(Quelle: Integral Naked, An Interview with Myriades)


Im nachfolgenden Text wird Ken Wilber von Gaspar Segafredo interviewt, dem Herausgeber von Myriades, einer argentinischen Kulturzeitschrift mit einem integralen Ansatz.

Teil 1 Was machst du?

Frage: Zuerst eine einfache und allgemeine Frage: Wie würdest du das definieren, was du machst?

KW: Der integrale Ansatz, den ich entwickelt habe, ist ein Versuch, gegenüber der Wirklichkeit so umfassend und alles mit einschließend zu sein wie nur irgend möglich. Das umfasst alle bekannte menschlichen [Erkenntnis- und Erfahrens-]Disziplinen, also auch integrale Medizin, integrale Politik, integrale Bildung und Erziehung, integrale Spiritualität, integrales Recht und so weiter. Dieser Ansatz gründet sich auf den verschiedenen Perspektiven und den verschiedenen Dimensionen aller Menschen. Es ist kulturübergreifend, und lässt sich auf praktisch alle Lebenssituationen anwenden. Es ist ein Versuch der Überwindung der allgemein verbreiteten teilhaften, fragmentierten und zersplitterten Ansätze gegenüber der Wirklichkeit. Diese Ansätze gilt es durch etwas Umfassenderes zu ersetzen oder zu ergänzen.

Frage: Wie bist du auf diesen Weg gelangt? Schon in der Kindheit? Hattest du bestimmte Erfahrungen? Was hat dich zu diesem Leben geführt?

KW: Ich war als Student an der medizinischen Fakultät der Duke Universität. Meine Ausbildung bis zu diesem Punkt bestand überwiegend in Wissenschaft als einem objektiven Studium [äußerlicher] Wirklichkeit, mit Fakten, Daten und objektiver Wahrheit. Das medizinische Ausbildungsprogramm fiel auch in diese Kategorie. Dort beschäftigte man sich zwar mit Menschen, aber Menschen als Objekten, als Organismen, denen man sich auf eine objektive, monologische und flachländische Weise annähern kann. Grundlegende Fragen, die junge Menschen typischerweise haben, wurden dabei nicht behandelt, wie die Standardfrage „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Warum bin ich hier?“, „Was ist wertvoll, was ist ein gutes Leben?“, „Was ist das Wahre, der Schöne, das Gute?“ Keine dieser Fragen wurde in den Universitätskursen, die ich besuchte, behandelt. Zu dieser Zeit, in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren war ich ein typischer Boomer, und die östlichen Traditionen begannen in die USA einzuströmen. Als ich begann mich damit zu beschäftigen, einschließlich Daoismus, Vedanta und Zen Buddhismus hatte das einen tiefgreifenden Einfluss auf mein Leben und wie ich die Dinge betrachtete. Es wurde mir dabei klar, dass der wissenschaftliche Ansatz nicht falsch war, dass er jedoch nur einen Teil abdeckte und nur einen Teil des menschlichen Potentials behandelte. Mich interessierten jedoch auch die anderen Teile, das Innerliche, das Subjektive, Bewusstheit, Spiritualität. Doch die Wahrheit der Wissenschaft wurde dadurch nicht aufgehoben, für mich war das kein Entweder/Oder, also entweder äußere Wissenschaft oder innerliches Bewusstsein, es war Beides. Es ging um die Frage, wie passen sowohl Spiritualität als auch Materialismus  zusammen? Ich erstellte einen Rahmen, der all diese unterschiedlichen Ansätze enthielt und ihnen einen Platz gab.

Als ich 23 Jahre alt war, wechselte ich von der medizinischen Fakultät zur Biochemie. Ich wollte Forschung machen und kreativ sein können, etwas Neues entdecken, wechselte daher zur Biochemie und wollte dort meinen Abschluss machen. Ich hatte schon alle Kurse für meinen Doktortitel zusammen, doch noch nicht die Forschungsarbeit. Ich beschäftigte mich mit den Hauptformen von Psychotherapie und Spiritualität, den Hauptformen menschlicher Veränderungen. Wie kann man Menschen, die unglücklich sind oder Furcht oder Angst oder andere innerliche Probleme haben, glücklich machen, ganzheitlicher machen, heiler machen, gesund werden lassen, zur Erleuchtung und Befreiung führen? Weltweit gibt es etwa sechs oder sieben Haupt-Schulen oder Richtungen von Psychotherapie und spiritueller Praxis, vom Zen Buddhismus zur Gestaltarbeit, zur Jung’schen Therapie, zur existentiellen Therapie, und mit 23 Jahren gelang es mir einen Rahmen zu definieren, in dem all diese Ansätze einen Platz hatten. Ich schrieb mein erstes Buch Das Spektrum des Bewusstseins, und wie der Titel schonnahe legt, geht es darum, dass Menschen nicht nur aus einer einzigen Bewusstseinsebene bestehen, für die es die genannten sechs oder sieben Ansätze gibt, und die darum kämpfen jeweils Recht zu haben. Doch das ist nicht möglich. Es handelt sich also nicht um sechs oder sieben Ansätze gegenüber derselben Bewusstseinsebene, sondern um sechs oder sieben Bewusstseinsebenen, mit denen sich die Ansätze jeweils richtigerweise beschäftigen. Der Begriff „Spektrum“ bezieht sich also auf dieses Bewusstseinsspektrum und die Bewusstseinsstrukturen, über die Menschen verfügen, und die unterschiedlichen psychotherapeutischen und spirituellen Ansätze haben sich den unterschiedlichen Ebenen angepasst. Betrachtet man das auf diese Weise, dann haben alle Recht mit dem, was sie sagen, jeweils bezogen auf die Bewusstseinsebenen, über die sie etwas aussagen, als eine Entwicklungsebene oder eine ontologische Ebene, wie immer man das auffassen möchte. Das Spektrummodell als ein Rahmen erlaubt allen diesen Hauptansätzen im Kern etwas Richtiges auszusagen. Sie sind wahr, jedoch nur teilweise wahr. Die persönliche Erfahrung, die mich in diese Richtung geführt hat, war in der Tat das Einströmung der östlichen Traditionen, die sich speziell mit transpersonalen, mystischen oder spirituellen Bewusstseinszuständen beschäftigen, speziell der Zen Buddhismus, als eine sehr wirkungsvolle Form der Erleuchtung oder des Erwachens mit entsprechend effektiven Übungen. Die Frage war, wie das mit der Psychoanalyse zusammenpasst. Die Antwort darauf ist, dass beide sich mit unterschiedlichen Bewusstseinsebenen beschäftigen. Menschen haben Zugang zu all diesen Ebenen, und daher haben all diese unterschiedlichen Ansätze ihren jeweils eigenen Wert. Der persönliche Einfluss für mich war also das Einströmen der östlichen Traditionen, und ich begann vieles davon selbst zu praktizieren. Dabei wurde klar, dass der allgemeine wissenschaftliche Ansatz gegenüber der Wirklichkeit sich mit den äußeren, objektiven und monologischen Dimensionen befasst, das, was ich später in meinem Werk als die äußerlichen [rechtsseitigen] Quadranten bezeichne. Spiritualität und Psychotherapie hingegen befassen sich mit innerlichen Dimensionen, das was ich als die innerlichen [linksseitigen] Quadranten bezeichne. Der integrale Rahmen gibt all diesen Ansätzen ihren Platz und ihre Richtigkeit, aber eben auch nur eine teilweise Richtigkeit. Das war eine für mich eine sehr befriedigende Entdeckung, weil ich wusste, dass all diese unterschiedlichen Ansätze die Wahrheit sagten. Sie alle ergaben absolut Sinn für mich und bezogen sich auf reale Wirklichkeitsaspekte. Die Frage war daher nicht, welcher dieser Ansätze Recht hat, auf eine Weise, dass alle anderen Ansätze falsch sind, sondern die Frage, die sich stellte, war, wie können sie alle Recht haben? Diese Frage trieb mich voran, schon als ich Anfang 20 war und mein ersten Buch schrieb, bis heute, nach über 20 geschrieben Büchern. Alle Bücher hatten und haben den gleichen wesentlichen Zweck, und zwar die vielen unterschiedlichen Disziplinen zu nehmen und aufzuzeigen, wie sie alle in einem größeren Rahmen zusammengehören.

Frage: Dieser Ansatz, den du gemacht hast, die Integration von Wissenschaftsdisziplinen und spirituellen Disziplinen, glaubst du, dass sich das allgemein verbreitet oder bleibt das auf eine ausgewählte kulturelle Gruppe beschränkt?

KW: Speziell in den zurückliegenden fünf oder zehn Jahren hat meine Arbeit einen zunehmenden Einfluss auf unterschiedliche Gruppen und Kulturen in diesem Land [USA] – von der Unterhaltungsindustrie zum Business zu Politik, Bildung und Erziehung, zu Psychotherapie: Eine komplette Ausgabe eines bekannten psychotherapeutischen Journals wurde dem integralen psychotherapeutischen Ansatz gewidmet, eine komplette Ausgabe einer Zeitschrift über Zukunftsstudien widmete sich dem integralen Ansatz, eine komplette Ausgabe eines Journals über Ökologie und Nachhaltigkeit hat sich mit dem AQAL-Ansatz gegenüber Ökologie und Nachhaltigkeit beschäftigt. Auch international geschieht diese Weiterverbreitung, meine Bücher wurden mittlerweile in dreißig Sprachen übersetzt, was ziemlich beeindruckend ist, wenn man bedenkt, dass der Inhalt der Bücher überwiegend akademisch ist. Das Interesse daran scheint also immer mehr zuzunehmen. Der Grund dafür ist, glaube ich der, dass die Anzahl der Menschen zunimmt, deren Bewusstsein sich zu den integralen Ebenen hin entwickelt. Schaut man sich die entwicklungsbedingten Komponenten des Menschen an, was ein Aspekt des integralen Ansatzes ist, (und nehmen wir Jeans Gebsers Stufen des Wachstums und der Entwicklung als ein Beispiel, von archaisch zu magisch zu mythisch zu rational zu pluralistisch zu integral und darüber hinaus – und diese Begriffe meinen so ziemlich genau das, wonach sie klingen), dann entwickeln sich alle Menschen durch diese Stufen oder Wellen der Entfaltung und des Bewusstseins hindurch. Die Anzahl der Menschen, die sich auf den integralen Stufen oder Wellen befinden, hat im Verlauf des zurückliegenden Jahrzehnts von 2% auf 5% zugenommen, und wir erwarten eine weitere Zunahme auf 10% in zehn oder zwanzig Jahren. Das ist sehr bedeutend, weil die integralen Stufen die Spitze [leading edge] der Evolution im Menschen darstellen. Die vorangegangene Entwicklungsstufe, die pluralistischen Entwicklungsstufe, macht etwa 20% der Population in westlichen Staaten aus.

Frage: Wie kommst du zu diesen Zahlen, woher kommen sie?

KW: Es gibt unterschiedliche Entwicklungsmodelle, und diese Modelle haben Tests, die von den Begründern dieser Modelle entwickelt wurden, um herauszufinden, auf welcher Entwicklungsstufe sich Menschen befinden. Zuerst wurden diese Stufenmodelle, als man begann sie zu verstehen, an einer kleinen Anzahl von Menschen getestet, um herauszufinden ob sich jeder Mensch durch diese Stufen entwickelt. Dann wurden die Untersuchungen auf immer mehr Gruppen von Menschen ausgedehnt, und die Modelle wurden entsprechend den Untersuchungsergebnissen geändert, neue Tests wurden entwickelt, um herauszufinden, auf welcher Entwicklungsstufe sich jemand befindet, und immer mehr Kulturen wurden untersucht. Der integrale Ansatz verwendet Modelle, die in unterschiedlichen Kulturen getestet und immer wieder bestätigt wurden. Der Satzvervollständigungstest von Jane Loevinger beispielsweise wurde von Jane Loevinger entwickelt, sie hat eine der genauesten Landkarten der Bewusstseinsentwicklung des Selbst bzw. der Egostruktur erstellt. Sie unterscheidet etwa 8 Hauptentwicklungsstufen, und diese sind ähnlich der Entwicklungsbeschreibung von Jean Gebser mit archaisch, magisch, mythisch, rational, pluralistisch, integral und höher. Ein Ergebnis dieses Satzvervollständigungstests, der in vielen unterschiedlichen Bereichen und Kulturen durchgeführt wurde, ist, dass etwa 2% der Bevölkerung sich auf einer der integralen Entwicklungsstufen befindet. Schaut man sich die Ergebnisse von Spiral Dynamics an, [ein Entwicklungsmodell] welches von Clare Graves entwickelt wurde und weitergeführt wird von Don Beck und Christopher Cowan, dann findet man dort auch vor etwa zehn Jahren 2% der Bevölkerung bei integralen Entwicklungsebenen. Heute sagen uns beide Entwicklungsmodelle, dass dieser Anteil auf 4% oder 5% gestiegen ist. Diese und verschiedene andere Tests werden für diese Schätzungen verwendet, und wir reden hier von groben Annäherungen, wenn es darum geht, die Anzahl von Menschen auf diesen Entwicklungsstufen zu ermitteln. (Die integralen Stufen sind definiert als diejenigen, die selbst-bewusst die früheren Entwicklungsstufen innerlich erfassen und versuchen diese zu integrieren. Was mit den meisten Entwicklungsstufen bis zur integralen Stufe geschieht, ist, dass jede Stufe von sich glaubt, dass sie die einzig richtige Stufe ist, um Wirklichkeit zu betrachten. Die mythische – oder konformistische oder fundamentalistische – Stufe glaubt, dass ihr Ansatz gegenüber der Wirklichkeit, der meist ein Ansatz eines religiösen Fundamentalismus ist, der einzig richtige ist. Diedarauf folgende Entwicklungsstufe, die rationale und moderne Entwicklungsstufe, ein egoischer Rationalismus und wissenschaftlicher Materialismus glaubt hingegen, dass sein Ansatz gegenüber der Wirklichkeit der einzig richtige Ansatz ist, und das gleiche gilt für die sich daran anschließende Entwicklungsstufe, die postmoderne und pluralistische Stufe, die glaubt, dass ihr Ansatz der einzig richtige ist. Doch wenn sich die Menschen zu den integralen Stufen entwickeln, wird ihnen klar, dass alle die vorangegangen Ansätze etwas grundlegend Richtiges und Wichtiges haben. Menschen auf diesen Entwicklungsstufen, ob sie sich mit Psychologie beschäftigt haben oder nicht, beginnen einen sehr umfassenden Ansatz gegenüber der Wirklichkeit zu entwickeln. Sie schaffen Raum und Platz für traditionelle Werte und moderne Werte und postmoderne Werte. Welche Sprache sie dafür auch immer verwenden, sie verstehen intuitiv, dass die Prämoderne, die Moderne und die Postmoderne ihren Platz haben. Ein Sowohl-als-auch Denken wird entwickelt. Meine Bücher wurden im Wesentlichen von diesen integralen Bewusstseinsebenen her geschrieben, angefangen beim allerersten Buch, so dass, wenn Menschen sich zu diesen Stufen entwickeln und auf meine Bücher stoßen – diese Bücher lediglich das Territorium reflektieren, auf dem sich diese Menschen bereits befinden. Das ist glaube ich der Grund für das Interesse an meiner Arbeit. Menschen, die sich bereits auf den integralen Entwicklungsstufen befinden, erkennen dass meine Bücher eine Landkarte des Geländes anbieten, auf dem sie sich bereits befinden. Sie kennen das Gelände bereits, auch wenn sie es vielleicht noch nicht selbst formuliert haben, und auch nicht die wissenschaftliche Evidenz dafür kennen, doch wenn sie meine Bücher lesen, dann macht es „Klick“ und „oh, das kenne ich, das ergibt Sinn, das ist das, wo ich mich befinde.“ Weil die Anzahl der Menschen auf integralen Entwicklungsstufen immer mehr zunimmt, nimmt auch das Interesse an meinen Büchern zu. Meine Bücher haben dieses Gelände nicht geschaffen, die Menschen sind bereits dort. Meine Bücher reflektieren jedoch dieses Gelände, und daher vertieft sich das Interesse an meiner Arbeit weltweit.

 

Teil 2 Kommunismus, Postmodernismus, und Frauen in Führungspositionen

Frage: Manche der zeitgenössischen Philosophen und Autoren glauben, dass Phänomene wie der Individualismus, Krieg, Diktaturen, Zerstörung der Ökologie und andere gegenwärtige Probleme damit zusammenhängen, dass Gesellschaften überwiegend maskulin strukturiert sind, und eine feminine Perspektive fehlt. Glaubst du dass das stimmt? Ich erinnere mich daran, dass du in dem Buch Eine kurze Geschichte des Kosmos dazu etwas geschrieben hast.
 
KW: Diese Themen werden in einem integralen Ansatz berücksichtigt, und ein wichtiger Teil dabei ist die Ausgewogenheit von männlichen und weiblichen Ansätzen. Was das Hyper-Maskuline oder das übertrieben Maskuline betrifft, als eine Ergebnis der modernen westlichen Aufklärung, ist es in der tat so dass maskuline Agenz exzessiv zur Anwendung gekommen ist, und wir zu wenig von weiblicher Kommunion erleben. Nach dem integralen Modell hat jedes empfindende Wesen mindestens vier Grundantriebe, auf der Bewusstseinsebene auf der es sich befindet. Es hat den Antrieb zu eigener Ganzheit, zum eigenen Selbst, zur eigenen autonomen Individualität, und das wird mit Agenz bezeichnet. Gleichzeitig ist jedes Wesen auch Teil eines größeren Ganzen, mit dem  Antrieb zu Beziehung und Verbundenheit, dem Antrieb Teil von etwas Größerem zu sein. Diesen Antrieb nennt man Kommunion. Auf jeder Entwicklungsebene gibt es also Agenz und Kommunion. Weiterhin gibt es den Antrieb zur Aufwärtsbewegung hin zu einer höheren Ebene, und den nennt man Eros, die Selbsttranszendenz, und es gibt einen Antrieb die niederen Ebene die bereits entstanden sind zu umarmen, Atome zu Molekülen zu Zellen zu Organismen [und das nennt man Agape]. Eine Zelle hat also einen Antrieb sowohl zu einer eigenen Agenz, zur Erhaltungihrer eigenen Ganzheit und Autonomie um eine Zelle zu sein, doch sie hat ebenso den Antrieb Teil einer Gemeinschaft mit anderen Zellen zu sein, in  Beziehung zu sein, und führsorgend und verantwortlich zu sein. Dies sind zwei Antriebe auf jeder Ebene, Agenz und Kommunion. Die Zelle hat jedoch auch den Antrieb einer Bewegung nach oben, hin zu einer höheren Ordnung, d. h. eine Zelle hat den Antrieb Teil eines Organismus zu sein, und Teil eines Systems in einem Organismus zu sein. Das ist Eros, die Selbsttranszendenz der Zelle zu einer höheren Ebene von Organisation. Doch ebenso [gibt es auch Agape, den Antrieb] die vorangegangenen Ebenen zu umarmen. Die Zelle transzendiert und bewahrt. Sie umarmt und umfasst ihre vorangegangenen Ebenen. Zellen transzendieren und bewahren Moleküle, und Moleküle tranzendieren und bewahren Atome. Jede höhere Ebene ist – in menschlichen Begriffen – eine Zunahme von Liebe, Umfassen und Fürsorge, und was die moderne westliche Erleuchtung getan hat war, dass sie die zwei maskulinen Modi betont hat, und zwar Agenz und Eros. Die zwei femininen Modi Kommunion und Agape wurden jedoch vernachlässigt. Worum es also geht ist, diese Unausgewogenheit aufzuheben, doch das bedeutet nicht die Verneinung von Individualität und Agenz und Eros. Dies sind Wahrheiten die uns die repräsentative Demokratie gebracht  haben, die Menschenrechte, und die universellen Rechte von Männern und Frauen – all das ist vom maskulinen Modus gekommen. Die exzessive Anwendung dieses Modus jedoch hat zu einer Welt geführt in der es nur billardballähnliche Ansammlungen isolierter Individuen ohne Kommunion und Agape gibt. Diese Wahrheiten [des femininen Modus] gilt es hinzuzufügen zu den Wahrheiten, die der maskuline Modus gebracht hat. Ein Problem bei denjenigen die den femininen Modus unterstützen ist, dass sie versuchen das was der maskuline Modus erreicht hat abzulehnen, oder gar zu zerstören. Doch das wäre ein Katastrophe. Was wir tun wollen ist eine Ergänzung. Wir möchten Möglichkeiten der Wissenschaft, des Lebens und des in-der-Welt-seins, die Kommunion und Agape beinhalten. Dies ist ein Teil des integralen Ansatzes, der aus fünf Hauptkomponenten besteht, und zwar Quadranten, Ebenen, Linien, Zuständen und Typologien. Dies sind fünf Hauptkomponenten – und man kann noch mehr nennen – einer jeden Situation die es zu berücksichtigen gilt, wenn man so umfassend wie möglich sein möchte. Bei den Typologien ist das Maskuline und das Feminine mit enthalten, und mit dem  Beginn der Moderne hat es definitiv eine Störung dieses Gleichgewichtes gegeben, durch eine ernüchternde, Abstand nehmende agentische Individualität, ohne ein Zusammenbringen in einer größeren Gemeinschaft und eine liebende und führsorgende Agape.

Frage: Glaubst du, dass ein höherer Prozentsatz von Frauen in gesellschaftlichen und kulturellen Führungspositionen zu dieser Veränderung beitragen würde?

KW: Ganz allgemein gesprochen lautet die Antwort darauf: Ja. Doch das hängt natürlich auch von den Frauen ab. Es gibt Frauen die eine maskuline Herangehensweise haben, es reicht also nicht aus nur zu sagen, „wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen.“ Da Frauen jedoch einen größeren Anteil an Beziehungsorientierung, Kommunion und Agape haben, würde die Öffnung von Führungspositionen für mehr Kommunion, Beziehung, Fürsorge und Verantwortung diese Positionen für Frauen attraktiver machen. Ich bin kein Befürworter einer Quotenregelung, wo z. B. die Regel aufgestellt wird dass 50% eines jeden Jobs von Frauen besetzt sein muss. Ich befürworte jedoch definitiv Veränderungen der Bewusstheit und den  Vorstellungen in einer Weise, dass diejenigen Aspekte mit einbezogen werden, auf die Frauen wenn man so sagen möchte spezialisiert sind, was bedeuten würde dass bei Stellenausschreibungen die Chancen der Frauen diese Jobs zu bekommen sich erhöhen. Es geht also mehr darum die Möglichkeiten zu erweitern, anstatt ein Quotensystem einzuführen.  

Frage: Glaubst du, dass diese mehr maskuline Perspektive der modernen Welt, die wir im zwanzigsten Jahrhundert so deutlich gesehen haben, auch auf politische Strukturen wie den Kommunismus Einfluss genommen hat, der sehr stark die Kommunion vor der Individualität betont hat?

KW: Ich denke dass zur Erläuterung was dabei geschah war wir eine weitere Dimension einführen müssen, und zwar die vertikale Dimension von Wachstum, Entwicklung und Genealogie. Dabei handelt es sich um allgemeine Entwicklungsstufen über die ich schon gesprochen habe, wie archaisch, magisch, mythisch-konformistisch, rational-individualistisch, pluralistisch-postmodern. Diese Entwicklungsstufen haben auch einen Einfluss auf gemeinschaftliche Organisationsformen, und jede dieser Bewusstseinsstufen steht in einem Zusammenhang mit einer bestimmten techno-ökonomischen Produktionsweise: Archaisch, magisch, mythisch, rational, und pluralistisch korrespondieren daher mit Jagen und Sammeln, Gartenbau, Ackerbau, industriell, und informationell. Ein Teil dessen was der Marxismus machte bestand in dem Versuch, eine pluralistisch-kommunale Lebenswiese einzuführen. Die Schwierigkeit bestand darin, dass diese Vorstellungen von einer pluralistischen Entwicklungsstufe formuliert wurden, jedoch in Gesellschaften eingeführt wurde die sich auf einer techno-ökonomischen Entwicklungsstufe des Ackerbaus befanden, mit einer entsprechenden Orientierung einer mythischen fundamentalistischen Gruppenzugehörigkeit. Das führte zu dem großen Problem, dass diese Ideen zwei Entwicklungsstufen der techno-ökonomischen Basis voraus waren, die notwendig war um die Ideen zu unterstützen. Es reicht also nicht nur auf maskuline und feminine Herangehensweisen zu schauen. Der Versuch bestand darin, das Maskuline und das Feminine in ein Gleichgewicht zu bringen, ohne sich dabei auf moderne und postmoderne techno-ökonomische Grundstrukturen stützen zu können. Das was dafür zur Verfügung stand waren relativ primitive agrarische Strukturen. Das konnte, schon allein aus diesem Grund, zu keinem Erfolg führen. Es führte dazu, dass der Marxismus zu einer fundamentalistischen Religion und einer absolutistischen Glaubensvorstellung wurde. Dies ist ein Teil der mythischen Entwicklungsstufe, ein mythisch dogmatisch fundamentalistischer Ansatz gegenüber der Wirklichkeit. Marxismus wurde zu einem absolutistischen System, von dem man glaubte dass es mit absoluter Sicherheit richtig wäre, und einen wissenschaftlichen Ansatz für die ökonomischen Entwicklungsstufen des Menschen darstellte, und dass er der Schlüssel wäre für die nächste Stufe der Evolution und Transformation. In all dem war auch ein Stück Wahrheit, von der pluralistischen Bewusstseinsstufe aus gesehen, doch die Länder und Nationen in denen der Marxismus eingeführt wurde befanden sich in keiner Weise auf der pluralistischen Entwicklungsstufe, sondern auf der fundamentalistischen Entwicklungsstufe. So wurde der Marxismus philosophisch gesehen zu einem absolutistischen System, vergleichbar mit einem fundamentalistischen Christentum oder einem fundamentalistischen Islam, wo man mit absoluter Sicherheit etwas glaubt. Das ist einer der Hauptgründe warum der Marxismus versagte, und warum die postmodernen Attacken auf frühere Formen des Denkens auch eine Attacke auf dem Marxismus waren.

Frage: Wenn wir den Marxismus betrachten, und auch andere Ansätze für mehr Frieden und Gerechtigkeit, glaubst du dass wir von der Individualität zur Gemeinschaft gelangen können, ohne dabei die Bewusstheit unserer eigenen Individualität zu verlieren?

KW: Das ist eine sehr gute Frage, und ich denke die Antwort darauf hat primär etwa zu tun [mit folgendem]: Das führende [leading edge] derzeitige westlichen Denken, ob politisch,  soziologisch, oder philosophisch, ist im Wesentlichen der pluralistische Postmodernismus. Das ist eine Entwicklungsstufe die sehr relativistisch sein kann. Sie verleugnet die Existenz von Universellem, allgemeine Muster und Strukturen, und konzentriert sich im Wesentlichen darauf dass jede Kultur ihre eigene Wahrheit hat. Das macht es sehr schwierig irgendeine Art von menschenübergreifenden und kulturübergreifenden Gemeinsamkeiten festzustellen. Gleichzeitig erleben wir dabei eine große Betonung des Kollektiven, in Form von „die soziale Struktur erschafft die Wirklichkeit.“ Die so genannte soziale Konstruktion allen Wissens. Das integrale Denken bezeichnet dies als Quadranten-Absolutimus.

(die Quadranten sind einer von fünf Hauptaspekten des integralen Rahmens, und sie beziehen sich auf die Dimensionen oder Perspektiven über die alle Menschen verfügen – das Innerliche und das Äußerliche des Individuellen und des Kollektiven. Dadurch erhalten wir vier Dimensionen: das innerliche des Individuums, beschrieben in Ich-Sprache; das Innerliche des Kollektiven, wie z. B. gemeinschaftlich geteilte Werte, Bedeutungen, und linguistische und semantische Formen, oft formuliert mit dem Pronomen „Wir“; und auf der äußeren Seite finden wir das Äußerliche des Individuums, die Betrachtung des Individuums auf eine objektive Weise, und das beinhaltet Atome, Moleküle, Zellen, die Organe, neuronale Gewebe, das Skelett und die Muskel, das ist das medizinische Modell, das wissenschaftlich-materialistische Modell gegenüber Individuen, beschrieben in Es-Sprache, ein Ansatz der dritten Person; und dann gibt es noch die dritte Person Plural, das kollektive Aussehen von Gemeinschaften von Individuen, wie es beispielsweise von der Systemtheorie beschrieben wird, Ansätze mit einer holistischen Herangehensweise gegenüber Äußerlichkeiten. Systemtheorie umfasst nicht innerliche Werte oder Bedeutungen oder spirituelles Erwachen oder Schönheit oder etwas in der art. Dies finden wir nur in Räumen des Ich und des Wir).

Viele dieser Ansätze nehmen lediglich nur einen Quadranten und verabsolutieren ihn, als den einzig realen Quadranten. Es gibt Ansätze die das Innerliche eine Individuums als das grundlegend Reale betrachten, von der Phänomenologie bis zum Zen Buddhismus, Bewusstseins wird als das Ultimative angesehen. Dann gibt es die Ansätze des wissenschaftlichen Materialismus, die ein Individuum lediglich von außen her betrachten, auf eine objektive Weise, das ist der verbreitete moderne wissenschaftliche Ansatz, der meint dass nur Objekte wirklich real sind. Was die Postmoderne begann linguistische Strukturen zu untersuchen, die als Bedeutungssysteme funktionieren, und nicht durch Phänomenologie entdeckt werden können, sondern durch Methodiken wie den Strukturalismus und den Neostrukturalismus, und man fand dabei heraus dass die Wirklichkeit, oder das was wir Wirklichkeit nennen, ein Ergebnis dessen ist wie wir – meist auf eine unbewusste Weise – unsere Wahrnehmungen konzeptualisieren. Dies wird die „soziale Konstruktion des Wissens“ genannt. Die Postmoderne geht sogar so weit zu sagen dass auch die moderne, rational, empirische  Wissenschaft keine universellen Wirklichkeiten erfasst, sondern das Ergebnis von sozialen Aktivitäten und Praktiken ist. Das ist eine Verabsolutierung des Wir-Quadranten in der Form, dass gesagt wird dass das „Wir“ jegliche Wirklichkeit erschafft, das Ich, das Es, das Es (Plural). Dies ist eine extreme Version des Postmodernismus. Die Wahrheit die darin liegt ist, dass alle Kulturen die Wirklichkeit auf unterschiedliche Weise betrachten, mit unterschiedlichen Bedeutungssystemen, so dass wir nicht einfach behaupten können, dass unserer Ansatz gegenüber der Wirklichkeit – z. B. die Sozialwissenschaft die jemand in San Franscisco betreibt – dass die für alle Kulturen gilt. Das war eine Behauptung der westlichen Aufklärung, die ihrerseits zu weit ging zu sagen, dass Es-Studien gleichermaßen für alle Kulturne gelten würden. Dies wurde durch den Postmodernismus aufgedeckt, der herausfand was alles in Ansätzen gegenüber der Wirklichkeit ausgelassen, marginalisiert, oder ausgeschlossen wurden. Eines der ersten Dinge dabei die ausgelassen worden waren war das Feminine. Weiterhin wurden Versionen der Wirklichkeit von Menschen mit dunkler Hautfarbe ausgelassen, so wie auch Homosexuelle, und viele anderen Formen eines marginalisierten Bewusstseins, welche die Moderne nicht berücksichtigt hatte, wurden aufgedeckt. Aus dem Bemühen dies zu korrigieren entstand die Postmoderne. Es gibt dabei – noch einmal – eine Menge von Teilwahrheiten die uns die Postmoderne bringt, doch indem sie sich selbst verabsolutiert schafft sie sich große Probleme. Alles wurde dekonstruiert, einschließlich der Postmoderne selbst. Dadurch geriet die Postmoderne als ein Ansatz für die Erklärung der Wirklichkeit in eine Sackgasse. Es gibt mittlerweile buchstäblich Hunderte von Büchern mit Titeln wie Über den Postmodernismus hinaus oder Was kommt nach dem Postmodernismus?

Wenn man sich mit Entwicklungsstudien beschäftigt, dann stellt man fest dass einer der Haupteinflussfaktoren für den Traditionalismus und traditionelle Werte, und den Modernismus und moderne Werte, und den Postmodernismus und die postmodernen Werte die jeweilige Entwicklungsebene des Bewusstseins ist, auf der sich Individuen befinden. Auf der mythisch-konformistischen Ebene vertritt ein Mensch absolutistisch/traditionelle und fundamentalistische Werte, die als absolut gültig angesehen werden. Auf der modernen, traditionellen, formal operationalen Entwicklungsstufe sind Menschen offen für Ansichten einer dritten Person, speziell den wissenschaftlichen Ansätzen gegenüber der Wirklichkeit, und eine Extremform davon ist ein wissenschaftlicher Materialismus. Mit der Weiterentwicklung in die postformalen und pluralistischen Entwicklungsstufen und Bewusstseinsformen taucht die postmoderne Weltsicht auf, und die Welt erscheint als eine pluralistische Ansammlung von sozial konstruierten Wertesphären. Daher ist es wichtig, all die unterschiedlichen Wertesphären zu würdigen und keine zu marginalisieren. Der Pluralismus kann jedoch aus sich selbst heraus nicht erkennen, wie all die unterschiedlichen Wertesysteme in Beziehung zueinander stehen. Die postformale, postmoderne Entwicklungsebene hat noch nicht die kognitive Fähigkeit, um die gemeinsamen Muster zu erkennen, die diese multikulturellen Unterschiede vereinen. Diese Fähigkeit entwickelt sich erst mit der nächsten Entwicklungsstufe, der die verschiedenen Entwicklungsforscher unterschiedliche Namen gegeben haben wie: autonom, integriert, integral, selbst-aktualisierend. Es gibt also eine konkrete Stufe auch der psychologischen Entwicklung über die postmoderne Entwicklungsstufe hinaus. Das ist die Entwicklungsstufe von der ich gesprochen habe die sich mehr und mehr zeigt, von 2% zu heute etwa 5%, und wir glauben dass in vielleicht zehn Jahren der Anteil derjenigen die sich auf dieser Entwicklungsstufe befinden bei 10% liegen könnte. Zur Zeit jedoch ist das vorherrschende führende Denken immer noch pluralistisch und postmodern. Dieses Denken vertritt gute Teilwahrheiten, doch für sich selbst genommen ist es eine Sackgasse, es kann nicht über sich selbst hinausgehen. Wenn es das versucht, führt das oft zu Nihilismus und Narzissmus, worauf schon oft hingewiesen wurde. Das ist ein Teil des Problems welches wir derzeit haben. Die vorherrschenden Denker [leading edge] sind in einer Sackgasse.

 

Teil 3 Perspektiven auf die Kulturkriege

Frage: Denkst du, dass wir Dinge wie Demokratie, die Vereinten Nationen und die Menschenrechte dem pluralistischen Standpunkt zu verdanken haben? Eine weitere Frage ist: meinst du dass wir über den universalistischen Diskurs diese Dinge, mit ihrem westlichen ethnozentrischen Kern hinausgehen können?

KW: Ja, ich denke dass in einem größeren Maßstab Dinge wie die vereinten Nationen und andere Versuche für eine art Weltföderation ihren Antrieb bekommen durch die vorherrschende und führende postmoderne Denken. Das ist das Ergebnis einer Verschiebung. Ursprünglich wurden die vereinten Nationen geschaffen durch die moderne universalistische Entwicklungsebene. Die Vorstellung dabei war, dass alle Männer und Frauen gleich sind, und dass daher alle Staaten und Nationen auf einer gleichberechtigten Basis zu betrachten sind. Das begann also als ein moderner weltzentrischer Ansatz. Als jedoch die Postmoderne sich zu entwickeln begann, kam es in vielen dieser Strukturen, einschließlich der vereinten Nationen zu einer Veränderung, von einem Modus der Moderne zur einem postmodernen Modus. Das hat zu einer Zunahme der Bewusstheit darüber geführt, dass der gültige universalistische Modus immer noch ein Vorurteil war, und immer noch westliche oder eurozentrische Modi beinhaltete. Das führte zu einer sehr scharfen Kritik an der Moderne durch die Postmoderne. Dies waren sowohl gute wie auch schlechte Nachrichten. Die guten Nachrichten bestanden darin, dass das Projekt der Moderne gewissermaßen vervollständigt wurde, als ein Versuch alle Männer und Frauen gleich zu behandeln. Die Postmoderne knüpfte daran an und sagte, „ja, aber ihr habt die Homosexuellen vergessen, und auch die Frauen (obwohl ihr sie gleich behandeln wolltet), und auch all die anderen Kulturen, von Afrika bis Indien, und auch wenn ihr sagt dass ihr weltzentrisch seid, seid ihr es nicht wirklich, also lasst und das jetzt machen.“ Die Postmoderne kritisierte sehr scharf die Moderne. Die schlechte Nachricht dabei war, dass sehr viele Menschen sich noch nicht bis zur Ebene der Moderne entwickelt haben, und prä-modern, prä-rational, magisch und mythisch sind. Das Spektrum der Entwicklungsebenen reicht von egozentrisch zu ethnozentrisch zu weltzenztrisch zu kosmozentrisch (Letzteres entspricht den integralen Entwicklungsstufen). Doch die erste weltzentrische Entwicklungsebene war die Moderne. Sie war die erste Ebene, die sich über die reine ethnozentrischen Modi hinausentwickelte. Vor der westlichen Aufklärung gab es ausschließlich die traditionellen, ethnozentrischen Gesellschaftsstrukturen, aufgebaut auf einer bestimmten religiösen Form. Wenn man mit dem Staat nicht einverstanden war,dann beging man sowohl ein politisches wie auch ein religiöses Verbrechen. Mit der Moderne wurden die Wertesphären von Kunst, Moral und Wissenschaft differenziert, und das war ein sehr positiver Aspekt der Moderne. Zusätzlich wurden erstmals Rechte auf alle Menschen übertragen. Das begann mit den Rechten für alle Männer, dann alle farbigen Männer, alle Frauen, und auch Kinder. In eine Zeitraum von einhundert Jahren vertilgte die moderne Struktur die Sklaverei vom Angesicht der Erde. Alle vorhergehenden Gesellschaftsformen, einschließlich Jagen und Sammeln, Gartenbau und Ackerbau hatten Sklaverei. Erst mit dem modernen, rationalen und industriellen Modus, innerhalb  eines Zeitraums von einhundert Jahren, wurde die Sklaverei aus allen industrialisierten Nationen der Welt verbannt. All das waren gute Neuigkeiten. Das war der erste Versuch, jeden gleich und fair zu behandeln. Die Schwierigkeit der Postmoderne war die vollständige Attacke auf die gesamte Moderne, die Aufklärung insgesamt wurde als falsch angesehen. Anstatt die westliche Aufklärung mit Wahrheiten zu ergänzen, wurde sie vollständig dekonstruiert – alles daran war falsch. Das Problem dabei ist, dass 70% der Weltbevölkerung sich noch nicht bis zur Ebene der Moderne entwickelt hat, was bedeutet dass diese Menschen sich entweder in egozentrischen oder enthnozentrischen Modi befinden, ob als fundamentalistischer Muslim der als Terrorist agiert, oder ein Baptist der Südstaaten der USA, der Bombenanschläge auf Abtreibungskliniken verübt, oder ob es sich um eine Sikh-Separatisten handelt, oder um eine Buddhisten der einen Anschlag mit Saringas in der Tokioer U-Bahn verübt. Dies sind alles ethnozentrische Handlungen, und so lange sich Menschen auf ethnozentrischen oder niedrigeren Bewusstseinsebenen befinden, wird es eine Art von „Krieg der Werte“ geben. Wie ich schon sagte, 70% der Weltbevölkerung befindet sich auf einer ethnozentrischen oder niedrigeren Entwicklungsstufe. Sie haben sich noch nicht zur modernen, rationalen Entwicklungsstufe entwickelt. Als die Postmodernisten die Moderne verwarfen und zerstörten, zerstörtensie genau diejenige Entwicklungsstufe die notwendig ist, um überhaupt zur Postmoderne zu gelangen. Die vollständige Ablehnung der westlichen Aufklärung ist selbstmörderisch. Dies sind sowohl die guten wie auch die schlechten Nachrichten der Postmoderne. Diesen Weg dem die Postmoderne gegangen ist bezeichne ich als prä/trans Verwechselung, eine Verwechselung von präkonventionell und postkonventionell. Durch die Attacken auf die Moderne wird die Prämoderne verstärkt. Weil die Postmoderne sich mit dieser grundlegenden Verwirrung entwickelt hat, sehe ich den einzigen Weg, wie politische Organisationen wie die Vereinten Nationen wirklich umfassend werden können darin, wenn die integralen Bewusstseinsstufen anfangen in diesen Organisationen sich durchzusetzen. So wie es eine Bewegung von der Moderne zur Postmoderne in den zurückliegenden 20 Jahren gab, wird es, glaube ich, in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren einer Verschiebung geben vom Postmodernen zum Integralen. Das Integrale umfasst die Wahrheit der Postmoderne, aber es umfasst ebenso die ganz wichtigen Wahrheiten der Moderne und der Prämoderne. Wir beginnen jetzt diese Veränderung zu sehen, vom pluralistischen Modus zum  mehr integralen Modus, und das wird uns aus den Flachland Ansätzen, die innerliche Zustände nicht anerkenne, herausbringen, und es bringt uns auch aus den Attacken gegenüber der Moderne heraus, welche die Moderne komplett verwerfen und dekonstruieren, und erreicht haben das jegliche Bedeutung dekonstruiert wird. Die Schattenseite der Postmoderne ist, dass keine Überzeugungen mehr übrig sind die öffentlich zum Ausdruck gebracht werden  können. Kein Postmodernist nimmt irgendeine Überzeugung ernst. Diese werden lediglich als soziale Konstruktionen, als Ergebnisse von Geschichte, als vorübergehend und nicht-universell betrachtet, und daher bleibt der Postmoderne nur die Kritik an allem was existiert. Kommt man einmal an den Punkt wo alles kritisiert und dekonstruiert wird, an den die Postmoderne gelangt ist - alles wurde dekonstruiert -, dann verbleibt der Postmoderne lediglich ihr eigener Narzissmus und Nihilismus.

Eine kurze Antwort auf deine Frage ist, dass ich glaube dass Organisationen wie die Vereinten Nationen heute größtenteils von pluralistischen Modus gesteuert sind, als einem Versuch alle Menschen und alle Überzeugungen gleich zu behandeln, was jedoch zu keinem wirklichen Erfolg führt, weil die modernen Werte gehasst werden, und integrierte Werte gehasst werden, und daher von einer Umfassendheit nicht gesprochen werden kann. Weil das so ist, werden eine wahrhaft umfassende Kultur und eine wahrhaft umfassende Weltföderation oder Vereinten Nationen dann entstehen wenn eine ausreichende Anzahl von Menschen, 20, 30, 40, 50 Prozent, dieser Organisationen sich aus Individuen zusammensetzen, die sich zu einer integralen Bewusstseinsebene entwickelt haben. Ich denke dass wir uns in diesen allmählichen Prozess jetzt befinden. Das ist der Grund warum sich Menschen des integralen Ansatzes bewusst werden, und natürlich gibt es viele verschiedene integrale Ansätze. Das wird als etwas Aufregendes erlebt, man hat das Gefühl dass etwas in der Luft liegt, dass sich etwas Wichtiges ereignet, und das sich etwas wirklich Grundlegendes zu verändern beginnt. Nach den fünf oder sechs Haupttransformationen, die sich bisher in der Welt ereignet haben, von archaisch zu magisch zu mythisch zu rational zu pluralistisch; von Jagen und Sammeln zum Gartenbau zur Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft – scheinen wir jetzt an der Schwelle zu einer weiteren Haupttransformation zu stehen. Und das ist etwas, was sich erst fünf oder sechs mal im Verlauf der Menschheitsgeschichte ereignet hat. Es sieht so aus, als ob zur Zeit eine weitere Haupttransformation stattfindet. Dabei scheint es sich um etwas extrem Grundlegendes zu handeln, weil es die erste Transformation zu sein scheint die Menschen auf eine Bewusstseinsstufe hebt, die alle vorangegangenen Stufen umfasst und aufnimmt. Das ist der Grund warum diese Stufe manchmal auch mit „2nd tier“ bezeichnet wird. Es ist ein großer Sprung von den Strukturen des 1st tier, von denen jede glaubt dass sie den einzig richtigen Ansatz hat, zum 2nd tier oder dem Integralen, als der ersten Struktur die der Meinung ist, dass alle Strukturen wichtige Wahrheiten enthalten, und dass sich jeder durch dass gesamte Spektrum entwickelt. Jeder beginnt mit dem kleinen Einmaleins, und entwickelt sich durch eine archaisch Periode, eine magische Periode, eine mythische Periode, eine rationale Periode, eine pluralistische Periode – und die integralen Entwicklungsstufen sind die ersten Stufen, die das intuitiv begreifen. Sie sind die ersten die Platz haben für all diese Ansätze. Das ist eine Transformation die wir noch niemals im Verlauf der Geschichte gesehen haben. Dies scheint eine Transformation zu sein, die nicht alleine auf Vorstellungen gegründet ist, wie beispielsweise die Idee der Dekonstruktion, die  etwas ist was man lernen muss, sondern sie basiert auf einer konkreten Stufe menschlichen Wachstums. Individuen entwickeln sich durch diese Stufe auf eine verinnerlichende Weise hindurch. Es ist ein Territorium in das sie sich hineinentwickeln, und nicht etwas was es zu lernen gilt, ebenso wenig wie eine Eiche lernen muss wie es ist Blätter zu haben. Es ist ein der menschlichen Natur wesenseigener Teil, und diese Stufe scheint sich jetzt in unserer Zeit zu entfalten. Daher liegt etwas Aufregendes in der Luft.

Frage: Wie werden die Menschen, die das erreichen, die Kluft angehen, die zwischen ihnen besteht und denjenigen, welche diese Stufe noch nicht erreicht haben?

KW: Das ist die 64.000 Dollar Frage. [Lachen] Das ist die Frage aller Fragen. Das Thema hat sehr viele Aspekte, und ich beginne mit einer kurzen Antwort, und zwar was die Hilfestellung bei der Transformation anderer Menschen angeht: dies ist und bleibt ein Mysterium. Die Entwicklungspsychologie weiß sehr viel über die konkrete Phänomenologie von Entwicklung. Sie kennt beispielsweise die archaischen Instinkte der archaischen Stufe; die magische Kognition der magischen Stufe, wo Worte nicht von den Objekten differenziert werden die sie repräsentieren, so dass der Glaube besteht dass man die Welt durch Voodo Rituale beeinflussen kann; und das Mythische ist der Schritt von egozentrischen zum ethnozentrischen fundamentalistischen Ansatz, wo universelle Wahrheiten ausschließlich im Rahmen der eigenen Mythologie erkannt werden, was meist zu einer einzigen Gottheit führt,  einem Propheten und einem Buch, und dieses eine Buch enthält für immer geltende ewige Wahrheiten, ein sehr absolutistisches Denken; und dann das Rationale, welches eine Perspektive einer dritten Person hinzufügt, mit universellen und postkonventionellen Betrachtungen menschlicher Wesen, doch diese universelle Sicht tendiert dazu fixiert zu sein, und ist gefärbt durch die Kultur in welcher sie formuliert wird, was z. B. bedeutet dass der wissenschaftliche Ansatz gegenüber dem Menschen eurozentrisch gefärbt ist; und dann weiter [zum Pluralistischen] und zum Integralen. Es gibt also ein gutes Verständnis über diese Entwicklungsstufen und ihr Auftreten, doch was wir nicht wissen ist, wie und warum sie sich ereignen. Manchen Menschen scheinen sich durch diese Stufen relativ schnell zu entwickeln, bei anderen verläuft diese Entwicklung schlecht oder gar nicht. Es gibt unterschiedliche Praktiken die man machen kann, und die das vertikale Wachstum zu fördern scheinen. Eine davon besteht darin, Menschen die Rolle von anderen Menschen einnehmen zu lassen, und deren Perspektive einzunehmen. Was für Entwicklung allgemein gilt ist, dass immer mehr Perspektiven dabei berücksichtigt werden können. Eine magische, präkonventionelle Entwicklungsstufe ist ausschließlich an einer ersten Person orientiert, eine narzisstische und machtorientierte Orientierung, die nur die eigene und keine andere Sichtweise berücksichtigt. Entwickelt man sich dann weiter in die mythisch-konformistische Bewusstseinsebene, dann wird eine Perspektive einer zweiten Person hinzugefügt, man kann dann die Rollen von anderen einnehmen, doch ist meist noch darin gefangen, und kann hinsichtlich dessen was andere denken sehr konformistisch werden. Praktisch alle Entwicklungsforscher kennen und benennen eine sehr konformistische, konventionelle, dogmatische, absolutistische und sehr starre Entwicklungsstufe. Dann wird im Verlauf der weiteren Entwicklung im modernen, rationalen und egoischen Modus, die Perspektive einer dritten Peron hinzugefügt, und das führt zum Entstehen von Formen der Wissenschaft. Die Wertesphären von Kunst, Moral und Wissenschaft, das Schöne, das Gute und das Wahre, werden voneinander differenziert, und jeder von ihnen wird erlaubt, auf ihrem eigen Weg voranzuschreiten, als Ergebnis der universalen Perspektive einer dritten Person; und dann fügt die pluralistische Entwicklungsstufe noch die Perspektive einer vierten Person hinzu, die wiederum in der Lage ist die universelle Perspektive der Entwicklungsstufe der Moderne zu differenzieren, und das führt zu einer multikulturellen Sicht der Wirklichkeit. Die Schattenseite davon ist, dass keine Vorstellung darüber besteht, wie die unterschiedlichen multikulturellen Ansichten zusammengehören. Man bleibt dabei in einer fragmentierten, zerbrochenen und dekonstruierten Weltsicht stecken. Die integrale Entwicklungsstufe fügt dem eine Perspektive einer fünften Person hinzu – das sind Dinge die so auch gemessen werden. Jane Lovinger beispielsweise spricht von Perspektiven einer ersten, zweiten, dritten, vierten und fünften Person als Meilesteine von Wachstumsstufen. Das ist auch der Grund, warum die eigene Fähigkeit zu Fürsorge und Liebe mit jeder Entwicklungsstufe zunimmt. Von egozentrisch (ich liebe nur mich selbst) zu ethnozentrisch (ich liebe meine Gruppe, meinen Stamm, meine Familie, meine Nation) zu weltzentrisch (ich liebealle menschlichen Wesen, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft). Dies bedeutet also eine Erweiterung von Bewusstsein, Bewusstheit und Gefühlen, doch – noch einmal – wie das geschieht ist ein Geheimnis und ein Mysterium.

Die Ebene des 2nd tier ist eine sehr ambivalente Position. Zum einen ist es etwas sehr Gutes, weil man durch die Fähigkeit der Einnahme einer Perspektive einer fünften Person intuitiv erkennt, dass alle vorangegangenen Ebenen wichtig sind. Man versteht intuitiv, dass jeder Mensch eine Position vertritt die teilweise wahr ist. Diese Bewusstseinsstruktur ist sehr umfassend und aufnehmend, mit sehr viel Liebe und Fürsorge. Sie führt zu einer Haltung des gemeinsamen Guten, wo man soziopolitisch das Richtige tut. Doch in der Begegnung mit Menschen auf den 1st tier Ebenen beginnen die Probleme, weil Menschen die sich auf diesen Entwicklungsstufen befinden mit dem integralen Ansatz nicht einverstanden sind. Sie sind entweder einverstanden mit ihrem traditionell-fundamentalistischen Ansatz, oder sie stecken im wissenschaftlich-materialistischen Ansatz fest (und wollen überhaupt nichts mit Innerlichkeit zu tun haben, die linksseitigen Quadnraten bleiben dabei unberücksichtigt), oder man ist Pluralist und berücksichtigt Innerliches, berücksichtigt jedoch keinerlei allgemein Gültiges was die multikulturellen Fragmente verbindet. Gute universelle Gemeinsamkeiten werden dabei nicht gesehen. Das führt zu einem – wie es genannt wird – performativen Widerspruch, weil behauptet wird dass die eigene Wahrheit universell wahr sei. Menschen wie Jürgen Habermas oder Charles Taylor haben auf diesen fundamentalen Widerspruch des postmodernen Standpunktes hingewiesen. Wenn jemand auf der integralen Entwicklungsstufe versucht, den integralen Ansatz Menschen auf der traditionellen, der modernen oder der postmodernen Entwicklungsstufe zu erläutern, dann ist alles möglich, von einem verständnislosen Blick bist zu offener Feinseligkeit. Menschen auf einer integralen Entwicklungsstufe verstecken sich daher oft, vergleichbar mit Homosexuellen die sich verstecken und sich nicht zur Tatsache ihres Schwulseins zu bekennen, weil die Gesellschaft in der sie leben dem ablehnend gegenüber steht. Ähnlich geht es Menschen auf einer integralen Entwicklungsstufe. Jedes mal wenn sie versuchen diese umfassendere Sichtweise zu erklären, treffen sie auf  Unverständnis, Irritationen, gelangweilt sein oder Zorn. Worum es also gehen wird ist, dass Menschen mit einer integralen Sichtweise mehr und mehr lernen diese Sichtwiese für Menschen auf den vorhergehenden Entwicklungsstufen entsprechend zu übersetzen, z. B. durch die Verwendung von traditioneller Sprache (für die traditionelle Entwicklungsebene), um die Sichtweise der betreffenden Person innerhalb der traditionellen Ebene zu erweitern. Das gleiche gilt für die Entwicklungsebene der Moderne, wo man moderne, wissenschaftliche und objektive Begriffe verwendet, eine Art Herunterübersetzung, zur Vermittlung der integralen Sichtwiese, und um die Weltsicht innerhalb der modernen Entwicklungseben zu erweitern. Analog dann auch für die Postmoderne. Die Postmoderne versucht integral und umfassend zu sein, und kümmert sich um die marginalisierten und vernachlässigten gesellschaftlichen Aspekte, doch sie ist nicht wirklich integral weil sie die Moderne hasst, ihr an allem die Schuld gibt und keine ihrer Werte akzeptiert. Das Integrale, die Post-Postmoderne wird auch von der Postmoderne gehasst – das ist nicht wirklich umfassend und integral.

Es ist ein echtes Thema: Wie kann das Integrale zu den nicht-integralen Entwicklungsstufen sprechen? Ein wichtiger Punkt dabei ist die Übersetzung der Inhalte in die Begriffe der jeweiligen Ebene zu der gesprochen wird: Prinzipien und Werte für die Traditionalisten, Gewinnorientierung für Menschen auf der modernen Entwicklungsebene, eine personenbezogene Sprache zu jemandem der pluralistisch ist. Wonach man dabei speziell Ausschau hält sind Menschen auf der pluralistischen Entwicklungsebene die bereit sind, sich zum Integralen zu bewegen. Etwa ein Drittel der Menschen auf der pluralistischen Entwicklungsstufe stehen gewissermaßen am pluralistischen Ausgang, sie waren für zehn oder zwanzig Jahre auf dieser Entwicklungsstufe, haben diese Ebene voll geschmeckt, sind jetzt auf die Widersprüche dieser Ebene gestoßen, und fühlen sich dort nicht mehr zu Hause. Irgend etwas stimmt grundsätzlich nicht mehr, und sie sind bereit sich zum Integralen zu bewegen. Spricht jemand auf der integralen Stufe mit jemandem der sich am Ausgang des Pluralismus befindet, dann kann ersterer als ein Veränderungsauslöser wirken, und die Transformation erleichtern. Ich denke dass das auch jetzt geschieht. Es gibt eine Reihe von Menschen in Führungspositionen, auch politische Führer, die sich des integralen Ansatzes voll bewusst sind. Bill Clinton und Al Gore haben beide öffentlich diesen Absatz empfohlen. Hier beginnt also etwas, und das wird einen Einfluss auf die anderen Entwicklungsstufen haben, speziell auf diejenigen Menschen die sich am Ausgang des Pluralismus befinden, und bereit für den nächsten Schritt sind. Ich glaube dabei handelt es sich um eine große Anzahl von Menschen. Organisationen von den Vereinten Nationen bis zu den NGOs operieren seit zwei Jahrzehnten oder länger auf der Grundlage pluralistischer Werte, und sie haben das Bestmögliche daraus gemacht, doch jetzt stoßen sie auf Widersprüche und die Tatsache, das der postmoderne Pluralismus, nachdem er die vernachlässigten Bereiche mit aufgenommen hat, nicht weiß wie dies alles zusammenpasst, und daher nur eine große Zahl fragmentierter Subkulturen erkennt, die voneinander isoliert sind und nicht miteinander sprechen können. Diese Isolation tendiert zu einer Regression in die Ethnozentrik und den Fundamentalismus, und das ist das was wir jetzt erkleben. Wir beobachten sehr viel Regression, wo jede isolierte Subkultur in der Welt der Meinung ist sie hätte absolute Rechte. Was wir jedoch hoffen ist, dass Führungspersönlichkeiten beginnen integrale Sichtweisen öffentlich zu vertreten. Das geschieht auch, und da ist ein sehr aufregender Aspekt bei der integralen Revolution.

 

Teil 4 Die Architektur des Wachstums

Frage: Ich möchte dich fragen wie du das machst, wenn du ein Buch schreibst wie beispielsweise A Brief History. Es hat eine evidente, logische Struktur, die Argumentation ist sehr fundiert und rational, wie geht das? 

KW: Was man mit einem Buch wie A Brief History macht ist, zu Menschen durch die drei großen Entwicklungsstufen zu sprechen, und zwar die mythisch-traditionelle Stufe, die rational-moderne Stufe, und die postrationale-postmoderne Stufe. Man versucht, aus allen drei dieser Stufen heraus zu sprechen, z. B. in dem man Schlüsselworte verwendet die eine Resonanz zu diesen Stufen haben. Für die traditionelle Stufe sind das grundlegende Prinzipien, Sicherheiten und absolutistische Wirklichkeiten. Für die moderne Stufe sind das Logik und Beweise. Hier geht es um Beweisbarkeit, um Fakten und um logische Argumente. Die Postmoderne hingegen möchte die Innerlichkeiten mit aufnehmen und die Aufmerksamkeit auf die Subjektivität lenken, als einem zentralen Aspekt von Wirklichkeit. Ich versuche daher durch und zu allen diesen drei Ebenen zu sprechen, und man vermeidet dabei Begriffe oder Themen, die für die jeweiligen Ebenen ein „rotes Tuch“ darstellen. Für der traditionelle Ebene – das ist die Ebene über die ich mir am wenigsten Sorgen mache, weil es nur wenige Menschen auf dieser Entwicklungsstufe gibt, die sich für integrale Ansätze interessieren, doch es gibt diese Menschen, und daher möchte ich hierzu eine kurze Anmerkung machen: Worauf wir bei einem integralen Ansatz achten ist die Tatsache, dass Mensachen „multiple Intelligenzen“ haben. Diesen Begriff hat Howard Gardner vorgeschlagen, und er bedeutet dass Menschen unterschiedliche Entwicklungslinien bzw.  unterschiedliche Fähigkeiten haben. Man kann etwa ein Duzend davon unterscheiden, einschließlich kognitiver Entwicklung, moralischer Entwicklung, ästhetischer Entwicklung, und Selbstentwicklung. Es gibt zwei wichtige Entwicklungslinien die eine Schlüsselfunktion dabei haben, und eine davon ist die kognitive Entwicklungslinie, die beschreibt was ein Mensch zu denken in der Lage ist, was seine Ansichten sind, die Anzahl von Perspektiven die jemand in der Lage ist einzunehmen, das Bewusstsein das jemand hat. Und das andere ist die Selbst-Entwicklungslinie. Das Selbst ist der Bewusstseinsschwerpunkt, aus dem ein Mensch heraus handelt. Die kognitive Linie ist das Reden [talk], und die Entwicklungslinie des Selbst ist das Handeln [walk]. Die kognitive Entwicklungslinie ist meistens der Selbstentwicklungslinie um ein, zwei oder noch mehr Entwicklungsstufen voraus. Menschen können über etwas denken, ohne dies wirklich schon zu verkörpern. Das ist wichtig, weil die meisten Menschen in der westlichen und östlichen Welt, die einen Bildungsweg durchlaufen haben, integral denken können. Doch ihr Bewusstseinsschwerpunkt ist traditionell, modern oder postmodern. Bei 2% - 5% der Menschen ist auch der Bewusstseinsschwerpunkt bei der integralen Entwicklungsstufe. Viele Menschen haben jedoch diese art von gespaltenem Psychogramm, mit einer kognitiven Fähigkeit die bis auf die integrale Stufe hinaufreicht, wohingegen ihr Bewusstseinsschwerpunkt, das woran sie glauben und woraus sie handeln, sich auf der traditionellen, modernen oder postmodernen Ebene befindet. Das ist wichtig, weil viele Menschen integrale Ansätze hören und verstehen, und Bücher von mir, Jean Gebser oder Robert Kegan lesen und verstehen können – sie begreifen das kognitiv. Es macht Sinn für sie, und viele finden das aufregend, und sie meinen dass das was sie tun integral wäre, auch wenn ihr Bewusstseinsschwerpunkt sich auf der traditionellen, modernen oder postmodernen Entwicklungsstufe befindet. Was die Menschen meisten machen ist, dass sie versuchen ihre gegenwärtige Entwicklungsebene so integral wie möglich zu gestalten. Das bedeutet, dass sie als das Mindeste versuchen die Quadranten ins Gleichgewicht zu bringen – das Ich, das Wir, das Es (singular) und das Es (plural), über die wir gesprochen haben. Das entspricht dem Wahren, Schönen und Guten, der Kunst, der Moral und der Wissenschaft. Dies sind unterschiedliche Dimensionen über die Menschen auf jeder der Entwicklungsstufen verfügen. Wenn Menschen über das Integrale Lesen oder nachdenken, dann versuchen sie, auf der Entwicklungsstufe auf der sie sich befinden alle vier Quadranten zu integrieren,. Das ist eines der ersten Dinge die dabei passieren. Es gibt Menschen mit denen ich zusammenarbeite, die auf der traditionellen Entwicklungsstufe arbeiten und Menschen mit „fundamentalistischen“ Ansichten dabei helfen, Ich, Wir und Es zu integrieren, auf der traditionellen Ebene. Es gibt Menschen auf der modernen Entwicklungsstufe, der rationalen und formal-operationalen Entwicklungsstufe, die ebenso versuchen alle vier Quadranten zu integrieren. Sie reflektieren auch über die Spirale der Entwicklung, das Spektrum des Bewusstseins, und versuchen auch schon diese mit zu integrieren. Menschen mit einem Bewusstseinsschwerpunkt auf der grünen Entwicklungsstufe und einer integralen Kognition lieben es, die Quadranten zu integrieren. Es gibt sehr viele grüne Ansätze, die sich darauf konzentrieren die Quadranten zu integrieren, doch die Entwicklungsebenen, die Hierarchie der Entwicklung, wird dabei ausgelassen, weil Grün, als die pluralistische Entwicklungsebene gegen jede art von Hierarchie ist. Dies ist meistens so, weil Grün Wachstumshierarchien und Herrschaftshierarchien verwechselt. Wachstumshierarchien sind gut, die Bewegung von egozentrisch zu ethnozentrisch zu weltzentrisch, doch Herrschaftshierarchien sind wie das Kastensystem, oder kapitalistisch-kolonialistische Bewegungen  - das sind Herrschaftshierarchien. Pluralistische Entwicklungsstufen sind so heiß darauf, die Unterdrückung los zu werden, dass sie das Kind mit dem Bade ausschütten. Sie verwerfen auch gleich mit den Herrschaftshierarchien die Wachstumshierarchien – Atome zu Moleküle zu Zellen zu Organismen; oder egozentrisch zu ethnozentrisch zu weltzentrisch. Doch Grün, wenn es sich mit dem Integralen beschäftigt, liebt die Quadranten, und es gibt derzeit viele grüne Ansätze welche die Quadranten integrieren. Dies alles ist gut, und hilft Menschen dabei so holistisch und umfassend und ganzheitlich wie möglich zu werden, innerhalb der Begrenzungen ihrer eigenen Entwicklungsstufe, welche Stufe das auch sein mag.

Das sollte man dabei berücksichtigen wenn es darum geht Menschen zu erreichen, Einfluss zu nehmen und den integralen Ansatz zu verbreiten.

Frage: Glaubst du, dass die Entwicklung und Evolution der unterschiedlichen Gesellschaften notwendiger weise dem Weg folgen muss, der durch die westliche Geschichte beschrieben wird, und auf den du dich oft beziehst?

KW: Im Unterschied zu individuellen Holons durchlaufen Kulturen oder soziale Holons nicht bestimmten Entwicklungsabfolgen. Individuelle Holons entwickeln sich von archaisch zu magisch zu mythisch zu rational zu pluralistisch zu integral usw., nicht in dem sie  platon’schen Formen oder vorgegebenen Mustern folgen, sondern als das Ergebnis sozialen Lernens und kultureller Evolution. Wir begannen als Über-Affen auf der archaischen Entwicklungsstufe, und was dann folgte waren eine Reihe von teilweise freien Wahlmöglichkeiten die von den frühen Menschen getroffen wurden, und die zur Bildung der magischen Bewusstseinsstruktur führten. Als dann mehr und mehr Menschen die magische Struktur bildeten, wurde sie zu etwas was ich eine „kosmische Gewohnheit“ oder „kosmische Erinnerung“ nenne. Es bildeten sich Strukturen, die ein Teil von den ausmachen was ein Mensch ist. Je mehr diese Struktur wiederholt wurde, desto mehr etablierte sie sich als etwas „Festes“. Etwa um 10.000 vor Christus bildeten sich Nationen, aufgrund bestimmter Gegebenheiten in allen vier Quadranten, einschließlich dem unteren rechten Quadranten, dem Äußerlichen, den Systemen, den techno-ökonomischen Strukturen, an Orten wo Stämme sich zu größeren sozialen Einheiten zusammenfinden mussten, wo die 12 Stämme Israels beispielsweise sich zu einer Nation zusammenfanden. Dies führte zu und erforderte einen Wechsel der Nachfolge von der Blutsverwandtschaft, welche charakteristisch für das Magische ist, zu einem Nachfolgewechsel der unterschiedliche Blutsverwandtschaften verband, und das war nur möglich bei einem mythischen Ahnen, einem Gott. Von diesem Gott konnte jeder seine Abstammung herleiten.Zu dieser Zeit entstehen also überall auf der Welt verschiedene Formen von Gottheiten, zusammen mit der mythischen Entwicklungsstruktur, und dies erfolgte aus einer Reihe von relativ freien Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten, die Menschen überall auf der Welt getroffen haben. Je mehr die mythischer Struktur angewendet wurde, desto mehr verfestigte sie sich als eine Struktur, und wurde zu einer kosmischen Gewohnheit. Diese entwickelte sich weiter, bis zur Zeit der westlichen Aufklärung, mit der rationale Entscheidungen mehr und mehr in den Vordergrund traten, die sich aus dem konkret–operationalen Denken und traditionellen Werten entwickelten. Mehr und mehr Menschen wendeten diese rationalen Ansätze an, und so wurden diese ihrerseits zu Strukturen. In den sechziger Jahren konnten wir dann das Entstehen von pluralistischen Strukturen überall auf der Welt verfolgen, und diese sind immer noch dabei sich zu bilden, weil es sich hier um etwas relativ Neues handelt, wohin gegen die magische Struktur mittlerweile so seht festgelegt ist, dass Mensch die geboren werden in einem Alter von etwa 1-3 Jahren sich durch eine magische Periode entwickeln, und zwar überall auf der Welt. Diese kognitiven Strukturen wurden, bis hinauf zur konkret-operationalen Ebene getestet bei Aborigines, den Stämmen der Regenwälder, in der Türkei, Deutschland, Mexiko, Indien, und es handelt sich dabei um universelle Strukturen in Individuen.

Was bei Kulturen, wenn Menschen zusammenkommen hingegen geschieht ist: Whitehead sprach davon, dass Individuen eine dominante Monade haben, und dies bedeutet ein einziges Zentrum von Willen und Bewusstheit. Soziale Holons jedoch haben keine dominante Monade. Ein Wir hat, im Unterschied zu einem Ich, keine singuläre Quelle von Intentionalität. Wir drei [in diesem Telefongespräch] bilden jetzt ein Wir, doch dieses Wir ist kein Über-Ich, es ist keine einzelne Einheit, welche die Ursache für unser aller Handeln darstellt. Wohingegen wenn mein Hund sich dafür entscheidet den Raum zu durchqueren, dann folgen ihm dabei 100% aller seiner Atome, Moleküle und Zellen, und das ist eine dominante Monade. Gruppen hingegen haben eine dominante Monade ihrer Austauschbeziehungen. Dies betrifft alle Gruppen, Gänse im Formationsflug, Wolfsrudel und Menschen die miteinander in Beziehung stehen. Befindet sich die Mehrheit der Menschen einer Gruppe auf einer traditionellen Entwicklungsebene, dann wird der Austauschmodus dieser Gruppe aus traditionellen Werten bestehen. Der Austauschmodus ist ein Teil von dem was im unteren rechten und im unteren linken Quadranten die Gruppen zusammenhält, zusammen mit der techno-ökonomischen Infrastruktur und den verschiedenen Institutionen und „Habitaten“, Gebräuchen und Gewohnheiten usw., doch oft wird eine Gruppe durch ihren vorherrschenden Austauschmodus identifiziert, und das ist der Grund warum wir die Entwicklung von Kulturen insgesamt beschreiben können als archaisch zu etwa magisch zu etwa mythisch zu etwa rationale, und jetzt pluralistisch. Das bedeutet nicht, dass wenn wir eine Kultur betrachten und feststellen „dies ist eine traditionelle Kultur“, dass sich dann jeder in dieser Kultur auf einer traditionellen Entwicklungsebene befindet. Es bedeutet lediglich, dass der dominierende Austauschmodus traditionell ist. Es kann in dieser Kultur Menschen auf der archaischen und magischen Entwicklungsebene geben, so wie auch Menschen die rational oder sogar pluralistisch sind. Die Evidenz die wir haben sagt sehr klar, dass diese Strukturen die Entwicklung von Individuen beschreiben in all den Kulturen wo dies überprüft wurde, doch dass bedeutet nicht, dass die Kulturen selbst sich genau in diesen Stufen entwickeln. Die Individuen entwickeln sich entsprechend diesen Stufen, doch eine Kultur kann einen dominierenden Austauschmodus haben, der durch eine ganze Reihe von Faktoren bestimmt wird, und speziell in der modernen Welt gibt es Strukturen in Afrika beispielsweise, wo die Mehrheit der Menschen sich in einem magischen Bewusstseinsmodus befindet, und die Menschen können Artefakte importieren, die von modernen und postmodernen Bewusstseinsmodi produziert wurden, einschließlich Maschinengewehre und Computer. Hier [in Gruppen und Kulturen] geschieht also etwas sehr anderes [als in Individuen]. Es ist daher wichtig sich zu erinnern, dass die Kulturen selbst nicht notwendiger weise eine lineare Entwicklung durchlaufen. Das kurze Beispiel dass ich gerne dafür geben ist ein Pokerspiel, an dem sechs Menschen teilnehmen. Nehmern wir einmal an diese Menschen befinden sich alle auf einer egozentrischen Entwicklungsstufe, die rote Entwicklungsstufe, narzisstisch und machtorientiert. 3 von ihnen verlassen die Pokerrunde, und dafür kommen 3 Mitspieler hinzu, die sich in ihrer Entwicklungsstufe auf der pluralistischen Entwicklungsebene befinden. Die Verteilung ist jetzt 50:50, die Hälfte der Pokerrunde spricht in einem egozentrischen und narzisstischen Modus, und die andere Hälfte spricht eine pluralistische Sprache und einen pluralistischen Modus. Das Pluralistischen versteht den Narzissmus der anderen, doch das gilt nicht umgekehrt. Nehmen wir an ein weiterer narzisstischer Teilnehmer verlässt die Runde, und wird ersetzt durch einen weiteren Mitspieler auf der pluralistischen Entwicklungsebene, dann hat sie diese Gruppe von einem roten, machtorientierten und narzisstischen Austauschmodus zu einem pluralistischen Austauschmodus bewegt, und das sieht so aus als wenn dabei 2 Entwicklungsstufen [Blau und Orange] übersprungen worden wären. Das ist das was geschehen kann wenn eine Struktur entstanden ist. Kulturen können eine dramatische Veränderung erfahren, und das hängt auch von den Artefakten die dort verwendet werden ab, und den gegebenen Machtstrukturen und den damit verbundenen Austauschmodi. Die Individuen hingegen müssen sich weiterhin durch die Stufen der Reihe nach hindurch entwickeln. Wir haben schon über den Marxismus gesprochen, als einen Versuch, pluralistische Ideal in traditionelle Ackerbaukulturen einzuführen. Doch das geht definitiv nicht. Das gleich sehen wir heute in der Entwicklung nicht-westlicher Kulturen. Der westlichen Einfluss ist immer noch sehr hoch, - das Thema Globalisierung -, was dazu führt dass das Wachstum anderer Kulturen unter hohen Spannungen geschieht, und wenn man diese Entwicklungen verfolgen will, sollten man sorgfältig sowohl Quadranten als auch Entwicklungslinien als auch Entwicklungsebenen als auch Zustände und Typologien betrachten. Werden diese Kulturen sich auch linear entwickeln, von einem archaischen zu einem magischen zu einem mythischen zu einem rationalen Austauschmodus? Nein, jedenfalls nicht notwendiger weise. Die Individuen in diesen Gesellschaften entwickeln sich jedoch durch diese Stufen hindurch.

Frage: Sollten sie dabei das westliche Modell übernehmen oder nicht?

KW: Nein, wahrscheinlich nicht, was die einzelnen Entwicklungslinien betrifft. Und noch einmal, dies ist kein entweder/oder, es ist ein sowohl als auch. Es gibt Dinge bei der Globalisierung die sehr positiv sind, und Dinge die sehr negativ sind. Das Positive dabei ist, dass in dem Maße wie die moderne wissenschaftlichen Entwicklungsebene gelebt wird, damit  auch universelle Rechte für alle Menschen berücksichtigt werden. Damit wird es beispielsweise selbstverständlich, in Ländern der dritten Welt auch Mädchen Schule und Bildung zugänglich zu machen, und für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einzustehen. Die Schattenseite der Globalisierung ist, dass Organisationsstrukturen [corporate structures] globalisiert werden, und Organisationsstrukturen sind Artefakte, die von jeder der Entwicklungsebenen moralisch gesteuert und angetrieben werden können. Die moralische Entwicklung der modernen Entwicklungsstufe ist sehr hoch, es ist eine weltzentrische Moral, die für universelle Menschenrechte eintritt, unabhängig von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft. Doch die Artefakte die durch die Moderne geschaffen wurden, von Maschinengewehren zu Gaskammern, können auch durch prä-moderne Individuen verwendet werden, Menschen die von Narzissmus und ethnozentrischem Machtstreben angetrieben werden. Praktisch jeder kann ein Maschinengewehr bedienen. Das ist das Problem. Der Moderne wird die Schuld für eine Menge Dinge gegeben, die jedoch moderne Artefakte sind, welche von Menschen eingesetzt werden, die durch prämoderne moralische Strukturen getrieben werden. Die Nazis waren ethnozentrisch, sie waren nicht modern, doch sie bedienten sich moderner Technologie und moderner Artefakte,. Das ist ein wirkliches Problem dem wir uns gegenübersehen.

Das gleiche kann im Business passieren. Die Artefakte, Strukturen und Systeme des Business sind im Wesentlichen ein Produkt der Moderne, doch viele Menschen sind im Business agieren nicht von der moralischen Entwicklungsebene der Moderne aus,  - diese Menschen gibt es auch, es gibt sehr viele moralische Menschen in Business, doch es gibt auch sehr viele unmoralische Menschen im Business, die nur am Profit interessiert sind, sich nicht für die innerlichen Dimensionen interessieren, sich nicht um andere kümmern, und Bewusstsein und Liebe ausklammern. Sie bewegen sich auf einer machtorientierten Entwicklungshöhe, die rote Entwicklungsstufe wie wir sie nennen, und dieser machtstrebende, egozentrische Antrieb ist sehr verbreitet im Geschäftsleben [corporate life]. Und diese Art von Geschäftsleben spielt eine viel zu große Rolle bei der Globalisierung. Das ganze wird ein wenig komplex, es lässt sich jedoch unter Verwendung eines integralen Rahmens analysieren, und man kann gut verfolgen was dabei geschieht. Der Westen ist also nicht für alles ein Modell, das sollten wir dabei berücksichtigen,. Es gibt Dinge die es wert sind als ein Modell zu gelten, wie Aspekte einer Verfassung welche die Menschenrechte garantiert, und die Rechte von Gemeinschaften – in einer Ausgewogenheit zwischen Agenz und Kommunion. Doch die konkreten Organisationsstrukturen, und die Art und Weise der Profitorientierung ist wohl nicht als ein Modell geeignet. Kulturen der dritten Welt sind gewaltigen Machteinflüssen von Seiten der  Industrienationen die derzeit die Macht haben, ausgesetzt, und sie werden nicht freiwillig darauf verzichten. Das ist eine bedauerliche Situation, und die Einflussmöglichkeiten darauf sind begrenzt, was ebenso bedauerlich ist.

Frage: Glaubst du dass der evolutionäre Prozess immer auch eine moralische Entwicklung bedeutet? Gibt es notwendiger weise weniger Gewalt wenn wir mehr entwickelt sind?

KW: Eine einfache Antwort darauf ist „Ja“, je mehr Entwicklung, desto weniger Gewalt. Der Grund dafür sind die Perspektiven, über die wir schon gesprochen haben. Mit zunehmender Entwicklung „bewohnt“ man konkret den Standpunkt anderer Menschen, man fühlt diese als einen Teil des eigenen Selbst. Je mehr man in und mit den Standpunkten anderer Menschen lebt, desto besser versteht man diese, und damit nimmt die Neigung zu Gewalt und zum Verletzen anderer ab, und zu „Problemlösungen“ die darin bestehen, andere zu töten. Selbst Carol Gilligian, die sagte dass Männer und Frauen sich mit einer unterschiedlichen Stimme entwickeln, wo Männer Gerechtigkeit, Rechten und Autonomie betonen, und Frauen Beziehungen, Fürsorge und Verantwortung hervorheben – Frauen betonen Kommunion, und Männer Agenz. Doch Carol Gilligan hat ebenfalls gesagt, dass sowohl Männer wie Frauen sich durch die selbe Hierarchie des Wachstums entwickeln. Was wir als vier Hauptstufen mit egozentrisch, ethnozentrisch, weltzentrisch und kosmozentrisch bezeichnet haben, nannte sie selbstbezogen [selfish], Fürsorge [care], universelle Fürsorge [universal care] und integriert [integrated]. Selbstbezogen ist die egozentrische Perspektive einer ersten Person. Fürsorge ist die Perspektive einer zweiten Person, ich kümmere mich um dich, meine Familie, meinen Stamm, meine Nation. Bei der universellen Fürsorge beziehe ich alle Menschen mit ein, unabhängig von Rasse, Hautfarbe Geschlecht oder Herkunft. Die integrierte Entwicklungsstufe ist diejenige Stufe bei der die femininen und maskulinen Stimmen in einem Menschen integriert werden. Die Frau hat dann sowohl die weiblichen Aspekte der Moral, als auch die maskuline Betonung von Autonomie und Rechten und Gerechtigkeit. In all diesen Entwicklungsstufen, ob es sich dabei um die von Kohlberg oder jüngeren Modellen handelt, erweitern sich die Perspektiven durch welche man die Welt sieht und fühlt. Wenn wir uns die vier Quadranten auf einem Blatt Papier aufzeichnen, mit dem oberen linken Quadranten als dem „Ich“, dem Innerlichen des Individuums, und dem oberen rechte Quadranten als dem „Es“, dem Äußerlichen des Individuums, dann ist der untere linke Quadrant des „Wir“, das Innerliche der Beziehungen die ein Teil des eigenen in-der-Welt-seins ausmachen. Und wenn sich das Wir von der Perspektive einer ersten Person zu der einer 2ten Person und weiter zu der einer 3ten und 4ten Person entwickelt, dann ist das ein Teil von dem was man als sein Selbst fühlt. Daher nimmt mit zunehmender Entwicklung das Verlangen andere zu verletzen ab, weil immer mehr Menschen zu einem Teil des Wir werden dem man selbst angehört. Man nimmt ihre Perspektive ein, und das ist der Grund warum mit zunehmender Entwicklung die Gewalt  abnimmt. Die Schwierigkeit ist dabei jedoch, dass es so viele Menschen auf den unterschiedlichen Entwicklungsstufen gibt, so dass auch in Kulturen mit einem rechtlich verankerten Bewusstseinsschwerpunkt bei, sagen wir, universeller Fürsorge, (was für die meisten westlichen Kulturen zutrifft, deren Gesetze aus dieser Entwicklungsebene stammen), jeder Mensch mit dem kleinen Einmalseins beginnen muss, also auf der untersten Entwicklungsstufe. Man wird also auch in diesen Kulturen Menschen finden die prä-konventionell sind, und selbstbezogen, machtorientiert und narzisstisch handeln. Gleichzeitig gibt es in diesen Kulturen Artefakte, die es diesen Menschen ermöglichen einen enormen Schaden anzurichten. Mit Pfeil und Bogen kann man nicht sehr großen Schaden anrichten. Man kann jedoch eine gewaltigen Schaden mit Saringas oder einer Atombombe verursachen. Das ist eines der Probleme dem sich die Moderne gegenüber sieht. Jeder beginnt mir dem kleinen Einmalseins, und es gibt drei oder vier Haupttransformationen die Menschen durchlaufen müssen, bevor sie in der Lage sind eine universelle, weltzentrische Perspektive einzunehmen, bei der sie andere so behandeln wie sich selbst behandeln.

Frage: Heißt das, das der Führer eines Landes der entwickelten Länder Welt mehr Möglichkeiten hat andere zu verletzen, wenn er moralisch weniger weit entwickelt ist?    

KW: Ja, wenn ich dich richtig verstanden habe. Die Mehrheit der politischer Führer in den entwickelten Ländern hat eine moralische Entwicklung die postkonventionell, weltzentrisch bzw. universell ist ...

Frage: Ich meine einen Führer eines der entwickelten Länder, der soziale Rahmenbedingungen einer weltzentrischen Perspektive hat, dessen innerliche ethische Entwicklung jedoch nicht weltzentrisch ist; kann dieser Führer mehr Schaden anrichten als einer der moralisch ebenso wenig weit entwickelt ist, jedoch nicht über entsprechend weit entwickelte soziale Rahmenbedingungen verfügt?

KW: Absolut. Das ist zum Teil, und das sage ich mit aller Vorsicht, ein Problem mit Präsident George Bush. Er führt ein Land, mit im Wesentlichen weltzentrischen rechtlichen Standards, die den modernen und postmodernen Entwicklungsstufen entsprechen. Diese übrig gebliebene „Weltmacht“ hat ein gewaltiges Waffenarsenal, einschließlich Nuklearwaffen, und viele Möglichkeiten Schaden zu verursachen. Diese Waffen wurden geschaffen von einer Kognition der modernen Entwicklungsebene, und diese Entwicklungsstufe der Moderne würde diese Waffen nicht einsetzen, außer zur Selbstverteidigung, und dann auf eine sehr ethische Weise, das heißt so gut wie gar nicht -  doch bei jemand mit einem Bewusstseinsschwerpunkt auf der traditionellen Entwicklungsebene, und das trifft für die Werte von George Bush zu, er hat traditionell fundamentalistische Überzeugungen, ist das anders. Menschen wie er glauben, dass ihre Sichtweise der Wirklichkeit, dass ihr Gott und ihr ethisches ethnozentrisches System, Teil der politischen Struktur dieses Landes [USA] sein sollte. Und sie arbeiten daran die Gesetze so zu verändern, dass ihre ethnozentrische Moral in die weltzentrische Struktur eingebaut wird. Das ist ein innenpolitisches Problem. Außenpolitisch wirkt diese traditionelle, mythisch konformistische Entwicklungsebene auf eine sehr einseitige Weise. Sie ist nicht darum bemüht Konsens herzustellen, z. B. mit den europäischen Mächten. Sie sagt: „So machen wir es, basta.“

Frage: Das erzeugt Gegenreaktionen.

KW: Extreme Gegenreaktionen. Unsere europäischen Verbündeten sind durch George Bush alarmiert. Der einzige der ihm ein Stück weit zur Seite gestanden ist war Tony Blair, das war eine heroische Position, und ich bewunderte Blair’s Bemühen, George Bush mit den Europäern im Dialog zu halten. Das war etwas Gutes. Dafür bekam er natürlich eine Menge Kritik, weil es so aussah als würde er lediglich George Bush unterstützen. Doch das ist das Problem, dieses einseitige: „Wir machen es richtig, und ihr könnt dem zustimmen oder auch nicht.“ Das ist ein katastrophaler Weg, speziell in einer Welt, deren internationaler Austauschmodus sich auf der pluralistischen Entwicklungsebene befindet. 2 Ebenen darunter befindet sich der traditionelle Austauschmodus, und das ist katastrophal, und das bereitet hinsichtlich George Bush Sorgen. Sogar sein Vater, der auch Republikaner war, erreichtre einen Konsens mit allen europäischen Mächten vor dem Engagement in Kuwait. Doch George Bush Junior tut nicht einmal das, und das zeigt eine wirklich traditionell ausgerichtete Wertestruktur. Das ist extrem problematisch.

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