Ganzheit als Atome. Der unbegrenzte Seinsgrund, die GANZHEIT, lässt relative Ganzheit in Erscheinung treten, mit immer mehr Ganzheit im Entwicklungsverlauf, d. h. mit immer mehr Komplexität und Bewusstheit. Im Menschen ist eine volle Verwirklichung der GANZHEIT möglich, und gleichzeitig kann sich diese Person auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen relativer Ganzheit befinden, zum Beispiel auf einer ethnozentrischen Entwicklungsstufe. Darüber hinaus kann die evolutionäre Sequenz in ihrem Verlauf gebrochen, fragmentiert, dissoziiert oder fixiert sein – d. h. sie kann mehr oder weniger gesund verlaufen sein, mehr oder weniger gesund sein, mehr oder weniger unterdrückt sein. Das ist auch der Grund, warum es sinnvoll ist, das Aufwachen (zur GANZHEIT) vom Aufwachsen und Aufräumen (relative Ganzheit) zu unterscheiden.

Wilber formuliert hinsichtlich einer mangelnden Klarheit dieser Unterscheidung eine Kritik an Terry Patten’s Buch. GANZHEIT lässt sich in jedem Augenblick erfahren, auch jetzt, aber für die relative Ganzheit gilt das nicht, diese hängt vom eigenen Entwicklungsstand ab, und der bestimmt, was als Ganzheit erfahren wird und wie GANZHEIT, falls sie verwirklicht wurde, interpretiert wird. Entwicklungsganzheit kann nicht „hier und jetzt“ erfahren werden, sondern ist Gegenstand von Entwicklung, während Aufwachen hier und jetzt geschehen kann. Es gibt relative Wahrheit und absolute Wahrheit, sowie auch relative Ganzheit und absolute GANZHEIT.

Teil 2 Die relative Ganzheit ist zerrissen

Wir alle versuchen, das was vor sich geht, zu verleugnen. Die Immer-Vollkommenheit drückt sich im relativen Bereich auf ungezählte Weisen aus, so dass wir sie auch da finden können. Das hilft uns, in die Vollkommenheit eines jeden Augenblicks zu kommen. Das Buch Eine neue Republik des Herzens ist bestrebt, sich weder in apokalyptische Ängste zu begeben noch in die Verleugnung zu gehen. Eine erste Stufe ist dabei das Finden von robuster Dankbarkeit und Wertschätzung. Eine zweite Stufe auf diesem Weg ist das Herauskommen aus Abwehr und Verleugnung, aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Es ist wichtig, dass wir uns dabei die Trauerprozesse erlauben, welche es der Seele ermöglichen, sich zu transformieren. Die dritte Stufe ist die Weisheit der Trauer, dem Kern der existentiellen Reise. Es geht um eine Integration der nagenden Angst, die uns befällt, wenn wir beispielsweise die Nachrichten lesen. Dies ist eine moralische Krise im Herzen vieler postmoderner Menschen und gleichzeitig eine Herausforderung: aus der Ohnmachts- und Opferhaltung herauszukommen. Daher ist die innere Arbeit so wichtig.
Dabei gibt es zu jeder Zeit immer einen inneren Ort, wo alles grundlegend in Ordnung und unzerstörbar ist, auch wenn alles den Bach runtergeht. Doch wenn wir nur das Absolute suchen, dann sterben wir. Samsara ist nicht unterschieden von Nirvana, und das bedeutet, dass alles Leben grundlegend bedroht ist, wenn Gaia auseinanderfällt. Unsere Praxis enthält daher eine paradoxe Komponente, die ausbalanciert gehört, und diese Balance fehlt oft. Viele schlagen sich auf die eine oder andere Seite der Gleichung. Wir befinden uns in einer existentiellen Krise und sind ein Teil davon, und das erfordert von uns zu wachsen, d. h. über uns hinauszuwachsen. Terry Patten spricht von einer evolutionären Dringlichkeit. Es geht nicht um Schuldzuweisungen oder eine Schuldhaltung, sondern um die Einsicht in das, was geschieht, und wie wir dazu beitragen, und um das Erkennen der Muster, die unser Verhalten steuern.

Teil 3 Die integrale (R)evolution

Es geht um das Erkennens des evolutionären Impulses und seine Bedeutung. In der öffentlichen Diskussion wird Evolution fast ausschließlich biologisch diskutiert, als sexuelle Reproduktion, ein zufallsgesteuerter, mechanischer Determinismus, bei dem es um das Überleben des Stärksten geht. Doch das ist hoffnungslos reduktionistisch und es ist auch nicht das, was Darwin zum Ausdruck brachte. Er sprach in seinem Buch Die Abstammung des Menschen von Ebenen von Antrieben und erwähnte in diesem Zusammenhang das Wort „Liebe“ viel öfter als den Ausdruck „survival of the fittest“.1 Aus diesem Reduktionismus entsteht, wenn er auf die kulturelle Evolution angewendet wird, der „Albtraum“ Sozialdarwinismus. Aus materialistischen Feststellungen wie: „Wir können keine Veränderungen im menschlichen Gehirn seit 50.000 Jahren feststellen.“ wird dann geschlussfolgert: „... also gibt es auch keine Evolution seitdem, jedenfalls nicht, was den menschlichen Geist betrifft.“ Doch gerade zu diesem Zeitpunkt, vor etwa 50.000 Jahren, nahm die menschliche Evolution Fahrt auf, von magisch zu mythisch zu rational zu pluralistisch zu integral. Es gibt ein Buch von Nicholas Wade, A Troublesome Inheritance: Genes, Race and Human History. In diesem Buch schreibt er, dass, wo immer dieses Thema der inneren Evolution des Menschen an einer Universität vorgebracht wird, man sofort von der Uni ausgeschlossen werde. Es ist ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen, doch weite Teile der Gesellschaft, auch der Politik, haben darüber keinerlei Vorstellung.

Eine hoffnungsvolle Aussicht in diesem Zusammenhang ist die Vorstellung eines Umschlagpunktes, an dem, wenn 10% einer Bevölkerungsgruppe ein neues, weiter entwickeltes Bewusstsein angenommen haben – dafür gibt es aus der Geschichte Hinweise –, es eine gesellschaftliche Bewegung hin zu diesem neuen Bewusstseinsschwerpunkt mit neuen Werten gibt, auch wenn die anderen 90% diese Stufe noch nicht erreicht haben. Die Gesellschaft insgesamt öffnet sich für die neuen Werte. Als Beispiele werden die westliche Aufklärung erwähnt, sowie auch die postmoderne Revolution, wo jeweils nur etwa 10% der Bevölkerung sich zu dieser Zeit auf diesen Entwicklungsstufen befanden, die jedoch ausreichten, um große gesellschaftliche Umbrüche auszulösen. So könnte es bei einer integraler (R)evolution auch geschehen.

Im Zusammenhang mit einer konkreten Praxis für einen Aktivismus kommen Terry Patten und Ken Wilber noch einmal auf die zwei Aspekte von Ganzheit zurück. Es geht zum einen um die Heilung der Fragmentierung auf der relativen Seite, als etwas, was immer unvollkommen bleiben wird, und es geht um das Erwachen zu der GANZHEIT, die immer schon – vollständig und vollkommen – vorhanden ist.

Republik des Herzens

Nachbetrachtung 1: Osho

(aus: Shree Rajneesh: Die verborgene Harmonie, Vorträge über die Fragmente des Heraklit)

Wir steigen in dieselben Flüsse – und tun es doch nicht.
Erst werden die Dinge auseinandergesprengt,
Dann wieder zusammengefügt.
Alles kommt zu seiner Zeit.

Hier erreicht das Bewusstsein Heraklits seinen Gipfel. Lasst dies tief in euch eindringen. Lasst es in eurem Blut kreisen und in eurem Herzen schlagen. Lasst es zum Takt eures Lebens werden:

Alles kommt zu seiner Zeit.

Viele Dinge sind damit gesagt. Eines davon ist: Du brauchst dir keine große Mühe zu machen. Wenn du dich zu sehr anstrengst, könnte das sogar zur Barriere werden, denn nichts kommt vor seiner Zeit. Alle Dinge kommen zur vorbestimmten Zeit. Zu viel Anstrengung ist gefährlich. Zu viel Anstrengung kann heißen, dass du die Dinge herbeizwingen willst, wenn die Zeit noch nicht reif ist. Aber das soll nicht heißen, dass du dir nun überhaupt keine Mühe geben sollst. Denn wenn du überhaupt nichts dazu tust, kann es sein, dass die Dinge nicht einmal zur vorbestimmten Zeit erscheinen. Es kommt auf das richtige Maß von Anstrengungen an.
Und dann fragt nicht nach dem Ergebnis. Es kommt zu seiner Zeit. Passiert es heute – schön. Wenn nicht, dann weiß der verständnisvolle Mensch, der Intelligente, der Klarsichtige, daß die Zeit noch nicht reif ist. Wenn die Zeit reif ist, wird es geschehen. Er wartet: Er ist nicht kindisch. Die kindische Einstellung besteht darin, etwas sofort haben zu wollen. Wenn ein Kind mitten in der Nacht ein Spielzeug haben will, dann will es das jetzt. Und ein Land, das unreif ist, eine kindische und unreife Zivilisation, will auch alles sofort. Nescaf, Nes-Liebe, Nes-Erleuchtung.

Wenn du warten kannst, voller Geduld, passiv und doch hellwach, mit offenen Augen, dann wirst du erreichen, was du suchst. Wenn du es überstürzt, verfehlst du es. Und vergiß nie: sobald du reif dafür bist, wird es geschehen. Und Reife kommt zu ihrer Zeit.
Wenn die Zeit für Dynamik da ist, überlasse dich der Dynamik. Was ist Schlimmes dabei? Denn wenn du dich nicht anspannst, wie willst du dich ausspannen können? Wenn du nicht wütend wirst, wie kannst du dann mitfühlend werden? Wenn du dich nicht auf die Liebe einlässt, wie willst du dann über sie hinauswachsen? Alles zu seiner Zeit. Und die rechte Zeit kommt von allein. Das Sein ist unendlich, und du kannst ihm nicht deine eigenen Vorstellungen vorschreiben. Du musst beobachten, wohin es will, und dich dem dann fügen.

Das ist der Unterschied zwischen einem dummen und einem weisen Menschen. Ein Dummkopf will immer den Fluß antreiben, seinen Wunschvorstellungen entsprechend. Ein Weiser hat keine eigenen Vorstellungen. Er beobachtet einfach, wohin sich der Fluß der Natur wendet, dann folgt er diesem Fluß.

Das Ziel ist überall, du musst die Natur nur gewähren lassen. Jeder Augenblick ist Erfüllung – du mußt es nur zulassen. Nur zulassen: Laß dich los, gib dich hin, und – dafür lege ich meine Hand ins Feuer – alles kommt zu seiner Zeit.

Nachbetrachtung 2: Christian Meyer

(aus: Retreataufzeichnungen)

Tun und Handeln

Das Beenden von Tun bedeutet nicht, dass kein Handeln mehr geschieht. Es gibt nur keine persönliche Antriebsfeder dafür. Handlungen, die da sind, haben eine Energie, weitere Handlungen, die sich daraus ergeben, hervorzubringen. Handlungen sorgen für sich selber, das ist ein Prozess, eine Energie, die dich bewegt. Du brauchst nicht nach einer Triebfeder bei dir zu suchen. Die Energie, die da ist, stößt auf dieses Individuum. Jetzt hängt es von persönlichen Faktoren wie der persönlichen Fixierung und von anderen Faktoren, auch gesellschaftlichen Faktoren, ab, wie diese Energie innerhalb des Organismus wirkt und welche neuen Handlungen davon angestoßen werden. Das Ganze ist auch eine Beschreibung der Wirkung des Karma, individuell und kollektiv.
Es gibt einen Unterschied zwischen Handlungen, die aus der Stille kommen und Handlungen, die impulsiv sind. Es gibt einen Unterschied zwischen Spontanität und Impulsivität. Das Impulsive ist auch immer dazu da, um das Wichtige zu vermeiden. Jemand ist beispielsweise impulsiv wütend, um dem Schmerz des Verletztseins nicht fühlen zu müssen. Bei Handlungen, die aus der Stille kommen, wird hingegen nichts vermieden.

Politisches Engagement

Wer Zeit und Energie hat, kann sinnvolle politische Arbeit machen, die der eigenen Überzeugung entspricht und sich dafür einsetzen. Es gibt viele politische Richtungen und Aktivitäten, doch erreichen diese, was sie erreichen wollen? Vielleicht ist es schlauer, anstatt eine neue Partei zu gründen, den Menschen zu verändern. Das ist die Hoffnung. Dass, wenn mehr Menschen aufgewacht sind, es auch endlich aufgewachte Abgeordnete gibt und die Dinge wirklich in Bewegung kommen. Es ist nicht so, dass wir aufwachen, um die Welt zu retten, doch das wäre ein guter Nebeneffekt. Der Wunsch nach Weltfrieden ist da und der Schmerz über Krieg und Leid, und auch der Schmerz darüber, dass diese materielle Welt offensichtlich nicht im Paradies endet, sondern immer in Dualität und Polarität bleibt.

Sollten wir also etwas tun? Die Frage, ob wir dies oder jenes tun sollten, bringt uns in Schwierigkeiten. Wenn wir alle jetzt etwas täten, weil wir es tun sollten, sind wir wieder im Zustand von Entfremdetheit. Doch natürlich kannst du deinem Impuls zum politischen Tätigsein folgen. Jeder kann in sich entdecken, was sich in ihm entfalten will, und natürlich ist dies umso authentischer und wirklicher, je mehr Ungefühltes ausgefühlt wurde. Wenn wir dabei immer freier werden, dann geht es in Richtung Menschlichkeit und Liebe und mehr Ganzheit. Folge dem, was du fühlst und dann finde einen Lebensausdruck dafür.

Vergangenheit bewältigen – Betrauern

Ein Beispiel für die Art, mit kollektiver Vergangenheit umzugehen, ist die Aufarbeitung des zweiten Weltkriegs in Deutschland in den zurückliegenden 60 Jahren. In der ersten Phase, bis etwa 1967, war es vorherrschend so: „Wir sind gar nicht dabei gewesen, wir wollen gar nichts davon wissen, wir tun so, als ob es das gar nicht gab.“ Das war die erste Phase und das kann nicht gut gehen, weil dabei die Trauer verdrängt wird, doch das Verdrängte immer wieder kommt. Dann gab es die zweite Phase, die war davon bestimmt: „Wir sind nicht dabei gewesen, die Eltern waren es.“ Mit Eltern meine ich die ältere Generation, diejenigen, die zeitlich eher geboren waren, das waren die Bösen. Und weiter wurde gesagt: „Wir müssen dagegen ankämpfen, um das klein zu kriegen.“ Das hat auch nicht gut funktioniert, weil, wie Laotse sagt, das, was wir bekämpfen, stärker wird. In den 1990er Jahren begann eine neue Phase, und die beinhaltete endlich die Einsicht, dass die wichtigste Aufgabe das Betrauern ist. Es war die Entdeckung, dass das Betrauern Heilung möglich macht. Seitdem wurde begonnen, aber nur erst begonnen, dass wir die Vergangenheit so bearbeiten und verarbeiten, dass endlich innerer Frieden entstehen kann, und damit tatsächlich Ruhe und Frieden gefunden werden können. Das Herumspringen zwischen den Gegenpolen von Verdrängen und Bekämpfen hört auf. Wir öffnen uns für die verschiedenen Seiten des menschlichen Seins und des menschlichen Daseins. Wir öffnen uns für die Gefühle, die da sind und die Teile von uns selber sind. Daraus entstehen ein neues Handeln und eine neue Welt.

Annehmen

Annehmen hat nicht damit zu tun, etwas gut oder richtig oder schlecht oder falsch zu finden. Es hat mit einer inneren Haltung zu tun, die jenseits davon ist, etwas richtig oder falsch zu finden. Diese Haltung einzunehmen bedeutet nicht, nicht zusätzlich ins Handeln zu kommen. Annehmend zuzustimmen bedeutet nicht zu sagen: „Es ist halt so.“, sondern zu sagen: „Es darf so sein.“ Das schließt alle eigenen und anderen Handlungsmöglichkeiten mit ein, aber auch die Ohnmacht und Hilflosigkeit, wenn sich keine Handlungsmöglichkeiten ergeben. Gleichzeitig fördert dieses Annehmen Demut. Zu glauben, dass man es besser könnte und dass man die Welt besser gemacht hätte als sie gemacht wurde, vermeintlich zu wissen, ob etwas da sein durfte oder nicht da sein durfte, macht hochmütig und eng. Das Akzeptieren von Ohnmacht und Hilflosigkeit ist das erste Eingangstor zur Transformation.

 

  1. Siehe hierzu auch den Beitrag Zur Liebe Darwins: Über das egoistische Gen hinaus im Online Journals Nr. 53.

 

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