Wenn wir von Mobilität sprechen, dann meinen wir die räumliche Mobilität. Gleichzeitig denken wir an den motorisierten Individualverkehr, an die vielen Verkehrsstaus. Stark gestiegen ist aber auch der Güterverkehr, der mehrheitlich im Binnenraum immer noch auf der Strasse stattfindet. Weniger bekannt sind jedoch die vielen Containerschiffe, die durch die Globalisierung frappant zugenommen haben und eine extreme Umweltbelastung darstellen. Dies ist die Kehrseite der Globalisierung. Wie würde eine integrale Lösung aussehen?

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist skandalös gross. Die reichsten 62 Personen des Planeten besitzen zusammen 1,76 Billionen Dollar – ebenso viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit, rund 3,5 Milliarden Personen. Generell ist die Bevölkerung der Industrieländer privilegiert, weil sie auf die Ressourcen der andern Länder zurückgreifen kann (Rohstoffe und Arbeit).

Was hat nun der Reichtum des Westens mit dem extremen Güterverkehr zu tun? Sehr viel sogar!

Es geht um die Ausbeutung der Dritten bzw. Vierten Welt. Früher geschah dies durch die Kolonialisierung. Heute produzieren viele Konzerne möglichst weit weg, dort, wo die Löhne am tiefsten und die Rohstoffe am billigsten sind, wo sie keine Steuern bezahlen müssen, wo es keine Umweltgesetze, keine Gewerkschaften und Mindestlöhne gibt. Von den Sozialleistungen ganz zu schweigen. Dies führt zu einer wahrlichen Gewinnmaximierung. Gleichzeitig müssen aber die Rohstoffe und Waren in der ganzen Welt hin und her geschoben werden.

Auf den Punkt gebracht!

Teilung des Wohn- und Arbeitsortes

Jegliche räumliche Teilung bringt Verkehr mit sich. Den regionalen bzw. nationalen Individualverkehr brachte die Industrialisierung mit sich, als der Wohn- und Arbeitsort getrennt wurden. Die Optimierung liegt heute darin, dass man in der City arbeitet, wo das Lohnniveau möglichst hoch ist, zieht dann aber dann aufs Land, wo die Immobilienpreise noch einigermassen vernünftig sind.

Globalisierung dank der Frachtschifffahrt

Aber auch der Fabrikoutput braucht eine räumliche Überwindung bis er beim Endverbraucher ist. Produziert wird, wie erwähnt, dort wo es am günstigsten ist und verkauft in den teuren Industrieländern.

Immer gigantischere Containerschiffe transportieren ihre Waren kreuz und quer über die Meere. Ihre Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Meere unserer Welt sind praktisch zu Autobahnen geworden. Rund 60‘000 Frachtschiffe verkehren permanent, um unsere Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Tatsache ist, dass neun von zehn Gütern, die im Westen konsumiert werden, aus Übersee stammen: Jeans, Computer, Lippenstifte usw. Es ist absurd, wenn diese Produkte trotzt der grossen Transportwege immer noch günstiger sind als die einheimischen. Ohne die Seefracht wäre eine globalisierte Wirtschaft gar nicht möglich. Je grösser die Schiffe, desto mehr Container können transportiert werden, desto tiefer sind die Kosten pro Fracht. Heute werden rund 500 Millionen Container pro Jahr über die Meere transportiert. Grosse Schiffe fassen 18‘000 Container. Die Frachtschiffahrt ist zu einer gefährlichsten Ursache der Umweltverschmutzung geworden (Abgase, Havarien). Im Weiteren liegt die gesamte Frachtschiffindustrie in den Händen weniger Magnaten, die einen bedeutenden Einfluss auf die Weltwirtschaft und auf ganze Regierungen ausüben.

Und nebenbei bemerkt: Nur rund 2 % der Schifffracht wird vom Zoll kontrolliert. Da stehen Tür und Tor für den Waffen-, Drogen- und Menschenhandel offen.

Billigferien «all inclusive»

Sodann erfordert auch die Teilung des Ferien- und Wohnortes ihre Mobilität. Der Massentourismus mit seinen Billigangeboten - «all inclusive» heisst das Zauberwort - und seinen verheerenden Auswirkungen, auch für die Gastländer, liess die Flugverkehr exorbitant ansteigen, obwohl die Umweltbeeinträchtigungen allerseits bekannt sind. Gerade kürzlich wurde am Flughafen Zürich-Kloten ein neuer Passagier-Rekord erreicht: Über hunderttausend Fluggäste an einem einzigen Tag!

Die Überwindung des Raumes benötigt Energie, je weiter weg, desto mehr Energie. Es geht hier nicht um eine Wertung, um gut oder schlecht. Die Frage ist vielmehr, ob es zu viel oder zu wenig ist! Oder: Verkraftet dies die Umwelt.

Die Vertreibung aus dem Paradies: Von der Ganzheit in die Polarität

Im Universum ist alles auf Harmonie angelegt, eine Harmonie jedoch, die es zu entwickeln gilt. Wie können die aus der Getrenntheit und Unterschiedlichkeit einer manifesten Welt entstandenen Polaritäten vereint werden, ohne sie zu egalisieren? Wie kann eine Einheit in Vielfalt entstehen? Wie kann – integral gefragt – differenziert und integriert werden, immer wieder? Aus der Einheit, dem «Wu Chi», ergiesst sich das «Tai Chi» (die grossen Gegensätze), das sich aus dem Zusammenspiel von Yin und Yang ergibt. Yin und Yang sind also als Ur-Polaritäten zu verstehen, bzw. das «Tai Chi» das Prinzip der Polarität in der chinesischen Philosophie.

Eines ist deutlich geworden: Durch Verdrängung einer der Pole einer Polarität geht es nicht. Wie können wir den Tag erkennen, wenn wir die Nacht nicht erlebt haben? Wie können wir die Freizeit geniessen, wenn wir nie arbeiten?

Bereits der altpersische Priester Zarathustra (griech. Zoroaster, etwa 1768 v. Chr.) vertrat eine stark dualistische Philosophie: Gut und Böse. Dieses Konzept hielt im christlichen Denken einen starken Einzug, insbesondere bei der gnostischen Weltreligion der Manichäer. Gründer war der Perser Mani (216 – 276). Mani lehrte einen äusserst radikalen Dualismus (Licht und Finsternis, Gott und Teufel, Geist und Materie). Man sah in allem den Kampf zwischen den grossen Mächten des Lichts (Lichtreich Gottes) und der Finsternis. Das Böse will ausgerottet werden, damit das Gute siegt. Nur so kann dieses Problem gelöst werden.

Je mehr man jedoch etwas bekämpft, desto mehr wächst es! Schon Heraklit wies darauf hin, dass eine extreme Haltung nicht zur Aufhebung der Gegensatzpaare, sondern zur Stärkung des Gegenteils führt. Auch der Schweizer Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung meint: «Jedes psychologische Extrem enthält im Geheimen seinen Gegensatz oder steht sonst wie mit diesem in nächster und wesentlicher Beziehung.»

Oder mit den Worten von Johann Wolfgang von Goethe im Faust I, Mephisto «(Ich bin) Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.»

Diese Thematik hat Paul Watzlawick in seinem Buche «Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen» sehr eindrücklich dargestellt.

Darin genau besteht der grosse Unterschied zwischen Ost und West. Der Taoist sieht in der Polarität eine Einheit und nicht den Konflikt. Das eine bedingt das andere. Elektrizität entsteht auch nur aus beiden Polen: dem negativen und positiven. Es geht nicht darum, die Dinge zu bewerten oder um ein Entweder-Oder, sondern um eine friedliche Koexistenz. Es sind einfach verschiedene Aspekte des Ganzen. Diese Ganzheit stellt eindrücklich das Tai Chi-Symbol dar:

Das Tai Chi, «Die grossen Gegensätze», bezeichnet das höchste Prinzip des Kosmos. Das Tai Chi-Diagramm stammt vom Philosophen Chou Tun-I (Zhou Dunyi) (1017 – 1073).

Hermann Hesse bemerkt es richtig, wenn er sagt: «Unsere Bestimmung ist, die Gegensätze richtig zu erkennen, erstens, nämlich als Gegensätze, dann aber als Pole einer Einheit.»

Die Trennung bzw. Polarität lässt sich auch darin erkennen:

Arbeitgeber – Arbeitnehmer
Produzent – Konsument
Vermieter – Mieter
Verkäufer – Käufer
Kreditgeber – Kreditnehmer
Arbeitsort – Wohnort

Die Überwindung dieser Polaritäten können durchaus mittels Genossenschaftsmodellen aufgehoben werden. Da werden Arbeitgeber (Genossenschafter) auch Mitarbeiter, Vermieter sind gleichzeitig auch Mieter, d.h. sowohl als auch.

Die Erfahrung zeigt, und dies scheint essentiell zu sein, dass alles Positive mit der Zeit ins Negative kippt und umgekehrt. War zum Beispiel die Erfindung des Autos etwas Geniales, Hilfreiches und Nützliches, wird sie langsam zum Problem und zur Belastung: des Guten zu viel. Aber auch der Roboter hat viel sinnentleerte Arbeit abgenommen, wenn er massenhaft Jobs wegrationalisiert, war dies wohl nicht die ursprüngliche Idee. Es ist immer eine Frage des Masses. Der Taoist spricht von der «goldenen Mitte».

Warum ist dies so? Weil die Entwicklung nur statisch, linear stattfand. Eine integrale Entwicklung erfolgt spiralförmig nach oben, jeweils auf eine höhere Stufe. Umgangssprachlich ausgedrückt braucht es einen «Quantensprung».

Der deutsche Physiker Hans-Peter Dürr (1929*) formulierte es sehr treffend: «Anstatt das Automobil immer weiter zu entwickeln, sollten wir uns überlegen, wie wir Mobilität in Zukunft anders gestalten.»

Die Polarität kann nur auf einer höheren Ebene gelöst werden.

Die Welt hat genut für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.

Mahatma (Mohandas Karamchand) Gandhi

Lösungsansatz: Regionale Wirtschaftkreisläufe fördern

Aus integraler Sicht sind die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu fördern, um keine Geldabflüsse zu verursachen. Güter sollen nicht so billig wie möglich, sondern so regional wie möglich produziert werden. Zudem werden dadurch die Transportwege verringert. Niko Paech spricht hier von der «Ökonomie der Nähe», die gekennzeichnet ist von

  • Transparenz, was wiederum Vertrauen schafft.
  • Empathie: Direkte Beziehungen minimieren die reine Profitlogik!
  • Interessenkongruenz: Da alle Akteure im gleichen Kreislauf eingebunden sind, ist jeder von Preiserhöhungen indirekt auch immer selbst betroffen.
  • Verwendungskontrolle: Regionale Kapitalgeber haben einen ganz andern Bezug, wenn sie die Kreditnehmer und vor allem die finanzierten Betriebe und Projekte persönlich kennen. Sie können Projekte finanzieren, die ihren ethischen, ökologischen und sozialen Vorstellungen entsprechen.

Kleinräumige Ökonomien verbessern die Möglichkeiten von geschlossenen Kreisläufen, entflechten komplexe Produktionsketten und - wie erwähnt - schaffen kürzere Transportwege. Sie reduzieren auch den Fremdversorgungsgrad, d.h. die Abhängigkeiten!

Subsistenz (Selbstversorgung ohne nennenswerte Überschüsse) und Suffizienz (Selbstbegrenzung, Konsumverzicht) sind somit der Lösungsansatz, auf dem auch die Postwachstumsökonomie fusst.

Zudem führt ökologische Kostenwahrheit zwangsläufig zur ökonomischen Subsidiarität, d.h. die Verantwortung auf die kleinst mögliche Ebene verlagern (Christian Felber).

Politisch handeln! Alle sind aufgerufen...

Viele sagen, dass sie apolitisch seien, weil sie Politik einfach nicht interessiere. Zudem: Was können wir schon dagegen tun (Ohnmacht)? Politisches Handeln beginnt aber bereits im Alltag, z.B. beim Einkauf! Bei vielen Produkten sind die Herkunftsländer angegeben. Woher stammen die Produkte, die täglich eingekauft werden, insbesondere beim Gemüse und den Früchten? Woher stammen die Textilien?

Leider ist die Rückverfolgbarkeit vieler Produkte gar nicht mehr so einfach, weil die einzelnen Komponenten aus der ganzen Welt stammen.

Es geht um den gezielten Einkauf mit expliziten Kriterien und bewussten Konsum.

Weiteres Beispiel: War der Fleischkonsum früher eine reine religiöse Frage, wurde sie zur ethischen (Peter A.D. Singer), dann zur ökologischen und heute zur einer politischen! Der Welthunger steht direkt im Zusammenhang mit unserem Fleischkonsum. Rund 40 % der Weltgetreideernten werden für die Tierfütterung verwendet!

Viele kritisieren die katastrophalen Tierhaltungen, sind aber nicht bereit, einen anständigen Preis für das Fleisch zu bezahlen. «Geiz ist geil!» war ja der bekannte Slogan und widerspiegelt das Konsumentenverhalten!

Der Konsument hat die Wahl und somit in der Hand, was er unterstützen will!

Zudem: Unbegrenztes Wachstum kann mit begrenzten Ressourcen kann auf lange Sicht gar nicht funktionieren und führt zwangsläufig zu einem Kollaps. Die Umwelt kann die Globalisierung einfach nicht mehr ertragen.

Aus dieser Perspektive brauchen wir weder TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), TiSA (Trade in Services Agreement) noch CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement).

 

Literaturhinweise:

Ducommun, Gil: Nach dem Kapitalismus - Wirtschaftsordnung einer integralen Gesellschaft. Verlag Via Nova, Petersberg, 2005

Felber, Christian: Gemeinwohl-Ökonomie - Eine demokratische Alternative wächst. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2012

Felber, Christian: 50 Vorschläge für eine gerechtere Welt. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2006

Klein, Naomi: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2009

Klein, Naomi: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Ein Spiel mit vielen Verlieren. Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2005

Paech, Niko: Befreiung vom Überfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. oekom verlag, München, 2012

Dokumentarfilm:

Delestrac, Denis: «Seeblind – Der wahre Preis der Frachtschifffahrt»

 

Autor: Stefan Kessler

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