eine Einladung zu mehr Verantwortung im Umgang mit Entwicklungseinschätzungen

Michael Habecker (auf Basis einen E-Learning Kurses von IntegralLife)

Teil 1 Einleitung der Redaktion

Das Thema Entwicklung steht bei Ken Wilber seit Beginn seines Schreibens ganz oben auf der Tagesordnung. Dabei hat er sichimmer auf ein umfangreiches und andauerndes Studium der entsprechenden Forschung und Literatur gestützt, die er dann auch, zumindest auszugsweise, im Literaturverzeichnis seiner Bücher aufführte. Eine typische Darstellung dieser Art sind die Übersichten in Integrale Psychologie, in denen Wilber die Arbeit von Dutzenden von EntwicklungsforscherInnen in verdichteter Form zusammengefasst hat. Darüber hinaus hat Wilber auch, besonders in seinen mündlichen Beiträgen, auf vereinfachende Darstellungen und Formulierungen zurückgegriffen, darauf vertrauend, dass seine Zuhörer- und Leserschaft sich der eigentlichen Komplexität der Thematik bewusst ist und bewusst bleibt. Doch mal ehrlich, wer macht sich schon die Mühe Literaturverzeichnisse und Primärliteratur zu studieren, wenn es doch auch sehr viele einfachere Möglichkeiten von Entwicklungseinschätzungen gibt, z. B. aufgrund eines einzigen einfachen Modells mit ein paar Farbkennzeichnungen, das von sich behauptet „alles zu erklären[1]“? Derartige Simplifizierungen können zu einem Problem werden, besonders in der integralen Szene, ein Problem, auf das Wilber immer wieder hinweist.
In einem auf www.IntegralLife.com veröffentlichten Beitrag (Sie denken, Sie haben Entwicklung verstanden? Denken Sie lieber noch mal drüber nach) wird dieses Problem nun konkret thematisiert, und es werden Wege zu einem tieferen und anspruchsvolleren [more sophisticated] Verständnis von Entwicklung aufgezeigt. Diesen Beitrag, der in Form eines E-Learnings veröffentlicht wurde, geben wir in der Folge als ein Transkript wieder. Die einzelnen Kapitel entsprechen dabei jeweils einer Lektion des E-Learnings.
Dabei geht es u. a. um Folgendes:

  • Wir alle treffen subjektiv-intuitive Einschätzungen hinsichtlich von Entwicklung. Auch wenn wir das von uns weisen – „ich mache keine Wertunterscheidungen“ – so implizieren wir damit, dass das Unterlassen von Wertunterscheidungen besser ist (und damit einen höheren Wert hat) als derartige Unterscheidungen zu treffen. Diese unsere intuitiven Einschätzungen sind kein Problem an sich, wenn wir uns ihrer Subjektivität und ihrer Begrenztheit bewusst sind.
  • Wie und auf welcher Grundlage treffe ich selber meine Entwicklungseinschätzungen? Dieser Frage sollten wir nachgehen, und dazu bietet der nachfolgende Beitrag viele Anregungen. So gibt es beispielsweise unterschiedliche Kriterien, nach denen wir (meist unbewusst) eine Einschätzung vornehmen können (wie Vokabular, Struktur einer Aussage oder eines Verhalten, Inhalte, Länge von Äußerungen oder Beiträgen, Perspektiveinnahmen). Je nachdem, welche Kriterien wir in einer Situation anlegen, kommen wir zu eventuell ganz unterschiedlichen Entwicklungsaussagen. Dies wird nachfolgend erläutert.
  • Sich mit den eigenen Einschätzungen konfrontieren: Im Abschnitt Testen Sie Ihre Entwicklungsintuition können wir anhand von konkreten Beispielen aus der Entwicklungspsychologie unsere Entwicklungsintuition einschätzen. Dazu empfiehlt es sich, die einzelnen Texte der drei Übungen auszudrucken, auszuschneiden, und dann vor sich hin- und herzuschieben, und dabei so bewusst wie möglich darauf zu achten, was in einem selbst vor sich geht, wenn man versucht die Texte nach einem Entwicklungsrang zu ordnen („hier formuliert jemand komplexer, also ist er oder sie weiter entwickelt“, oder „hier wird ein traditioneller Gedanke ausgedrückt, und der ist weniger weit entwickelt“). Dieser Vorgang des sich Bewusst-Werdens eigener Bewertungshintergründe ist wichtiger als das Herausfinden der Lösung. (Wer wissen möchte, ob er oder sie die richtige Lösung gefunden hat, kann direkt auf www.integrallife.com den Test durchführen.)
  • Wissenschaftliche Entwicklungseinschätzungen sind enorm komplex und auch anspruchsvoll. Dennoch sollten wir uns der Mühe unterziehen, unterschiedliche Entwicklungsmodelle nicht nur zusammenfassend bei Wilber oder anderen, sondern in der Originalliteratur zu studieren, einschließlich der Methodiken, durch welche diese Modelle zustande gekommen sind.
  • Entwicklungseinschätzungen gründen sich idealerweise auf einen Dialog. Oft sagt die Begründung einer Aussage oder eines Verhaltens sehr viel mehr über den Entwicklungsstand eines Menschen aus als die Aussage oder das Verhalten selbst. Um Begründungen zu erfahren muss ich jedoch in einen Dialog mit einem Menschen eintreten. (Beispiele dazu nachfolgend)
Wir können es nicht vermeiden, uns selbst, andere und das Leben in seinem Fortgang laufend einzuschätzen. Dies ist ein Wesensteil eines sich entwickelnden Kosmos, und darin liegt eine große Verantwortung. Das Unrecht und Leid, welches Menschen anderen Menschen aufgrund von falschen dogmatischen Entwicklungseinschätzungen angetan haben, ist grenzenlos. Wir sind alle eingeladen, in diesen Bereich unseres Wissens und Seins mehr und mehr Bewusstheit, Verantwortung und Liebe zu bringen. Dazu dient der folgende Beitrag.

Teil 2 Das E-Learning Transkript

Sie denken, Sie haben Entwicklung verstanden? Denken Sie lieber noch mal drüber nach.

Modelle, Maßsysteme, Entwicklungshöhe und ein anspruchsvolleres Entwicklungsverständnis

[Quelle: IntegralLife.com, Think You Understand Development? Think Again. Models, Metrics, Altitude and a Sophisticated Approach to Development
Contributors: Katie Heikkinen, Zachary Stein and Clint Fuhs]
Inhalt[2]
  • Ein anspruchsvolleres Entwicklungsverständnis
  • Linien und Ebenen
  • Ein intuitives Verständnis von Entwicklungslinien
  • Entwicklungsintuition
  • Testen Sie Ihre Entwicklungsintuition
  • Intuition ist eine heikle Angelegenheit
  • Entwicklungshöhe
  • Von der Intuition zur Wissenschaft
  • Modelle und Maßsysteme
  • Qualitative Maßeinheiten
  • Entwicklungshöhe neu betrachtet
  • Die Theorie der Fertigkeitsentwicklung
  • Lectical Assessment System (LAS)
  • Ein tiefgreifenderes Verständnis

In der E-Learning Präsentation What are Levels and Lines? ging es darum, ein Grundverständnis für die Entwicklungslinien zu bekommen und zu erkennen, wie sie sich durch eine Reihe von Ebenen oder Stufen entfalten. In dieser Präsentation geht es darum, mehr darüber zu erfahren, was Entwicklungshöhe ist, wie man sie inhaltsneutral in einem Modell darstellen kann und wie sich Bewusstsein durch eine Zunahme von Komplexität entwickelt.
In dieser Untersuchung lernen wir, wie eine allgemeine und intuitive Entwicklungserfassung in ein System von Messbarkeiten und Modellen durch die Verfahren und Vorschriften der Entwicklungspsychologie kodifiziert wird. Wir konzentrieren uns dabei auf Kurt Fischers Theorie der Fertigkeitsentwicklung [Dynamic Skill Theory] und Theo Dawson Lectical Assessment System und zeigen, wie beide zusammen wesentliche Aspekte von Entwicklungshöhe handhabbar machen. Dadurch können Ihre eigenen Bemühungen, Entwicklung zu verstehen, anspruchsvoller und leidenschaftlicher werden, und sich tiefer verkörpern in dem, was wahr, schön und gut ist.
Da in dieser Präsentation fortgeschrittene und technische Aspekte hinsichtlich Entwicklung, Messbarkeiten und Maßsystemen besprochen werden, empfehlen wir sich vorher die Einführung zum Thema What are Lines and Levels? anzuschauen.

Ein anspruchsvolleres Entwicklungsverständnis

Bevor wir beginnen, sollten wir uns über unsere Sünden der Vergangenheit klar werden. Es gibt wahrscheinlich nur sehr wenige unter uns, die nicht schon ad hoc Entwicklungsaussagen über Freunde, Familienangehörige und Kollegen gemacht haben. „Er ist so grün!“. „Wir könnten viel mehrerreichen, wenn nicht so viel Bernstein in dieser Organisation wäre.“ Wenn Ihnen das vertraut vorkommt, dann sind Sie hier richtig. Eine der wichtigsten und bemerkenswertesten Eigenschaften von jemandem, der ein integrales Leben führt, ist das Sich-Bewusstsein von Entwicklung und ein Empfinden dafür, was höher und was tiefer ist auf der Spirale menschlicher Entwicklung. Unglücklicherweise nutzen viele von uns dieses Wissen wie einen groben Hammer in einer Welt, die nur aus Nägeln zu bestehen scheint. Das Konzept von Entwicklungshöhe hat unsere Intuition über das, was Entwicklung ist, bereichert. Wir können Entwicklung leichter erkennen und verstehen, doch darin liegt auch das Problem. Unser Verständnis von Entwicklung setzt sich zusammen sowohl aus einem intuitiven Empfinden, wie auch der Summe von einhundert Jahren Entwicklungsforschung. Der Schritt von der Modellbildung bei der Entwicklung zu einer genaueren Untersuchung von dem, was Entwicklung ist, ist komplexer als es auf den ersten Blick aussieht. Dennoch bestehen wir oft darauf, dass unsere Entwicklungseinschätzung von anderen nicht nur richtig, sondern sogar auch begründet ist. Die Kehrseite davon ist, dass unser allgemeines Entwicklungsverständnis eigentlich – sagen wir – unterentwickelt ist. Wir müssen daher noch tiefer in Fragestellungen vordringen wie:

  • Wie funktioniert Entwicklung?
  • Was genau verändert sich dabei?
  • Wie können wir Entwicklung feststellen und messen?
  • Was genau beschreibt „Entwicklungshöhe“?
  • Welche Probleme gibt es bei ad hoc Einschätzungen?
Dieses E-Learning Programm geht diese Fragen direkt an, in dem Bemühen zu einem reiferen, verantwortlicheren und leidenschaftlicheren Verständnis von Entwicklungswissen und dessen Anwendung zu gelangen.

Linien und Ebenen

Bevor wir weitermachen, empfiehlt es sich das E-Learnig Programm An Essential Introduction to the Integral Approach anzuschauen. Dort wird die Vorstellung von „Linien und Ebenen“ erläutert, als eine Grundlage für das, was wir in diesem E-Learning Programm präsentieren. Jeder von uns ist in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich weit entwickelt. Meine mathematisch-logische Intelligenz ist sehr weit entwickelt, doch meine kinästhetische Intelligenz ist nur sehr wenig entwickelt. Ihre Selbstwahrnehmung geht weit nach oben, aber Ihre moralische Entwicklung ist noch ganz am Anfang. Linien und Ebenen geben uns ein Bild davon, wie Menschen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in ihrem Lebensverlauf durch die unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Entwicklungslinien entwickeln. Doch wie hängen diese Entwicklungslinien miteinander zusammen? Wie ist ihre Beziehung untereinander, und in welchen Verhältnis stehen sie zu den Entwicklungsstufen? Was ist der „Raum“, durch den wir uns hindurch entwickeln? Und, noch wichtiger: Wie können wir das alles wissen? Auf der Grundlage welcher Evidenz können wir von Entwicklungslinien und Entwicklungsebenen sprechen?
Unser Wissen über Entwicklungslinien undEntwicklungsebenen kommt aus zwei Quellen. Zum einen ist es eine natürliche Intuition einer zunehmenden Komplexität in der Welt, zum anderen ist sie das Ergebnis harter Arbeit von Entwicklungsforschern. In diesem E-Learning Programm werden wir diese Intuition betrachten und sie mit einer genaueren Untersuchung ein paar der wichtigsten Forschungsrichtungen der Entwicklungspsychologie verbinden. Die Kombination von Entwicklungsforschung und der eigenen Intuition über die menschliche Entwicklung, einer Entwicklung, die zu immer mehr Komplexität des Menschseins führt, bilden die Grundlagen zur Erreichung der folgenden Ziele dieser Präsentation:

  1. Wir können wir die Entwicklungsgeschichte besser verstehen und sie nicht nur als wahr und richtig erkennen, sondern als eine Geschichte, die durch die wissenschaftliche Vorgehensweise geprägt wurde.
  2. Wir lernen den Unterschied zwischen Modellen und Maßsystemen kennen und wie wir die Spreu vom Weizen trennen können. Welche Entwicklungsmodelle sind von Bedeutung und bei welchen ist Vorsicht geboten?
  3. Wir lernen die Grundlagen der Fertigkeitsentwicklungstheorie und des Lectical Assessment Systems, und wie beide eingesetzt werden können, um auf eine verlässliche Weise in unterschiedlichen Zusammenhängen, in unterschiedlichen Linien und bei unterschiedlichen Fähigkeiten Entwicklung zu erkennen.

Ein intuitives Verständnis von Entwicklungslinien

Es ist nicht schwer, mit ein wenig Anleitung Entwicklungslinien und Entwicklungsebenen intuitiv zu verstehen. Man bekommt einen einfachen Zugang zu Linien durch Fragen, die sich auf eigene Erfahrungen beziehen. (Siehe dazu auch das erwähnte E-Learnig Programm An Essential Introduction to the Integral Approach / Linien und Ebenen) Wir können so intuitiv unterschiedliche Erfahrungsbereiche unterscheiden, und jede Entwicklungslinie wird dabei durch eine bestimmte Fragestellung charakterisiert. Wenn Sie sich zum Beispiel fragen, „Wie sollte ich handeln?“, dann weist diese Frage auf die eigenen Vorstellungen darüber hin, wie man sich in einer bestimmten Situation verhalten sollte. Die eigene Fähigkeit darüber zu nachzudenken, was angemessen oder unangemessen, richtig oder falsch ist, wird mit „moralischem Urteilsvermögen“ bezeichnet. Wenn wir uns diesen unterschiedlichen Fragen zuwenden, erkennen wir, dass das, was wir mit „Erfahrung“ bezeichnen, sich auf unterschiedliche Bereiche bezieht. Diese Unterscheidungen werden durch Introspektion und Innenschau unmittelbar deutlich. Betrachten wir noch einige weitere Fragen: „Wessen bist du dir bewusst?“ Das gibt uns ein Gefühl für den kognitiven Bereich. „Wer bist du?“ erfragt den Stand unserer Selbstentwicklung. „Was ist für dich wichtig?“ zielt auf unsere Werteentwicklungslinie ab. „Was ist von letztendlicher Bedeutung für dich?“ spricht unsere Entwicklung im spirituellen Bereich an. „Wie sollte ich mit anderen in Beziehung sein?“ ist die Kernfrage für unsere interpersonelle Intelligenz. Jede dieser Fragestellungen kommt zu einer anderen Antwort. Der Unterschied bezieht sich auf das, worauf die Frage gerichtet ist, aber auch darauf, wie sich die Antworten darauf entwickeln, und wie weit wir selbst diesbezüglich entwickelt sind. Jeder von uns hat sich in den angesprochenen Bereichen mehr oder weniger weit entwickelt. Doch was genau heißt es, mehr oder weniger weit in diesen Bereichen entwickelt zu sein?

Entwicklungsintuition

Dieses einfache Empfinden von einer mehr oder weniger weiten Entwicklung steht uns auch als eine Intuition zur Verfügung. Zu dieser Intuition haben wir auf zwei Wegen Zugang – durch die Erinnerung an unsere eigene Lebensgeschichte und durch die Erfahrungen in der Kommunikation mit anderen. Als Erwachsene, die wir uns jetzt diese Präsentation anschauen, haben wir alle im Verlauf unseres Lebens mehrere Entwicklungsstufen durchschritten. Wir können durch die Erinnerung an unser eigenes Leben ein Gefühl dafür bekommen, was Entwicklung ist. Wir können uns daran erinnern, dass wir uns früher anders gefühlt haben als heute. Erinnern Sie sich einmal daran, wie Sie als Teenager waren und rücksichtslos waren oder Ihre Eltern hassten. Wir können uns erinnern, wie wir damals gedacht haben, auch wenn wir keinen Zugang mehr zum gleichen mentalen Raum haben, in dem wir uns als Teenager aufgehalten haben. Doch wir können uns daran erinnern, dass wir damals anders gedacht haben als heute. Etwas ganz Grundlegendes hat sich verändert – wir haben uns entwickelt. Und wieder sind wir bei der Frage angelangt: Was genau hat sich verändert?
Stellen Sie sich vor, dass Ihnen als einem Erwachsenen ein fünfjähriges Kind die Frage stellt: „Was ist ein Dinosaurier?“ Welche Antwort würden Sie dem Kind geben?

  • a) „Dinosaurier waren Reptilien, die vor sehr langer Zeit lebten“, oder
  • b) „Dinosaurier waren die Gruppe der Landwirbeltiere, die im Mesozoikum von der MittlerenTrias vor rund 235 Millionen Jahren bis zur Kreide-Tertiär-Grenze vor etwa 65 Millionen Jahren die festländischen Ökosysteme dominierten. In der klassischen Systematik werden die Dinosaurier als ausgestorbene Reptiliengruppe betrachtet, aus kladistischer Sicht jedoch schließen die Dinosaurier als systematische Gruppe die Vögel, die aus einer Gruppe kleiner theropoder Dinosaurier hervorgingen, mit ein. Somit gingen nicht alle Dinosaurier während des Massenaussterbens am Ende des Mesozoikums unter, sondern überlebten als Vögel bis heute.“
Praktisch jeder wird sich für die Aussage a) entscheiden. Wir spüren intuitiv, dass die Antwort b) zu komplex ist als eine Antwort auf die einfache Frage eines fünfjährigen Kindes. Wenn wir mit einem Kind kommunizieren, haben wir ein intuitives Verständnis dafür, welche Sprache angemessen ist. Die zwei Aussagen stammen aus der Internet Enzyklopädie Wikipedia, und finden sich unter dem Stichwort „Dinosaurier“. Die zweite Aussage ist dem Standardwikipedia entnommen, während die erste Aussage aus einem in einfachem Englisch gehaltenen Wikipedia stammt, das für Kinder und Erwachsene, welche die englische Sprache lernen, eingerichtet wurde. Wie dieses Beispiel und die folgenden Beispiele demonstrieren, sind wir in der Lage angemessene intuitive Entwicklungseinschätzungen zu treffen, und wir tun das wahrscheinlich ständig.
Betrachten wir jetzt ein zweites Beispiel. Stellen Sie sich vor Sie sind bei einem Arzt. Was wäre eine typische Aussage Ihres Arztes Ihnen gegenüber:

  • a) „Ihr Blinddarm wird in einer Operation vollständig entfernt werden“, oder
  • b) „Die Blutversorgung der Appendix vermiformis über das Mesenteriolum wird durch Unterbindung oder Elektrokoagulation unterbrochen und durchtrennt. Die Unterbindung erfolgt beim konventionellen Verfahren mittels resorbierbarem Faden, beim laparoskopischen Vorgehen wird dieser als sogenannte „Röder-Schlinge“ eingesetzt, alternativ kommt hier auch die Anwendung eines Staplers in Frage. Der Stumpf kann durch eine sogenannte Tabaksbeutelnaht in das Caecum eingestülpt oder nach Desinfektion belassen werden.“
Typischerweise beginnen Ärzte ihre Erläuterungen mit der einfacheren Version. Sie wissen, dass ihre Patienten im Allgemeinen keine medizinischen Experten sind und dass zusätzliche Details keinen Aussagewert haben und eher verwirren. Die gleiche Intuition können Sie selbst bezüglich der Bereiche, in denen Sie ein Experte oder eine Expertin sind, erleben. Ihre Kommunikation werden Sie, wenn Sie darüber sprechen, dem Wissensstand und dem Interesse Ihrer Hörer anpassen. Daher vereinfachen wir auch in dieser Präsentation die Komplexität einer Disziplin wie der Entwicklungspsychologie und erklären Dinge so, dass sie auch „Uneingeweihte“ verstehen können. Diese Darstellung ist sehr viel einfacher gehalten als beispielsweise die Veröffentlichungen von Fachzeitschriften wie Developmental Review, Developmental Sciences, oder das Journal of Mind, Brain and Education. Eine komplexe Darstellung ist nicht für jede Gelegenheit geeignet, und das scheinen wir intuitiv zu spüren.
Noch ein letztes Beispiel. Stellen Sie sich die beiden oben aufgeführten Aussagen vor, wie sie von ein und derselben Person gesagt werden, jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten seines oder ihres Lebens. Welches Aussage wurde früher, und welche später im Leben getroffen? Die meisten Menschen würden darauf antworten, dass Aussage a) zu einem früheren Zeitpunkt im Leben getroffen wurde als Aussage b). Hinter dieser Intuition von einer dem Entwicklungsstand angemessenen Kommunikation stehen unterschiedliche Merkmalsausprägungen, die jeweils Anzeichen für einen Entwicklungsfortschritt sind.
Die zwei genannten Aussagen unterscheiden sich durch folgende Merkmale

  1. Vokabular
  2. Struktur
  3. Inhalt
  4. Länge
  5. Perspektiveinnahme
Alle diese Faktoren kommen ins Spiel, wenn wir, um zu kommunizieren,intuitiv Entwicklungseinschätzungen vornehmen. Eine der großen Herausforderungen dabei ist es, zu lernen zwischen diesen unterschiedlichen Merkmalsausprägungen zu unterscheiden und festzustellen, welche davon verlässliche Aussagen über Entwicklung zulassen. Darauf wird in dieser Präsentation noch eingegangen werden. Bevor wir weitermachen, laden wir Sie zu einem kleinen Lernspiel ein, das unsere Intuition testet. Dies geschieht, indem wir unterschiedliche vorgelegte Aussagen in eine Entwicklungsreihenfolge zu bringen versuchen.

Testen Sie Ihre Entwicklungsintuition

[Die folgenden Tests können online in der Präsentation durchgeführt werden]

Test 1
Nachfolgend sind 4 Aussagen darüber aufgeführt, was jemandem zu einer guten Führungspersönlichkeit [leader] macht. Lesen Sie sich jede Aussage sorgfältig durch und ordnen Sie die Aussagen dann in einer Entwicklungsreihenfolge. Nehmen Sie als die erste Aussage die Ihrer Meinung nach früheste oder am wenigsten entwickelte Aussage, und als letzte Aussage die am weitesten entwickelte Aussage. Sie haben beliebig viele Versuche. Vielleicht schaffen Sie die Lösung ja schon beim ersten Mal!

  1. [Was ist eine gute Führungspersönlichkeit?] Wenn man ihr vertrauen kann. [Warum ist das wichtig?] Man weiß dann, dass man nicht lügen muss oder so etwas. [Warum ist Lügen schlecht?] Weil man dann immer weiter lügt.
  2. [Okay, was denken Sie, macht eine gute Führungspersönlichkeit aus?] Das ist jemand, der verantwortlich ist und an der Spitze steht oder so. [Was macht eine gute Führungspersönlichkeit aus?] Nicht zu schreien und nicht zu weinen [Warum nicht schreien und nicht weinen?] Das sollte man nicht tun. Das ist schlecht.
  3. [Was macht eine gute Führungspersönlichkeit aus?] Jemand, der die Regeln befolgt und Grenzen setzt. Jemand, der tut, was getan werden muss, damit es voran geht. Jemand, der kein schlechtes Beispiel abgibt in dem, was er tut, der eine gute Einstellung hat.
  4. [Was sind die Eigenschaften einer guten Führungspersönlichkeit?] Eine Führungspersönlichkeit ... ist ein Mensch, der das, von dem man denkt, dass es möglich oder angemessen ist, neu überdenkt. Darin ist vieles enthalten. Man arbeitet für die Erreichung eines kollektiven Ziels.
Test 2
Nachfolgend sind 5 Aussagen über die wissenschaftliche Vernunft aufgeführt. Lesen Sie sich jede Aussage sorgfältig durch und bringen Sie die Aussagen dann in eine Entwicklungsreihenfolge. Die erste Aussage sollte dabei die früheste oder die am wenigsten weit entwickelte sein, und die letzte die am weitesten entwickelte Aussage. Sie erhalten vier Versuche, um die richtige Reihenfolge zu finden.

  1. Die Interaktion von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen bringt sogar innerhalb eines Teams unterschiedliche Ansätze zum Vorschein. Die Synergie eines Teams kann sich von dem eines anderen Teams sehr unterscheiden, und daher kann es sein, dass für die Lösung eines Problems zwei ganz unterschiedliche und einzigartige Lösungsansätze entstehen.
  2. Ganz offensichtlich ist das Studium der Wissenschaft sehr schwierig. Die wissenschaftliche Methode ist schon merkwürdig, und es hängt davon ab, wie die Untersuchungen und Experimente gemacht werden, und welche Kriterien und Vorurteile es dabei gibt.
  3. Ich denke, dass sich widersprechende Ergebnisse die Regel sind, weil jeder unterschiedliche Vorstellungen zu unterschiedlichen Themen hat, und sich diesen mit unterschiedlichen Ansichten nähert – manche mit einem Wissenshintergrund, und andere mit einer emotionalen Reaktion zu einem Thema.
  4. Wahrscheinlich geht’s darum zu einem Thema alles herauszufinden, was es gibt, und dann mit diesen Informationen, die reinkommen seine Entscheidung zu treffen. Ich denke, wenn ich mir einmal meine Meinung gebildet hätte, würde ich dabei bleiben, doch so lange die Fakten nicht völlig klar sind, würde ich nicht behaupten, dass mein Weg zu 100% richtig wäre. 
  5. Nun, Wahrheit ist ein Ideal. Sich der Wahrheit zu nähern ist, denke ich, die Herausforderung. Da niemand von uns mit Allwissenheit gesegnet ist, wissen wir nicht wirklich, was sich auf der anderen Seite des Spektrums befindet; wir können uns dem nur nähern. Und das erfordert nicht nur das Sammeln viele Informationen, sondern auch so viel Analysepower wie nur irgend möglich.
Test 3
Nachfolgend sind 6 Aussagen moralischer Haltungen aufgeführt. Sie basieren auf einem Test von Lawrence Kohlberg: Eine Frau ist sehr krank, die Familie hat kein Geld um sich das teure Medikament für ihre Genesung zu kaufen. Darf ihr Mann „Heinz“ das Medikament stehlen?   Lesen Sie jede Aussage sorgfältig durch, und bringen Sie die Aussagen dann in eine Entwicklungsreihenfolge. Die erste Aussage sollte dabei die früheste oder am wenigsten weit entwickelte sein, und die letzte Aussage die am weitesten entwickelte Aussage. Sie erhalten drei Versuche um die richtige Reihenfolge zu finden.

  1. [Sollten Menschen alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Gesetzen zu gehorchen?] Ja. [Warum?] Nun, die Regierung macht die Gesetze und alles, damit die Bürger gut leben können, und daher sollte man die Gesetze nicht brechen, es sei denn, es gibt einen wirklich guten Grund dafür.
  2. [Sollte Heinz das Medikament stehlen?] Ja. [Warum?] Es gibt zwei Alternativen, und es sieht so aus, dass die Rettung des Lebens seiner Frau, unter der Annahme des Dilemmas, dass dies nicht anders möglich ist, wichtiger ist als ein Gesetzesbruch durch diesen Diebstahl, mit den Konsequenzen, die daraus folgen. [Warum?] Es geht darum herauszufinden, was unter gegebenen Umständen schwerer wiegt.  
  3. [Sollte der Richter die Anklage gegen Heinz fallen lassen?] Ich denke, dass rechtlich gesehen Heinz schuldig ist, weil er das Medikament gestohlen hat. Ich denke aber auch, dass Richter menschlich-humane Faktoren mit berücksichtigen sollten. Wenn Heinz in diesem Fall durch seine Liebe und Hingabe zu seiner Frau so sehr geblendet war, und wenn er alle anderen Möglichkeiten, sich das Medikament legal zu beschaffen versucht hat, dann sollte das berücksichtigt werden. 
  4. [Sollte Heinz das Medikament stehlen?] Zwei falsche Dinge heben sich nicht gegenseitig auf. Ich habe das Gefühl, ich werde mit zunehmendem Alter immer konservativer. Früher hätte ich auf die Frage geantwortet, dass er das Medikament stehlen sollte. Aber er würde dann gegenüber seiner Frau durch den Diebstahl an Integrität verlieren, auch wenn sie dadurch am Leben bleiben könnte.
  5. [Wie verhält es sich in einer derartigen Situation damit, Gesetze einzuhalten?] Es ist erst einmal falsch zu stehlen. Er kann dafür bestraft werden. Andererseits: Welches Gesetz schützt ihn vor Leuten, die Preise für Medikamente in die Höhe treiben? Er bricht also nicht das Gesetz. Er kann tun, was er will, auch wenn es falsch ist.
  6. [Hätte er nicht in den Laden einbrechen dürfen?] Von einem rechtlichen Gesichtspunkt aus betrachtet war es falsch, ja. Doch wie ich schon sagte, gibt es mildernde Umstände. Stehlen ist niemals gerechtfertigt, doch in diesem Fall kann es sich um eine Ausnahmesituation handeln. Das Gesetzt ist in vielerlei Hinsicht sehr flexibel.
Der Versuch, für Aussagen wie diese die richtige Reihenfolge zu finden, ist sehr „tricky“. Versuchen Sie sich noch einmal an dem Quiz, nachdem Sie diese Präsentation angeschaut haben.

  • Was waren für Sie die am meisten herausfordernden Aspekte bei dieser Übung?
  • Haben Sie sich bei Ihren Entscheidungen an den Inhalten orientiert (Vorstellungen, Konzepte, Vokabular)? - oder eher an der Struktur und der Komplexität der Argumente? Beides ist in Ordnung, und oft verwenden ausgebildete Auswerter eine Mischung aus beidem. Bemerken Sie einfach nur, worauf Sie mehr Wert legen. In den nächsten Abschnitten dieser Präsentationen werden wir mehr über diesen Unterschied erfahren.

Intuition ist eine heikle Angelegenheit

Die zwei Intuitionen von Entwicklungslinien und Entwicklungsebenen sind von wesentlicher Bedeutung für den integralen Ansatz. Sie sind zwei der fünf Grundkomponenten des AQAL Modells. Diese starken Intuitionen legen nahe, dass diese Phänomene nicht wegdiskutiert oder ignoriert werden können. Doch Intuition allein ist eine heikle Angelegenheit. Wir spüren, dass wir unterschiedliche Fähigkeiten oder „Intelligenzen“ haben, doch wie viele davon gibt es? Vielleicht nur drei, Körper, Herz und Geist [mind], vielleicht aber auch sieben, wie die sieben „multiplen Intelligenzen“ von Howard Gardner. Vielleicht gibt es aber auch zwanzig oder sogar dreißig davon? Unsere gefühlte Erfahrung alleine kann diese Frage nicht beantworten. Jede(r) von uns fühlt etwas anderes. Für mich existiert in meiner Welt vielleicht hauptsächlich Kognition neben allem übrigen, und Sie unterscheiden in Ihrer Welt vielleicht zwanzig unterschiedliche spirituelle Ausdrucksweisen. Wer hat Recht? Das gleiche gilt für unsere Intuition von Entwicklung. Ja, wir erinnern uns daran, dass wir als Teenager eigenartig waren, aber worin genau bestand unsere Eigenart? Wie waren wir damals wirklich, und was genau hat sich verändert? Wir können unsere Sprache Kindern anpassen, doch es ist sehr viel schwieriger, die Feinheiten des großen Entwicklungsspektrums des Erwachsenseins zu differenzieren. Können wir diese Unterschiede erkennen? Welche Eigenschaften sind dabei Indikatoren für einen Entwicklungsfortschritt? Ist es das Vokabular, die Grammatik, die formulierten Vorstellungen, die Perspektiven, die eingenommen werden, usw.? Der Schritt von der heiklen Intuition zu einem tieferen Verständnis von Entwicklung erfordert die wissenschaftliche Methodik. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt die Vorstellung von Entwicklungshöhe.

Entwicklungshöhe

Wie in der E-Learning Präsentation What are Levels and Lines? erläutert, bezieht sich “Entwicklungshöhe” auf die vertikale Entwicklungsskala, d. h. den Grad oder das Maß von Komplexität oder Bewusstheit, durch den sich jede Entwicklungslinie hindurch entwickelt. Veranschaulichen wir uns diesen Sachverhalt durch die Metapher konkreter physischer Höhe: Jede Entwicklungslinie kann man sich als einen unterschiedlichen Weg hin zum Gipfel des gleichen Berges vorstellen. Jeder Weg nimmt eine andere Route, aber alle Wege durchlaufen die gleichen Höhenunterschiede. Ebenso entwickelt sich jede Linie durch die ihr eigenen Entwicklungsstufen, mit den für diese Entwicklungslinie typischen Eigenschaften. Die Stufenentwicklung erfolgt für alle Linien jedoch durch die gleichen Entwicklungshöhen hindurch. Wir können die Metapher physischer Höhe noch erweitern. Vor der Einführung von Maßsystemen wie Fuß oder Meter existieren bereits Intuitionen von Entwicklungshöhe. Wir waren in der Lage unsere Position am Berg intuitiv zu erfassen, ob wir unsam Fuß des Berges befinden, oder in der Mitte, oder auf dem Gipfel. Wir hatten ein allgemeines Empfinden von vertikaler Entwicklungshöhe. Doch der Schritt von einem Allgemeinverständnis zu einer präziseren Vorstellung von Entwicklungshöhe erfordert Standards und Vereinbarungen. Dazu gehört beispielsweise die Einführung eines Maßsystems. Die Maßeinheit Meter wird heute von der Lichtgeschwindigkeit abgeleitet. Danach ist 1 Meter die Strecke, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von rund 1/300.000.000 Sekunde zurücklegt. [A. d. Ü.: der genaue Wert beträgt 1/299.792.458 Sekunde. Quelle: Wikipedia]. Doch die gegenseitige Übereinkunft von Messstandards ist nicht genug. Wir müssen uns auch darüber einigen, worauf unser Maßsystem gegründet ist. Der Mount Everest ist der höchste Berg der Welt, gemessen vom Meeresspiegel aus. Doch der Mauna Kea [auf Hawai] ist, da er vom Meeresboden aus gewachsen ist, vom Meeresboden aus gemessen mit einer Gesamthöhe von etwa 10.205 Meter noch höher und wäre nach dieser Messung der höchste Berg der Erde. Neben dem Maßsystem brauchen wir also einen vereinbarten Bezugspunkt, um beispielsweise die Höhe zweier Berge miteinander vergleichen zu können. Die gleiche Aufgabenstellung finden wir im Bereich der Entwicklungspsychologie. Unsere Entwicklungsintuition von „hochentwickelt“ kann durch intersubjektive Wissenschaft untermauert und genauer spezifiziert werden, mit einer Aussage wie z. B. „8.880 Meter hoch über dem Meeresspiegel“.

Von der Intuition zur Wissenschaft

Für den Schritt von der heiklen eigenen Entwicklungsintuition zu einer Entwicklungswissen­schaft brauchen wir unterschiedliche Vorgehensweisen und Methodiken. Um diese zu verstehen, betrachten wir ein weiter entwickeltes integrales Modell etwas genauer, und zwar das Modell der 8 Zonen. Wir beginnen dabei mit den zwei grundlegenden Unterscheidungen, die uns zu den vier Quadranten führen, den Unterscheidungen zwischen innerlich und äußerlich, und die des Individuellen und des Kollektiven.

 

Dadurch erhalten wir vier Dimensionen eines jeden Ereignisses. Die obere linke, subjektive Dimension, die obere rechte, objektive Dimension, die untere linke, intersubjektive Dimension, und die untere rechte, interobjektive Dimension. Zu den 8 Zonen gelangen wir, wenn wir noch eine dritte Unterscheidung einführen, die etwas darüber aussagt, wie wir uns diese Dimensionen erschließen. Nähern wir uns ihnen von innen oder von außen her?



Betrachten wir dazu unsere individuelle Innerlichkeit des oberen linken Quadranten. Untersuchen wie diesen von innen her, durch Introspektion beispielsweise, dann erleben wir unsere Gefühle, Motivationen und Gedanken. Untersuchen wir die gleiche Dimension von außen her, wie es ein Entwicklungspsychologe macht, dann sehen wir diese Gefühle, Motivationen und Gedanken zugehörig zu bestimmten Klassen von Entwicklungsebenen. Eine Innenansicht (Zone 1) des eigenen Innerlichen gibt uns vielleicht ein Erleben eines starken Wettbewerbsstrebens und ein Erleben von Antrieb am Arbeitsplatz, um etwas zu erreichen. Eine Außenansicht derselben innerlichen Erfahrungen (Zone 2) erkennt darin die Wertestruktur der orange Entwicklungsstufe ... Die Zone 5 liefert uns eine objektive Ansicht der Innerlichkeit eines Organismus, der Betrachtung des Innerlichen eines „Es“. Wir verwenden dafür Methodologien wie die Kognitionswissenschaften und psychometrische Methoden, um angemessen feststellen zu können, wie wir Entwicklungslinien definieren können. Das bekannteste Modell für Entwicklungslinien sind Howard Gardners multiple Intelligenzen. Doch es gibt noch andere Wege, um Linien zu entdecken, wie z. B. Kurt FischersTheorie der Fertigkeitsentwicklung, die man so interpretieren könnte, dass es so viele Entwicklungslinien gibt, wie es Dinge gibt, die man tun oder über die man sprechen kann. Susanne Cook-Greuters oder Jane Loevingers Konzepte der Ich-Entwicklung könnten als eine Entwicklungslinie betrachtet werden, doch darin sind Dinge enthalten, die von anderen als unterschiedliche Entwicklungslinien betrachtet werden würden, und die sich möglicherweise auch unterschiedlich entwickeln. Um eine Wissenschaft der Entwicklungsebenen zu schaffen, wenden wir uns den Zonen 2 und 5 zu, als einer objektiven Betrachtung der Innerlichkeit eines Individuums. Wir blicken dabei auf die Außenseite eines „Ich“. Dafür verwenden wir die Methodiken des Entwicklungs­strukturalis­mus und der Entwicklungspsychologie, um besser zu verstehen, was Entwicklungshöhe ist. Um zur Metapher vom Berg zurückzukehren: Was wir hier versuchen, ist ein Maßsystem zu errichten, in Metern oder Fuß, und eine Reihe von Vereinbarungen zu treffen, wie wir uns Entwicklung vorstellen können – und das entspricht unserem Messpunkt, der Meereshöhe beispielsweise. Wir machen damit den Schritt von der Verwendung unsere Intuition hin zum Einsatz von Modellen und Maßsystemen, als zwei entscheidenden Komponenten, die wir zusammenführen müssen, um unsere Vorstellung von Entwicklung zu verbessern.
Als nächstes werfen wir einen kurzen Blick auf Modelle und Maßsysteme, und schauen uns danach zwei Beispiele an, für ein genaueres Verständnis von dem, was Entwicklungshöhe ist.

Modelle und Maßsysteme

Modelle entwickeln wir oft intuitiv, als Hypothesen über die Strukturen des Geistes und die Entfaltung des Bewusstseins. Wir können uns auch mit dem komplexen Vorgang der Errichtung von Maßsystemen beschäftigen, mit denen wir Entwicklung untersuchen können. Ist das überhaupt wichtig? Das hängt davon ab, aus welchen Gründen man sich mit menschlicher Entwicklung beschäftigt. Ein Grund ist der, das menschliche Territorium zu untersuchen, um die Geschichte [story] von Entwicklung in ihren allgemeinen Grundzügen zu verstehen. Wollen wir Entwicklung jedoch beschreiben und erklären, dann brauchen wir ein Modell dafür. Ein weiterer Grund ist der, Entwicklung zu untersuchen und zu analysieren. Dies kann aus einem persönlichen Interesse heraus entstehen, für die eigene Coaching- oder Therapiepraxis, für Personalentscheidungen, oder um die Effizienz von Bildungsmaßnahmen einschätzen zu können. Wenn wir Entwicklung messen wollen, brauchen wir ein Maßsystem. Modelle und Maßsysteme müssen dabei unterschiedlichen Qualitätsanforderungen genügen. Es ist ganz entscheidend wichtig, dass wir uns mit der Qualität und Genauigkeit unserer Entwicklungsuntersuchungen befassen. Dies gilt speziell für die Mitglieder einer integralen Gemeinschaft, die eine geschärfte Intuition über die Entwicklung anderer haben, und anfällig sind für ad hoc Entwicklungseinschätzungen. Wollen wir jedoch Entwicklungseinschätzungen treffen, die auf Wissenschaft gegründet sind, müssen wir über die Intuition hinausgehen und uns mit psychometrischen Methoden befassen, als einer Theorie und Praxis der Geistesmessung. Nur wenn unsere Intuition bezüglich Entwicklung verfeinert und durch die Methoden der Wissenschaft und Messung auf eine solide Grundlage gestellt wird, sind wir wirklich in der Lage, Entwicklung zu messen und einzuschätzen.

Qualitative Maßeinheiten

Wie stellen Wissenschaftler Maßsysteme von Entwicklungsstudien auf, um so menschliches Wachstum zu verstehen? Sie machen entweder über einen längeren Zeitraum ihre Untersuchungen, indem sie dieselbe Person längere Zeit beobachten [longitudinal], oder sie studieren unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Alters gleichzeitig [cross-sectional]. Danach betrachten sie alle Daten, die sie gesammelt haben, und organisieren diese Daten zuerst einmal intuitiv, so wie wir das in diesem Kurs am Anfang beschrieben haben. Danach sind die Wissenschaftler bemüht,ihre Intuition in einer der allgemeinen Wissenschaft zugänglichen Kriterienliste zu kodifizieren, wonach dann Entwicklung allgemein untersucht werden kann. Danach diskutieren sie darüber, welches Verhalten oder welche Aussage zu welcher Entwicklungsebene gehört, und gelangen so zu einer Reihe von Kriterien, die verwendet werden können, um Entwicklung in dem Bereich zu untersuchen, den sie gerade studieren. Diese Kriterien basieren oft auf den Inhalten der Worte, auf geäußerten Vorstellungen, auf formulierten Konzepten und dem Vokabular. Kohlbergs Standard Issue Scoring Manual und Jane Loevingers Sentence Completion Test gründen sich auf Untersuchungen, die sich an den Inhalten von Aussagen orientieren. Derartige Methoden geben uns einen erstaunlichen Einblick in die menschliche Entwicklung. Doch die Kodifizierung von Untersuchungskriterien ist nur ein Teil einer qualifizierten Untersuchung. Nehmen wir an, wir haben eine Reihe von Kriterien, doch die Auswerter eines Tests sind sich nicht einig darüber, wie diese Kriterien anzuwenden sind. Eine Auswerterin ordnet eine Aussage der Stufe 3 zu, ein anderer Auswerter sieht diese Aussage auf Stufe 5. Was dann? Oder nehmen wir an, dass Forscher ein Verfahren entwickelt haben, von dem sie sagen, dass es Entwicklungsebenen erkennt, doch wenn man sich das anschaut und durchliest, sieht es mehr nach einem Persönlichkeitstest aus.
Im ersten Szenario fragen wir nach der Zuverlässigkeit des Maßsystems. Wie gut misst das Maßsystem wirklich? Wird ein und dieselbe Aussage unterschiedlich zugeordnet? Erhält der gleiche Mensch eine unterschiedliche Bewertung, wenn er oder sie den Test an einem anderen Tag durchführt? Im zweiten Szenario fragen wir nach der Gültigkeit des Maßsystems. Misst es wirklich das, was es behauptet zu messen? Handelt es sich dabei wirklich um einen Test von Bewusstseinsebenen oder sind darin auch noch Persönlichkeitstypen enthalten und kulturelle sowie emotionale Zustände? Forscher testen die Gültigkeit und die Zuverlässigkeit ihrer Maßsysteme durch psychometrische Techniken, was bedeutet, dass sie ihre Ergebnisse in unterschiedlichen Kontexten, mit unterschiedlichen Teilnehmern und unter Verwendung quantitativer Werkzeuge überprüfen. Dieser Vorgang ist sehr komplex und zeitaufwendig, doch ohne derartige Informationen sind wir nicht in der Lage, die Ergebnisse einer Untersuchung wirklich interpretieren zu können.
Dies führt uns unvermeidlich zurück zur Vorstellung von Entwicklungshöhe und einer Reihe wichtiger Fragen, der sich die integrale Gemeinschaft gegenüber sieht, in unserem Versuch, unseren Umgang mit dem Thema Entwicklung auf ein anspruchsvolleres Niveau zu heben.  

Entwicklungshöhe neu betrachtet

Wilbers Vorstellung von Entwicklungshöhe passt gut zu unserer Entwicklungsintuition. Haben wir einmal die Farben des Entwicklungsspektrums verstanden und ihre allgemeinen konzeptuellen Konturen, können wir sehr einfach höhere von niedrigerer Entwicklung unterscheiden. Von dort aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu ad hoc Entwicklungseinschätzungen gegenüber unserer PartnerInnen und Freunden, ohne uns meist über Folgendes klar zu werden:

  • Worin liegen die Gefahren, wenn wir uns von einer Entwicklungsintuition zu einer wirklichen Entwicklungseinschätzung bewegen, ohne dabei Rückgriff auf die Wissenschaft zu nehmen?
  • Welches Entwicklungsmodell liegt unserem Entwicklungsverständnis zugrunde?
  • Welches Maßsystem verwenden wir, wenn wir Aussagen darüber treffen, wo sich Menschen in ihrer Entwicklung befinden?
  • Ist dieses Maßsystem gültig und zuverlässig?
  • Welche allgemeinen Probleme treten bei intuitiven Entwicklungseinschätzungen grundsätzlich auf, wenn wir uns dabei allein auf den Aussageinhalt konzentrieren?
Anders ausgedrückt: Viele von uns in der integralen Gemeinschaft machen sich den Schritt von einem intuitiven Entwicklungsverständnis zu einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht bewusst und übergehen dabei die aufgeführten wichtigen Fragen und Überlegungen. Das, meine Freunde, ist ein Problem. Daran müssen und werden wir arbeiten.
Entwicklungshöhe wird von Wilber definiert als Bewusstseinsmessung per se, doch was bedeutet das? Und das ist der Punkt. Was verändert sich mit der Entwicklung von Bewusstsein? Eine Möglichkeit diese Frage zu beantworten besteht darin, dass Entwicklung durch eine Zunahme von Komplexität charakterisiert ist. Doch um Entwicklungshöhe über unterschiedliche Entwicklungslinien vergleichen zu können, müssen wir definieren, was Komplexität ist und wie wir diese messen können. Dies führt uns zu einem weiteren Modell und Maßsystem, eines das Schlüsselaspekte von Wilbers Konzept von Entwicklungshöhe.
Kurt Fischers Theorie der Fertigkeitsentwicklung ist ein Modell menschlicher Entwicklung, mit der Betonung auf der dynamischen Entwicklung individueller Fähigkeiten innerhalb eines komplexen Entwicklungsnetzwerkes. Als ein Modell definiert es wesentliche Grundlagen für Theo Dawsons Lectical Assessment System, als ein Maßsystem, das Entwicklung in jeder Entwicklungslinie misst, die über Sprache vermittelt wird. Die LAS hält Ausschau nach den universellsten strukturellen Entwicklungsmerkmalen, wie sie sich in den Tiefenstrukturen linguistischer Ausdrucksweisen manifestieren. Dies unterscheidet es von auf Inhalten basierenden Entwicklungsmesssystemen und macht es auf eine einmalige Weise als ein Messsystem aussagefähig. In den folgenden beiden Abschnitten werden wir uns beides anschauen, die Theorie der Fertigkeitsentwicklung und das Lectical Assessment System.

Die Theorie der Fertigkeitsentwicklung

Fischers Theorie der Fertigkeitsentwicklung, die auf den Ergebnissen der frühen Entwicklungsforschung aufbaut, bringt neue Einsichten hinsichtlich bereichsübergreifender allgemeiner Merkmale, durch die Entwicklung gekennzeichnet ist. Mit bereichsübergreifend meinen wir die Anwendbarkeit auf viele unterschiedliche Entwicklungslinien, vergleichbar mit dem Konzept von Entwicklungshöhe. Fähigkeiten [skills] bestehen darin, auf eine organisierte Weise innerhalb eines spezifischen Zusammenhangs zu handeln. Für den Beginn können wir uns dabei Entwicklungslinien als ein Cluster von zueinander in Beziehung stehenden dynamischen Fähigkeiten betrachten. Die kognitive Linie, oder der kognitive Bereich, umfasst eine Reihe von Fähigkeiten, wie die Fähigkeit Perspektiven einzunehmen, die Fähigkeit zur Vernunft, oder die Fähigkeit unterschiedliche Kontexte zu verstehen. Die Theorie der Fertigkeitsentwicklung präsentiert eine sehr detaillierte Differenzierung von Fähigkeiten, die den Anforderungen unterschiedlicher Aufgabenstellungen entsprechen, wie sie innerhalb gleicher Bereiche auftreten können. In gewisser Weise können wir sagen, dass es so viele Fähigkeiten wie Aufgabenstellungen gibt. Worauf es dabei ankommt, und warum die Theorie der Fertigkeitsentwicklung ein idealer Kandidat für die Modellbildung von Entwicklungshöhe ist, ist die Untersuchung von Fähigkeitsstrukturen unabhängig vom Typ der Fähigkeit. Die Strukturbildung bei der Entwicklung von Fähigkeiten reflektiert den Vorgang fortschreitender Differenzierung und Integration, bei zunehmender Abstraktion und Komplexität.
Das Modell der Theorie der Fertigkeitsentwicklung enthält fünf Rangstufen [tiers], und zwar

Reflexe [reflexes]
Aktionen /Handlungen [actions]
Repräsentationen [representations]
Abstraktionen [abstractions] und
Prinzipien [principles]

Jede dieser Rangstufen steht dabei für einen großen Schritt einer neuen Organisation der Gedanken und Tätigkeiten. Innerhalb jeder Rangstufe gibt es vier Ebenen, die beschreiben wie die konzeptuellen Elemente (Reflexe, Aktionen / Handlungen, Repräsentationen, Abstraktionen und Prinzipien) jeder Rangstufe koordiniert werden.
Betrachten wir zuerst die Rangstufen. Reflexe sind die elementarsten Grundbausteine, die instinktiven, halb-bewussten Reaktionen der frühen Kindheit. Aktionen / Handlungen transzendieren und bewahren Reflexe. Dies sind die Handlungen und Wahrnehmungen des Kindes gegenüber Dingen und Ereignissen in seiner Umgebung. Repräsentationen transzendieren und bewahren Aktionen. Diese werden in einer Weise reorganisisert, bei der konkrete charakteristische Merkmale von Dingen, Ereignissen und Menschen in die Kategorien, Bilder und die Sprache der Kindheit übertragen werden. Abstraktionen transzendieren und bewahren Repräsentationen durch eine erneute Reorganisation, bei der allgemeine Merkmale von schwer bestimmbaren Eigenschaften von Dingen, Ereignissen und Menschen hervortreten. Abstraktionen erlauben kontextübergreifende Gedankenprozesse über die Dinge der Welt. Prinzipien transzendieren und bewahren Abstraktionen, indem sie diese in übergreifende und meta-kategorische konzeptuelle Elemente reorganisieren. Prinzipien ermöglichen die Konstruktion theoretischer Rahmen und Grundlagen.
All dies ist ziemlich komplex, und wir werden uns gleich bei der Diskussion des Lectical Assessment Systems ein paar Beispiele dazu betrachten. Jede dieser Rangstufen entfaltet sich durch vier Ebenen hindurch, welche die gleiche Struktur haben, aber unterschiedliche konzeptuelle Elemente enthalten. In jeder der Rangstufen treten die Elemente zuerst als einzelne Konzepte miteiner definitorischen Struktur auf. Diese werden dann in eine lineare Struktur integriert, welche zu definitorischen Strukturen führt, die mit Zuordnungen [Mappings] bezeichnet werden. Zuordnungen ihrerseits werden zusammengefasst zu zunehmend komplexen multivariablen Systemen. Danach, mit weiter zunehmender Komplexität, entstehen Systeme von Systemen in einer großangelegten Reorganisation, die zu einzelnen Elementen der nächsten Rangstufe führt. Am Beispiel des Abstraktions-Ranges: Zuerst finden wir einzelne Abstraktionen, dann lineare Zuordnungen oder Listen koordinierter Abstraktionen, danach Systeme von Abstraktionen, und schließlich koordinierte Systeme von Systemen von Abstraktionen, die zu einzelnen Prinzipien führen. Dies wird gleich anhand von Beispielen erläutert. Durch die bereichsübergreifende Vorgehensweise der Theorie der Fertigkeitsentwicklung sind wir in der Lage, Entwicklung in unterschiedlichen Bereichen oder Fähigkeiten modellhaft zu verfolgen. Die Flexibilität dieses Modells und seine bereichsübergreifenden Prinzipien von Differenzierung und Integration sind eine wichtige Grundlage für die Entwicklung eines Maßsystems, das Gültigkeit für unterschiedliche Entwicklungslinien haben kann.
Ein derartiges Maßsystem, wie das Lectical Assessment System, gibt uns eine feinere Messgenauigkeit für die Tiefenstrukturen von Entwicklungsmustern in vielen Bereichen.

Lectical Assessment System (LAS)

Vergleichbar mit einem Maßstab, ist das LAS als ein Messsystem selbst ohne Inhalte. Anstatt für die Feststellung von Entwicklungsebenen auf Inhalte zu schauen, schaut das LAS tiefer und betrachtet die Sprachstruktur, als ein Maßsystem zur Entwicklungseinschätzung vieler Entwicklungslinien. Das LAS konzentriert sich dabei, ausgehend von einem spezifischen linguistischen Ausdruck, durch die Messung des Abstraktions- und Komplexitätsgrades auf die Muster von Differenzierung und Integration, von Transzendenz und Bewahren. Das LAS misst damit den Repräsentationsrang und noch höhere Ränge. Die Erhebungen des LAS werden als „Protokolle“ bezeichnet, als Beispiele von Argumentationen mit mindestens einer Aussage und einer Begründung für diese Aussage. Das Protokoll wird auf zwei Grundeigenschaften hin untersucht. Die erste Eigenschaft ist die hierarchische Stufe der Abstraktion. Mit ihr wird die Rangstufe der Aussage eingeschätzt. Die zweite Eigenschaft ist die Untersuchung der logischen Struktur, mit welcher die Ebene identifiziert wird. Für ein intuitives Verständnis der unterschiedlichen Ebenen, wie sie vom LAS gemessen werden, lesen Sie bitte die folgenden Protokolle der Aussagen darüber,was ein Mensch ist.



 

 

Intuitiv erfassen wir dabei die zunehmende Komplexität, oder? Können Sie auch die Zunahme der Rangstufen an Abstraktion erkennen, mit der die Vorstellungen darüber, was eine Person ist, immer abstrakter werden? Um die logische Struktur zu erfassen, betrachten wir eine Reihe von Diagrammen, Konzept-Zuordnungen genannt, ausgehend von einer weiteren Protokollreihe mit Aussagen darüber, was eine gute Führungspersönlichkeit [leader] ausmacht.

Bild 1



Bild 2

 

Bild 3

 

Bild 4



Bild 5

 

Bild 6

 

Bild 7

 

Ist Ihnen aufgefallen, wie die Diagramme für jede der Ebenen gleich aussehen – Einzelelemente, Zuordnungen und Systeme haben die gleiche logische Struktur in jeder Rangstufe. Die Aussagen unterscheiden sich jedoch ich ihrem Abstraktionsgrad. Zuerst war die Führungsperson einfach nur vorne. Dann war sie, als Einzelabstraktion, gut im Umgang mit anderen Menschen. Dann, als ein Prinzip, stellt sich die hochkompetente Führungsperson in den Dienst ihrer Organisation und verfügt dabei über eine Reihe abstrakter Qualitäten.
Betrachten wir noch ein weiteres Protokoll, das uns den Unterschied zwischen einer Entwicklungseinschätzung aufgrund von Inhalten gegenüber einer Entwicklungseinschätzung aufgrund von Komplexität aufzeigt. Dieser Text stammt aus einem Protokoll eines Interviews von Lawrence Kohlberg zur moralischen Vernunft. Die Worte in Klammern sind von Kohlberg.
[Macht es einen Unterschied, was Heinz tun sollte, abhängig davon, ob er seine Frau liebt oder nicht? Wenn er sie nicht lieben würde?] Auch wenn er sie liebt, sollte er für sie da sein für die Zeit, die ihr noch bleibt. Das ist sehr schwer zu beantworten. Ich überlege mir, was wäre, wenn Howard krank wäre und ich in der gleichen Situation wäre. Ich könnte dennoch nicht das Medikament stehlen, egal wie sehr ich Howard lieben würde. Ich würde bemüht sein die uns gemeinsam noch verbleibende Zeit wertzuschätzen. [Was würde Sie daran hindern das Medikament zu stehlen? Was wären ihre Gründe dafür, nicht zu stehen?] Integrität. Ich denke dass, wie ich schon sagte, zwei falsche Dinge nicht zu etwas Richtigem werden. Und eines der zehn Gebote lautet ja auch „Du sollst nicht stehlen“. Für mich ist es die Integrität. Ich möchte nicht so tief sinken und einbrechen und einMedikament für Howard stehlen. [Nehmen wir an, dass der Mensch, der im Sterben liegt, nicht seine Frau ist, sondern jemand Fremdes. Sollte Heinz das Medikament dann für jemand Fremdes stehlen?] Ich denke, Heinz sollte das Medikament überhaupt nicht stehlen. Doch wenn ich mich in ihn hineinversetze, als einen guten Christen, dann sollte er das Medikament für jeden stehlen, der Schmerzen hat und leidet. Dass es sich dabei um seine Frau handelt, sollte keinen Unterschied machen. Wenn es darum geht Leben zu retten, sollten Menschen keine Unterschiede machen.
Betrachten wir zuerst nur den Inhalt dieser Aussage. Welche Ideen, Worte und Vorstellungen finden wir? Das Gespräch dreht sich um Gesetz, Ordnung, das Nicht-Stehlen-Dürfen, Gott usw. Erinnern Sie sich bitte an die Farben des Entwicklungsspektrums, und stellen Sie sich die Frage, zu welcher Entwicklungsebene dies passt. Das hört sich nach Bernstein an, nicht wahr? Diese Aussagen sind traditionell, konservativ und religiös. Wenden wir uns jetzt der hierarchischen Komplexität der Aussagen zu. Wenn Ihnen das nicht gelingt, kein Problem. Das LAS Auswerten und Zuordnen ist nicht ganz einfach. Aber können Sie sich vorstellen, dass dieses Protokoll abstrakte Systeme wiedergibt, die in etwa einer Entwicklungsebene zwischen Orange und Grün entspricht. Das bedeutet, dass eine intuitive Entwicklungseinschätzung, gestützt auf die Aussageninhalte, sich um fast zwei Entwicklungsebenen unterscheidet von einer wissenschaftlich fundierten Komplexitätseinschätzung.
Was sagt uns das? Entwicklungshöhe ist ein nützliches Werkzeug für das Verständnis menschlicher Entwicklung. Maßstäbe, die wir für verschiedene Entwicklungslinien verwenden können um Entwicklungskomplexität zu verstehen, von Moral über Kognition zu Ästhetik, sind unschätzbar wertvoll. Doch wir müssen unsere Vorstellungen von Entwicklungshöhe in einen Bezug setzen zu einem Modell und einem Maßstab, der unseren Absichten genügt, die wir bei unserer Entwicklungseinschätzung verfolgen. Dadurch wird unsere Entwicklungsintuition sehr viel verlässlicher und auch gültiger. Dasverdanken wir in diesem Beispiel Kurt Fischers Theorie der Fertigkeitsentwicklung und Theo Dawsons Lectical Assessment System.

Ein tiefgreifenderes Verständnis

Die wesentliche Schlussfolgerung aus dieser Präsentation ist die, dass Systeme zur Entwicklungseinschätzung Instrumente sind, die von Psychologen geschaffen wurden und die jeweils ihre eigenen Beschränkungen und auch Fehler haben. Sie können niemals alles messen, was sich zu messen lohnt – und manche Messsysteme sind, bezogen auf eine bestimmte Aufgabenstellung, besser als andere. Das Wissen darüber, wie Messsysteme konstruiert und getestet werden, ist daher wichtig, speziell wenn man selbst hinsichtlich seiner eigenen Entwicklung von anderen eingeschätzt wird oder selbst andere einschätzt.
Das Modell eines bereichsübergreifenden Entwicklungsmaßstabes, der inhaltsleer und unabhängig von dem ist, was er misst, kann auf eine methodische Weise Schlüsselaspekte des Entwicklungshöhenkonzeptes darstellbar machen. Durch die getrennte Behandlung von Struktur und Inhalt können die Theorie der Fertigkeitsentwicklung und das LAS für das Verstehen und zur Untersuchung von Entwicklung in einer verantwortlichen, gültigen und zuverlässigen Weise zur Anwendung kommen.
Es gibt sehr viel mehr zwischen Himmel und Erde, als wir uns das in unseren Philosophien vorstellen können, einschließlich unserer integralen Philosophie. Und es gibt beim Thema Entwicklung in seiner unglaublich reichen Komplexität mehr, als wir durch unsere Untersuchungen messen können. Dennoch haben Entwicklungsuntersuchungen und psychometrische Techniken, auf denen diese beruhen, ihren Nutzen, und sie leisten einen wichtigen Beitrag für das Verständnis menschlicher Entwicklung und des menschlichen Potenzials.
Als Praktizierende eines integralen Lebens ist es unsere Hoffnung, dass jede und jeder von uns darum bemüht ist, sich über ein einfaches Entwicklungsverständnis, das auf einfachen Entwicklungsmodellen basiert, hinaus weiterzuentwickeln. Das Konzept von Entwicklungshöhe ist ein großartiges Werkzeug, um etwas über die Grundebenen von Entwicklung zu lernen, speziell wenn es um die soziale Entwicklung größerer Gruppen geht. Doch wenn es um Individuen geht und die Untersuchung individueller Entwicklung, ist die Zuverlässigkeit derartiger Modell zweifelhaft. Menschliche Entwicklung ist komplex, und wenn wir das Wachstum eines Menschen messen, dann ist das Beste, was wir dabei erreichen können, etwas über die Komplexität eines Menschen und seines Verhaltens gegenüber einer bestimmten Aufgabe in einer bestimmten Situation zu lernen. All dies ist ständig in Veränderung begriffen, und daher ist eine definitive Aussage darüber ebenso schwierig wie unzuverlässig. Auf der Basis von nur einer Wertaussage oder einer bestimmten Formulierung unter Verwendung eines bestimmten Vokabulars jemand genau zu Orange oder Türkis zuzuordnen ist nicht sehr qualifiziert. Derartige ad hoc Einschätzungen sind unverantwortlich und auch wenig mitfühlend. Wenn wir unser Verständnis von Entwicklung wirklich erweitern wollen, um verantwortlicher mit diesem Thema umzugehen, dann sollten wir uns an die Fragestellungen erinnern, die wir hier in dieser Präsentation formuliert haben.
Dies ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Kultivierung und zum Verständnis von Entwicklung, einem Verständnis das es wert sein sollte als „integral“ bezeichnet zu werden. 

[1] Das Entwicklungsmodell Spiral Dynamics wird von einigen seiner VertreterInnen als „Die Theorie, die alles erklärt” bezeichnet. „Spiral Dynamics has been called ‘the theory that explains everything’.

[2] Die Kapitelüberschriften der Präsentation lauten im Original:

Towards a Developmental Sophistication; Lines and Levels; An Intuitive Sense of Lines; Developmental Intuition; Testing Your Developmental Intuition; Intuition is Messy; Developmental Altitude; From Intuition to Science; Models and Metrics; Building Quality Metrics; Altitude Revisited; Dynamic Skill Theory; Lectical Assessment System; A Sophistcated Unterstanding.

aus: Online Journal Nr. 19, 2009

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