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Ein kritisch-integraler Blick auf die Klimadebatte mit Michael E. Zimmermann

Michael E. Zimmermann ist Professor für Philosophie an der University of Colorado in Boulder, sowie zusammen mit Sean Esbjörn-Hargens Co-Autor des kürzlich erschienenen Grundlagenwerks „Integral Ecology“. Wer wie ich über einen gewissen Zeitraum die apokalyptischen Prognosen in bezug auf den Klimawandel und die globale Erwärmung sorgenvoll in den Medien verfolgt hat, der wird wie ich überrascht sein, ausgerechnet von einem der führenden Integralen Ökologen große Skepsis und Vorbehalte auf dieses von aller Welt als Tatsache gehandelte Themazu hören.

Wäre es irgendein Wissenschaftler gewesen, der sich in dieser Richtung geäußert hätte, hätte ich ihn wohl kurzerhand als von der fossile Brennstoffe Lobby gekauft abgestempelt und wäre zur Tagesordnung übergegangen. So jedoch wurde ich neugierig mehr zu erfahren. Im folgenden stelle ich sein Papier „Including and Differentiating among Perspectives: An Integral Approach to Climate Change“ vor. Hier das Abstract:

Unter den Prinzipien einer Integralen Ökologie (IÖ) sind zwei besonders wichtig: 1) multiple Perspektiven berücksichtigen – nicht nur in bezug auf die Charakterisierung und das Vorschlagen von Maßnahmen für Umweltprobleme, sondern auch in Bezug darauf herauszufinden, was vorab überhaupt als ernstes Problem gilt; und 2) voneinander differenzieren – die Bereiche, die mit verschiedenen Methoden bearbeitet werden, z.b. Naturwissenschaft vs. die Erarbeitung von Richtlinien. Ich nutze diese Eigenschaften der Integralen Ökologie um die gegenwärtige Debatte über den Klimawandel kritisch zu untersuchen. Selbst wenn die IPCC Szenarios über die steigenden globalen Temperaturen plausibel sind, bleibt eine wichtige Frage: Sollten die Ressourcen darauf ausgerichtet werden, um sich an den kommenden Klimawandel anzupassen oder sollten sie auf Bemühungen gerichtet werden den menschenverursachten Treibhausgasausstoß, insbesondere CO2, dramatisch zu kürzen? Woher wissen wir, wie Milliarden unterschiedlicher Menschen mit vielen verschiedenen Perspektiven diese Frage beantworten würden?

Zimmermann gliedert das Papier in vier Teile. Im ersten Teil fragt er kritisch, ob der gegenwärtige wissenschaftliche „Konsens“ hinreichend einschliessend in bezug auf die Perspektiven ist, die nicht mit diesem Konsens übereinstimmen. Wie man sich spätestens an dieser Stelle denken kann, ist ein Ergebnis seines Studiums der verfügbaren Quellen, dass dies nicht der Fall ist. In anderen Worten: der wissenschaftliche Diskurs in bezug auf die anthropogene Erderwärmungs-Hypothese ist in hohem Masse politisiert. Offensichtlich besteht das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) „primär aus einer relativ kleinen Gruppe von Klimaforschern, die: sich zu stark auf Modellanalysen verlassen, während sie alternativen Hypothesen und Beobachtungsdaten inadäquat Aufmerksamkeit schenken; gegenseitig ihre Sichtweisen verstärken und die Alternativen zu menschenverursachter globaler Erwärmung ausschliessen; und somit etwas bilden, das auf eine wissenschaftliche „Oligarchie“ hinausläuft und in der Sprache von Integraler Ökologie eine ‚methodologische Hegemonie’ darstellt.“ Unberücksichtigt bleiben demnach alternative Einflüsse wie Aerosole, insbesondere von Russ (senkt das Rückstrahlvermögen von Schnee und Gletschern), Sonnenfleckenaktivitäten, periodische Veränderungen der Stellung der Erdachse, der ungeklärte Effekt von Wolken auf globale Temperaturen, der Zusammenhang kosmischer Strahlung auf die Wolkenbildung, Vulkanismus, Wechselwirkung von Kontinentalbewegungen und Meeresströmungen, Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre, die geochemische Rolle des Lebens, etc..

Zimmermann sieht hier Karl Poppers Ermahnung, dass wissenschaftliche Hypothesen falsifizierbar sein sollten, arg in Vergessenheit geraten. Demnach gilt keine noch so große Anzahl an Daten, die mit einer Hypothese übereinstimmen, als schlussendlicher Beweis für letztere, sondern erhöht bestenfalls die Wahrscheinlichkeit ihrer Validität. Ganz im Gegensatz dazu reicht lediglich ein durch Fakten untermauertes Gegenbeispiel, um eine Hypothese als ungültig zu erweisen. Er schreibt: „Wissenschaftler sind nicht immun dagegen die Befunde herunterzuspielen, die der Hypothese widersprechen, mit deren Erforschung sie Jahre zugebracht haben. Ein integraler Wissenschaftler hingegen würde darauf bestehen, dass solche Ergebnisse in die Debatte einfliessen, selbst zu dem hohen Preis, dass die eigene Arbeit überflüssig gemacht wird.“

Im zweiten Teil „Differenzieren zwischen Wissenschaft (Bildung von Fakten) und Politik (Bildung und Disputation von Werten)“ thematisiert Zimmermann die zunehmende Politisierung der Wissenschaft, welche die Integrität und den Wert von Wissenschaft selbst bedroht. Das international maßgebende IPPC ist demnach keine reine Wissenschaftsorganisation, sondern war von Gründung an eine „wissenschaftlich-politische Mischform“. Problematisch daran ist, dass hier die das Sammeln von Informationen darüber, was ist, vermischt wird mit Empfehlungen darüber, was sein sollte. Er schreibt: „Wissenschaftliche Methoden/Perspektiven der dritten Person können die Einsichten, die aus erste- und zweite-Person-Perspektiven gewonnen werden, nicht ersetzen, inklusive Erwägungen von Werten.“ Mit Bezug auf den Begriff der „heimlichen Anwaltschaft“ von Pielke beschreibt er das Phänomen, dass Wissenschaftler oftmals ihre Wertehaltungen hinter ihren Forschungsergebnissen verstecken, mit denen sie die Wahlmöglichkeiten derjenigen einschränken, die politische Richtlinien erlassen.

Im dritten Teil stellt Zimmermann die Frage, wer eigentlich bei der Entscheidung darüber, dass menschenverursachte Erderwärmung die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts sei mit einbezogen wurde und weist darauf hin, dass dasjenige was als Umweltproblem gilt stets abhängig ist von der Perspektive die verwendet wird um das Problem zu erfassen. Demnach gibt es laut Zimmermann neben der „wichtigsten Zahl der Welt“, der 350ppm CO2 Konzentration, wie sie vom Umweltaktivist Bill Mc Kibben proklamiert wurde noch ganz andere Zahlen, die in Frage kommen, wenn es um diesen Titel geht, z.B. die Zahl der Kernwaffen (11.000) , der jährlichen Malaria-Toten (1 Mio.), der Hungergeplagten (1 Mrd.), der AIDS-Erkrankten (33 Mio.) und dergleichen.

Er geht der Frage nach, wie die Beschäftigung mit der menschengemachten globalen Erwärmung (MGE) seit ihrer ersten Thematisierung in den 80er Jahren zustande gekommen ist und weist dem IPCC seit Gründung neben rein wissenschaftlichen auch aktivistische Motive nach. Insbesondere sei es Teil der IPCC Strategie gewesen apokalyptische Visionen zu beschwören, um das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien zu gewinnen. Die Medien sprangen auf diesen Zug auf und realisierten, dass diese geschürten Ängste die Auflagen erhöhten. Was die Gegenkampagnen der Wirtschaftsvertreter betrifft: diese gab es sehr wohl – zu Beginn. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet, weil die Vertreter fossiler Brennstoffe realisiert haben, dass ihr Widerstand zwecklos und ein PR-Desaster ist und - was weitaus wichtiger ist – weil viele von ihnen realisiert haben, dass man mit Maßnahmen zum Klimaschutz ernsthaft Geld verdienen kann.

Im vierten Teil, übertitelt mit „Was muss getan werden?“ folgt Zimmermann der Argumentation willen der Hypothese, dass die Temperatur in diesem Jahrhundert tatsächlich um 1,5 Grad steigen wird. Gegenwärtig werden der Handel mit Emissionsrechten oder die Einführung von CO2-Steuern von Seiten des ökonomisch-politischen Establishments als Mittel der Wahl favorisiert, um den CO2-Ausstoß zu minimieren. Mit Björn Lomborg spricht Zimmermann allerdings die Warnung aus, dass der „klimatisch-industrielle Komplex“ das Ruder übernehmen könnte. In Analogie zu dem, wovor Präsident Eisenhower einst gewarnt hat – dem übermäßigen Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes auf die Politik – gibt es auch im Feld der Klimadebatte einflussreiche Regulationsbehörden, Privatkapitalseigner und Korporationen, die von einem möglichen Klimawandel profitieren würden.

Es gibt zwei Strategien für das Erderwärmungs-Szenario: 1) Minderung (des CO2 Ausstoßes); 2) Adaption (Pläne für den Umgang mit einem wärmeren Planeten machen). Lomborg und andere sprechen sich für eine doppelgleisige Strategie aus. Der Analyst Indur Goklany geht sogar so weit zu behaupten, dass der Klimawandel nicht das definierende Problem unseresJahrhunderts ist, und dass eine Förderung des Wohlstands weitaus wichtiger wäre, um mehr Menschen die Möglichkeiten der Anpassung an einen wärmeren Planeten zu geben. Er weist ferner darauf hin, dass die Zahl der Klimaopfer derzeit nur 0,3 Prozent ausmacht gegenüber den Opfern von Malaria, Unterernährung, unsauberem Wasser, mangelnder Hygiene, Luftverschmutzung, Vitaminmangel und Bleivergiftung.  Die befürchteten negativen Effekte des Klimawandels, z.B. die Ausbreitung von Malaria, könnte bereits heute durch die Entwicklung eines Impfstoffes eingedämmt werden – unabhängig davon ob die Befürchtungen wahr werden.

Zimmermann geht ferner der Frage nach, warum diese Argumente bei vielen Umweltfreunden auf taube Ohren stoßen. Zum einen gibt es diejenigen Grünen, für die die globale Erwärmung der kollektive Staatsfeind Nummer eins ist, der eine grüne Revolution auslösen und letztlich alle Staaten vereinigen könnte. Es gibt allerdings auch einen ‚individuellen Staatsfeind’ – unser eigenes Partikularinteresse an materiellem Wohlstand, der durch den exzessiven Verbrauch fossiler Brennstoffe ermöglicht wird. Hierbei wäre dann für einige Grüne unser Verzicht eine Art Sühne für die Sünden, die wir an der Erde begangen haben.

Viele Grüne stehen der Adaptions-Strategie kritisch gegenüber, da diese Bevölkerungswachstum begünstigt, welches wiederum die Biosphäre bedroht. Zimmermann beschreibt zwei grobe Strömungen von Umweltaktivisten: solche, die soziale Gerechtigkeit im Einklang mit ökologischem Handeln favorisieren und die sogenannten „Dark Greens“ auf der anderen Seite. Letztere sehen in der Anthropozentrik die Verfehlung der monotheistischen Religionen und huldigen anstelle dessen Gaia in Form der Biosphäre, deren Wert sie letztlich höher ansiedeln als den Wert des Menschen. Wilber bezeichnet sie in Eros, Kosmos, Logos auch als „Absteiger“, weil sie das andersweltliche Aufstiegsideal verworfen haben. Ihre unkritische Neigung zur Menschenfeindlichkeit findet Zimmermann problematisch.

Er geht davon aus, dass wir weder in naher noch in ferner Zukunft auf fossile Brennstoffe verzichten können. Seiner Ansicht nach würde eine drastische Erhöhung der Energiepreise einen wirtschaftlichen Kollaps nach sich ziehen, der die menschliche Bevölkerung in dramatischer Weise reduzieren könnte. Szenarien wie im Film „Mad Max“ lassen grüßen. Er zitiert Solomon und Kollegen, deren Forschungen darauf hinweisen, dass unsere CO2 Emissionen noch tausende Jahre fortwirken, selbst wenn wir sie sofort komplett einstellen würden. Alternative Energiequellen seien nicht in der Lage bis 2050 den Gebrauch von fossilen Brennstoffen um 80% zu reduzieren. Zimmermann geht davon aus, dass „die meisten Menschen in der Welt nicht bereit sind ihr Streben nach einem besseren Leben aufzugeben, welches zum Teil auf Energie-abhängigen Ökonomien basiert.“

Das Schlusswort gibt er Andrew Revkin von der New York Times: „Der Klimawandel ist nicht die Geschichte unseres Zeitalters. Klimawandel ist ein kleiner Teil der Geschichte unseres Zeitalters, die darin besteht, dass wir erwachsen werden auf einem begrenzten Planeten und gerade erst erkennen, dass er begrenzt ist.“

Die Lektüre von Zimmermanns Artikel hat mich irritiert und zum Nachdenken gebracht. Wenn ich das wichtigste Merkmal einer integralen Weltsicht nennen sollte, dann wäre die Fähigkeit multiple widerstreitende Perspektiven halten zu können einer meiner Favoriten. Die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts fordern wohl keine Fähigkeit dringlicher, insbesondere unter den führenden Entscheidungsträgern. Sofern wir selber dazu in der Lage sind, sollten wir diese Positionen anstreben oder zumindest integral informieren. Mein eigenes Schlusswort ist das „Mantra der Integralen Ökologie“, das ich von Sean Esbjörn-Hargens und Barrett Brown kennen gelernt habe:

„Die Dinge werden schlechter,
die Dinge werden besser
die Dinge sind immer schon perfekt.“ 

Michael Zimmermann, PhD der Philosophie an der Tulane University, wo er 31 Jahre lehrte, bevor er zu University of Colorado in Boulder wechselte, wo er Professor für Philosophie und Direktor des Center for Humanities and the Arts ist. Er ist mit Sean Esbjörn-Hargens Co-Direktor des Integral Ecology Zweigs des Integral Institute. Zahlreiche Publikationen, seit kurzem Forschung bezüglich verschiedener Aspekte der Debatte über den globalen Klimawandel unter integralem Gesichtspunkt.

(aus: Integrale Perspektiven Nr. 14)

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